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Entscheidungen

Haftfragen

Einbringung, Buch, Aushändigung, Strafgefangener

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 17.11.2017 - 2 Ws 99/17 Vollz –

Leitsatz: Das Buch "Wege durch den Knast“ gefährdet die Sicherheit und Ordnung der Anstalt. Die Zustimmung zu dessen Einbringung kann die Anstalt verweigern.


KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
2 Ws 99/17 Vollz

In der Strafvollzugssache
des Strafgefangenen

wegen Einbringung eines Buches u.a.

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 17. November 2017 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 18. Mai 2017 wird auf seine Kosten verworfen.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin wird zurückgewiesen.


Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer verbüßt seit dem 10. Januar 2013 eine lebenslange Freiheitsstrafe. Mit Beschluss vom 18. Mai 2017 hat das Landgericht Berlin – Strafvollstreckungskammer – seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung abgelehnt, die Anstaltsleitung der Justizvollzugsanstalt Tegel zu verpflichten, dem Beschwerdeführer die Bestellung und Einbringung des Buches „Wege durch den Knast“ zu gestatten und ihm das Buch auszuhändigen.

Die Strafvollstreckungskammer hat zum Inhalt des im Jahr 2017 in der zweiten Auflage erschienenen, insgesamt 687 Seiten umfassenden Buches „Wege durch den Knast, Alltag – Krankheit – Rechtsstreit“ festgestellt, dass das als Autoren ein „Redaktionskollektiv“ benennende Werk 26 Kapitel enthalte, wie „1. Die Festnahme“, „4. Einsamkeit und Isolation“, „5. Die Bediensteten“, „8. Sicherheit, Ordnung und Disziplin“, „13. Wie mensch im Knast gesund bleiben kann“, „14. Drogen“, „18. Die Gefängnismedizin“ und „21. Was mensch im Rechtsstreit mit der Justiz beachten muss“.

Bereits im Vorwort (S. 6, 7) würden Formulierungen verwendet, wie „Wenn wir von Kämpfen sprechen beziehen wir uns auf globale Kämpfe, die im Kern alle ähnliche Vorstellungen und Ideen teilen, die Vorstellung einer befreiten emanzipatorischen Gesellschaft.“, „Wir erkennen uns wieder in den Kämpfen gegen Knast und den gefängnisindustriellen Komplex...“, „Gemeinsam schaffen wir es, unsere eigene Isoliertheit zu durchbrechen und erkennen überall auf der Welt Mitstreiter*innen für eine Welt ohne Unterdrückung und Knäste.“ und „Lasst Euch durch den Knast nicht kaputt machen!“.

Der Einleitung (S. 14) sei zu entnehmen, dass das Buch ermöglichen soll, „immer wieder aus dem rechtlosen Objektstatus der Gefangenen des Staates auszubrechen und handlungsfähig zu werden“.

Die eingehende Lektüre des Buches ergäbe, dass dieses nicht lediglich in einer vollzugskritischen Weise (rechtliche) Informationen vermittele, sondern dass es vielmehr erhebliche vollzugsfeindliche Tendenzen beinhalte, die geeignet seien, eine Oppositionshaltung bei Gefangenen herbeizuführen. Eine Vielzahl von Textstellen, die sich durch die Kapitel des Buches hindurch ziehe, belege diese Haltung:

Noch in der Einleitung gehe es darum, die „Knastleitungen“ unter Druck zu setzen, da weitere Rechte viel eher erkämpft werden könnten als „in Kämpfen Einzelner" (S. 15). Die Föderalismusreform werde in diesem Zusammenhang allein damit begründet, dass „die Bundesländer sich überlegt hatten, auf dem Rücken der Gefangenen mehr Geld einzusparen" (S. 16).

