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Entscheidungen

StPO

Fesselung, Angeklagter, Hauptverhandlung, Rechtsmittel

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Saarbrücken, Beschl. v. 08.03.2016 - 1 Ws 28/16

Leitsatz: 1. Die Anordnung, dass der Angeklagte während der Dauer der Hauptverhandlung an den Füßen gefesselt bleibt, kann sowohl auf § 176 GVG als auch auf § 231 Abs. 1 Satz 2 StPO gestützt werden.
2. Wird eine solche Fesselungsanordnung nur auf § 176 GVG gestützt, ist die hiergegen gerichtete Beschwerde unstatthaft, da sitzungspolizeiliche Maßnahmen grundsätzlich nicht, sondern nur dann mit der Beschwerde angefochten werden können, wenn ihnen eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommt und insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen des Betroffenen dauerhaft tangiert und beeinträchtigt werden.


In pp.
Die Beschwerde des Angeklagten vom 10. Februar 2016 gegen die Anordnungen des Vorsitzenden der Jugendkammer I als Schwurgericht des Landgerichts Saarbrücken vom 27. Januar und 2. Februar 2016, dass der Angeklagte auch während der Sitzung an den Füßen gefesselt bleibt, wird auf Kosten des Angeklagten als unzulässig v e r w o r f e n.
Gründe
I.
In dem gegen den Angeklagten und einen jugendlichen Mitangeklagten wegen des Vorwurfs des gemeinschaftlichen Mordes anhängigen Strafverfahren findet derzeit seit dem 27.01.2016 vor der Jugendkammer I als Schwurgericht des Landgerichts Saarbrücken die Hauptverhandlung statt.
Am 27.01.2016 und am 02.02.2016 hat der Vorsitzende jeweils mündlich angeordnet, dass der Angeklagte auch während der Sitzung an den Füßen gefesselt bleibt.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der von seinem Verteidiger mit Schriftsatz vom 10. Februar 2016 eingelegten Beschwerde, der der Vorsitzende nicht abgeholfen hat. Zur Begründung der Nichtabhilfeentscheidung hat der Vorsitzende in seinem Vermerk vom 25. Februar 2016 im Wesentlichen ausgeführt, dass bei dem bereits wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilten Angeklagten angesichts der Tatausführung von einem hohen, durch seine Äußerungen im Rahmen der Haftraumüberwachung - dort sei die Rede davon, dass Personen umgebracht werden sollen (u. a. der zuständige Dezernent der Staatsanwaltschaft) oder jemandem Leid zugefügt werden soll (z. B. dem Kind eines Zeugen und dem Kind des Staatsanwalts) - belegten Gewaltpotential, einer deutlich erhöhten Aggressivität sowie einer fehlenden Impulskontrolle auszugehen sei, so dass eine Fesselung erforderlich sei, wobei die bloße Fesselung der Füße den Angeklagten vergleichsweise wenig beeinträchtige.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde des Angeklagten gegen die Entscheidungen des Vorsitzenden der Jugendkammer I vom 27. Januar und 2. Februar 2016 als unbegründet zu verwerfen, "soweit sie auf § 231 Abs. 1 Satz 1 StPO gestützt ist."
II.
Die Beschwerde ist unzulässig, da sie bereits nicht statthaft ist.
1. Die angefochtene Maßnahme des Kammervorsitzenden stellt eine im Rahmen der Ausübung seiner sitzungspolizeilichen Befugnisse gemäß § 176 GVG ergangene Anordnung dar.
a) Die Sitzungspolizei umfasst alle Befugnisse und Maßnahmen, die erforderlich sind, um - letztlich im Interesse der Wahrheitsfindung - den äußeren ungestörten Verlauf der Sitzung zu sichern (vgl. BGHSt 44, 23, 24; Löwe-Rosenberg/Wickern, StPO, 26. Aufl., § 176 GVG Rn. 1 f.; KK-Diemer, StPO, 7. Aufl., § 176 GVG Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 176 GVG Rn. 4). Hierzu gehört auch der Schutz von Verfahrensbeteiligten vor grob verfahrenswidrigen Angriffen (vgl. BGHSt 44, 23, 24; Löwe-Rosenberg/Wickern, a. a. O., § 176 GVG Rn. 18; Meyer- Goßner/Schmitt, a. a. O., § 176 GVG Rn. 10). Diesem Ziel diente ersichtlich die hier von dem Kammervorsitzenden getroffene Maßnahme. Denn mit der Anordnung, dass der Angeklagte auch während der Sitzung an den Füßen gefesselt bleibt, wollte der Vorsitzende dem von ihm angenommenen hohen Gewaltpotential, der deutlich erhöhten Aggressivität und der fehlenden Impulskontrolle des Angeklagten Rechnung tragen, um auf diese Weise die übrigen Verfahrensbeteiligten vor körperlichen Angriffen durch den Angeklagten während der Durchführung der Hauptverhandlung zu schützen.
