Gericht / Entscheidungsdatum: VGH Kassel, Beschl. v. 01.09.2016 - 2 B 2192/16
Leitsatz: Hat ein Fahrerlaubnisinhaber bereits nach früherem Recht eine Maßnahme der ersten und zweiten Stufe durchlaufen, bedarf es bei der Umstellung auf das neue Fahrerlaubnis-Bewertungssystem keiner erneuten Maßnahme (Ermahnung oder Verwarnung).
2. Senat
2 B 2192/16
VG 4 L 1516/16.F
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF
BESCHLUSS
In dem Verwaltungsstreitverfahren
pp.,
wegen Fahrerlaubnis
hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 2. Senat - durch
Vorsitzenden Richter am Hess. VGH , Richter am Hess. VGH,
Richterin am VG (abgeordnete Richterin) am 1. September 2016 beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des VG Frankfurt vom 07.07.2016 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung von Amts wegen - für beide Rechtszüge auf jeweils 6250,00 festgesetzt.
Gründe:
Die gemäß §§ 146, 147 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - fristgerecht
eingelegte und begründete Beschwerde begegnet bereits hinsichtlich ihrer Zulässigkeit Bedenken, weil zweifelhaft ist, ob der Sachvortrag des Beschwerdeführers dem Darlegungserfordernis aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO noch genügt (siehe hierzu: Kopp/Schenke: Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), Kommentar, 22. Aufl. § 146, Rdnr. 41).
Zur Begründung seiner Beschwerde führt der Beschwerdeführer lediglich aus, die
summarische Zusammenziehung des VG sei in keiner Weise nachvollziehbar. Dies gelte insbesondere dafür, wie das Gericht dazu komme, dass die Mahnstufen eingehalten worden seien. Es sei bereits darauf hingewiesen worden, dass eine erneute Verwarnung hätte ausgesprochen werden müssen, nachdem am 30.09.2014 abermals 7 Punkte erreicht worden seien. Es werde zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Schreiben vom 01.07.2016 und den bereits vorliegenden Akteninhalt verwiesen. Im Übrigen werde beantragt die Sperrfrist hilfsweise zu verkürzen. Der Beschwerdeführer sei Berufsbetreuer und auf seinen Führerschein zur Berufsausübung zwingend angewiesen. Er betreue 40 Personen, die er aus Gründen der Schweigepflicht nicht namentlich benennen könne, welche er mit öffentlichen Verkehrsmitteln überwiegend nicht erreichen könne.
Der Beschwerdeführer setzt sich mit diesem Vortrag mit der ausführlichen Begründung des Verwaltungsgerichts nur sehr oberflächlich auseinander. Er erschöpft sich in der bloßen Behauptung dessen summarische Zusammenziehung sei nicht nachvollziehbar. Dafür, dass vor der Entziehung der Fahrerlaubnis erneut eine Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Nr. 1 und 2 StVG hätte ergriffen werden müssen, benennt er keinerlei rechtliche Argumente, die sich mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen erstinstanzlichen Beschlusses auseinandersetzen. Es wird schlicht behauptet, das Verwaltungsgericht habe falsch entschieden.
Der Vortrag zur Verkürzung der Sperrfrist ist bereits deshalb nicht geeignet, eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung herbeizuführen, weil dies allenfalls in einem Hauptsacheverfahren Verfahrensgegenstand sein könnte. Gegenstand des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO ist aber allein die Frage der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs.
Die gegen die Zulässigkeit der Beschwerde bestehenden Bedenken können hier aber dahinstehen, weil die Beschwerde auch in der Sache keinen Erfolg hat.
Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die angefochtene Verfügung, mit der dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, anzuordnen. Aus den mit der Beschwerde dargelegten Gründen, die das Beschwerdegericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, ergeben sich keine Gesichtspunkte, die zum Erfolg der Beschwerde führen können.
Zutreffend stellt das Verwaltungsgericht fest, dass die Voraussetzungen für den Entzug der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i. d. F. v. 28.11.2014 vorliegen. Danach gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und ist ihm daher die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn bezüglich seiner Person 8 oder mehr Punkte nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem im Fahreignungsregister eingetragen sind.