Dem ersten Kapitel, welches sich mit der Festnahme befasst, seien unter anderem Formulierungen zu entnehmen wie: „Diese Schmähung dient vor allem dazu, der äußerlich Überwältigten auch noch die innere Widerstandskraft zu nehmen. Für den inneren Widerstand, die persönliche Würde und Selbstachtung soll es keine Ausdrucksmöglichkeiten mehr geben. Häufig wird mit Verhafteten durch Ausdruck sozialer Verachtung gegenüber der Unterklasse, aus der sie meistens kommen, verfahren. Oder auch mit einem politischen Hass gegen diejenige, die das System bekämpft, das auf solche Beamtinnenexistenzen angewiesen ist.“ (S. 27, 28), „Du bist als Mensch nichts mehr, du bist nur noch ein verachteter Typus, ein Schädling, ein überflüssiges, niederes Wesen“ (S. 28) und „Sie versuchen, dich kleinzukriegen“ (S. 28).

Das folgende Kapitel enthalte Ratschläge für das Verhalten nach der polizeilichen Festnahme, die eine deutliche passive und destruktive Oppositionshaltung zum Ausdruck brächten und geeignet seien, den staatlichen Strafanspruch zu unterlaufen, wie beispielsweise: „Die Vernehmungssituation beginnt nicht erst im Vernehmungszimmer - sie ist immer da, wenn dir eine Beamtin gegenübersitzt: im Streifenwagen, im Flur des Polizeireviers, überall" (S. 27).

Das zweite Kapitel, welches die Einlieferung in die Haft behandelt, beinhalte „Ratschläge“ zum Verhalten im Rahmen der Aufnahmeformalitäten auf der Vollzugsgeschäftsstelle. Im Zusammenhang mit dem Ausfüllen des Kennzeichnungsbogens werde unter anderem mitgeteilt: „Sie versuchen, an dir rumzumessen, Fotos und Fingerabdrücke aufzunehmen. Ob es sich vermeiden lässt, hängt von dem Eifer der Beamtinnen ab. Versuche es.“ (S. 37). Zur Behandlungsuntersuchung heiße es (S. 40): „Meistens werden sie nur so tun als ob und die Sache schnell und oberflächlich durchziehen.“ und (S. 41) „Es besteht immer die Gefahr, dass sie das, was sie über dich wissen, gegen dich ausspielen“.

Im Kapitel 3, welches sich mit „Gefangenen unter sich“ befasst, würden insbesondere verbotene Methoden zum Austausch (kommunikativer und auch gegenständlicher Art) zwischen den Gefangenen dargestellt (S. 61 bis 63). Es werde der Strafgefangene hier angeleitet, Wege inoffizieller Kommunikation zu verwenden, um den Vollzug systematisch zu unterlaufen.

Auch in diesem Kapitel werde die Einstellung der Verfasser deutlich, dass eine Gestaltung des Vollzuges nicht in Zusammenarbeit mit den Vollzugsmitarbeitern erfolge, sondern dass diese nicht an der Arbeit mit den Gefangenen interessiert wären: „Außerdem ist die Freude unbeschreiblich, wenn man sieht, dass die Beamtin sich ärgert, … und sie sich deshalb bewegen muss.“ (S. 65). In diesem Kapitel werde weiterhin dargelegt, wie man – auch unter Angabe unrichtiger Tatsachen – eine Verlegung in einen anderen Haftraum durchsetzen könne (S. 67).

Hinsichtlich der Gefangenenmitverwaltung äußerten die Autoren: „so erscheint es den Gefangenen, als hätten sie etwas gewählt, was sie gegen die Verwaltung vertritt“ (Seite 76), es „kommen die Gefangenen nicht anders zu Wort außer als Karikatur der offiziellen Ordnung; als patriarchale, bigotte Antreiber, als „Blockälteste“ oder Kapo oder als der seifenglatte Typus einer heutigen „Interessenvertreterin“, deren Interessen man wohl weiß, aber nicht welche sie vertritt. …. Die äußeren Veränderungen sind minimal […]. Diesen falschen Schein über alles auszubreiten, ist eine der hauptsächlichen Funktionen der Mitverwaltung.“ (S. 77).
Auch die Darstellung, die Gefangenen würden „durch ihre Lage gezwungen“, „für etwas zu kämpfen“ und würden dafür alles ergreifen, was sich „als Hilfsmittel“ und „als Waffe“ eigne (S. 77) sei diesem Kapitel ebenso zu entnehmen, wie Hinweise zu „Literatur im Untergrund des Knastes“ - also Wege zur verdeckten Weitergabe von Schriftstücken verbotenen Inhalts (S. 78).

