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Entscheidungen

StPO

Selbstanzeige, Besorgnis der Befangenheit, verheiratete Richter

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Jena, Beschl. v. 15.08.2016 - 1 Ws 305/16

Leitsatz: Der Umstand, dass die Vorsitzende Richterin mit einem an derselben Entscheidung mitwirkenden (beisitzenden) Richter der großen Strafvollstreckungskammer - unter Führung verschiedener Nachnamen - verheiratet ist, stellt eine i.S.d. § 30 StPO anzeigepflichtige und den Verfahrensbeteiligten mitzuteilende Tatsache dar.


In pp.
hat der 1. Strafsenat des OLG Jena am 15. 08.2016 beschlossen:
1. Der Beschluss des Landgerichts Gera vom 13.06.2016 wird aufgehoben, soweit unter Ziffer II. des Tenors über die (Nicht-)Aussetzung der restlichen Einheitsjugendstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Erfurt vom 23.10.2003 (920 Js 12266/02) zur Bewährung entschieden worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Landgericht Gera zurückverwiesen.

Gründe
I.
Die Verurteilte wurde durch Urteil des Landgerichts Erfurt vom 23.10.2002 (920 Js 12266/02 - BZR Nr. 5) wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung mit Todesfolge und gefährlicher Körperverletzung zu einer Einheitsjugendstrafe von 4 Jahren und zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt. Hierin einbezogen wurde eine frühere Verurteilung durch das Amtsgericht Gotha vom 31.07.2002 wegen 2-facher gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung, in einem Fall begangen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit, und gefährlicher Körperverletzung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Einheitsjugendstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten (772 Js 39080/00 - BZR Nr. 4), die ihrerseits unter Einbeziehung einer vorhergehenden Verurteilung durch das Amtsgericht Gotha vom 24.06.2002 wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Nötigung zu einer bedingten Jugendstrafe von 7 Monaten (980 Js 37088/00 - BZR Nr. 3) ergangen war. Gegenstand der Verurteilung vom 23.10.2003 war, dass die damals 15-jährige Verurteilte, bei der eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung festgestellt wurde, am 28.12.2001 in alkoholisiertem Zustand und unter dem Einfluss eines toxisch bedingten Durchgangssyndroms auf Aufforderung ihres damaligen Freundes dem Geschädigten N… ein Messer in den Rücken und in die Brust gestochen, dabei dessen rechte innere Brustschlagader durchtrennt und dadurch letztlich den Verblutungstod des Geschädigten verursacht hatte, nachdem sie bereits zuvor am 05.11.2011 gemeinsam mit ihrem damaligen Freund grundlos auf den Geschädigten A eingeschlagen und mit Springerstiefeln gegen dessen Kopf getreten hatte.

Die Verurteilte befand sich - nach vorheriger Untersuchungshaft und vorläufiger Unterbringung in der P. Sch. seit Dezember 2001 - ab dem 23.10.2003 im Maßregelvollzug im A F. St.. Nach Vollendung des 24. Lebensjahres der Verurteilten wurde die Vollstreckung im Juli 2010 nach § 85 Abs. 6 JGG an die Staatsanwaltschaft Gera abgegeben.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 13.06.2016 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Gera wie folgt entschieden:

„I. Die Maßregel der Unterbringung der Betroffenen wird mit Rechtskraft dieses Beschlusses für erledigt erklärt.

II. Die Einheitsjugendstrafe von 4 (vier) Jahren aus dem Urteil des Landgerichts Erfurt vom 23.10.2003 (920 Js 12266/02 3 Ks jug.) wird nicht zur Bewährung ausgesetzt.

III. Mit der Entlassung der Betroffenen aus der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein…“

Es folgen unter Ziffer IV., V. und VI. Anordnungen zur Dauer der Führungsaufsicht und zur Unterstellung der Verurteilten unter die Bewährungshilfe sowie dazu, dass die weitere Ausgestaltung der Führungsaufsicht durch Weisungen bis zur Entlassung der Verurteilten aus der Strafhaft zurückgestellt wird. Grundlage des Beschlusses sind unter anderem eine Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung vom 05.11.2015, ein Gutachten des externen Sachverständigen Dr. J vom 04.03.2016 und eine mündliche Anhörung der Verurteilten im Beisein ihres Verteidigers, von Vertreterinnen der Maßregelvollzugseinrichtung und des externen Sachverständigen vor der mit drei Richtern besetzten Strafvollstreckungskammer am 10.06.2016.

