Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bremen, Beschl. v. 24.11.2016 - 1 Ws 163/16
Leitsatz: Zur Verlängerung der Verjährungsfrist nach § 79b StGB.
Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen
1 Ws 163/16
BESCHLUSS
in der Strafvollstreckungssache
gegen pp.
Verteidiger:
hat der 1. Strafsenat durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht am 24. November 2016 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 13.10.2016 gegen den Beschluss der Großen Strafkammer 60 des Landgerichts Bremen vom 04.10.2016 wird auf seine Kosten als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Verurteilte wurde mit Urteil des LG Bremen vom 28.06.2006, rechtskräftig seit dem 15.2.2007, wegen gewerbsmäßig begangenen Bandenbetrugs in 12 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Der Verurteilte hat sich mit anderen Beteiligten eine Einnahmequelle insbesondere zur Finanzierung seines Drogenkonsums dadurch verschafft, dass durch die Nutzung von EC-Karten im früheren ohne PIN-Eingabe und Online-Abgleich funktionierenden EC-Karten-Bezahlverkehr in Kaufhäusern Waren im Wert von über 17.000,- ertrogen wurden, ohne dass genügende Kontodeckung zur Bezahlung vorhanden war. Die Waren wurden sodann an Dritte veräußert und die Erlöse unter den Tatbeteiligten aufgeteilt. Der Verurteilte wurde am 08.06.2007 zum Strafantritt geladen. Am 14.06.2007 beantragte er einen Aufschub der Strafvollstreckung für 18 Monate, weil seine Ehefrau so lange ihren Vorbereitungsdienst als Lehrerin ableisten und er während dieser Zeit die fünfjährige Tochter betreuen müsse. Am 02.07.2007 wurde die gnadenweise Gewährung eines Strafaufschubs abgelehnt. Am 25.07.2007 erhielt die Staatsanwaltschaft Bremen einen Hinweis, dass sich der Verurteilte ins Ausland abgesetzt habe. Es erging am selben Tag gegen den Verurteilten ein Vollstreckungshaftbefehl. Die innerstaatliche Ausschreibung zur Festnahme wurde bis heute immer wieder verlängert. Der Verurteilte lebt seither in der Türkei und zum 01.12.2008 wurden auch die Ehefrau und die Tochter des Verurteilten in Deutschland abgemeldet mit neuem Wohnsitz in Ankara. Nach den Angaben des Verurteilten hat er sich seither straffrei geführt und verdient den Lebensunterhalt für seine Familie als vereidigter Dolmetscher für Deutsch und Englisch. Zahlungen zur Schadenswiedergutmachung hat der Verurteilte nach der Verurteilung nicht geleistet. Am 01.06.2016 erließ die Staatsanwaltschaft Bremen gegen den Verurteilten einen Europäischen Haftbefehl.
Mit Beschluss vom 04.10.2016 hat die Große Strafkammer 60 des Landgerichts Bremen auf Antrag der Staatsanwaltschaft Bremen vom 24.06.2016 nach Gewährung rechtlichen Gehörs für den Verurteilten die Verjährungsfrist für die Vollstreckung der gegen den Verurteilten verhängten Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Bremen vom 28.06.2006 um fünf Jahre verlängert.