Auf Seite 137 im Abschnitt “Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen“ sei zu lesen: „Neben den „regulären“ Bestrafungen gibt es im Knast Bestrafungen, die als „Sicherheitsmaßnahmen“ - sogar als Sicherung für dich selbst - und als „Zwangsmittel“ bezeichnet werden. Dazu kann es zu im Gesetz nicht vorgesehenen Übergriffen einzelner Beamtinnen kommen, von denen immer wieder berichtet wird. Für die Beamtinnen hat diese Art von Bestrafungen den Vorteil, dass die Bestrafungen auf der Stelle vollstreckt werden können und somit das umständliche Hausstrafenverfahren erspart bleibt“. Im gleichen Abschnitt ist dem Buch auf Seite 141 Folgendes zu entnehmen: „Wer von den Grünen drangsaliert wird, hat theoretisch ein Recht, sich zu wehren - so wie sie sich überhaupt wehren kann. Juristinnen nennen das ‚Notwehr‘. Sollte eine Gefangene allerdings tatsächlich zurückschlagen, weiß sie, dass sie in einer körperlichen Auseinandersetzung sowie in dem folgenden juristischen Verfahren den Kürzeren ziehen wird“.

Die vollzugsfeindliche Haltung setze sich auch in den weiteren Kapiteln fort, wenn hinsichtlich der Arbeit im Vollzug von „Arbeitshetze“, „gegenseitig totarbeiten“ und „Pensumgeier“ die Rede sei (S. 154) und dazu aufgerufen werde, „ganz langsam“ zu arbeiten oder „schlechte Qualität zu produzieren“ (S. 154).

Es würden Inhaftierte und Untergebrachte als „Opfer“ des deutschen Strafrechts bezeichnet (S. 200), ein „gut abgesprochener Hungerstreik“ wird als probates Mittel zur Zielverfolgung dargestellt (S. 204) und die Zusammenarbeit mit dem Vollzug wird mit den Worten „wer auf die gut riechende gelbe Karotte, die einem die Justiz vor die Nase hält, auch nach soundso vielen Jahren Strafvollzug immer noch hereinfällt, dem ist nicht wirklich zu helfen“ (S. 205) abgelehnt.

Der Abschnitt „Drogen im Knast“ teile neben dem Ablauf von Urinkontrollen auch eine Möglichkeit zur Manipulation solcher Kontrollen mit (S. 313) und stelle „alternative Konsumformen“ hinsichtlich verschiedener Drogen dar (S. 316).

Im Abschnitt “Presseerklärungen aus dem Knast“ heiße es auf den Seiten 189 und 190 wie folgt: “Die Anstaltsleitungen reagieren sehr empfindlich auf den Versuch, Öffentlichkeit herzustellen, und es besteht die Gefahr, dass ein Brief an die Presse angehalten wird oder aber dass die Anstaltsleiterin einen Begleitbrief dazu legt, indem sie deine Vorwürfe als Lügengeschichten diffamiert. Deswegen kann es sich empfehlen, die Presseerklärung über andere Leute nach draußen leiten zu lassen“.

Im Weiteren gehe der eingehende Tenor des Buches dahin, dass sich mehrere Gefangene zusammenschließen sollten, um sich gegen die Staatsgewalt ihre Rechte zu erkämpfen. So werde im Buch dem sog. Hungerstreik an anderer Stelle (S. 298 f.) ein eigenes Kapitel gewidmet, das einzig darauf gerichtet sei, „außerhalb der Mauern die Forderungen der Gefangenen in die Öffentlichkeit" zu tragen.