Bei der angefochtenen Entscheidung und der vorhergehenden Anhörung war die Strafvollstreckungskammer - was den Verfahrensbeteiligten und insbesondere dem auswärtigen Verteidiger der Verurteilten nach Aktenlage und fernmündlicher Bestätigung durch die Kammervorsitzende nicht angezeigt worden ist - mit einer Vorsitzenden Richterin und einem beisitzenden Richter besetzt, die - unter Führung verschiedener Nachnamen - miteinander verheiratet sind.

Der angefochtene Beschluss ist dem Verteidiger der Verurteilten am 21.06. 2016 zugestellt worden. Mit am 27.06.2016 eingegangenem Schriftsatz ihres Verteidigers hat die Verurteilte (allein) gegen die unter Ziffer II. des angefochtenen Beschlusses angeordnete Nichtaussetzung der restlichen Einheitsjugendstrafe zur Bewährung sofortige Beschwerde erhoben. Sie ist der Auffassung, dass die Vollstreckung der restlichen Einheitsjugendstrafe in Anbetracht der Dauer ihrer Unterbringung im Maßregelvollzug unverhältnismäßig ist.

Am 07.07.2016 ist die Verurteilte zum Vollzug der restlichen Einheitsjugendstrafe in die Justizvollzugsanstalt C verlegt worden. Das Strafzeitende ist für den 28.10.2017 vorgemerkt.

Mit Stellungnahme vom 20.07.2016 hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

1. Die sofortige Beschwerde der Verurteilten, die sich ausdrücklich nur gegen die mit Ziffer II. des Beschlusstenors vorgenommene Nichtaussetzung der restlichen Einheitsjugendstrafe zur Bewährung richtet, ist nach § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und auch sonst zulässig.

2. Im Umfang der Anfechtung hat das Rechtsmittel auch in der Sache - vorläufigen - Erfolg. Es führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung vom 13.06.2016 und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer, weil das ihr zugrunde liegende Verfahren an einem wesentlichen und durch den Senat nicht behebbaren Mangel leidet.

Durch die nicht offen gelegte Mitwirkung zweier miteinander verheirateter Richter an der (mündlichen Anhörung, Beratung und) Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer (zumindest) das rechtliche Gehör der Betroffenen nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt und hierdurch gleichzeitig die Ausübung ihrer Mitwirkungsrechte bei der Gewährleistung der Entscheidung durch den gesetzlichen Richter in einem wesentlichen Punkt von vornherein für den Instanzenzug vereitelt. Die neben der weiteren beisitzenden Richterin an der Entscheidung beteiligte Vorsitzende Richterin und der beisitzende Richter, deren Ehe im vorliegenden Beschwerdeverfahren als gerichtsbekannte Tatsache von Amts wegen zu berücksichtigen ist, haben es unterlassen, den Verfahrensbeteiligten, insbesondere dem auswärtigen und mit den Verhältnissen am Landgericht Gera mutmaßlich nicht vertrauten Verteidiger nach § 30 StPO anzuzeigen, dass sie - ungeachtet ihrer unterschiedlichen Nachnamen - miteinander verheiratet sind.

a) Diese Tatsache wäre - jedenfalls in der vorliegenden, höchst außergewöhnlichen und, soweit ersichtlich, in der (veröffentlichten) bundesdeutschen Rechtsprechung bislang unbekannten (weil durch entsprechende Geschäftsverteilungs- und Vertretungsregeln vermeidbaren) Konstellation - nach § 30 StPO den Verfahrensbeteiligten anzuzeigen gewesen.