Gegen die seinem Verteidiger am 11.10.2016 zugestellte Entscheidung der Großen Strafkammer wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde vom 13.10.2016. In der Beschwerdebegründung führt der Verteidiger des Verurteilten aus, dass das Landgericht hätte berücksichtigen müssen, dass die Verurteilung wegen einer nicht untypischen Straftat aus dem Bereich der mittelschweren Kriminalität erfolgt sei, so dass die Bedeutung der Tat nicht allzu hoch zu messen sei. Zudem wäre der Zeitablauf seit Rechtskraft der Entscheidung zu berücksichtigen und es hätte ein Europäischer Haftbefehl auch bereits weitaus früher und nicht erst kurz vor Eintritt der Vollstreckungsverjährung beantragt werden können. Hinsichtlich des Verhaltens des Verurteilten dürfe nicht darauf abgestellt werden, ob sich dieser bewusst ins Ausland abgesetzt habe, um sich der Vollstreckung der Strafe zu entziehen. Es sei vielmehr das gute Recht des Verurteilten, sich der Strafvollstreckung durch Emigration ins Ausland zu entziehen. Auch komme es nicht wesentlich auf Bemühungen zur Schadenswiedergut-machung an, sondern vielmehr auf das Verhalten des Verurteilten in Ausland, wobei im vorliegenden Fall zu berücksichtigen sei, dass er sich keinerlei weitere Straftaten habe zuschulden kommen lassen, einen soliden Lebenswandel angenommen habe und auch nicht aus dem Ausland heraus weiterhin friedensstörend im Inland gewirkt habe, beispielsweise indem er sich über die deutschen Strafvollstreckungsbehörden lustig gemacht hätte. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 26.10.2016 beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Dabei hat sie die Begründung des angegriffenen Beschlusses unterstützt und im Übrigen unter anderem ausgeführt, dass, wenn es schon der Verurteilte aufgrund seiner Flucht vermeiden könne, die Freiheitsstrafe tatsächlich zu verbüßen, er wenigstens für weitere fünf Jahre den Nachteil hinnehmen müsse, die Türkei nicht verlassen zu können, weil er nicht sicher sein könne, ob er über Interpol zur Festnahme ausgeschrieben sei.
II.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§§ 463 Abs. 3 S. 1, 454 Abs. 3 S. 1 StPO), form-und fristgerecht eingelegt (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) und damit zulässig. Sie erweist sich aber als unbegründet.
1. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 04.10.2016 hat das Landgericht zu Recht die Verlängerung der Verjährungsfrist nach § 79b StGB um fünf Jahre bestimmt, d.h. um die Hälfte der gesetzlichen Verjährungsfrist von zehn Jahren gemäß § 79 Abs. 3 Nr. 3 StGB für die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren aus dem Urteil vom 15.02.2007, für die die regelmäßige Frist der Vollstreckungsverjährung am 15.02.2017 abgelaufen wäre. Nach § 79b StGB kann das Gericht die Verjährungsfrist vor ihrem Ablauf auf Antrag der Vollstreckungsbehörde einmal um die Hälfte der gesetzlichen Verjährungsfrist verlängern, wenn der Verurteilte sich in einem Gebiet aufhält, aus dem seine Auslieferung oder Überstellung nicht erreicht werden kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
a) Der Verurteilte hält sich als türkischer Staatsangehöriger in der Türkei auf, so dass wie von § 79b StGB vorausgesetzt seine Auslieferung von dort nicht erreicht werden kann. Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei findet ein Auslieferungsverkehr in Strafsachen aufgrund des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13.12.1957 statt.
