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Entscheidungen

StPO

Berufungsverwerfung, Erkrankung Pflichtverteidiger, Ausbleiben Angeklagter

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Köln, Beschl. v. 24.06.2016 - 1 RVs 114/16

Leitsatz: Wenn die Hauptverhandlung unabhängig vom Erscheinen des Angeklagten bei notwendiger Verteidigung wegen Nichterscheinens des Verteidigers vertagt werden muss, wird nicht bereits durch das Nichterscheinen des Angeklagten die Möglichkeit der Verwerfung der Berufung eröffnet


In pp.
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Aachen zurückverwiesen.

Gründe
I.
Das Amtsgericht Aachen hat den Angeklagten am 19. August 2014 wegen Diebstahls in zwei Fällen sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht Aachen mit der angefochtenen Entscheidung in Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO verworfen. In den Urteilsgründen ist ausgeführt, der am Terminstag erkrankte Pflichtverteidiger habe auf telefonische Nachfrage erklärt, nicht über eine Vertretungsvollmacht „i. S. d. § 329 n. F. StPO“ zu verfügen.

Die Revision des Angeklagten erhebt die Verfahrensbeschwerde des § 338 Ziff. 5 StPO.

II.
1. Das Rechtsmittel hat insofern (vorläufigen) Erfolg, als es auf die zulässig erhobene Verfahrensrüge gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts führt. Die Berufungsstrafkammer hat mit ihrer Entscheidung den Begriff der genügenden Entschuldigung im Sinne des § 329 Abs. 1 StPO verkannt. Soweit der Verteidiger meint, es bestehe wegen seiner krankheitsbedingten Abwesenheit im Termin zur Berufungshauptverhandlung der absolute Revisionsgrund des § 338 Ziff. 5 StPO (Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt) führt dies nicht zu einer anderen Bewertung, da mit der Revisionsbegründungsschrift die maßgeblichen Verfahrensvorgänge vollständig vorgetragen werden und aus dieser die Rüge deutlich wird, ohne Anwesenheit des (Pflicht-)Verteidigers hätte eine Verwerfung der Berufung nicht erfolgen dürfen.

2. Die danach zulässig erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO ist auch begründet. Da vorliegend ein Fall notwendiger Verteidigung gegeben ist, durfte die Hauptverhandlung ohne Rechtsanwalt L (oder einen anderen Pflichtverteidiger) nicht stattfinden, § 145 Abs. 1 StPO, und hätte eine Vertagung wegen dessen krankheitsbedingter Verhinderung auch unabhängig von einem Antrag schon von Amts wegen erfolgen müssen. Wenn die Hauptverhandlung aber unabhängig vom Erscheinen des Angeklagten vertagt werden muss, wird durch das Nichterscheinen des Angeklagten nicht die Möglichkeit der Verwerfung der Berufung eröffnet. Der Zweck des § 329 Abs. 1 StPO besteht darin, zu verhindern, dass der Angeklagte durch sein Nichterscheinen die Entscheidung über die Berufung verhindert. Kann aber ohnehin aus anderen Gründen – hier wegen der krankheitsbedingten Verhinderung des Verteidigers – die Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden, wird eine Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO durch den Normzweck nicht mehr gedeckt (vgl. insgesamt SenE v. 29.09.2006 – 81 Ss 117/06; SenE v. 17.02.2016 – III-1RVs 24/16).

Der Senat folgt damit nicht der in der Kommentarliteratur vertretenen – auf eine ältere Entscheidung des OLG Hamm (NJW 1970, 1245) zurückgehenden – Auffassung, dass die Abwesenheit des Verteidigers die Berufungsverwerfung wegen Säumnis nicht hindert (so: Meyer/Goßner-Schmitt, StPO, 59. Auflage 2016, § 329 Rz. 5; Löwe-Rosenberg-Gössel, StPO, 26. Auflage 2013, § 329 Rz. 31; SK-StPO-Frisch, 4. Auflage 2013, § 329 Rz. 41; AnwKomm-StPO-Rotsch/Gasa, § 329 Rz. 2). Die hierfür gegebene Begründung, im Falle des § 329 StPO finde keine Sachverhandlung statt, greift nach Auffassung des Senats zu kurz, weil der Verteidiger Entschuldigungsgründe vorbringen (abweichend daher für den Fall, dass sich die „besondere Schwierigkeit“ im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO gerade auf den möglichen Entschuldigungsgrund bezieht OLG Stuttgart NStZ-RR 2004, 338 [339]) oder auch im Verfahren gemäß § 329 Abs. 1 StPO beachtliche Rechtsausführungen – etwa zum Vorliegen von Verfahrenshindernissen – machen kann.

Dieselbe Erwägung trägt denn auch die weithin akzeptierte Auffassung, dass die fehlende Ladung des Verteidigers (hierzu: Senat VRS 98, 138 [139]; BayOblG NStZ-RR 2001, 374 = VRS 100, 452 = DAR 2001, 372; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 329 Rz. 12; Löwe/Rosenberg-Gössel, a.a.O. Rz. 44; SK-StPO-Frisch, a.a.O. Rz. 15; KMR-Brunner, StPO, § 329 Rz. 11; Radtke/Hohmann-Beukelmann, StPO, § 329 Rz. 9 aE) oder dessen fehlende Bestellung im Falle notwendiger Verteidigung (hierzu: OLG Brandenburg zfs 2010, 347 [349]; OLG Stuttgart NStZ-RR 2008, 312 = StV 2009, 12; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; SK-StPO-Frisch a.a.O. Rz. 28) die Berufungsverwerfung wegen Säumnis des Angeklagten hindert. Für den Senat ist kein Sachgrund ersichtlich, den Fall krankheitsbedingter Verhinderung des Verteidigers abweichend zu behandeln. Es trifft zwar zu, dass in den genannte Fällen ein aus der Sphäre des Gerichts herrührender Fehler vorliegt, doch hätte hier wie dort der anwesende Verteidiger ggf. die Verhandlung zu Gunsten seines Mandanten beeinflussen und eine Verwerfung der Berufung verhindern können (Senat a.a.O.) bzw. wäre es zu einem Ausbleiben des Angeklagten (möglicherweise) nicht gekommen (SK-StPO-Frisch, a.a.O. Rz. 28). Vor diesem Hintergrund ist daher ohne Bedeutung, aus welchem Grund der Angeklagte im Termin zur Berufungshauptverhandlung nicht verteidigt ist. Ebenso ist aus den vorstehend dargestellten Gründen nicht von Belang, ob der Verteidiger über eine Vertretungsvollmacht verfügte.

Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Urteil auf dem Verfahrensverstoß beruht. Der Verteidiger hat vorgetragen, sein Mandant sei durch die Einlasskontrollen an einem Erscheinen innerhalb der gebotenen Wartefrist gehindert gewesen. Wäre er – der Verteidiger - anwesend gewesen, hätte er – was sich durchaus mit der forensischen Erfahrung deckt - in der Warteschlange Nachschau gehalten und die Kammer gegebenenfalls bitten können, vor einer Verwerfung noch zuzuwarten.


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