aa) Aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass ein Richter von einem Verhältnis, das seine Ablehnung nach § 24 StPO rechtfertigen könnte, Anzeige zu machen hat. Diese - auch im Zivilprozess nach § 48 ZPO vorgesehene - Selbstanzeige ist - jedenfalls soweit es ihre Mitteilung gegenüber den Verfahrensbeteiligten betrifft - nicht nur eine Dienstpflicht des Richters, die er nach pflichtgemäßem Ermessen auszuüben hat und von der er auch dann nicht entbunden ist, wenn die seine Ablehnung (möglicherweise) rechtfertigenden Tatsachen den Prozessbeteiligten bekannt sind, sondern auch eine prozessuale Verpflichtung gegenüber den Verfahrensbeteiligten (vgl. BVerfGE 89, 28; BGH WRP 1995, 320; OLG München, Beschluss vom 26.03.2014, 15 U 4783/12, bei juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 30 Rn. 2). Sie dient - ebenso wie die ihr zugrunde liegenden Vorschriften über die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit, die ihrerseits einfachgesetzlicher Ausdruck der verfassungsrechtlichen Prinzipien des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) und der Unabhängigkeit der Gerichte (Art. 97 Abs. 1 GG) sind (vgl. BGH, Beschluss vom 09.05.2012, 2 StR 620/11, bei juris) - der Sicherung des Anspruchs der Verfahrensbeteiligten auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Denn diese Verfassungsgewährleistung soll nicht nur garantieren, dass die Beteiligten nur vor dem nach dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozessordnungen und den gerichtlichen Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen zur Entscheidung berufenen, sondern auch vor einem unabhängigen, unparteilichen und neutralen Richter stehen (vgl. BVerfG a. a. O.; OLG München, a. a. O.). Sie verpflichtet den Gesetzgeber, in materieller Hinsicht Vorsorge dafür zu treffen, dass die Richterbank nicht mit Richtern besetzt ist, die dem zur Entscheidung anstehenden Streitfall nicht mit der erforderlichen professionellen Distanz eines Unbeteiligten und Neutralen gegenüberstehen, und Regelungen vorzusehen, die es den Verfahrensbeteiligten ermöglichen, einen diese Gewähr im Einzelfall nicht bietenden Richter abzulehnen oder von der Ausübung seines Amtes auszuschließen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.12. 2006, 2 BvR 958/06, m. w. N., bei juris).

bb) Eine Selbstanzeigepflicht besteht in Bezug auf Tatsachen, die Gründe für die Ausschließung von der Ausübung des Richteramtes nach §§ 22, 23 StPO oder - wie hier - Befangenheitsgründe nach § 24 StPO enthalten könnten (vgl. OLG München, a. a. O.). Für die Beurteilung einer möglichen Besorgnis der Befangenheit ist dabei auf die Sicht einer ruhig und vernünftig alle Umstände abwägenden Partei abzustellen. Als anzeigepflichtig sind jedenfalls solche Umstände anzusehen, die berechtigten Anlass geben können bzw. es zumindest als aus Sicht eines Verfahrensbeteiligten naheliegend erscheinen lassen, eine Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit herbeizuführen. Unerheblich ist, ob der Richter aufgrund dieser Tatsachen tatsächlich befangen ist oder sich dafür hält, zumal mit den Vorschriften über die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit schon dem „bösen Schein“ einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität entgegen gewirkt werden soll (vgl. BVerfGE 108, 122).

cc) Bei Anlegung dieser Maßstäbe stellt der - für Außenstehende nicht (ohne Weiteres) erkennbare - Umstand, dass die Vorsitzende Richterin mit einem der beisitzenden Richter der im vorliegenden Fall nach § 78b Abs. 1 GVG zur Entscheidung berufenen „großen“ Strafvollstreckungskammer (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 78b GVG, Rn. 5 m. w. N.) verheiratet ist, jedenfalls eine i. S. d. § 30 StPO anzeigepflichtige Tatsache dar.