Grundsätzlich wird angenommen, dass eine Entscheidung nach § 79b StGB jedenfalls bei Bestehen eines Rechtshilfeverkehrs mit dem Aufenthaltsstaat des Verurteilten voraussetzt, dass zuvor ein Rechtshilfeersuchen gegenüber dem Aufenthaltsstaat des Verurteilten erfolglos geblieben (Fischer63, §79b StGB Rn. 1; einschränkend LK-Schmid12, § 79b StGB Rn. 2: Ersuchen erforderlich, sofern nicht von vornherein aussichtslos) oder zumindest eingeleitet, wenn auch noch nicht beschieden sein muss, so dass im letzteren Fall eine Entscheidung nach §79b StGB zur Vermeidung des Verjährungsablaufs während des laufenden Auslieferungsverfahrens zulässig wäre (OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.04.2002 - 1 Ws 63/02, juris Rn. 6; ebenso in der Vorinstanz LG Hechingen, Beschl. v. 27.03.2002 - KLs 12/91, KLs 16/91, juris Rn. 5; LK-Schmid12, a.a.O.; Fischer63, a.a.O.; SK-Rudolphi/Wolter7, § 79b StGB Rn. 3). Ausweislich der eingeholten Auskunft des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 29.09.2016 liefert die Türkei aufgrund von Art. 38 der Verfassung der Republik Türkei sowie Art. 11/1-a des türkischen Gesetzes über die internationale Hilfe in Strafsachen eigene Staatsangehörige nicht an das Ausland aus. Daher bestünden auch im Fall eines Ersuchens um Rechtshilfe keine Aussichten auf eine Auslieferung des Verurteilten. Auch wenn ein Rechtshilfeverkehr mit dem Aufenthaltsstaat des Verurteilten besteht, ist nach §79b StGB kein vorheriges Auslieferungsersuchen zu verlangen, wenn dieses aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ohne Erfolgsaussicht wäre. Das Erfordernis eines vorherigen Auslieferungsersuchens vor der Entscheidung nach § 79b StGB ist nicht unmittelbar im Gesetzeswortlaut selbst vorgesehen, sondern folgt aus dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, hier dergestalt, dass zunächst eine Vollstreckung der Strafe im Zeitrahmen bis zum Ablauf der ursprünglich vorgesehenen Verjährungsfrist versucht werden sollte, bevor zu Lasten des Verurteilten die Verjährungsfrist zu verlängern ist. Wäre ein solcher Versuch dagegen wegen der Verweigerung der Auslieferung eigener Staatsangehöriger durch den Aufenthaltsstaat aussichtslos, dann kann kein schutzwürdiges Interesse des Verurteilten hieran bestehen. Der Senat tritt daher in diesem Punkt der Entscheidung des Landgerichts sowie den diesbezüglichen Ausführungen in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft bei.
b) Die Entscheidung über die Verlängerung der Verjährungsfrist nach § 79b StGB setzt voraus, dass nach pflichtgemäßem Ermessen geprüft wird, ob ein fortdauerndes Bedürfnis nach Vollstreckung der Freiheitsstrafe besteht (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.04.2002 - 1 Ws 63/02, juris Rn. 9; OLG Hamm, Beschl. v. 17.08.1990 - 4 Ws 33/90, NStZ 1991, 186; entgegen den Bedenken bei LK-Schmid12, §79b StGB Rn. 2 dürfte diese Zielsetzung auch mit einem im Übrigen verfahrensrechtlichen Verständnis der strafrechtlichen Verjährung - siehe BGH, Beschl. v. 07.06.2005 2 StR 122/05, juris Rn. 5 - vereinbar sein, da §79b StGB gerade eine den sonstigen strafrechtlichen Verjährungsvorschriften der §§ 78 ff. StGB fremde Ermessensentscheidung des Gerichts zulässt). Die Vorschrift des §79b StGB soll dem Zweck dienen, flüchtigen Verurteilten die Ausnutzung der Besonderheiten des grenzüberschreitenden Verkehrs zu erschweren, wenn sie sich in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des StGB begeben haben und von dort unter Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze weder verfolgt noch ausgeliefert oder überstellt werden (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.04.2002 - 1 Ws 63/02, juris Rn. 6; Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Strafgesetzbuches (E 1962), BT-Drucks. 4/650, G.261; LK-Schmid12, §79b StGB Rn. 1; SK-Rudolphi/VVolter7, a.a.O.). Maßgebliche Faktoren für die Ausübung der nach § 79b StGB vorgesehenen Ermessensentscheidung sollen die Bedeutung der Tat, die Höhe der zu vollstreckenden Freiheitsstrafe und die seit Rechtskraft verstrichene Zeit, aber auch das Verhalten des Verurteilten nach der Tat und dem Erkenntnisverfahren sowie seine derzeitigen Lebensumstände sein (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.04.2002 1 Ws 63/02, juris Rn. 10; OLG Hamm, a.a.O.; LK-Schmid, §79b StGB Rn. 2; Fischer, § 79b StGB Rn. 4). Im vorliegenden Fall tritt der Senat der Entscheidung des Landgerichts bei, das nach einer Gesamtabwägung dieser Faktoren und der darin zu berücksichtigenden Einzelaspekte aufgrund eines fortbestehenden Bedürfnisses nach Vollstreckung der Freiheitsstrafe auf eine Verlängerung der Verjährungsfrist um fünf Jahre erkannt hat. Das fortbestehende Strafbedürfnis überwiegt insbesondere wegen des Umstandes, dass sich der Verurteilte gezielt der Vollstreckung entzogen hat, sowie wegen der fehlenden Bemühungen um eine Wiedergutmachung die für den Verurteilten sprechenden Umstände der sozialen Integration und straffreien Führung in der Türkei. Dabei sind die vorgenannten allgemeinen Kriterien für die Ermessensentscheidung nach § 79b StGB wie nachfolgend dargestellt zu konkretisieren.
