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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Straßenverkehrsgefährdung, Rücksichtslosigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Stuttgart, Beschl. v. 08.08.2017 - 3 RV 25 Ss 606/17

Leitsatz: Eine Rücksichtslosigkeit beim Überholverstoß nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 b StGB liegt nicht vor, wenn der Angeklagte aufgrund eines Augenblickversagens fälschlich von einem Streckenverlauf ausgegangen, der ein gefahrloses Über-holen ermöglicht hätte.


Oberlandesgericht Stuttgart
3. STRAFSENAT
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen Straßenverkehrsgefährdung
Hier: Revision hat das Oberlandesgericht Stuttgart - 3. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am
08.08.2017 gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

1 . Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Bad Saulgau vom 21. März 2017 — 2 Cs 27 Js 22772/16 - mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bad Saulgau zurückverwiesen.

Gründe:

I.
Das Amtsgericht Bad Saulgau hat den Angeklagten am 21. März 2017 wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen å 15,00 € verurteilt, dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und angeordnet, dass dem Angeklagten vor Ablauf von 7 Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf.
Zur Tat hat das Amtsgericht dabei folgendes festgestellt:
Der Angeklagte befuhr am 02.11.2016 gegen 17:45 Uhr mit seinem Pkw BMW IC, amtliches Kennzeichen ppp. auf der K8274 von Haid/Heratskirch kommend in Richtung Hüttenreute. Es herrschte Dämmerung. Die Lichtverhältnisse geboten das Fahren mit Licht. Dem Angeklagten war die Strecke gut bekannt, da er diese eine Zeit lang häufig befuhr, um eine Freundin zu besuchen. Kurz von der Kreisgrenze nach Passieren einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h - schloss der Angeklagte auf den in die gleiche Fahrtrichtung mit etwa 90 km/h fahrenden Pkw Renault Capture, amtliches Kennzeichen pp., des pp. auf. Der Angeklagte entschloss sich das Fahrzeug des Zeugen pp. ohne weiteres Abbremsen zu Überholen. Hierbei machte er sich über die gegebenen Örtlichkeiten sowie über etwaigen Gegenverkehr keine besonderen Gedanken. Nach seiner unwiderlegbaren Einfassung wähnte er sich auf einer langen Geraden. Tatsächlich handelt es sich um ein in Fahrtrichtung des Angeklagten in einer leichten Rechtskurve verlaufendes Stück Straße, welches wieder in eine unübersichtliche Linkskurve übergeht. Die einsehbare Strecke beträgt etwa 300 Meter. Der Ange klagte hätte bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit und Anspannung ohne weiteres erkennen können, dass - als er zum Überholen ansetzte - ein gefahrloses Überholen unter Berücksichtigung eines etwaigen Gegenverkehrs nicht möglich ist. Dies gilt umso mehr, als ihm die Örtlichkeiten gut bekannt waren
Als der Angeklagte auf den Pkw des Zeugen pp. aufgeschlossen hatte, zog er sein Fahrzeug ohne weiteres Abbremsen nach links, um den Überholvorgang auszuführen. In diesem Moment näherte sich mit einer Geschwindigkeit von ca. 90 km/h aus der Gegenrichtung der angesichts der Lichtverhältnisse mit Licht fahrende Pkw Lenker pp. mit seinem VW Polo mit dem amtlichen Kennzeichen pp..

Der Zeuge pp. realisierte die Gefährlichkeit des Vorganges und wich deshalb mit seinem Pkw soweit wie möglich nach rechts aus. Der [dem Angeklagten entgegen kommende] Zeuge pp.. . erkannte... den Überholvorgang des Angeklagten und die Gefährlichkeit der Situation. Er erkannte zudem, dass er wegen einer [aus seiner Sicht] steilen, rechtsseitigen Böschung nicht nach rechts ins Feld ausweichen konnte. Allerdings sah er die Möglichkeit, an dem Pkw des Angeklagten - in Fahrtrichtung des Zeugen pp. gesehen - links vorbeizufahren, da zwischen dem PKW pp. und dem Angeklagten eine ausreichende Lücke war, da sich der Angeklagte immer noch hinter dem PKW pp. [aber auf der Gegenfahrbahn] befand. Auch der Angeklagte versuchte noch rechts in Richtung der Böschung [wobei wohl auf die
Perspektive des Zeugen pp. abgestellt wird] auszuweichen. Trotzdem kam es - etwa 1,20 Meter vom linken Fahrbahnrand in Fahrtrichtung des Angeklagten gesehen - zur Kollision der Fahrzeuge des Angeklagten und des Zeugen pp., jeweils auf deren Beifahrerseite. [wodurch beide Fahrzeuge erheblich beschädigt wurden und der Angeklagte leicht und der Zeuge pp. so erheblich verletzt wurde, dass er zwei Tage stationär im Krankenhaus behandelt werden musste].