Zwar enthält § 22 StPO, der u. a. die Ausschließung eines mit dem Beschuldigten oder Verletzten verheirateten oder (näher) verwandten Richters von der Ausübung des Richteramtes regelt, keinen Ausschließungstatbestand für den Fall der Ehe bzw. Verwandtschaft des Richters mit einem anderen mitwirkenden Richter oder Staatsanwalt etc.; jedoch ist anerkannt, dass in einem solchen Fall ggf. die Befangenheit des Richters zu besorgen sein kann (vgl. Siolek in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 22 Rdnr. 15; Schneider, JR 2012, 188ff; s. a. Feiber, NJW 2004, 650 „Ehen im Gericht“). Dass der Fall der gleichzeitigen Mitwirkung eines Richterehepaars in derselben Spruchgruppe (an derselben Entscheidung) in den Verfahrensordnungen keine ausdrückliche (Ausschluss-)Regelung gefunden hat, mag darauf beruhen, dass eine solche Konstellation regelmäßig nicht auf unvorhersehbaren bzw. nicht steuerbaren Lebenssachverhalten beruht, sondern nahezu ausnahmslos bereits durch eine entsprechende gerichtsinterne Geschäftsverteilung vermieden werden kann (und offenbar im Allgemeinen auch vermieden wird). Jedenfalls rechtfertigt dies weder den Umkehrschluss auf die grundsätzliche Unbedenklichkeit einer solchen „Ehegattenrechtsprechung“ noch auf die Unanwendbarkeit der §§ 24 ff StPO.

In der Rechtsprechung ist weiter anerkannt, dass besonders enge (auch dienstliche) Beziehungen bzw. ein enges persönliches Verhältnis zu einem Verfahrensbeteiligten die Besorgnis der Befangenheit begründen können (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 14.12.2012, 2 StR 391/12, bei juris).

Geht man davon aus, dass ein engeres persönliches Verhältnis als eine - nach dem gesetzlichen Leitbild auf Lebenszeit geschlossene und die Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtende (§ 1353 BGB) - Ehe kaum vorstellbar ist, kann der Umstand des Zusammentreffens eines Richterehepaars in einem aus insgesamt drei Richtern bestehenden Spruchkörper auch aus der Sicht einer ruhig und vernünftig abwägenden Partei zumindest Anlass zu der Besorgnis geben, dass die betreffenden Richter aufgrund ihres ehelichen Verhältnisses im Rahmen der Kammerberatung jeweils die für die Entscheidungsfindung in einem Kollegialgericht unerlässliche innerliche Unabhängigkeit und professionelle Distanz von (eigenen) persönlichen Befindlichkeiten (oder denen des Ehegatten) nicht mehr aufbringen können oder sich u. U. von sachfremden, aus ihrer engen persönlichen Beziehung resultierenden wechselseitigen Rücksichtnahmen, Abhängigkeiten etc. leiten lassen könnten (vgl. auch Feiber a. a. O. zu dem Fall des Aufeinandertreffens von Ehegatten im Rechtsmittelzug: „Lebenserfahrung und Erkenntnisse der Psychologie und Soziologie machen es in hohem Maße wahrscheinlich, dass üblicherweise der Richter bei der Beurteilung von Handlungen, Meinungen, Leistungen eines ihm so eng verbundenen Angehörigen ´'befangen' ist, dass also aus der Sicht der ablehnenden Partei mindestens unbewusst seine rechtliche Überprüfung und damit unter Umständen sogar seine Entscheidung und deren Begründung von Erwägungen beeinflusst werden können, die mit der Sache nichts zu tun haben“).

