Gericht / Entscheidungsdatum: LG Mühlhausen, Beschl. v. 01.12.2017 - 3 Qs 205/17
Leitsatz: Zur nachträglichen Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach Einstellung des Verfahrens gem. § 154 Abs. 2 StPO.
Landgericht Mühlhausen
3 Qs 205/17
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp-
Verteidiger:
wegen besonders schweren Diebstahls
hat die 3. Strafkammer des Landgerichts Mühlhausen durch die unterzeichnenden Richter am 01.12.2017
beschlossen:
Der Beschluss des Amtsgerichts Nordhausen von 24 Oktober 2017 wird insoweit aufgehoben, als darin der Antrag auf Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger des Angeschuldigten pp. abgelehnt wird.
Rechtsanwalt pp. wird dem Beschuldigten pp. für das unter dem obigen Aktenzeichen geführte Strafverfahren zum Verteidiger bestellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Beschwerdeführer insoweit entstan-denen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe:
Gegen den Beschwerdeführer wurde ein Strafverfahren wegen besonders schweren Diebstahls geführt. Die Staatsanwaltschaft erhob am 06.06.2017 vor dem Amtsgericht Nordhausen Strafrichter Anklage. Unter den Personalien des Angeschuldigter wird als Wohnanschrift pp. angefüh rt
Unter dem 07.08.2017 meldete sich Rechtsanwalt pp., als Verteidiger und beantragte unter anderem, dem Angeschuldigten als notwendiger Verteidiger beigeordnet zu werden. Er bezog sich hierbei ausdrücklich auf § 140 Abs. 1 Ziffer 5 StPO.
Dieser Antrag wurde in der Folge aus Gründen, die den Akten nicht zu entnehmen sind, nicht beschieden.
Mit Verfügung vom 31. August 2017 wies die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass der Ange-schuldigt pp. ausweislich der vorliegenden VG 10 noch bis zum2018 Strafhaft verbüßen werde und daher die Voraussetzung des § 140 Abs. 1 Ziffer 5 StPO gegeben seien. Allerdings hat die Staatsanwaltschaft den falschen Verteidiger angeführt, und zwar pp.
Gleichwohl kam das Amtsgericht wiederum nicht auf den Beiordnungsantrag von Rechtsan-walt pp. zurück.
Das Amtsgericht zog sodann eine Ausfertigung des Urteils der Ersten Großen Strafkam-mer des Landgerichts pp. betreffend den Angeschuldigten pp. bei. Auch aus diesem Urteil ergibt sich, dass sich der Angeschuldigte zum Zeitpunkt der Beantragung der Pflichtverteidigerbeiordnung in Haft befand.
Mit Schriftsatz vom 18. September 2017 erinnerte Rechtsanwalt pp. nochmals an die Erledigung seines Beiordnungsantrages.
Aufgrund der durch das vorgenannte Urteil des Landgerichts pp. gegen den Beschwerdeführer verhängten Sanktionen regte das Amtsgericht bei der Staatsanwaltschaft Mühlhausen eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO an. Die Staatsan-waltschaft stimmte dem zu. Es erging infolgedessen am 24.10.2017 ein Beschluss über die vorläufige Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO.
In diesem Beschluss wurde zugleich der Antrag auf Beiordnung des Rechtsanwalts pp. abgelehnt, da "nunmehr weder die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO noch die des § 140 Abs. 2 StPO" vorlägen.
Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 01.11.2017 mit der Beschwerde.
Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen.
Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen. Sie bezieht sich auf eine Entscheidung des Landgerichts Potsdam, derzufolge von dem ansonsten geltenden Grundsatz, dass eine nachträgliche und mit Rückwirkung versehene Pflichtverteidigerbe-stellung unzulässig sei, dann abgewichen werden könne, wenn das Amtsgericht den recht-zeitig beantragten Beiordnungsbeschluss nicht zeitnah bescheide und aus nicht nachvollzie-hen Gründen über Monate hinweg von der Entscheidung absehe. Diese Voraussetzungen sieht die Staatsanwaltschaft nicht als gegeben an, da die Nichtbearbeitung dem Amtsgericht hier nicht vorgeworfen werden könne.
Das Rechtsmittel ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Die Kammer ist im Ansatz mit der Staatsanwaltschaft Mühlhausen der Auffassung, dass die von der herrschenden Lehre angenommene Unzulässigkeit einer rückwirkenden Pflichtverteidigerbestellung nicht ausnahmslos gelten darf. Der Gesetzgeber sieht gegen die Versagung einer Beiordnung ein Rechtsmittel vor. Die dem Beschuldigten hierdurch kraft Ge-setzes gewährte Überprüfungsmöglichkeit darf ihm nicht dadurch entzogen werden, dass das Gericht schlicht untätig bleibt. Entscheidend für eine Ausnahme ist demnach, dass der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig gestellt wurde und die Frage einer Beiordnung entscheidungsreif war. Ob dagegen - wie die Staatsanwaltschaft unter Bezugnahme auf LG Potsdam ausführt die Gründe, warum das Amtsgericht den Antrag nicht beschieden hat, nachvollziehbar sind oder nicht, ist aus Sicht der Kammer ohne Bedeutung. Hierbei handelt es sich um Umstände, die dem Einfluss der Verteidigung vollständig entzogen sind und aus denen daher auch kein Nachteil erwachsen kann.
Die Anwendung dieser Grundsätze führt vorliegend zur Aufhebung des Ablehnungsbe-schlusses. Der Antrag auf Beiordnung war rechtzeitig angebracht und auch entscheidungsreif. Der Verteidiger hat ausdrücklich § 140 Abs. 1 Ziffer 5 StPO genannt. Dem Amtsgericht war aus der Anklageschrift bekannt, dass ein Aufenthalt in pp. vorlag. Es hätte daher ohne Weiteres und sofort prüfen können, ob dieser auf einer behördlichen Unterbringung beruhte und bereits die im Gesetz geforderten drei Monate andauerte. Da dies, wie sich aus den Gründen des Urteils des Landgerichts Magdeburg ergibt, der Fall war, hätte der Beiordnungsantrag bereits zu diesem Zeitpunkt positiv beschieden werden müssen.
Vorsorglich weist die Kammer für andere Fälle darauf hin, dass es auch ohne Inhaftierung des Angeklagten nicht zulässig ist, den weiteren Verlauf des Verfahrens abzuwarten und erst am Ende für den Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Beiordnung (noch) vorliegen (letzter Absatz des angefochtenen Beschlusses: "da nunmehr weder die Voraussetzungen ...", Hervorhebung durch die Kammer). Ausschlaggebend ist stets der Zeitpunkt der Antragstellung.
Gemäß § 309 Abs. 2 StPO hat das Beschwerdegericht im Falle einer begründeten Be-schwerde zugleich die in der Sache erforderliche Entscheidung zu erlassen. Aus diesem Grund war die beantragte Pflichtverteidigerbestellung durch die Beschwerdekammer vorzunehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des §§ 467 Abs. 1 StPO.
Einsender: RA E. Schmidt, Magdeburg
Anmerkung:
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