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger binnen der Wochenfrist des § 341 Abs. 1 StPO „Rechtsmittel" eingelegt und dieses binnen der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO als Revision begründet (vgl. Schriftsatz vom 6. April
2017). Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und führt dies näher aus.

Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart hat in ihrer Antragsschrift vom 21. Juli 2017 beantragt, die Revision des Angeklagten gem. § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.
Das nach §§ 335 Abs. 1, 341 Abs. 1, 344, 345 Abs. 1 StPO zulässige Rechtsmittel der Sprungrevision hat (vorläufigen) Erfolg. Das Urteil hält der durch die Sachrüge veranlassten Überprüfung nicht stand. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen eine Verurteilung wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung gem. § 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 2 StGB nicht, da sich den Feststellungen des Amtsgerichts nicht entnehmen lässt, dass der Angeklagte rücksichtslos gehandelt hat im Sinn von § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB.

Das Amtsgericht hat seinen Feststellungen zur Sache zugrunde gelegt, dass sich der Angeklagte auf einer langen Geraden wähnte, somit bei Einleitung des Überholvorgangs subjektiv die Fehlvorstellung gehabt habe, er befinde sich auf einer geraden Strecke. Diese Feststellung steht vorliegend der Annahme von Rücksichtslosigkeit, auch in Gestalt eines unbewusst fahrlässigen Verhaltens, entgegen.

1. Rücksichtslos handelt — bei vorsätzlicher und bewusst fahrlässiger Begehungsweise - wer sich im gegebenen Fall seiner Pflichten im Straßenverkehr bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen, etwa seines ungehinderten Fortkommens wegen, über seine Pflicht hinwegsetzt, mag er auch darauf vertraut haben, dass es zu einer Beeinträchtigung anderer Verkehrsteilnehmer nicht kommen werde.

Rücksichtslos handelt ferner — bei fahrlässig unbewusster Begehungsweise - wer sich aus Gleichgültigkeit auf seine Pflichten nicht besinnt, Hemmungen gegen seine Fahrweise gar nicht erst aufkommen lässt und unbekümmert um die Folgen seines Verhaltens darauf losfährt (BGH, Urt. v. 13.03.1959 -4 StR 30/59, VRS 16, 354ff, 356; OLG Oldenburg, Urt. v.
15.10.1959 - 2 Ss 364/59, VRS 18, 444, 445 MüKoStGB/Pegel, 2. Aufl. 2014, § 315c Rn 82; Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 315c Rn. 14).

2. Ob der Angeklagte rücksichtslos gehandelt hat, ist unter besonderer Berücksichtigung des äußeren Tatgeschehens zu beurteilen (vgl. LK-König, StGB 12. Aufl. 2008, § 315c Rn. 141; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Hecker, StGB, 29. Aufl. 2014, § 315c Rn. 28).

a) Dabei kann aus einem gefährlichen Verstoß gegen Straßenverkehrspflichten auch auf Rücksichtslosigkeit geschlossen werden, wenn dem Täter nicht nur die die Gefährlichkeit begründenden Umstände bekannt, sondern ihm auch die Gefährlichkeit der Situation bewusst gewesen war (vgl. dazu BayObLG, Urt. v. 5.1 1.1982 - RReg. 1 St 311/28, VRS 64, 123, 124f).

b) Ein solcher Rückschluss auf ein rücksichtsloses Verhalten des Angeklagte ist vorliegend aufgrund dessen - vom Amtsgericht festgestellten - Fehlvorstellung über den tatsächlichen Streckenverlauf nicht möglich. Dieser hatte sich subjektiv Umstände vorgestellt - eine gerade Strecke, die ein Überholen gefahrlos zugelassen hätten. Dass dieser Irrtum für ihn wohl ohne weiteres vermeidbar gewesen wäre, weil er die Strecke aufgrund früherer Fahrten gut
3 Rv 25 Ss 606/17 gekannt hatte, ändert nichts daran, dass ihm die konkreten Verkehrsumstände und die Gefährlichkeit seines Fahrmanövers nicht bewusst gewesen waren.