aa) Unter dem Aspekt der derzeitigen Lebensumstände des Verurteilten ist es insbesondere positiv zu berücksichtigen, wenn sich der Verurteilte nach der Verurteilung seither zu einer sozial integrierten Persönlichkeit entwickelt hat, die Verantwortung für Mitmenschen übernimmt, insbesondere in der Familie (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.04.2002 - 1 Ws 63/02, juris Rn. 10; OLG Hamm, a.a.O.). In dieser Hinsicht ist es mithin zu Gunsten des Verurteilten zu bewerten, dass er nach seinen Angaben nunmehr in der Türkei einen soliden Lebenswandel angenommen habe und den Lebensunterhalt für seine Familie als vereidigter Dolmetscher für Deutsch und Englisch verdiene. Dies alleine schließt aber eine Ermessensentscheidung für die Verlängerung der Verjährungsfrist nicht aus: Ebenso wie eine soziale Integration auch bei einem in Deutschland befindlichen Verurteilten für sich genommen nicht notwendigerweise der Strafvoll-streckung entgegenstehen würde, entfällt unter diesem Gesichtspunkt auch nicht notwendigerweise das Strafbedürfnis gegenüber einem Verurteilten, der sich derzeit im Ausland befindet und dessen Auslieferung oder Überstellung nicht erreicht werden kann.
bb) Ferner ist es unter dem Aspekt der derzeitigen Lebensumstände des Verurteilten bzw. seines Verhaltens nach der Tat positiv zu berücksichtigen, wenn sich der Verurteilte seither straffrei geführt hat (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). Dass der Verurteilte sich nach seinen Angaben in der Türkei keinerlei weitere Straftaten habe zuschulden kommen lassen, ist daher zu seinen Gunsten anzurechnen. Für sich genommen kann allerdings auch dieser Umstand eine Ermessensentscheidung für die Verlängerung der Verjährungsfrist nicht ausschließen, wie sich maßgeblich auch daraus ergibt, dass auch bei einem in Deutschland befindlichen Verurteilten, der zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, der Umstand, dass er keine weitere Straftaten begangen hat, ebenfalls der Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe nicht entgegenstehen würde.
