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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Strafzumessung, Schweigen, Strafschärfung, Schutzwaffe, Begriff,

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 19.04.2016 - 1 RVs 20/16

Leitsatz: 1. Zur Schutzwaffeneigenschaft eines in schlichter Konstruktionsweise aus einer durchsichtigen (stabilen) Kunststofffolie selbst hergestellten Visiers zum Schutz der Augen.
2. Wird eine Schutzwaffe ohne jegliche Bereitschaft zur Teilnahme an gewalttätigen Auseinandersetzungen ausschließlich zum eigenen Schutz etwa vor befürchteten Ausschreitungen anderer Demonstrationsteilnehmer oder einer etwaigen "Streuwirkung“ gegen andere Demonstrationsteilnehmer gerichteter Polizeieinsätze im Verborgenen mitgeführt, ist zweifelhaft, ob entsprechend des eindeutigen, jedoch gegebenenfalls einschränkend auszulegenden Gesetzeswortlauts hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals des "Mitsichführens“ einer Schutzwaffe vor dem Hintergrund der Gesetzesbegründung zu § 27 VersammlG sowie des Grundrechts der Versammlungsfreiheit die Annahme einer Strafbarkeit im Sinne des § 27 Abs. 2 Nr. 1 VersammlG gerechtfertigt ist.
3. Von einem leugnenden oder sich nicht einlassenden Angeklagten darf eine Unrechtseinsicht nicht erwartet werden.
4. Das Tatnachverhalten eines Angeklagten darf nur dann erschwerend Berücksichtigung finden, wenn sich hieraus Rückschlüsse auf die innere Haltung des Täters zu seiner Tat oder deren Unrechtsgehalt ziehen lassen.


In pp.
Das angefochtene Urteil wird mit Ausnahme der getroffenen Einziehungsanordnung im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Abteilung – Strafrichter – des Amtsgerichts Dortmund zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Dortmund hat den Angeklagten mit Urteil vom 02. Dezember 2015 wegen vorsätzlichen Mitführens einer Schutzwaffe bei einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt und eine bei der abgeurteilten Tat verwendete und nachträglich sichergestellte Maske eingezogen. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils war der Angeklagte am 28. März 2015 Teilnehmer einer Demonstration unter dem Motto „keine Rückzugsräume für Nazis“, welche in E anlässlich zweier gleichzeitig stattfindender Versammlungen der Partei „die Rechte“ unter Beteiligung von zunächst ca. 1.000 Menschen stattfand. Der zuletzt noch aus ca. 500 Personen bestehende Aufzug wurde von der Polizei um 16:22 Uhr infolge offensiv-aggressiven Verhaltens der Teilnehmer, aus deren Mitte u.a. pyrotechnische Erzeugnisse auf die polizeilichen Einsatzkräfte geworfen worden waren, beendet, wobei sich der Angeklagte unmittelbar vor Beendigung des Aufzugs zwar am äußeren Rand, aber noch innerhalb der Gruppe der Teilnehmer befand und in der rechten Hand eine Fahnenstange und ein Stoffbanner hielt. Er trug eine schwarze Jacke und darunter einen schwarzen Kapuzenpullover. Die Kapuze seines Pullovers hatte er über den Kopf gezogen. Vor seinem Gesicht trug er eine nach dem äußeren Zuschnitt dem Visier eines Helmes ähnliche rechteckig zugeschnittene durchsichtige Kunststofffolie, mit der Augen und Nase überdeckt und geschützt waren und darunter eine schwarze Sonnenbrille. Durch das Tragen der selbst gefertigten Folie, die mit einem Gummiband am Kopf über der Kapuze befestigt war, wollte der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen verhindern, dass er im Fall eines Polizeieinsatzes oder aber durch Verhalten der anderen Versammlungsteilnehmer durch verwendetes Pfefferspray oder pyrotechnische Erzeugnisse im Gesicht getroffen und in seiner Handlungsfähigkeit beeinträchtigt werden würde.

