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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Akteneinsicht, Aussage-gegen-Aussage

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Braunschweig, Beschl. v. 22.08.2017 - 3 Qs 74/17

Leitsatz: Zur Bestellung eines Pflichtverteidigers im Fall einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation.


Landgericht Braunschweig
Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.
Verteidiger:
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
hat die 3. kleine Strafkammer des 'Landgerichts in Braunschweig am 22.08.2017 durch die unterzeichnenden Richter beschlossen:

Der Beschluss des Amtsgerichts Goslar vom 27.06.2017 (Az.: 23 Ds 854 38760/16) wird aufgehoben.

Der Angeklagten wird Rechtsanwalt Jan- Robert Funck, Braunschweig, für das Verfahren beim Amtsgericht Goslar (Az.: 23 Ds 854 Js 38760116) als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die darin entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

Mit Anklageschrift vom 21.03.2017 wird der Angeklagten vorgeworfen, als Heranwachsende zwischen Ende 2015 und dem 19.04.2016 durch 20 Straftaten mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel getrieben zu haben, indem sie in mindestens 20 Fällen Jeweils 1 Gramm Marihuana an den gesondert Verfolgten pp. verkauft und übergeben habe.

Das der Anklageschrift zu Grunde liegende Verfahren war zunächst mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden. Der Tatverdacht hatte sich vorrangig auf Erkenntnisse aus einer Handyauswertung bei dem gesondert verfolgten pp. gestütz, wonach dieser von einer „Jass" und einem „Jonas“ Drogen erworben habe. Nachdem eine bei der Angeklagten durchgeführte Hausdurchsuchung ohne Ergebnis geblieben war und sowohl die Angeklagte als auch der weitere gesondert verfolgte pp. bestritten hatten, mit Betäubungsmitteln zu handeln, erfolgte zunächst die Einstellung. nach § 170 Abs. 2 StPO durch die Staatsanwaltschaft. Dies geschah auch vor dem Hintergrund, dass die Angeklagte in Rahmen ihrer Vernehmung als Beschuldigte geäußert hatte, dass sie sich in der Schule gemobbt fühle. Sie habe von Klassenkameraden erfahren, dass diesen durch den gesondert verfolgten pp. geraten worden sei, bei „Stress" mit der Angeklagten zu erzählen, dass es sich bei der Angeklagten um die größte Drogendealerin in Harzburg handele. Vor diesem Hintergrund erschien die Aussage des Zeugen pp. als nicht hinreichend glaubhaft, um den Talnachweis zu führen.

Unter dem 25.01.2017 fand vor dem Amtsgericht Goslar gegen die Angeklagte ein Hauptverhandlungstermin in anderer Sache vor der nun auch in der vorliegenden Sache zuständigen Jugendrichterin statt. Im Rahmen dieses Hauptverhandlungstermins wurde der gesondert verfolgte pp. erneut als Zeuge gehört. Der Zeuge pp. führte im Rahmen seiner Vernehmung aus, von der Angeklagten häufiger, mindestens 20 Mal, Marihuana gekauft zu haben. Dabei habe er jeweils für 1 Gramm Marihuana 10,00 € bezahlt. Das Verfahren wurde aufgrund der Angaben des Zeugen pp. im Hauptverhandlungstermin wieder aufgenommen und weitere Ermittlungen angestellt. Die im Rahmen dieser Ermittlungen vernommenen weiteren Zeugen konnten keine eigenen Wahrnehmungen dazu schildern, ob die Angeklagte mit Drogen handele oder nicht, äußerten allerdings entsprechende Vermutungen bzw. bestätigten, „gerüchteweise“ gehört zu haben, dass die Angeklagte mit Betäubungsmitteln handele.

Mit Beschluss vom 06.04.2017 ist die auf diesem Sachverhalt basierende Anklage der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 21.03.21217 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet worden, Mit Schriftsatz vom 29.05.2017 legitimierte sich Herr Rechtsanwalt Funck, Braunschweig, für die Angeklagte und beantragte, dieser als Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO beigeordnet zu werden. Mit Beschluss vom 27.06.2017 lehnte das Amtsgericht Goslar Jugendrichterin — die Verteidigerbestellung ab und führte aus, dass die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StGB nicht gegeben seien.

Gegen diesen Beschluss legte der Verteidiger der Angeklagten für diese unter dem 12.07.2017 Beschwerde ein und führte aus, dass aufgrund der Schwierigkeit der Sachlage ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliege. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen zur Beschwerdebegründung wird auf den Schriftsatz des Verteidigers vorn 12.07.2017, BI. 1251. d.A. Bezug genommen.

II.
Die Beschwerde der Angeklagten ist zulässig und begründet, denn der Angeklagten ist ein Pflichtverteidiger zu bestellen.

Die Notwendigkeit der Verteidigung folgt aus der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage. Die Angeklagte bestreitet die ihr zur Last gelegte Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Der Ausgang der Hauptverhandlung hängt allein davon ab, ob das erkennende Gericht der Aussage des Belastungszeugen pp. folgt.

Zwar erfordert nicht jede Aussage-gegen-Aussage-Konstellation die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Kann jedoch aus weiteren Indizien allein nicht hinreichend sicher auf die Richtigkeit der Angaben des einzigen Belastungszeugen geschlossen werden und ist deshalb eine besondere Glaubwürdigkeitsprüfung erforderlich und kommen weitere die Beweiswürdigung zusätzlich erschwerende Umstände hinzu, so kann eine sachgerechte Verteidigung, insbesondere das Aufzeigen von eventuellen Widersprüchen in den Angaben der jeweiligen Belastungszeugen, nur durch Kenntnis des gesamten Akteninhaltes gewährleistet werden. Dieser ist aber - auch nach der Neufassung des § 147 StPO - nur dem Verteidiger zugänglich, sodass in diesem Falle die Bestellung des Pflichtverteidigers unumgänglich ist (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vorn 31.03.2009 - 3 Ws 271/09 m.w.N.).

So liegt die Sache hier. Vorliegend handelt es sich um eine belastende Aussage aus dem BtM-Milieu. Weitere belastende Beweismittel sind nicht vorhanden, Die Hausdurchsuchung ist ohne Ergebnis geblieben. Die weiteren Zeugen können keine eigenen Wahrnehmungen schildern. Ohne vollständige Aktenkenntnis ist die sachgerechte Verteidigung für die heranwachsende Angeklagte nicht hinreichend möglich, da nur durch vollständige Aktenkenntnis die Möglichkeit besteht, eventuelle Widersprüche in der Aussage des einzigen Belastungszeugen zu erkennen und auf diese im Verteidigungsverhalten zu reagieren. Hinzu kommt die prozessuale Sondersituation, dass die in hiesiger Sache zuständige Jugendrichterin zugleich als Zeugin für die richterlichen Angaben des Hauptbelastungszeugen in der Hauptverhandlung in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO in entsprechender Anwendung.


Einsender: RA J. R. Funck, Braunschweig

Anmerkung:


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