cc) Der Umstand, dass sich der Verurteilte durch das Absetzen ins Ausland gezielt der Vollstreckung entzogen hat, ist dagegen erheblich zu Lasten des Verurteilten zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Zielsetzung des § 79b StGB, flüchtigen Verurteilten die Ausnutzung der Besonderheiten des grenzüberschreitenden Verkehrs zu erschweren, muss es besonders schwer wiegen, wenn der Verurteilte sich allein mit dem Ziel ins Ausland abgesetzt hat, sich der Vollstreckung zu entziehen, und der Wegzug ins Ausland also nicht aus sonstigen Lebensplanungsgründen erfolgte. Entgegen der Auffassung des Verurteilten ist es nicht als ein für die Zwecke des § 79b StGB schützenswertes Recht des Verurteilten anzusehen, sich der Strafvollstreckung durch Emigration ins Ausland zu entziehen. Vorliegend hatte der Verurteilte zunächst um einen Aufschub der Strafvollstreckung für 18 Monate ersucht, weil seine Ehefrau so lange ihren Vorbereitungsdienst als Lehrerin ableisten und er während dieser Zeit die fünfjährige Tochter betreuen müsse. Nach Ablehnung der gnadenweisen Gewährung eines Strafaufschubs nahm der Verurteilte dagegen von dieser ursprünglichen Lebens-planung Abstand und setzte sich umgehend ins Ausland ab und auch seine Familie zog ihm hinterher. Es wäre eine nachhaltige Störung des Rechtsfriedens in Deutschland zu befürchten, wenn in einer derartigen Fallgestaltung das Gericht kein fortbestehendes Strafbedürfnis erkennen und von den ihm eingeräumten Möglichkeiten keinen Gebrauch machen würde, dem Versuch des Verurteilten Grenzen zu setzen, sich durch das bloße Mittel eines Aufenthalts im Ausland für den Zeitraum der Frist der Vollstreckungsverjährung der Vollstreckung der gegen ihn verhängten Strafe zu entziehen.
dd) Zu Lasten des Verurteilten ist auch zu berücksichtigen, dass Bemühungen zur Wiedergutmachung der Tatfolgen von ihm nicht unternommen wurden. Wiedergutmachungszahlungen, gegebenenfalls auch nur teilweise, sind nicht erfolgt und damit hat der Verurteilte auch nicht mit dieser ihm unschwer offenstehenden Möglichkeit einen Anlass gegeben, das Bedürfnis nach Vollstreckung der Freiheitsstrafe zurückstehen zu lassen.
ee) Entgegen der Auffassung des Verurteilten ist auch nicht im Hinblick darauf, dass die Verurteilung wegen einer nicht untypischen Straftat aus dem Bereich der mittelschweren Kriminalität erfolgt sei, so dass die Bedeutung der Tat nicht allzu hoch zu messen sei, von einer Verlängerung der Verjährung abzusehen. Dabei ist zu beachten, dass, soweit die Bedeutung der Tat im Strafmaß zum Ausdruck kommt, dieser Umstand sich bereits in der Länge der Verjährungsfrist widerspiegelt, um deren Verlängerung es im Rahmen des §79b StGB geht. Für die Zwecke der Ermessensentscheidung nach §78b StGB über die Verlängerung der Verjährungsfrist muss sich die Beurteilung der Schwere der Tat maßgeblich anhand eines Vergleichs zu anderen Sanktionen mit einer gleich langen Verjährungsfrist bestimmen, d.h. es ist die Höhe der zu vollstreckenden Freiheitsstrafe in Relation zu anderen Strafen zu betrachten, für die nach § 79 Abs. 3 StGB dieselbe Länge der Verjährungsfrist vorgesehen ist. Die gegen den Verurteilten verhängte Freiheitsstrafe von drei Jahren befindet sich damit genau in der Mitte des Bereichs von Freiheitsstrafen von einem bis zu fünf Jahren, für die nach 879 Abs. 3 Nr. 3 StGB eine zehnjährige Verjährungsfrist vorgesehen ist. Auch im Hinblick auf den durch die Tat verursachten Schaden von 17.000,- als weiteren Aspekt der Bedeutung der Tat ist hier von Kriminalität im mittleren Bereich zu sprechen. Die somit insgesamt mittlere Bedeutung der Tat als solche spricht also weder entscheidend für die Verlängerung der Verjährungsfrist, aber auch nicht dagegen.