Auch der Abschnitt über die medizinische Versorgung sei darauf gerichtet, eine Oppositionshaltung bei Inhaftierten hervorzurufen bzw. zu verstärken, was insbesondere an den folgenden Textstellen zum Ausdruck komme: „Die Medikamente werden morgens in Tagesrationen ausgegeben. Da der Knast die Medikamente bezahlen muss, sind sie sehr sparsam mit der Ausgabe" (S. 403). „Wenn die Ärztin bereit ist, das Leiden überhaupt ernst zu nehmen, kommt es nicht darauf an, eine Untersuchung oder Behandlung bei ihr zu erreichen, sondern zu einer Fachärztin zu kommen. Knastärztinnen sind meistens nicht nur restlos gleichgültig, sondern auch noch total unfähig: Oft sind sie ehemalige Militär- oder gescheiterte Privatärztinnen.“ (S. 403).

Letztlich gehe auch der Rat bei Rechtsfragen dahingehend, unehrliches und vollzugsschädigendes Verhalten zu fördern. Beispielhaft sei genannt, was für den Fall der Fristversäumnis zu tun sei: „Entscheidend ist, dass du keine Schuld an der Nichteinhaltung der Frist hast. Schuld daran muss etwas sein, was du nicht ändern konntest" (S. 516). Letztlich werde auch das Vollzugsziel selbst als schlecht dargestellt, da sich die Anstalt anmaße „zu entscheiden, was angeblich ‚das Beste für dich‘ sein soll" und der Strafgefangene "nicht nur gefangen gehalten" werde, „sondern· auch noch nach deren Vorstellungen ‚erzogen‘ werden" solle (S. 523). Es werde die Auffassung vertreten, die Vollzugsbeamten müssten „mürbe“ gemacht werden, um eigene Interessen durchsetzen zu können (S. 521).

Die mit den Buch vermittelte vollzugsfeindliche Einstellung sei auch im Kapitel „Was mensch im Rechtsstreit mit der Justiz beachten muss“ ersichtlich, wenn es dort heiße „Das bedeutet, dass Gefangene, die nicht bereit sind, all die alltäglichen Gemeinheiten auf sich sitzen zu lassen, schnell als ‚Querulantinnen‘ bei den Bediensteten verschrien sind. Die Rache folgt dann auf dem Fuße: Du bekommst von denen noch weniger Spielraum, wirst schikaniert, dir werden weitere Sachen verweigert und Rechte genommen.“ (S. 449) und „Denn das Gefährlichste am Knast ist ja gerade, dass sie dich als Mensch zerstören, dir deinen Geist wegnehmen“ (S. 449).

Im Kapitel 22, welches sich mit dem Verhältnis zur Rechtsanwältin und der Prozessvorbereitung befasse, würden Anwältinnen als „Mitwirkende“ an der Verurteilung bezeichnet, die sich über „Knastbeamtinnen“ oder Polizeibeamtinnen weiterempfehlen ließen (S. 454).

Mit seinem Rechtsmittel rügt der Strafgefangene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.


II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 118 StVollzG).

a. Die Verfahrensrüge ist unzulässig, weil sie entgegen § 118 Abs. 2 StVollzG nicht in der dort vorausgesetzten Art und Weise ausgeführt und damit nicht zulässig erhoben ist.

Nach § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG, der § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nachgebildet ist, müssen die den Verfahrensmangel enthaltenen Tatsachen so vollständig angegeben werden, dass das Rechtsbeschwerdegericht anhand der Rechtsmittelbegründung und ohne Rückgriff auf die Akten oder andere Unterlagen feststellen kann, ob bei Vorliegen der angegebenen Tatsachen die Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren zu bejahen ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 5. Oktober 2017 – 2 Ws 92/17 – und vom 29. April 2011 – 2 Ws 143/11 Vollz –; Arloth/Krä, StVollzG 4. Aufl., § 118 Rdn. 2; jeweils mit weiteren Nachw.). Zur Verletzung des Verfahrensrechts führt der Beschwerdeführer aus, dass die Strafvollstreckungskammer ihm das streitgegenständliche Buch zu Verteidigungszwecken im Verfahren zumindest temporär hätte überlassen oder ihm einen Rechtsanwalt hätte beiordnen müssen. Eine Darstellung seines hierauf gerichteten Antrages an die Strafvollstreckungskammer enthält die Rechtsbeschwerde jedoch nicht.

b. Hinsichtlich der Sachrüge erfüllt das Rechtsmittel jedoch die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 116 Abs. 1 StVollzG.

