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Entscheidungen

StPO

Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellung; Wahl eines anderen Verteidigers; wichtiger Grund, fehlende Anhörung nach § 143 StPO

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 30.06.-2016 - 3 Ws 309 und 310/16

Leitsatz: Die Rücknahme der Bestellung eines Rechtsanwaltes als Pflichtverteidiger setzt jedenfalls voraus, dass der Wahlverteidiger zum Zeitpunkt der Rücknahme der Bestellung noch mandatiert ist sowie dauerhaft und nicht nur punktuell zur Übernahme der Verteidigung des Angeklagten bereit und in der Lage ist.


Kammergericht
Beschluss
Geschäftsnummer: 3 Ws 309 und 310/16

In der Strafsache
gegen pp.
wegen besonders schweren Raubes pp.
hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
am 30.06.2016 beschlossen:

1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss der Vorsitzenden der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 27. Mai 2016 aufgehoben.
2. Dem Angeklagten wird Rechtsanwältin B., kanzleiansässig: O.-str. in Berlin, gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO als Pflichtverteidigerin beigeordnet.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dadurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.




Gründe

I.

Vor der 2. großen Strafkammer findet seit dem 5. Oktober 2015 eine Hauptverhandlung u.a. gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfes des besonders schweren Raubes, des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in zwei Fällen und des Verabredens zu einem Verbrechen statt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin vom 23. Februar 2015 Bezug genommen.
Der Angeklagte wird von Rechtsanwältin B. vertreten, die am 5. Dezember 2014 zu seiner Pflichtverteidigerin bestellt worden war. Am 3. Mai 2016, dem 20. Verhandlungstag, ist für den Angeklagten zusätzlich Rechtsanwalt E. aus Düsseldorf als Wahlverteidiger unter Vorlage einer vom Angeklagten unterzeichneten Vollmacht aufgetreten. Laut Protokoll erklärte er, dass er nur als vorübergehende Unterstützung der Pflichtverteidigerin für die Sitzungen am 3. und 4. Mai 2016 auftreten wird. Sowohl die beiden Verteidiger als auch der Angeklagte gaben übereinstimmend an, dass eine Aufhebung der Pflichtverteidigung der Rechtsanwältin nicht gewünscht ist. Daraufhin hat die Vorsitzende angeordnet, dass eine Entscheidung über die Entpflichtung der Rechtsanwältin nach § 143 StPO zurückgestellt wird. Am Ende des Sitzungstages hat die Vorsitzende neben den bereits terminierten Sitzungstagen 4., 17. und 24. Mai weitere Fortsetzungstermine für den 13. Juni, 4. Juli und 11. Juli 2016 bestimmt die Prozessbeteiligten, mit denen diese Termine zuvor besprochen worden sind, mündlich geladen. Der Wahlverteidiger hat zwar am 4. Mai 2016, aber nicht am 17. Mai, dann aber wieder am 24. Mai an der Hauptverhandlung teilgenommen, am 24. Mai jedoch mit der Erklärung, er werde nur bis 11. 00 Uhr und erneut lediglich zur vorübergehenden Unterstützung der Pflichtverteidigerin anwesend sein. Am 13. Juni 2016 erschien der zwischenzeitlich beigeordnete Rechtsanwalt E.
nicht.

Am 27. Mai 2016 erließ die Vorsitzende der 2. Strafkammer die angefochtene Entscheidung nach § 143 StPO, die sie maßgeblich damit begründet, dass Rechtsanwalt E. entgegen seiner Ankündigung an drei und nicht nur an zwei Sitzungstagen an der Hauptverhandlung teilgenommen habe und in die Sache offenbar eingearbeitet sei. Seine gleichzeitige Bestellung zum Pflichtverteidiger diene der Sicherung des Verfahrens. Dies sei wegen der bereits fortgeschrittenen Beweisaufnahme und wegen des denkmöglichen Ausfalls aufgrund unzureichender finanzieller Mittel des Angeklagten erforderlich. Ferner lasse das bisherige Verhalten der Rechtsanwältin besorgen, dass sie zu einer ordnungsgemäßen Verteidigung des Angeklagten nicht geeignet sei und daher der Widerruf ihrer Bestellung aus wichtigem Grund zeitnah erforderlich werden könnte. Wegen des von der Vorsitzenden festgestellten Fehlverhaltens der Verteidigerin wird auf die Verfügung Bezug genommen.