ff) Auch der Umstand, dass bereits nahezu der volle Zeitraum der gesetzlichen Verjährungsfrist von zehn Jahren seit Rechtskraft des Urteils abgelaufen ist, spricht entgegen der Auffassung des Verurteilten nicht notwendigerweise gegen eine Verlängerung der Verjährung nach § 79b StGB. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass nach dem Sinn und Zweck des § 79b StGB diese Vorschrift nur dann Bedeutung gewinnen kann, wenn der Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist bevorsteht. Dabei spiegelt die unterschiedlich lange Bemessung von Verjährungsfristen nach § 79 Abs. 3 StGB eine nach unterschiedlichen Strafhöhen differenzierende gesetzgeberische Wertentscheidung wider. Soweit der Zeitablauf als im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 79b StGB zu berücksichtigender Faktor angesehen wird, kann es mithin nicht um den Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist seit Rechtskraft des Urteils gehen, sondern nur um zusätzlichen Zeitablauf zwischen der Tat und der Rechtskraft des Urteils sowie aufgrund zwischenzeitlichen Ruhens der Verjährung nach § 79a StGB. Insoweit liegen im vorliegenden Fall keine Umstände vor, die im Rahmen einer Ermessensentscheidung gegen die Verlängerung der Verjährung zu berücksichtigen wären.
gg) Dass nicht schon früher und nicht erst mit dem Erlass des Europäischen Haftbefehls vom 01.06.2016 Bemühungen unternommen wurden, um des Verurteilten auch außerhalb des Bundesgebietes habhaft zu werden, ist schon deswegen unerheblich, weil schon von Beginn des Aufenthalts des Verurteilten in der Türkei an aufgrund der dortigen Gesetzesbestimmungen eine Auslieferung des Verurteilten nicht zu erreichen war, so dass ein entsprechendes früheres Bemühen auch nicht erfolgversprechend gewesen wäre.
hh) Der Verurteilte beruft sich darauf, dass er nicht aus dem Ausland heraus weiterhin friedensstörend im Inland gewirkt habe, beispielsweise indem er sich über die deutschen Strafvollstreckungsbehörden lustig gemacht oder auch sonst auf seine Tat aufmerksam gemacht hätte. Das Fehlen solcher Umstände steht aber ebenfalls der Entscheidung für eine Verlängerung der Verjährung nicht entgegen. Derartige Faktoren werden zwar in Rechtsprechung und Literatur beispielhaft als mögliche Faktoren genannt, bei denen eine Verlängerung der Verjährungsfrist in Betracht kommt (vgl. OLG Hamm, a.a.O.; LK-Schmid12, §79b StGB Rn. 4). Um notwendige Voraussetzungen einer solchen Verlängerung handelt es sich hierbei aber nicht.
Wie ausgeführt wurde, erfolgt die Verlängerung der Verjährungsfrist aufgrund eines fortbestehenden Bedürfnisses nach Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Ihr liegt also die Zielsetzung zugrunde, den Verurteilten, sollte er sich doch in den Geltungsbereich des StGB oder in ein Gebiet begeben, von dem aus seine Auslieferung erreicht werden kann, der Vollstreckung der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe zu unterwerfen. Dagegen ist die Verlängerung nicht damit zu begründen, dass der Verurteilte für weitere fünf Jahre den Nachteil hinnehmen solle, die Türkei nicht verlassen zu können, weil er nicht sicher sein könne, ob er über Interpol zur Festnahme ausgeschrieben sei. Ein Festhalten in der Türkei oder ein sonstiges Fernhalten aus dem Bundesgebiet ist mit der Entscheidung über die Verlängerung der Verjährung nach § 79b StGB gerade nicht beabsichtigt. Auf diesen Punkt kommt es vorliegend aber nicht an, da die Verlängerungsentscheidung bereits auf die vorstehenden Umstände gestützt wird.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.
Einsender: RA F. Burgsmüller, Bremerhaven
Anmerkung:
Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.
Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".