Zur Fortbildung des Rechts ist eine Rechtsbeschwerde zulässig, wenn der Einzelfall Anlass gibt, Leitsätze für die Auslegung gesetzlicher Vorschriften des materiellen oder des formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (vgl. Arloth, StVollzG 4. Aufl., § 116 Rdn. 3 mit weit. Nachweisen).

Dies ist hier gegeben.

Zwar ist obergerichtlich vielfach entschieden, welchen gesetzlichen Einschränkungen das Recht des Gefangenen unterliegt, in angemessenem Umfang Bücher und andere Gegenstände zur Fortbildung oder zur Freizeitgestaltung zu besitzen (vgl. OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. Februar 2015 – 1 Ws [RB] 99/14 –, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 15. September 2010 – 2 Ws 359/10 [Vollz] –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 17. August 2010 – 1 Vollz (Ws) 255/10 –, juris). Insbesondere ist geklärt, dass dieses Recht unter anderem dann nicht besteht, wenn der Besitz, die Überlassung oder die Benutzung entsprechender Gegenstände die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden würde (vgl. OLG Frankfurt am Main NStZ 2000, 466; KG, Beschlüsse vom 29. April 2002 – 5 Ws 216/02 Vollz – und vom 6. März 1998 – 5 Ws 98/98 Vollz –). Auch ist zur Gefährdungseignung des streitgegenständlichen Buches bereits eine obergerichtliche Entscheidung ergangen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 9. März 2017 – 1 Ws 26/17 –). Jedoch bezieht sich die gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung bislang auf die Regelungen des § 70 StVollzG sowie zuletzt auf Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 BayStVollzG. Dem Senat ist die Möglichkeit eröffnet, über den Einzelfall hinaus erstmals zur Übertragbarkeit dieser Rechtsprechungsmaßstäbe auf die Regelungen des § 50 StVollzG Bln und des § 52 StVollzG Bln im Hinblick auf Bücher, die u. a. der Fortbildung oder Freizeitbeschäftigung dienen, Stellung zu nehmen.

2. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Zu Recht hat es die Strafvollstreckungskammer auf der Grundlage ausreichender tatsächlicher Feststellungen zum Sachverhalt abgelehnt, die Anstaltsleitung der Justizvollzugsanstalt Tegel zu verpflichten, dem Beschwerdeführer die Bestellung und Einbringung des Buches „Wege durch den Knast“ zu gestatten und ihm das Buch auszuhändigen.

Die Entscheidung der Vollzuganstalt, die Einbringung des Buches in die Anstalt zu versagen und die Aufbewahrung im Haftraum als unzulässig zu betrachten, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 StVollzG Bln dürfen Gegenstände durch und für Gefangene nur mit Zustimmung der Anstalt in die Haftanstalt eingebracht werden.

Hafträume dürfen Gefangene nach § 52 Abs. 1 Satz 1 StVollzG Bln in angemessenem Umfang mit eigenen Gegenständen ausstatten oder diese dort aufbewahren.

Die Anstalt kann die Zustimmung zur Einbringung in die Haftanstalt gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 StVollzG Bln verweigern, wenn die Gegenstände ihrer Art und Beschaffenheit nach geeignet sind, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder die Erreichung des Vollzugszieles zu gefährden.

