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Entscheidungen

StPO

Verlesung, Zeugenaussage, Beschlussbegründung, Anforderungen

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 01.03.2017 - 3 RVs 6/17

Leitsatz: Zu den Anforderungen an den Beschluss, mit dem die Verlesung von Zeugenaussagen angeordnet wird.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
BESCHLUSS
III-3 RVs 6/17 521 Js 208/16 StA Wuppertal
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Diebstahls u. a.
hat der 3. Strafsenat durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht pp. und die Richterin am Landgericht am 1. März 2017 auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Wuppertal vom 9. Mai 2016 (27 Ns 92/16) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Wuppertal zurückverwiesen.

Gründe:
Das Amtsgericht Wuppertal hat den Angeklagten wegen Diebstahls und versuchten Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht verworfen. Hiergegen richtet sich die die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten.

Die Revision hat bereits mit der zulässig erhobenen Verfahrensrüge einer Verletzung von § 251 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 und Nr., 2, Abs. 4 StPO (vorläufig) Erfolg und führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils. Auf die ebenfalls erhobene Sachrüge kommt es damit nicht mehr an.

1. Die Strafkammer hat die Verurteilung für beide Taten maßgeblich auf die Aussage der Zeugin pp. gestützt, die sie durch Verlesung der Niederschriften über die polizeiliche Vernehmung der Zeugin sowie über ihre richterliche Vernehmung in, der erstinstanzlichen Hauptverhandlung in die Berufungshauptverhandlung eingeführt hat. Der diesbezügliche Beschluss lautet:
„Die polizeiliche Vernehmung der Zeugin pp. soll gem. § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen werden, weil sie in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann, sich nämlich bis zum Sommer nächsten Jahres in Korea aufhalten wird.

Ihre richterliche Vernehmung in der erstinstanzlichen Verhandlung soll gem. § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO und Abs. 2 Nr. 2 StPO verlesen werden, weil ihrer Vernehmung ihre längere Abwesenheit durch das Studium in Korea entgegensteht und ihr aus dieser Entfernung eine Anreise zur Vernehmung nicht zugemutet werden kann."

2. Dieses Verfahren beanstandet die Revision zu Recht.
a) Die Verlesung der Niederschrift über eine polizeiliche Zeugenvernehmung nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO ist, falls — wie hier — das Einverständnis der Verfahrensbeteiligten fehlt, nur zulässig, wenn der Zeuge verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen unter sorgfältiger Abwägung der Bedeutung der Sache und der Wichtigkeit der Aussage für die Wahrheitsfindung gegen das Interesse an beschleunigter Durchführung des Verfahrens unter Berücksichtigung der Aufklärungspflicht zu entscheiden. Der die Verlesung anordnende Beschluss muss dabei die Tatsachen angeben, die eine Verlesung — als Ausnahme von dem Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 250 StPO — rechtfertigen. Dafür ist grundsätzlich zumindest die Wiedergabe der das Gericht leitenden Erwägungen erforderlich (BGH, NStZ 1984, 375; BGH, NStZ 1993, 144). Allein eine weite Entfernung des Zeugen vom Gerichtsort reicht dabei regelmäßig nicht aus, um von einer Unmöglichkeit der Vernehmung auszugehen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 251 Rn. 9).

Diesen Anforderungen wird der hinsichtlich § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO allein auf den Aufenthalt der Zeugin DOM. in Korea abstellende Beschluss nicht gerecht. Er lässt entgegen § 251 Abs. 4 Satz 2 StPO eine ordnungsgemäße Begründung vermissen, so dass der Senat nicht nachzuprüfen vermag, ob die Strafkammer die Voraussetzungen der Verlesbarkeit zu Recht bejaht hat. Es ist nicht zu erkennen, ob die Strafkammer in ihre Abwägung alle maßgeblichen Umstände eingestellt hat, insbesondere ob sie neben der Bedeutung der Sache und dem Interesse an beschleunigter Durchführung des Verfahrens gegen den in dieser Sache seinerzeit noch inhaftierten Angeklagten auch und gerade berücksichtigt hat, dass die Angaben der Zeugin für die Überzeugungsbildung von ausschlaggebender Bedeutung waren. Ohne die Zeugin wäre die Überführung des leugnenden Angeklagten kaum möglich gewesen. Es kam im besonderen Maße auf ihre Glaubwürdigkeit sowie die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben an, zumal die Zeugin den Angeklagten bei ihrer Vernehmung in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung mit einer Sicherheit von 90 % und im Rahmen der Lichtbildvorlage bei der zeitnahen polizeilichen Vernehmung am Morgen nach dem Tattag gar nur „zu 60 — 70 %" wiedererkannt hatte. Deshalb durfte die Strafkammer nicht leichthin von einem Hinderungsgrund ausgehen. Die Begründung in dem Beschluss der Kammer, die Zeugin könne in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden, weil sie sich bis zum Sommer nächsten Jahres in Korea aufhalten werde, lässt indes nicht einmal erkennen, ob das Landgericht überhaupt Erwägungen angestellt und Bemühungen entfaltet hat, die unmittelbare Vernehmung der im Ausland lebenden Zeugin zu ermöglichen bzw. sie zum Erscheinen in der Hauptverhandlung — ggf. durch Verlegung des Termins auf einen späteren Zeitpunkt während eines etwaigen Heimataufenthaltes der Zeugin oder durch andere Maßnahmen — zu veranlassen. Aufschluss darüber gibt auch die aufgrund der Sachrüge ergänzend heranzuziehende Urteilsurkunde nicht.

b) Die Verlesung der Niederschrift über eine richterliche Vernehmung nach § 251 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO setzt voraus, dass dem Erscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung für eine längere Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen oder dem Zeugen das Erscheinen wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann. Hinderungsgrund ist dabei nicht die Tatsache allein, dass der Zeuge im Ausland wohnt; in diesem Fall muss, soweit angemessen und geboten, erst versucht werden, ihn zum Erscheinen zu veranlassen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O, § 251 Rn. 21). Für die Frage der Zumutbarkeit kommt es nicht ausschließlich auf eine große Entfernung an; dem Zeugen ist es unter Umständen sogar zuzumuten, aus Übersee anzureisen (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 251 Rn. 23, § 223 Rn. 8). Auch im Rahmen der Verlesung nach § 251 Abs. 2 StPO erfordert die dem Tatgericht obliegende Entscheidung eine Abwägung aller oben genannten Umstände (vgl. OLG München, Beschluss vom 18. Januar 2006, 4 St RR 252/05, juris Rn. 15).

Der auf § 251 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO bezogene Teil des Verlesungsbeschlusses, der insoweit allein auf eine längere Abwesenheit der Zeugin D. durch das Studium in Korea und die daraus resultierende Unzumutbarkeit einer Anreise abstellt, lässt hier gleichfalls nicht erkennen, ob die Strafkammer in ihre Abwägung alle maßgeblichen Umstände — vor allem die Wichtigkeit der Angaben der Zeugin für die Wahrheitsfindung — eingestellt und überhaupt versucht hat, die Zeugin zum Erscheinen zu veranlassen. Die nicht näher mit Tatsachen belegte Begründung: der Zeugin sei eine Anreise nicht zuzumuten, verwehrt dem Senat ebenfalls jegliche Überprüfung,

c) Da nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass die Beweiswürdigung des Landgerichts unter dem Eindruck der persönlichen Vernehmung der Zeugin ab-weichend ausgefallen wäre, beruht das Urteil auch auf dem Rechtsfehler.


Einsender: RA M. Rahmlow, Duisburg

Anmerkung:


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