3. Diese Fehlvorstellung des Angeklagten stellt ein sogenanntes Augenblicksversagen dar (vgl. LK-König, StGB 12. Aufl. 2008, § 315c Rn. 145 m. w. N.), wie es - vermeidbar -jedem Verkehrsteilnehmer unterlaufen kann. Der Gesetzgeber hat die Strafbarkeit in § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht nur objektiv mit dem Kriterium „grob verkehrswidrig", sondern auch subjektiv mit dem Tatbestandsmerkmal „rücksichtslos" auf solche Verkehrsverstöße eingegrenzt, die sowohl objektiv als auch subjektiv aus der Masse der im Straßenverkehr begangenen Zuwiderhandlungen herausragen (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Hecker, StGB, 29. Aufl. 2014, § 315c Rn. 28; LK-König, StGB, 12. Aufl. 2008, § 315b Rn. 131). Das Merkmal der Rücksichtslosigkeit verlangt eine üble Verkehrsgesinnung, eine geradezu unverständliche Nachlässigkeit (vgl. OLG Braunschweig, Urt. v. 20.08.1965 - Ss 119/65, VRS 30, 286, 288). Eine lediglich auf menschlichem Versagen beruhende falsche Beurteilung der Verkehrslage - wie sie vorliegend das Amtsgericht festgestellt hat - genügt hingegen nicht (vgl. OLG Braunschweig a. a. O. BGH, Urt. v. 13.03.1959 - 4 StR 30/59, VRS 16, 354ff, 357).

4. Auch den weiteren Feststellungen lässt sich - unter Berücksichtigung dieser Fehlvorstellung - kein rücksichtloses Verhalten im Sinn von § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB entnehmen.

a) Dass der Angeklagte sich - nach den Feststellungen des Amtsgerichts - entschlossen hat ohne weiteres Abbremsen zu überholen, kann bereits deshalb kein Indiz für ein rücksichtsloses Verhalten sein, da ein derartiges beabsichtigtes Fahrmanöver auf Basis der subjektiven Vorstellung des Angeklagten, sich auf einer geraden Strecke zu befinden, bereits nicht verkehrswidrig ist - abgesehen von der mitverwirklichten Geschwindigkeitsüberschreitung.

b) Dass der Angeklagte bei diesem Fahrmanöver die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h in erheblicher Weise überschritten hat, stellt zwar einen Verkehrsverstoß gegen § 41 Abs. 1 StVO i. V. m. Zeichen 274 Anlage 2 zur StVO dar, lässt aber nicht erkennen, dass dieser Verstoß Ausdruck einer Gleichgültigkeit des Angeklagten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern gewesen und damit rücksichtslos gewesen war.

c) Soweit das Amtsgericht ausführt, der Angeklagte hätte bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit und Anspannung ohne weiteres erkennen können, dass ein gefahrloses Überholen nicht möglich gewesen war, lässt dies keinen Schluss auf ein rücksichtsloses Verhalten zu. Denn dass die Fehlvorstellung für den Angeklagten vermeidbar gewesen wäre, steht einem Augenblicksversagen nicht entgegen (siehe oben 2. b.).

d) Dass das Amtsgericht eine Gedankenlosigkeit des Angeklagten feststellt, möglicherweise, weil es - wie unter IV. seiner Gründe dargelegt - nicht nachvollziehen kann, wieso der Angeklagte zu seiner Fehlvorstellung über den Verlauf der ihm aus der Vergangenheit gut bekannten Strecke gekommen ist, reicht dies auch zusammen mit der Vermeidbarkeit der Fehlvorstellung und der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht aus, ein - unbewusst fahrlässiges - rücksichtsloses Verhalten des Angeklagten festzustellen. Denn hierzu hätte der Angeklagte nicht nur aus Gedankenlosigkeit sondern aus Gleichgültigkeit sich um die mögliche Verletzung der ihm obliegenden Verkehrspflichten keine Gedanken gemacht haben müssen (vgl. u. a. BGH, Urt. v. 13.03.1959 -4 StR 30/59, VRS 16, 354ff, 356). zu einem gleichgültigen Verhalten des Angeklagten lässt sich den Feststellungen des Amtsgerichts unter Beachtung der Fehlvorstellung des Angeklagten - aber nichts entnehmen.

Auf die Revision des Angeklagten ist das Urteil daher insgesamt aufzuheben (SS 331 , 337, 349 Abs. 4, 353 Abs. 1 StPO) und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bad Saulgau zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO). Zwar tragen die Feststellungen des Amtsgerichts für sich betrachtet die Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung, doch steht diese zum Vorwurf der fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit, so dass sich die Aufhebung auch auf die Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung und die ihr zugrunde liegenden Feststellungen zu erstrecken hat (vgl. BGH, Beschl. v. 13.09.2011 — 3 StR 231/11, BGHSt 57, 14 -24, juris Rz. 25 m. w. N.; Meyer-Goßner, StPO, 60. Aufl. 2017, § 353 Rn. 7a). Eine eigene Sachentscheidung durch den Senat scheidet bereits aufgrund des neu vorzunehmenden Rechtsfolgenausspruches aus.


Einsender: RA S. Kabus, Bad Saulgau

Anmerkung:


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