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Entscheidungen

StPO

Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, Aufhebung, Revisionsverfahren

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.08.2016 - 3 Ws 591/16

Leitsatz: Die vom Tatgericht vorgenommene Wertung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 69 StGB und damit der mangelnden charakterlichen Eignung des Angeklagten ist vom Beschwerdegericht grds. hinzunehmen, so dass eine vom Urteil abweichende Beurteilung der Voraussetzungen des § 69 StGB und damit der des § 111 a StPO nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Ein solcher Ausnahmefall ist dann gegeben, wenn die schriftlichen Urteilsgründe einen materiell-rechtlichen Fehler aufweisen, der einen Erfolg der Revision mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten lässt.


Strafsache gegen pp.
aus
wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr
hier: Beschwerde gegen Beschluss gem. § 111 a StPO
Beschluss vom 19. August 2016
1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts – 6. Kleine Strafkammer - Konstanz vom 10. Juni 2016 über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111 a StPO aufgehoben.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe
Der Führerschein des Angeklagten wurde am 17.4.2015 in amtliche Verwahrung genommen, da er der Begehung eines Vergehens der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr dringend verdächtig war. Gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen vom 28.6.2015 (9 Os 56 Js 8558/15), der u.a. eine Führerscheinsperrfrist von noch 8 Monaten vorsah, legte der Angeklagte, vertreten durch seinen Verteidiger, Rechtsanwalt Sydow, Berlin, mit Telefax vom 8.7.2015 Einspruch ein, den er auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte. Nach mehreren - auf Antrag des Verteidigers erfolgten - Terminsverlegungen wurde der Angeklagte durch Urteil des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen vom 13.1.2016 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50 € verurteilt. Zugleich wurde ein dreimonatiges Fahrverbot festgesetzt, das durch die Dauer der Sicherstellung der Fahrerlaubnis abgegolten war. Hintergrund für das Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB war - neben der Dauer der Sicherstellung des Führerscheins von fast 9 Monaten - der Umstand, dass der Angeklagte seit 27.4,2015 bei der IVT-Hö Berlin, einer durch die Bundesanstalt für Straßenwesen für „Kurse zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung" gem. § 70 FeV akkreditierten Einrichtung, eine HBS (Heilungbehandlung/Sicherung)-Langzeit-Rehabilitationsmaßnahme mit bis zu diesem Zeitpunkt ca. 160 Therapiestunden durchgeführt hatte, weshalb das Amtsgericht davon ausging, dass keine charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen mehr vorlag. Der Führerschein wurde dem Angeklagten ausweislich des Rückscheins am 23.1.2016 wieder ausgehändigt.

Gegen dieses Urteil legten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Konstanz form- und fristgemäß Berufung ein. Während der Angeklagte seine Berufung am 1.4.2016 wieder zurücknahm, wurde er aufgrund der Berufung der Staatsanwaltschaft durch Urteil des Landgerichts Konstanz vom 10.6.2016 erneut zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50 € verurteilt. Außerdem wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und ihm eine Sperrfrist von 3 Monaten erteilt. Letztlich wurde die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111 a StPO angeordnet. Das Landgericht hat zwar gesehen, dass der Angeklagte bis zur Hauptverhandlung insgesamt 180 Therapiestunden bei der IVT Hö Berlin mit erheblichem Zeit- und finanziellem Aufwand durchgeführt hatte, hielt jedoch die vorgelegte Bescheinigung der gewerblich angebotenen Rehabilitationsmaßnahme für zu wenig aussagekräftig, um den gesetzlich vermuteten Eignungsmangel ausräumen zu können. Einen Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens lehnte das Landgericht unter Hinweis auf die langjährige Tätigkeit in Verkehrsstrafsachen aufgrund eigener Sachkunde ab.

Mit Telefax vom 10.6.2016 legte der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers Revision gegen das Urteil ein. Zur Begründung trug er nach am 19.7.2016 erfolgter Urteilszustellung mit Schriftsatz vom 20.7.2016 u. a. vor, der Hilfsbeweisantrag sei zu Unrecht abgelehnt worden, das Landgericht habe seine eigene Sachkunde nicht nachgewiesen. Eine ausreichende Auseinandersetzung damit, dass die bislang durchgeführte Therapie zum Wegfall der ursprünglichen, in der Tat zum Ausdruck gekommenen Ungeeignetheit habe führen können, habe nicht stattgefunden. Zweifel hätten durch die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens überprüft werden müssen. Zugleich legte er Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ein.