In Übereinstimmung mit § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG stellt das Verwaltungsgericht sodann fest, dass von dem Punktestand auszugehen ist, der sich zum Zeitpunkt der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergibt. Dabei werden nach § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG Zuwiderhandlungen unabhängig davon berücksichtigt, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG ergriffen worden sind. Überdies sind nach § 4 Abs. 6 Nr. 2 Verkehrszuwiderhandlungen nur dann zu berücksichtigen wenn deren Tilgungsfrist zu dem nach § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG genannten Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Nach § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG bleiben spätere Verringerungen des Punktestandes auf Grund von Tilgungen unberücksichtigt.
Unter Zugrundelegung dieser Regelungen stellt das Verwaltungsgericht richtigerweise fest, dass jedenfalls zum Zeitpunkt 9. Juli 2015 bezüglich des Beschwerdeführers 8 Punkte nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem im Fahreignungsregister verzeichnet waren.
Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Fahrerlaubnis-Bewertungssystems am 1. Mai 2014 waren bezüglich des Beschwerdeführers 17 Punkte nach dem alten Punktesystem im Verkehrszentralregister verzeichnet. Diese sind nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG in 7 Punkte nach dem neuen Fahreignungs-Bewertungssystem übergeführt worden. Eintragungsfähig sind die entsprechenden Verkehrszuwiderhandlungen nach § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG, sobald sie rechtskräftig geahndet sind.
Am 22. Oktober 2013 beging der Beschwerdeführer eine weitere Verkehrsordnungswidrigkeit, indem er als Führer eines Kraftfahrzeugs ein Mobil- oder Autotelefon vorschriftswidrig benutzte. Diese Zuwiderhandlung konnte erst nach Eintritt der Rechtskraft am 14. August 2014, mithin also nach Überführung der Punkte zum 1. Mai 2014 nach dem neuen Bewertungssystem in das Verkehrszentralregister mit einem Punkt eingetragen werden.
Entgegen der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers ergibt sich aus den gesetzlichen Regelungen des § 4 Abs. 5 StVG i. V. m. § 65 StVG nicht, dass erneut eine Ermahnung (§ 4 Abs. 5 Nr. 1 StVG) oder eine Verwarnung (§ 4 Abs. 5 Nr. 2 StVG) vor dem Entzug der Fahrerlaubnis hätte ausgesprochen werden müssen, weil der Beschwerdeführer bereits unter dem Regime des alten Punktesystems sowohl am 23. August als auch am 24. Juli 2013 nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StVG i. d. F. v. 2. Dezember 2010 verwarnt worden war. § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 2 StVG bestimmt ausdrücklich, dass die am 1. Mai 2014 erreichte Stufe für Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zugrunde zu legen ist. Nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 3 StVG führt die Einordnung nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 1 StVG allein nicht zu einer Maßnahme nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem.