In den Haftraum dürfen Gegenstände, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit geeignet sind, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder die Erreichung des Vollzugszieles zu gefährden, gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 StVollzG Bln nicht eingebracht werden.

a. Das Tatbestandsmerkmal der Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt entspricht der gleichlautenden Regelung des § 70 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. StVollzG (Bund). Die von der obergerichtlichen Rechtsprechung hierzu entwickelten Maßstäbe sind daher auf die landesrechtlichen Regelungen des § 50 Abs. 1 Satz 2 StVollzG Bln und des § 52 Abs. 1 Satz 2 StVollzG Bln übertragbar. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung durch die Vollzugsbehörde der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Juni 2017 – 2 Ws 46/17 Vollz – sowie zu § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG [Bund]: OLG Hamm ZfStrVo 1996, 119, 120; OLG Koblenz StV 1981, 184, 185; KG, Beschlüsse vom 8. Januar 2004 – 5 Ws 641/03 Vollz – und vom 27. April 2001 – 5 Ws 211/01 Vollz – sowie vom 19. Januar 1999 – 5 Ws 734/98 Vollz – mit weit. Nachweisen).

Für eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt genügt eine abstrakte Gefahr, um ein Einbringungs- oder Besitzrecht auszuschließen (vgl. BVerfG NJW 2003, 2447; NStZ-RR 1996, 252; NStZ 1994, 453; OLG Nürnberg, Beschluss vom 26. Oktober 2007 – 2 Ws 347/07 –, BeckRS 2016, 16739, jeweils zu § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG [Bund]). Dies bedeutet, dass die Missbrauchsgefahr nicht in der Person des Antragstellers liegen oder von ihm ausgehen muss; die Versagung ist vielmehr auch dann gerechtfertigt, wenn der Gegenstand nach seiner Beschaffenheit allgemein zum Missbrauch geeignet ist (vgl. OLG Hamm a.a.O. S. 121 und StV 2000, 270; OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 156, 157; KG, Beschlüsse vom 25. Februar 2004 – 5 Ws 684/03 Vollz –, juris; vom 26. September 2001 – 5 Ws 615/01 Vollz –, vom 22. Februar 2000 – 5 Ws 725/99 Vollz –, vom 4. Juni 1999 – 5 Ws 355/99 Vollz – sowie vom 19. Januar 1999 – 5 Ws 734/98 Vollz – mit weit. Nachweisen, jeweils zu § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG [Bund]; Senat, Beschluss vom 12. Juni 2017, a.a.O., zu § 52 Abs. 1 StVollzG Bln) und dem etwaigen Missbrauch weder durch technische Maßnahmen noch durch zumutbare Kontrollen ausreichend begegnet werden kann (vgl. KG, Beschlüsse vom 8. Januar 2004 – 5 Ws 641/03 Vollz – und vom 14. Juni 1999 – 5 Ws 336/99 Vollz – mit weit. Nachweisen, jeweils zu § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG [Bund]).

b. Dasselbe gilt für das Tatbestandsmerkmal der Gefährdung der Erreichung des Vollzugszieles, das angesichts der identischen Vollzugszieldefinitionen in § 2 Satz 1 StVollzG Bln und § 2 Satz 2 StVollzG (Bund) der Regelung in § 70 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. StVollzG (Bund) entspricht und ebenfalls nach den hierzu aufgestellten Rechtsprechungsmaßstäben beurteilt werden kann.

c. Neben dem gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff der Gefährdung von Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder der Erreichung des Vollzugszieles enthalten die § 50 Abs. 1 Satz 2 StVollzG Bln und § 52 Abs. 1 Satz 2 StVollzG Bln den Auftrag an die Vollzugsbehörde, im Tatsächlichen zu beurteilen, ob bestimmte Gegenstände ihrer Art oder Beschaffenheit nach (§ 50 StVollzG Bln) beziehungsweise einzeln oder in ihrer Gesamtheit (§ 52 StVollzG Bln) tatsächlich geeignet sind, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder die Erreichung des Vollzugszieles zu gefährden. Die Vollzugbehörde hat hierzu eine auf Tatsachen gestützte Gefährlichkeitsprognose vorzunehmen; ihr steht insoweit ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Entscheidungsspielraum auf der Tatbestandsseite (Beurteilungsspielraum) zu (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Juni 2017, a.a.O.).