Der Angeklagte legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass weder die Verteidiger noch der Beschwerdeführer rechtliches Gehör erhalten hätten. Rechtsanwalt E. sei nur an zwei Tagen zur punktuellen Unterstützung der Pflichtverteidigerin bei der Vernehmung des ehemaligen Mitangeklagten anwesend gewesen, und nur weil sich die Vernehmung verzögert habe, sei er auch noch am 24. Mai anwesend gewesen. Er habe sich auf die Vernehmung dieses Zeugen vorbereitet. Eine regelmäßige Teilnahme an dieser Hauptverhandlung sei nicht geplant gewesen und könne er auch aufgrund der Distanz, der „zivilistischen Ausrichtung“ seiner anwaltlichen Tätigkeit und der Terminskollisionen nicht sicherstellen. Aus dem zuletzt genannten Grund sei er auch an der Teilnahme an der Hauptverhandlung am 13. Juni 2016 verhindert gewesen. Rechtsanwältin B. genieße das langjährige Vertrauen des Angeklagten.
Soweit es um die in Aussicht gestellte Rücknahme der Bestellung der Rechtsanwältin B. aus wichtigem Grund geht, wird mit der Beschwerde im Einzelnen dargelegt, warum sich der Sachverhalt aus Sicht der Verteidigung entweder anders darstelle oder aber warum es sich um sachgerechte Verteidigung gehandelt habe.

II.


Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Rücknahme der Bestellung der Rechtsanwältin B. als Pflichtverteidigerin wegen der Wahl des Rechtsanwaltes E. zum Verteidiger und gegen dessen Beiordnung als Pflichtverteidiger hat Erfolg.

1. Sie ist gemäß § 304 StPO zulässig. Denn die angegriffene Verfügung zählt nicht zu solchen Entscheidungen, die nach § 305 Abs. 1 StPO der Beschwerde entzogen sind. Zwar handelt es sich bei der Verfügung der Vorsitzenden um eine solche, die der des erkennenden Gerichts gleichzustellen ist, sie steht jedoch nicht in einem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfindung, sondern dient der Sicherung des justizförmigen Verfahrens und hat eigenständige verfahrensrechtliche Bedeutung (vgl. Senat StV 2009, 572; KG, Beschlüsse vom 10. Juli 2015 – 1 Ws 44/15 - und vom 29. Juli 2013 – 2 Ws 369/13 -, jeweils bei juris; OLG Köln StV 2007, 288ff).

2. Die Beschwerde ist auch begründet.

Die Rücknahme der Bestellung von Rechtsanwältin B. als Pflichtverteidigerin des Angeklagten ist gemäß § 143 StPO rechtsfehlerhaft und daher aufzuheben. Für die Beiordnung des Rechtsanwaltes E. als Pflichtverteidiger zur Sicherung des Verfahrens war daher kein Raum.

Nach § 143 StPO ist grundsätzlich die Bestellung eines Pflichtverteidigers zurückzunehmen, wenn ein anderer Verteidiger gewählt wird und dieser die Wahl annimmt. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz liegt dann vor, wenn ein unabweisbares Bedürfnis dafür besteht, den Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger tätig bleiben zu lassen (vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 5. März 2014 – 1 Ws 18/14 – m.w.N, juris).

a) Die Rücknahme der Bestellung setzt jedenfalls voraus, dass der Wahlverteidiger zum Zeitpunkt der Rücknahme der Bestellung des Pflichtverteidigers noch mandatiert ist sowie dauerhaft und nicht nur punktuell zur Übernahme der Verteidigung des Angeklagten bereit und in der Lage ist.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Rechtsanwalt E. hat von Anfang an gegenüber dem Gericht klar zum Ausdruck gebracht, dass seine Beauftragung als Wahlverteidiger temporär sein sollte und zwar bezogen auf die Sitzungstage am 3., 4. und später auch am 24. Mai 2016. Sie habe auf die Dauer der Vernehmung des ehemaligen Mitangeklagten als Zeugen beschränkt sein sollen, nur insoweit habe er die Pflichtverteidigerin unterstützen sollen. In diesen Ausschnitt der Beweisaufnahme sei er eingearbeitet. Seine Beauftragung sei danach beendet.
Der Senat hat keinen Anlass, an diesen Angaben zu zweifeln. Das Wahlmandat war von vornherein auf diese Sitzungstage beschränkt, so dass am 27. Mai 2016, also zum Zeitpunkt der Entscheidung der Vorsitzenden, die Voraussetzungen des § 143 StPO nicht mehr vorlagen. Anhaltspunkte dafür, dass doch eine dauerhafte Beauftragung zur Verteidigung des Angeklagten in der zum Zeitpunkt des Auftretens des Rechtsanwalts bereits 19 Verhandlungstage andauernden Hauptverhandlung und damit bereits fortgeschrittenen Beweisaufnahme über den 24. Mai 2016 hinaus erfolgt ist, ergeben sich weder aus der angegriffenen Entscheidung noch anderweitig. Auch fehlen tatsächlich belastbare Hinweise darauf, dass sich Rechtsanwalt E., wie in dem angefochtenen Beschluss behauptet, in den gesamten Verfahrensstoff eingearbeitet hat. Auf der Grundlage seines eigenen, nachvollziehbaren und nicht widerlegten Vorbringens ist er auch nicht geeignet, das Verfahren sichern zu können. Seinem Beschwerdevorbringen, er könne aufgrund der räumlichen Distanz zwischen D. und B., bestehender Terminskollisionen und seinem Tätigkeitsschwerpunkt „Zivilrecht“ eine ordnungsgemäße Verteidigung nicht gewährleisten, kann der Senat folgen. Selbst wenn die Vorsitzende der Strafkammer bestehende Terminskollisionen nach der Beschwerdeentscheidung durch Absprachen beseitigen will, ändert dies an dem bereits beendeten Mandat und der darüber hinaus fehlenden Bereitschaft des Rechtsanwalts E. zur ordnungsgemäßen Verteidigung nichts.