Zwar lässt dies allein (noch) keine „Parteilichkeit“ der betreffenden Richter im Sinne eines Zuneigens zu der einen oder anderen „Seite“ bzw. zu dem einen oder anderen Verfahrensbeteiligten befürchten, die im Regelfall die Besorgnis der Befangenheit eines Richters begründet. Auch wird man im Allgemeinen davon ausgehen können, dass die betroffenen Richter nicht nur gehalten, sondern grundsätzlich auch in der Lage sind, mit einer solchen ihnen zugemuteten Situation professionell umzugehen, und dass der Umstand ihrer persönlichen/häuslichen Gemeinschaft sich auf die Beurteilung des Einzelfalles nicht auswirken wird. Jedoch beeinträchtigt schon die bloße Gefahr des Fehlens der innerlichen Unabhängigkeit eines an der Entscheidungsfindung beteiligten Richters (i. S. einer - wie auch immer gearteten - Einflussnahme ehelich/familiär bedingter Aspekte/Rücksichtnahmen auf das Beratungs- und Abstimmungsverhalten) gerade bei einer nach dem Willen des Gesetzgebers von drei unabhängigen Richtern in gemeinsamer Beratung zu treffenden Entscheidung die Gewährleistung des gesetzlichen - also auch des unabhängigen, unparteilichen und neutralen - Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und somit das „Schutzgut“ der gesetzlichen Vorschriften der §§ 24 ff. StPO. Schon deshalb dürfte es naheliegen, in der Ehe zweier unmittelbar an derselben Entscheidung beteiligter Richter einen Befangenheitsgrund zu sehen. Dies nicht zuletzt auch mit Blick darauf dass der Gesetzgeber mit der Übertragung von Entscheidungen auf einen mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörper im allgemeinen - namentlich bei Angelegenheiten von besonderem Gewicht, besonderer Schwierigkeit oder grundsätzlicher Bedeutung - eine höhere Richtigkeitsgewähr gerade durch die Mitwirkung mehrerer Richter sicherstellen will (vgl. für § 78b GVG: BT-Drs. 7/3990, S. 49; 12/1217, S. 48). Mit dieser gesetzgeberischen Intention, schwierige Sachverhalte von drei unabhängig voneinander wertenden Richtern beurteilen zu lassen, ist eine Besetzung der „großen“ Strafvollstreckungskammer mit zwei - als „Ehepaar“ über die Stimmenmehrheit verfügenden - Ehegatten schwerlich vereinbar. In jedem Fall darf eine so ungewöhnliche Konstellation den Verfahrensbeteiligten nicht einfach vorenthalten, sondern muss ihnen zumindest rechtliches Gehör und damit die Möglichkeit gewährt werden, eine Entscheidung nach §§ 24ff StPO herbeizuführen.

b) Das Unterlassen der danach erforderlichen Mitteilung dieser Tatsache an die Verfahrensbeteiligten zum Zwecke einer möglichen Stellungnahme stellt eine Verletzung ihres - einen Anspruch auf Äußerung und auf Information umfassenden - Rechts auf rechtliches Gehör i. S. d. Art. 103 Abs. 1 GG dar, das auch gebietet, dienstliche Äußerungen eines Richters zu - möglicherweise nach § 24 StPO bedeutsamen - Tatsachen nicht zurückzuhalten, sondern ihnen zugänglich zu machen (vgl. BVerfGE 89, 28). Denn ohne diese Information wird den Verfahrensbeteiligten - hier vor allem der Verurteilten und ihrem auswärtigen Verteidiger - von vorneherein die Möglichkeit abgeschnitten, einen Befangenheitsantrag nach § 24 StPO zu stellen und über ihn eine Entscheidung nach § 27 StPO herbeizuführen.

Dieser - wegen des mit dem Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung verbundenen Erlöschens des Ablehnungsrechtes (vgl. BVerfG NStZ 2007, 709) - im Beschwerderechtszug nicht behebbare Verfahrensmangel, der sich u. U. in einer verfahrensfehlerhaften, weil in nicht ordnungsgemäßer Besetzung durchgeführten mündlichen Anhörung (§ 454 Abs. 1 S. 3 StPO) fortgesetzt bzw. ausgewirkt haben kann, führt zur Aufhebung der Sache und zur Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer, die erneut über die (Nicht-)Aussetzung der restlichen Einheitsjugendstrafe zur Bewährung nach §§ 67 Abs. 5 Satz 1 StGB, 88 Abs. 1 JGG zu befinden und dabei ggf. auch eine Entscheidung nach § 67 Abs. 5 S. 2 2. Halbsatz StGB zu treffen haben wird.

Mit Blick auf den im jetzigen Verfahrensstadium nur noch die Aussetzung einer zeitigen Reststrafe betreffenden, nicht (mehr) unter § 78b Abs. 1 Nr. 1 GVG fallenden Verfahrensgegenstand wird die erneute Entscheidung in der Besetzung mit einem Richter (§ 78b Abs. 1 Nr. 2 GVG) zu treffen sein.


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