Die Einhaltung dieses Beurteilungsspielraums durch die Vollzugsbehörde ist gerichtlich nur anhand des Maßstabes des § 115 Abs. 5 StVollzG Bund überprüfbar (vgl. bezogen auf Beschränkungen nach dem PsychKG Bln a.F. und die Gewährung von Vollzugslockerungen: KG, Beschlüsse vom 22. August 2016 – 5 Ws 111/16 Vollz – juris, Rdn. 14; vom 27. Dezember 2010 – 2 Ws 636/10 Vollz – mit zahlreichen weit. Nachweisen). Die Gerichte haben sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die Vollzugsbehörde von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den rechtlich richtig ausgelegten Rechtsbegriff zugrunde gelegt und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Dezember 2010 – 2 Ws 636/10 Vollz –).

d. Nach diesen Maßstäben erweist sich die Annahme der Vollzugsbehörde, das Buch „Wege durch den Knast“ gefährde die Sicherheit und Ordnung der Anstalt sowie die Erreichung des Vollzugsziels als tragfähig.

Die Vollzugsbehörde hat sich mit dem Inhalt des streitgegenständlichen Buches auseinandergesetzt und ist insoweit von einem ordnungsgemäß ermittelten Sachverhalt ausgegangen. Da das StVollzG Bln – anders als das Strafvollzugsgesetz des Bundes – keine spezielle Regelung für Bücher zur Fortbildung oder Freizeitbeschäftigung enthält, hat die Vollzugsanstalt das streitgegenständliche Buch auch zu Recht als Gegenstand im Sinne der §§ 50 bis 52 StVollzG Bln betrachtet. Anhaltspunkte dafür, dass die Vollzugbehörde den Begriff der Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt oder der Erreichung des Vollzugszieles unzutreffend ausgelegt oder bei der von ihr vorgenommenen Gefährdungsprognose die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraumes überschritten hat, sind nicht ersichtlich.

Die im Beschluss der Strafvollstreckungskammer festgestellten Textpassagen weisen nach Inhalt und Zielsetzung eine gegen den Wiedereingliederungsauftrag gerichtete sowie die Sicherheit und Ordnung gefährdende Tendenz aus. Sie sind geeignet, sowohl beim Beschwerdeführer, als auch bei anderen Gefangenen eine massive Oppositionshaltung gegenüber dem Strafvollzug sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Vollzugsanstalt hervorzurufen, zu verfestigen oder zu verstärken.

Dies ergibt sich bereits eindeutig aus der im Vorwort umrissenen Intention der Autoren, für eine „Welt ohne Knäste“ und damit gegen jegliche Form des Strafvollzuges einzutreten. Die in diesem Zusammenhang gewählte konfrontative Diktion, die insbesondere durch wiederholte Verwendung des Wortes „Kampf“ hervortritt, zieht sich auch durch die weiteren von der Strafvollstreckungskammer dargestellten Textpassagen und gibt dem Buch damit ein insgesamt vollzugsfeindliches Gepräge. Die in den Passagen vielfach enthaltenen despektierlichen Äußerungen über Vollzugsbedienstete oder im Vollzug tätige Ärztinnen und Ärzte schüren zudem pauschale Ressentiments gegenüber den an der Erreichung des Vollzugszieles mitarbeitenden Personen und verstärken gleichzeitig bei den Gefangenen bestehende Feindbilder. All dies birgt die Gefahr, dass sowohl der Beschwerdeführer, als auch andere Gefangene veranlasst werden, sich von der Mitarbeit an Maßnahmen der Resozialisierung abzukehren, eine feindselige Haltung gegenüber dem Vollzug, aber auch gegenüber anderen gesellschaftlichen Zwängen („Unterdrückung“) zu entwickeln und das Vollzugsziel eines künftig straffreien Lebens dadurch verfehlen. Soweit das Buch über Möglichkeiten zur Manipulation von Urinkontrollen und über „alternative Konsumformen“ hinsichtlich verschiedener Drogen informiert, begründet eine solche unverhohlene Anleitung zur Unterminierung der anstaltsinternen Drogenfreiheit eine offensichtliche Gefahr für die Sicherheit und Ordnung in der Vollzugsanstalt.