Daher kann schon aus diesen Erwägungen die Entscheidung der Vorsitzenden vom 27. Mai 2016 keinen Bestand haben.

b) Es bedarf somit keiner abschließenden Entscheidung, ob das Verhalten der Pflichtverteidigerin während der Hauptverhandlung, so wie es sich aus dem angegriffenen Beschluss und den dienstlichen Stellungnahmen darstellt, geeignet erscheint, den Widerruf ihrer Bestellung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen.
Über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus kommt als wichtiger Grund für einen solchen Widerruf jeder Umstand in Betracht, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet (BVerfG NStZ 1998, 46). Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht bereits dann vor, wenn das Verhalten des Verteidigers objektiv unzweckmäßig oder prozessordnungswidrig ist und damit der Fortgang des Verfahrens beeinträchtigt oder sogar gestört wird. Es muss sich vielmehr um ein Fehlverhalten des Verteidigers von besonderem Gewicht handeln (vgl. Senat, aaO.). Die Begründung der Entpflichtung muss dem Ausnahmecharakter einer solchen Entscheidung gerecht werden. Die Gründe müssen in tatsächlicher Hinsicht hinreichend präzise und nachvollziehbar dargelegt werden.

Zwar geht die angegriffene Entscheidung insoweit von einem zutreffenden Maßstab aus. Die mitgeteilten Tatsachen belegen die der Pflichtverteidigerin zugeschriebene Obstruktion jedoch – noch – nicht. Dem – sicherlich noch nicht fertig gestellten – Protokoll sind protokollierungspflichtige Anordnungen der Vorsitzenden und wiederholte Beanstandungen unsachlichen Verhaltens nicht bzw. nicht ausreichend zu entnehmen. Bisherige Darstellungen anderer Prozessbeteiligter legen jedoch nahe, dass das Verhalten der Pflichtverteidigerin mindestens – und offensichtlich nicht nur singulär – störend und teilweise sachwidrig war. Dieses dem Senat bisher positiv bekannt gemachte Verhalten der Rechtsanwältin B. rechtfertigt eine Entpflichtung aus wichtigem Grund noch nicht. Jedenfalls im Falle zunehmender Intensität wäre der Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, indes ernsthaft gefährdet, und die Bestellung der obstruktiv agierenden Pflichtverteidigerin könnte und ggf. müsste zurückgenommen werden. Um dem Beschwerdegericht eine Überprüfung zu ermöglichen, wären in diesem Fall die der Entscheidung zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände zu dokumentieren.

c) Ferner bedarf es auch keiner abschließenden Entscheidung, ob die unterbliebene Anhörung der Verteidiger und des Angeklagten vor der angegriffenen Entscheidung durch das Beschwerdeverfahren geheilt worden ist.
Grundsätzlich ist dem Angeklagten und den Verteidigern vor einer Entscheidung nach § 143 StPO rechtliches Gehör zu gewähren. Denn die Rücknahme der Bestellung der Pflichtverteidigerin, die das Vertrauen des Angeklagten genießt, berührt dessen Verteidigungsbelange (BGH NJW 1990, 1373). Ein solcher Anhörungsmangel kann im Beschwerdeverfahren grundsätzlich geheilt werden (vgl. Senat, aaO; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 59. Aufl. 2016, § 33 Rdnr. 18). Ob die Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft zutrifft, die fehlende Auseinandersetzung mit den Einwänden aus dem Beschwerdevorbringen im Abhilfeverfahren sei, weil dem Beschwerdegericht eine Überprüfung der Ermessensentscheidung hinsichtlich der Rücknahme der Bestellung nach § 143 StPO nicht ermöglicht werde (so auch Brandenburgisches OLG, aaO., juris Rdnr. 7), so erheblich, dass die Verfügung der Vorsitzenden bereits aus diesem Grunde keinen Bestand haben könne, kann dahinstehen. Der Senat neigt jedoch zu der Auffassung, dass er im Falle einer angefochtenen Ermessenentscheidung nicht die ordnungsgemäße Ausübung des Ermessens der Vorinstanz zu überprüfen hat, sondern an ihre Stelle auch hier seine Ermessensentscheidung zu setzen und dazu alle wesentlichen Tatsachen nach § 308 Abs. 2 StPO aufzuklären hat (vgl. Zabeck in Karlsruher Kommentar, StPO 7. Aufl., § 309 Rdnr. 6).

3. Nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO war Rechtsanwältin B. dem Angeklagten erneut als Pflichtverteidigerin beizuordnen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung des § 467 StPO.


Einsender: RiKG H. P. Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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