b) Zwar kann eine Fesselungsanordnung durch den Vorsitzenden nicht nur auf § 176 GVG, sondern auch auf § 231 Abs. 1 Satz 2 StPO gestützt werden (vgl. BGH NJW 1957, 271; OLG Dresden NStZ 2007, 479 f. - juris Rn. 1, 3; Senatsbeschluss vom 9. Januar 2012 - 1 Ws 11/12, 1 Ws 14/12 -; OLG Hamm, Beschl. v. 09.01.2014 - III-5 RVs 134/13, juris Rn. 7; Löwe-Rosenberg/Becker, a. a. O., § 231 Rn. 3; KK-Gmel, a. a. O., § 231 Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 231 Rn. 2) mit der Folge, dass sie dann nach § 304 Abs. 1 StPO mit der Beschwerde anfechtbar ist (vgl. OLG Dresden, a. a. O.; vorgenannter Senatsbeschluss; Löwe-Rosenberg/Becker, a. a. O., § 231 Rn. 41; KK-Gmel, a. a. O., § 231 Rn. 15; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 231 Rn. 24). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Maßnahme zumindest auch dem Zweck dienen soll, die Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung zu verhindern, was etwa dann der Fall ist, wenn die Maßnahme auch auf eine erhöhte Fluchtgefahr gestützt ist (vgl. BGH NJW 1957, 271; OLG Dresden, a. a. O.; vorgenannter Senatsbeschluss). So verhält es sich hier indes nicht. Vielmehr hat der Vorsitzende der Jugendkammer ausweislich seines Nichtabhilfevermerks vom 25. Februar 2016 die Fesselungsanordnung ausschließlich auf die genannten sitzungspolizeilichen Aspekte und nicht auch auf eine erhöhte, über die bereits im Haftbefehl des Amtsgerichts Saarbrücken vom 29. Juli 2015 (Az.: 7 Gs 3186/15) für die Annahme des Haftgrundes nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO genannten Gründe hinausgehende Fluchtgefahr gestützt. Dem steht nicht entgegen, dass es in dem Nichtabhilfevermerk heißt, bei dem Angeklagten sei "zusätzlich zu dem durch die Strafdrohung begründeten hohen Fluchtanreiz" auch von einem hohen Gewaltpotential auszugehen. Denn bei dieser nur am Rande erfolgten Erwähnung des durch die Straferwartung begründeten Fluchtanreizes handelt es sich - anders als etwa in dem dem vorgenannten Senatsbeschluss zugrunde liegenden Fall, in dem der dortige Vorsitzende die Ablehnung der Entfernung der Fußfesseln ausdrücklich auch darauf gestützt hatte, es sei "ein Fluchtversuch des Angeklagten zu befürchten" - ersichtlich nicht um eine die Fesselungsanordnung tragende Erwägung.
2. Derartige sitzungspolizeiliche Maßnahmen nach § 176 GVG können nach ganz überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich nicht mit der Beschwerde nach § 304 StPO angefochten werden (vgl. OLG München NJW 2006, 3079; KG NStZ 2011, 120 - juris Rn. 5; OLG Stuttgart NJW 2011, 2899 ff. - juris Rn. 8; OLG Hamm NStZ-RR 2012, 118 f. - juris Rn. 8; Senatsbeschluss vom 9. Januar 2012 - 1 Ws 11/12, 1 Ws 14/12 -; zweifelnd: BVerfG NJW 1992, 3288 f. - juris Rn. 16; offen gelassen: BGHSt 44, 23, 25; Löwe-Rosenberg/Wickern, a. a. O., § 176 GVG Rn. 46; KK-Diemer, a. a. O., § 176 GVG Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 176 GVG Rn. 16; a. A.: SK-StPO/Velten, 4. Aufl., § 176 GVG Rn. 17). Das folgt im Umkehrschluss aus § 181 GVG, wonach (nur) in den Fällen der Verhängung eines Ordnungsmittels nach den §§ 178, 180 GVG (sofortige) Beschwerde eingelegt werden kann (vgl. KG, a. a. O.; OLG Stuttgart, a. a. O.; Löwe-Rosenberg/Wickern, a. a. O., § 176 GVG Rn. 46). Etwas anderes gilt in grundrechtsfreundlicher, der Garantie effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) Rechnung tragender Auslegung der §§ 304 ff. StPO nach neuerer - verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender (vgl. BVerfG NJW 2015, 2175, 2176) - Auffassung in der fachgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur, der sich nunmehr auch der erkennende Senat anschließt, dann, wenn der sitzungspolizeilichen Anordnung eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommt und insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen des von einer sitzungspolizeilichen Maßnahme Betroffenen dauerhaft tangiert und beeinträchtigt werden (vgl. OLG München NJW 2006, 3079 [OLG München 14.07.2006 - 2 Ws 679/06]; KG NStZ 2011, 120 - juris Rn. 9; OLG Stuttgart, a. a. O.; OLG Hamm NStZ-RR 2012, 118 f. - juris Rn. 9; OLG Celle, Beschl. v. 08.06.2015 - 2 Ws 92/15, BeckRS 2015, 16252, Rn. 12; KK-Diemer, a. a. O., § 176 GVG Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 176 GVG Rn. 16; Habetha, Anfechtung sitzungspolizeilicher Maßnahmen im Strafprozess, NJW 2015, 3627 ff.). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben. Die Wirkung der beiden angefochtenen Fesselungsanordnungen ist auf die Dauer der jeweiligen Sitzung beschränkt und erledigt sich mit deren Ende. Selbst wenn man in den Blick nimmt, dass auch in den weiteren, noch anstehenden Hauptverhandlungsterminen mit entsprechenden Anordnungen zu rechnen ist, geht deren Wirkung nicht über die Dauer der Hauptverhandlung hinaus und werden Grundrechte, insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG), oder sonstige Rechtspositionen des Angeklagten von der Maßnahme nicht dauerhaft tangiert oder beeinträchtigt.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen.


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