Hiergegen richtet sich der Angeklagte mit seiner form-und fristgerecht eingelegten Revision, mit der er unter Erhebung der Rüge materiellen Rechts den Antrag verfolgt, das angefochtene Urteil aufzuheben.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die weitergehende Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.
Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat – entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft – mit Ausnahme der getroffenen Einziehungsanordnung im Hinblick auf den Rechtsfolgenausspruch zumindest vorläufigen Erfolg.

1. Hinsichtlich des Schuldspruchs ist die Revision offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Insbesondere ist entgegen der Auffassung der Revision die Beweiswürdigung des Amtsgerichts auch nicht lückenhaft, soweit festgestellt worden ist, dass der Angeklagte die bei ihm festgestellte Schutzfolie auch bereits vor der durch die polizeilichen Einsatzkräfte erfolgten Auflösung der Versammlung und mithin auch während der öffentlichen Versammlung getragen hat. Angesichts der vom Amtsgericht festgestellten Kürze der Zeit zwischen der Auflösung der Versammlung um exakt 16:22 Uhr und der Fertigung des ersten den Angeklagten mit der Schutzfolie darstellenden Fotos nur 28 Sekunden später liegt der Rückschluss des Amtsgerichts, nach allgemeiner Lebenserfahrung sei davon auszugehen, dass der Angeklagte sich auch noch bzw. schon während der Versammlung in gleichem Aufzug an gleicher Stelle befunden habe, im Bereich tatrichterlichen Erwägungsspielraums im Rahmen der Beweiswürdigung und ist daher nicht zu beanstanden.

Näherer Erörterung bedarf lediglich die vom Amtsgericht – zutreffend – festgestellte Schutzwaffeneigenschaft der vom Angeklagten getragenen Schutzfolie bzw. Schutzmaske.

Die Revision trägt hierzu unter anderem vor, unter den Begriff der Schutzwaffen im technischen Sinn – hinsichtlich derer gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 1 VersammlG bereits das bloße Mitsichführen ohne die subjektive Zweckbestimmung eines Abwehreinsatzes gegen Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen unter Strafe gestellt ist – könnten nur solche Gegenstände subsumiert werden, denen ein gewisses Maß an professioneller Verarbeitung, anerkannter Verwendung und objektiver Schutzeignung zukomme, was hinsichtlich der objektiven Abwehreignung der vom Angeklagten getragenen Schutzfolie nicht der Fall sei.

Diese Erwägung führt indes nicht zum Erfolg der Revision.

Schutzwaffen sind nach den Gesetzesmaterialien zu § 17 Buchst. a VersammlG (vgl. BT-Drucksache 10/3580, S. 4) „Gegenstände, die zur Verteidigung gegen Angriffe dienen und diese Zweckbestimmung in der Regel bereits bei der Herstellung beigelegt bekommen haben“. Als Schutzwaffen anzusehen „sind somit vornehmlich Schutzschilde, selbstgefertigte Panzerungen oder Ausrüstungsgegenstände für den polizeilichen/militärischen Gebrauch (z.B. Stahlhelme, ABC Schutzmasken) bzw. für Kampfsportarten“.

Der Senat tritt zwar der Erwägung grundsätzlich bei, dass im Wege einer einschränkenden und insbesondere auch verfassungskonformen Auslegung sowie im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot unabhängig vom Willen des Herstellers ein Gegenstand nur dann als Schutzwaffe in Betracht kommen kann, wenn ihm zumindest potenziell auch ein gewisses Maß an objektiver Schutzeignung innewohnt.

Eine solche Eignung kann jedoch der hier verwendeten Schutzmaske nicht abgesprochen werden. Sie ist ungeachtet der eher schlicht anmutenden Konstruktion ersichtlich insbesondere geeignet, eine Einwirkung von nicht unter hohem Druck auftreffenden Flüssigkeiten zu verhindern, mithin z.B. die Augen vor einem unmittelbaren Kontakt bei Pfefferspray- oder Reizgasattacken zu schützen und so die eigene Wehrfähigkeit des Trägers der Maske im Falle derartiger Angriffe zumindest über einen nicht unerheblichen Zeitraum zu verlängern bzw. zu erhalten. Sie ist mithin geeignet, eine Funktion als unmittelbare körperliche „Abschirmung“ gegen Angriffe (vgl. dazu OLG Hamm, Beschluss vom 20. November 2012, III-4 RVs 113/12, zitiert nach juris) zu erfüllen.