Mit der Neufassung der entsprechenden gesetzlichen Regelung hat sich der Gesetzgeber bewusst von den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 25. September 2008 3 C/07 - abgesetzt und zum neuen Tattagprinzip bekannt (vgl. BT-Drs. 18/2775, S. 9). Es soll nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem nicht mehr darauf ankommen, dass eine Maßnahme den Betroffenen vor der Begehung weiterer Verstöße erreicht und ihm die Möglichkeit zur Verhaltensänderung einräumt, bevor es zu weiteren Maßnahmen kommen darf, sondern es soll Verkehrssicherheitsgesichtspunkten und dem Ziel, die Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern zu schützen, der Vorrang eingeräumt werden (BT Drs. 18/2775, S. 9f.). Insbesondere bei Konstellationen, in denen in kurzer Zeit wiederholt und schwer gegen Verkehrsregeln verstoßen wurde, soll in der Abwägung mit dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit nicht über bestimmte Verkehrsverstöße hinweggesehen werden (vgl. BayVGH, Beschluss vom 10. Juni 2015 11 CS 15.745 -, juris Rdnr. 20; Sächsisches OVG, Beschlüsse 7. Juli 2015 3 B 118 -, juris und vom 18.06.2015 3 B 153/15 -, juris). Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof und das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen zutreffend feststellen, führt die bloße Überführung des alten Punktesystems in das neue Fahreignungs-Bewertungssystem zum 1. Mai 2014 bei Ermittlung eines entsprechenden Punktestandes nicht dazu, dass die Fahrerlaubnisbehörde eine Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG n. F. hätte aussprechen müssen (vgl. hierzu BayVGH, Beschluss vom 7.4.2016 11 CS 16.338 -, NZV 2016, S. 395 (396); OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07. Mai 2015 16 B 205/15 -, juris;). Ist eine Maßnahme der 1. Stufe (Ermahnung, bzw. 1. Verwarnung nach altem Recht) oder der 2. Stufe (Verwarnung, bzw. 2. Verwarnung nach altem Recht) in der Vergangenheit bereits getroffen worden, werden durch eine Änderung des Punktestandes innerhalb einer Stufe keine neuen Maßnahmen veranlasst. Dies gilt selbst dann, wenn die Stufe schon unter der alten Rechtslage erreicht wurde und nur die Umrechnung des Punktestandes zur Einordnung in die Stufe nach der neuen Rechtslage führte. Denn es ist kein Grund ersichtlich, warum ein solcher Fahrerlaubnisinhaber im Gegensatz zu den Verkehrsteilnehmern, die die Maßnahmenstufen vollständig vor oder nach der Rechtsänderung durchlaufen, ein drittes Mal auf sein Fehlverhalten hingewiesen werden müsste, um eine Änderung seines Fahrverhaltens herbeizuführen (vgl. BayVGH a.a.O.).
Im Übrigen nimmt der Senat ergänzend Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des
Verwaltungsgerichts in dem streitgegenständlichen Beschluss vom 7. Juli 2016 (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, weil sein Rechtsmittel keinen Erfolg hat (§ 154 Abs. 2 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 52 Abs. 1, Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 3, 47
Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 sowie § 63 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Dabei orientiert sich das Beschwerdegericht an den Empfehlungen des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abrufbar unter: www.bverwg.de/informationen/streitwertkatalog.php), die gemäß Nr. 1.5 i. V m. 46.3 und 46.4 für die Fahrerlaubnis der Klassen B, BE zusammen einen Streitwert in Höhe des Auffangwertes gemäß § 52 Abs. 2 GKG, also in Höhe von 5.000,00 und für die Fahrerlaubnis der Klassen C, CE ebenfalls zusammen einen Streitwert in Höhe des eineinhalb-fachen des Auffangwertes, also in Höhe von 7.500,00 vorsehen. Da diese Fahrerlaubnisklassen selbstständig nebeneinander stehen, d. h. ein Erwerb der Fahrerlaubnis für die Klasse C ohne vorangegangene oder gleichzeitige Erteilung der Fahrerlaubnis für die Klasse B nicht möglich ist (§ 9 der Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV -), handelt es sich um mehrere Streitgegenstände, deren Werte zusammenzurechnen sind (§ 39 Abs. 1 GKG; vgl. hierzu auch: Geiger, Streitwerte in verkehrsverwaltungsrechtlichen Streitigkeiten, DAR 2008, 760; derselbe: Gerichtskosten und Streitwerte in verkehrsverwaltungsrechtlichen Streitigkeiten, DAR 2005, 491). Dabei ist berücksichtigt, dass die dem Antragsteller entzogene Fahrerlaubnis für die Klasse B zum Führen der Klassen M und L berechtigt (§ 6 Abs. 3 Nr. 4 FeV). Der danach für die Hauptsache festzusetzende Streitwert in Höhe von 12.500,00 ist wegen der Vorläufigkeit der hier vom Antragsteller begehrten Entscheidung gemäß Nr. 1.5 des vorgenannten Streitwertkatalogs zu halbieren.
Im Interesse einer einheitlichen Wertfestsetzung ist der Wert des Streitgegenstandes für das erstinstanzliche Verfahren entsprechend abzuändern. Das Beschwerdegericht macht insoweit von seiner Befugnis gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG Gebrauch.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1
Satz 5 GKG.
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