Das Landgericht legte die Akte dem Senat über die Generalstaatsanwaltschaft zur Entscheidung vor. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit Schriftsatz vom 16.8.2016, die Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zu verwerfen; ein Revisionsantrag werde nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist gestellt werden.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

1. Gem. § 111 a Abs. 1 Satz 1 StPO kann das Gericht dem Angeklagten die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis im Urteil endgültig gem. § 69 StGB entzogen werden wird. Derartige dringende Gründe sind grds. in der Begehung eines Vergehens der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 StGB zu sehen, denn gem. § 69 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn jemand wegen einer rechts-widrigen Tat, die er im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahr-zeugs begangen hat, verurteilt wird und sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist, wovon in der Regel auszugehen ist, wenn die rechtswidrige Tat (wie vorliegend) ein Vergehen gem. § 316 StGB ist. Die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB führt dazu, dass eine die Ungeeignetheit positiv begründende Gesamtwürdigung nur dann erforderlich ist, wenn ernsthafte Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich ein Ausnahmefall ergeben könnte (Fischer, StGB, 63. Aufl., Rdn. 22 zu § 69). Gründe, die die Indizwirkung des Regelbeispiels widerlegen und im Rahmen einer Gesamtwürdigung Anlass zum Absehen von der Maßregelanordnung geben können, können u. a. in dem Zeitraum zwischen Tatbegehung und dem Zeitpunkt der Entscheidung entstehen (Fischer, a.a.O., Rdn. 33 zu § 69). Umstritten ist die Bedeutung der Teilnahme an einem Nach-schulungskurs, die zwar nicht schematisch die Regel des Abs. 2 widerlegen kann, bei der Entscheidung aber nach Lage des Einzelfalls zu berücksichtigen ist. Eine erfolgreiche Teilnahme kann den gesetzlich vermuteten Eignungsmangel aber nur ausnahmsweise ausräumen (Fischer, a.a.O., Rdn. 36 zu § 69).

2. Vorliegend hat das Berufungsgericht im Urteil dargelegt, dass weder einzelne Gesichtspunkte noch ihre Gesamtheit besondere Umstände ergeben, die geeignet sind, die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB entfallen zu lassen. Diesen Feststellungen kommt zwar für das Beschwerdegericht keine Bindungs-, aber eine Indizwirkung zu, da das Tatgericht aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung über größere Sachnähe und bessere Erkenntnisquellen verfügt als das Beschwerdegericht, das sich nur auf den Akteninhalt stützen kann. Die vom Tatgericht vorgenommene Wertung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 69 StGB und damit der mangelnden charakterlichen Eignung des Angeklagten ist vom Beschwerdegericht grds. hinzunehmen, so dass eine vom Urteil abweichende Beurteilung der Voraussetzungen des § 69 StGB (und damit der des § 111 a StPO) nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Ein solcher Ausnahmefall ist dann gegeben, wenn die schriftlichen Urteilsgründe einen materiell-rechtlichen Fehler aufweisen, der einen Erfolg der Revision mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten lässt. Auch verfahrensrechtliche Fehler sind zu beachten, wenn -wie vorliegend - sowohl die schriftlichen Urteilsgründe als auch die Revisionsbegründung bereits vorliegen (OLG Koblenz, B. v. 6.4.2006 - 1 Ws 217/06 - bei juris; Brandenburgisches OLG, Blutalkohol 47, 299).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes liegen die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111 a StPO nicht vor, da nach derzeitiger Aktenlage eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass das Urteil des Landgerichts - 6. Kleine Strafkammer - Konstanz vom 10.6.2016 aufgrund der erhobenen Rüge der Verletzung materiellen und formellen Rechts im Revisionsverfahren aufgehoben werden wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.


Einsender: RA O. Sydow, Berlin

Anmerkung:


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