Dass auch bereits die Herstellung der vom Angeklagten verwendeten Schutzmaske ausschließlich einem entsprechenden Zweck diente, hat das Amtsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt.

Angesichts des Umstandes, dass der Angeklagte die Schutzmaske nach den getroffenen Feststellungen in einer für alle anderen Versammlungsteilnehmer sichtbaren Form getragen hat, bedarf es auch keiner Entscheidung zu der Frage, ob das Tatbestandsmerkmal des „Mitsichführens“ im Rahmen einer verfassungskonformen Betrachtung gegebenenfalls in den Fällen einschränkend auszulegen ist, in denen der mitgeführten Schutzwaffe eine gewaltstimulierende Wirkung nicht ohne Weiteres zukommen kann.

Nach dem Gesetzeszweck beruht das Verbot bzw. die Strafbarkeit des Mitsichführens von Schutzwaffen im technischen Sinn unabhängig von einer vermuteten Gewaltbereitschaft des Trägers von Schutzwaffen insbesondere auch auf der aggressionsstimulierenden Wirkung für weitere Versammlungsteilnehmer. In den Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucksache 10/3580, S. 4) heißt es dazu wie folgt: „Teilnehmer, die solche Schutzwaffen mit sich führen, dokumentieren aufgrund ihres martialischen Erscheinungsbildes eine offenkundige Gewaltbereitschaft und üben auf die Menge nach massenpsychologischen Erkenntnissen eine aggressionsstimulierende Wirkung aus. Es erscheint daher (Hervorhebung durch den Senat) erforderlich, das Mitführen von Schutzwaffen in Absatz 1 zu erfassen, ohne dass es insoweit auf eine spezielle Verwendungsabsicht ankommt “.

Nach Auffassung des Senats könnten die vom Gesetzgeber vermutete Gewaltbereitschaft sowie die von einer Schutzwaffe ausgehende aggressionsstimulierende Wirkung in den Fällen ernsthaft infrage stehen, in denen eine Schutzwaffe im Verborgenen tatsächlich ausschließlich ohne jegliche Bereitschaft zur Teilnahme an gewalttätigen Auseinandersetzungen zum eigenen Schutz etwa vor befürchteten Ausschreitungen anderer Demonstrationsteilnehmer oder z.B. die von der Revision angeführte „Streuwirkung“ gegen andere Demonstrationsteilnehmer gerichteter Polizeieinsätze mitgeführt wird. In diesen Fällen ist abweichend von den Erwägungen des Gesetzgebers insbesondere ein äußeres „martialisches Erscheinungsbild“, welches auf weitere Demonstrationsteilnehmer eine „aggressionsstimulierende“ Wirkung haben könnte, nicht vorhanden. Ob in diesen Fällen allein die abstrakte Gefahr, der im Fall gewalttätiger Auseinandersetzungen ausschließlich zum Eigenschutz geplante „Außeneinsatz“ der mitgeführten Schutzwaffe könne wiederum aggressionsstimulierende Wirkung haben, vor dem Hintergrund des Grundrechts der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG eine Strafbewehrung rechtfertigt, könnte nach Auffassung des Senats zumindest zweifelhaft sein.

Vorliegend besteht indes angesichts der festgestellten Nutzung der vom Angeklagten getragenen Schutzmaske kein Zweifel an der die gesetzliche Regelung des § 27 Abs. 2 Nr. 1 Versammlungsgesetz rechtfertigenden aggressionsfördernden Wirkung durch eine zumindest nach außen hin gegebene Dokumentation eigener Auseinandersetzungsbereitschaft.

2. Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils hält dagegen hinsichtlich der erkannten Geldstrafe entsprechend den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Das Amtsgericht hat zur Strafzumessung im Hinblick auf den in der Hauptverhandlung schweigenden Angeklagten unter anderem folgendes ausgeführt:

„Dagegen musste sich zu Lasten des Angeklagten auswirken, dass er durch sein Verhalten, insbesondere sein Nachtatverhalten den Polizeieinsatz in einer sehr unübersichtlichen Situation erschwert hat.

Auch sein nonverbale Verhalten in der Hauptverhandlung lies nicht den geringsten Ansatz von Unrechtseinsicht und Problembewusstsein für die schwierige Lage der Polizei in E an diesem Tag erkennen.“

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer Zuschrift vom 17. März 2016 wie folgt Stellung bezogen:

„Soweit das Amtsgericht Dortmund strafschärfend berücksichtigt hat, „auch das nonverbale Verhalten der Hauptverhandlung“ habe „nicht den geringsten Ansatz von Unrechtseinsicht und Problembewusstsein für die schwierige Lage der Polizei in E an diesem Tag“ erkennen lassen, begegnet dies gemessen an vorstehenden Anforderungen durchgreifenden Bedenken, da es unzulässig ist, das Fehlen eines Geständnisses strafschärfend zu berücksichtigen. Zudem kann ein sich nicht einlassender oder leugnender Angeklagter weder Reue noch Schuldeinsicht zeigen, ohne seine (rechtlich zulässige) Verteidigungsposition aufzugeben, weswegen auch ein solches Verhalten nicht strafschärfend berücksichtigt werden darf (zu vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 50b).

Darüber hinaus findet der vom Amtsgericht strafschärfend berücksichtigte Umstand, der Angeklagte habe durch „sein Nachtverhalten (Anmerkung des Senats: gemeint ist offenbar Nachtatverhalten) den Polizeieinsatz in einer sehr unübersichtlichen Situation erschwert“, weder eine Grundlage in den Feststellungen des angefochtenen Urteils, noch ist ersichtlich, an welche der in § 46 Abs. 2 StGB genannten Strafzumessungsgesichtspunkte das Tatgericht insoweit anknüpfen will. Das Verhalten nach der Tat ist als Strafzumessungsgrund nur verwertbar, soweit sich aus ihm Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat oder auf deren Unrechtsgehalt ziehen lassen (zu vgl. Fischer, a.a.O., § 46 Rn. 46). Das Erschweren eines Polizeieinsatzes in unübersichtlicher Situation lässt für sich genommen einen derartigen Rückschluss nicht zu.“

Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung uneingeschränkt an.

Das angefochtene Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der erkannten Geldstrafe mit den hierzu getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 S. 1 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Dortmund zurückzuverweisen.

Im Hinblick darauf, dass sich die Zuschrift der Staatsanwaltschaft betreffend die beantragte Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch allein zu der erkannten Geldstrafe verhält, ist der Antrag der Staatsanwaltschaft nach Bewertung des Senats dahin auszulegen, dass im Hinblick auf die – offenkundig rechtmäßige – Einziehungsanordnung ebenfalls Verwerfung der Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO beantragt werden sollte, so dass sich der Senat auch insoweit zu einer Entscheidung im Beschlusswege als befugt angesehen hat.

Für die erneute Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass auch die Höhe des festgesetzten Tagessatzes vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten rechtlichen Bedenken begegnen könnte. Soweit das Amtsgericht festgestellt hat, dem Angeklagten stünden „monatlich zwischen 400,00 und 500,00 Euro netto zum Leben zur Verfügung“, impliziert dies – soweit hiermit nicht ein durchschnittlicher Mittelwert zum Ausdruck gebracht werden soll – die Möglichkeit, dass tatsächlich das zur Verfügung stehende Einkommen durchgehend lediglich 400,00 € beträgt, mit der Folge, dass die Festsetzung einer Tagessatzhöhe von jeweils 15,00 € (leicht) übersetzt erscheinen würde.


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