Da sich vollzugsfeindliche Ausführungen und destruktive Handlungsanleitungen über das ganze Buch verteilen, ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Vollzugbehörde im Rahmen ihres Beurteilungsspielraumes das gesamte Buch und nicht nur einzelne Passagen als gefährdungsgeeignet eingestuft hat.

e. Angesichts der von dem Buch „Wege durch den Knast“ ausgehenden Gefährdung für die Anstaltssicherheit und -ordnung sowie für die Erreichung des Vollzugszieles darf es gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 StVollzG Bln nicht in den Haftraum eingebracht werden. Die Vorschrift sieht insoweit – anders als noch § 19 Abs. 2 StVollzG (Bund) – keine Ermessensentscheidung der Vollzugsbehörde mehr vor (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Juni 2017, a.a.O.).

Demgegenüber steht der Vollzugsbehörde hinsichtlich der Zustimmung zur Einbringung von Gegenständen in die Anstalt gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 StVollzG Bln ein Rechtsfolgenermessen zu.

Ermessensfehler, insbesondere ein Ermessensfehlgebrauch sind vorliegend jedoch nicht ersichtlich.

Insbesondere ist die Einbringungs- und Besitzversagung nicht unverhältnismäßig.

Die zur Abwendung der vorgenannten Gefahren für die Vollzugssicherheit und -ordnung sowie für die Erreichung des Vollzugszieles geeignete Maßnahme ist auch erforderlich. Bei der insoweit gebotenen Prüfung, ob mildere, gleich geeignete Mittel zur Gefahrenabwehr zur Verfügung stehen, ist die einem Gegenstand generell-abstrakt zukommende Eignung, in einer die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder die Erreichung des Vollzugszieles gefährdenden Weise eingesetzt zu werden, in Beziehung zu den der Anstalt zu Gebote stehenden Kontrollmitteln zu setzen (vgl. BVerfG NStZ 1994, 252). Nach diesem Maßstab sind vorliegend mildere Mittel nicht gegeben. Insbesondere kommt eine Aushändigung des Buches nach Schwärzung oder Entfernung einzelner Passagen nicht in Betracht, weil das verfahrensgegenständliche Buch über den gesamten Text verteilt zahlreiche vollzugsfeindliche Fundstellen enthält und deswegen eine Durchsicht und Bearbeitung der 687 Seiten des Werkes für die Vollzugsanstalt mit vertretbarem Aufwand nicht zu leisten ist. Im Übrigen ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Vollzugsbehörde das Buch wegen seiner Grundtendenz im Rahmen ihrer Ermessensausübung als insgesamt vollzugsfeindlich angesehen hat.

Auch ist die Maßnahme der Vollzugsbehörde nicht unverhältnismäßig im engeren Sinne. Zwar wird der Beschwerdeführer durch die Vorenthaltung des Buches in seinem Grundrecht auf Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG eingeschränkt, jedoch hat die Vollzugsbehörde zu Recht der Abwehr der von dem Buch für wesentliche Schutzgüter des Strafvollzugsrechts ausgehenden Gefahren Vorrang vor dem Informationsinteresse des Beschwerdeführers eingeräumt. Denn zutreffend hat die Vollzugsbehörde darauf abgestellt, dass der Beschwerdeführer auch ohne Unterstützung des verfahrensgegenständlichen Buches seine rechtlichen Interessen im Rahmen des Strafvollzuges umfassend zu artikulieren und mit Nachdruck zu vertreten vermag. Angesichts dessen entfaltet die Versagung der Möglichkeit, sich aus einer einzelnen Quelle zu informieren, für deren inhaltliche Exklusivität als Vollzugsratgeber zudem nichts ersichtlich ist, nur eine geringe Eingriffsintensität.

3. Angesichts der teilweisen Unzulässigkeit sowie Unbegründetheit der Rechtsbeschwerde war der Antrag auf Prozesskostenhilfe gemäß § 120 Abs. 2 StVollzG in Verb. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO wegen mangelnder Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung zurückzuweisen.


III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 StPO.


Einsender: VorsRi O Arnoldi, Berlin

Anmerkung:


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