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Entscheidungen

StPO

Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung, Verteidigung mehrerer Mitbeschuldigter, Rechtsanwälte derselben Sozietät, Interessengemeinschaft

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bremen, Beschl. v. 02.03.2018 - 1 Ws 12/18

Leitsatz: 1. Die Bestellung zum Verteidiger kann schon wegen der Absehbarkeit eines Interessenkonfliktes abgelehnt werden, ohne dass es konkreterer Hinweise auf das Bestehen dieses Konflikts bedarf.
2. Ein solcher Interessenkonflikt ist bei der Verteidigung von mehreren Mitbeschuldigten durch Rechtsanwälte derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft nach allgemeinen Gesichtspunkten grundsätzlich schon immer dann absehbar, wenn eine Anklage wegen einer gemeinsam begangenen Tat vorliegt. Nach den Umständen des konkreten Einzelfalls kann diese Gefahr ausgeräumt sein, was insbesondere auf der Grundlage des Einlassungsverhaltens der Beschuldigten zu überprüfen ist.
3. Die Abberufung eines Pflichtverteidigers im Hinblick auf das Vorliegen eines Interessenkonflikts wegen der Verteidigung von mehreren Mitbeschuldigten durch Rechtsanwälte derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft setzt dagegen grundsätzlich das Vorliegen konkreterer Hinweise auf das Bestehen dieses Konflikts voraus.
4. Diese Hinweise müssen nicht die Darlegung und Glaubhaftmachung eines Interessenkonflikts in Bezug auf den eigenen Verteidiger durch konkrete Umstände beinhalten, wie dies in sonstigen Fällen der Abberufung eines Verteidigers aus wichtigem Grund erforderlich ist. Diese Erstreckung des Interessenkonflikts ist nach § 3 Abs. 2 BORA bereits in der Verbindung der Rechtsanwälte zur gemeinsamen Berufsausübung normativ vorgegeben.


In pp.

Auf die Beschwerde des Angeklagten Y. vom 29.01.2018 wird der Beschluss der Vorsitzenden der Strafkammer 6 des Landgerichts Bremen vom 22.01.2018 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorsitzende der Strafkammer 6 des Landgerichts Bremen zurückverwiesen.

Gründe

I.
Vor dem Landgericht Bremen wird gegen die beiden Angeklagten aufgrund der Anklage der Staatsanwaltschaft Bremen vom 24.01.2018 ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 169 (Angeklagter D.) bzw. in 132 (Angeklagter Y.) Fällen geführt. Insgesamt liegen der Anklage 179 Taten zugrunde, die von den Angeklagten in 122 Fällen gemeinschaftlich, im Übrigen jeweils einzeln handelnd begangen worden sein sollen und bei denen es sich in etwa der Hälfte der Fälle um eine nicht geringe Menge gehandelt haben soll.

Dem Angeklagten Y. wurde am 25.07.2017 im Rahmen der Haftbefehlsverkündung in dieser Sache durch das Amtsgericht Bremen Rechtsanwalt E. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Die Hauptverhandlung vor der Strafkammer 6 des Landgerichts begann am 22.01.2018 und dauert an.

Am 28.12.2017 zeigte Rechtsanwalt F. die Verteidigung des Angeklagten Y. an. Mit Schreiben vom 16.01.2018 beantragte der Angeklagte Y., ihm unter Entpflichtung von Rechtsanwalt E. seinen Wahlverteidiger Rechtsanwalt F. als Pflichtverteidiger beizuordnen. Zur Begründung führte der Angeklagte aus, dass Rechtsanwalt E. in derselben Kanzlei tätig sei wie Rechtsanwalt H. als Verteidiger des Mitangeklagten D. Er befürchte daher eine Interessenkollision und vertraue nicht mehr darauf, durch Rechtsanwalt E. angemessen vertreten zu werden. Mit Schriftsatz vom 20.01.2018 erklärte Rechtsanwalt F., dass der Angeklagte Y. ihm mitgeteilt habe, dass er sich in der Sache einlassen wolle und dass eine entsprechende Erklärung nur im Beisein von Rechtsanwalt F. und nach anwaltlicher Beratung durch diesen erfolgen solle.

Mit Beschluss der Vorsitzenden Richterin der Strafkammer 6 vom 22.01.2018 wurde der Antrag des Angeklagten Y. vom 16.01.2018 abgelehnt.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte Y. mit seiner Beschwerde vom 29.01.2018, der die Vorsitzende am 06.02.2018 nicht abgeholfen hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat am 08.02.2018 zu der Beschwerde des Angeklagten Y. Stellung genommen und beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Beschwerde des Angeklagten Y. gegen den Beschluss der Vorsitzenden der Strafkammer 6 des Landgerichts Bremen vom 22.01.2018 ist statthaft und formgerecht eingelegt und erweist sich infolge der sich aus der angefochtenen Entscheidung ergebenden Beschwer als zulässig (§§ 304 Abs. 1, 306 Abs. 1 StPO). Die Beschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung zwecks erneuter Prüfung und Entscheidung über den Antrag auf Entschlagung des bisherigen Pflichtverteidigers Rechtsanwalt E. und auf Bestellung des Rechtsanwalts F. Der bisherige Pflichtverteidiger des Angeklagten Y., Rechtsanwalt E., ist in einer Bürogemeinschaft bzw. Sozietät mit Rechtsanwalt H. als dem Verteidiger des Mitangeklagten D. tätig. Im Hinblick auf das Bestehen konkreter Hinweise auf einen Interessenkonflikt bedarf es der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers für den Angeklagten Y.

1. Jeder Beschuldigte hat das Recht auf ein faires Strafverfahren, zu dem auch die Gewährleistung einer wirksamen Verteidigung gehört (siehe Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK, Art. 20 Abs. 3 GG). In Fällen der notwendigen Verteidigung bedarf es, wenn kein Wahlverteidiger mitwirkt, der Bestellung eines Verteidigers durch das Gericht. Dabei ist auf ein bestehendes oder angestrebtes Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger möglichst Rücksicht zu nehmen (siehe BVerfG, Beschluss vom 25.09.2001 – 2 BvR 1152/01, juris Rn. 33, NJW 2001, 3695; BGH, Urteil vom 24.02.2016 – 2 StR 319/15, juris Rn. 18, NStZ 2017, 59).

Bei Vorliegen eines konkret manifestierten Interessenkonflikts ist – unabhängig vom Fall des § 143 StGB – ein Grund gegeben, von einer Verteidigerbestellung abzusehen oder eine bereits bestehenden Bestellung aufzuheben, weil dadurch die mindere Effektivität des Einsatzes dieses Verteidigers für seinen Mandanten zu befürchten ist (siehe BGH, Beschluss vom 15.01.2003 – 5 StR 251/02, juris Rn. 15, BGHSt 48, 170; Urteil vom 11.06.2014 – 2 StR 489/13, juris Rn. 33, NStZ 2014, 660; Urteil vom 24.02.2016 – 2 StR 319/15, juris Rn. 19, NStZ 2017, 59). Das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, ist geeignet und erforderlich, um im Interesse von Mandanten und Rechtspflege die mit den Vorschriften über die Verteidigung bezweckten Ziele zu erreichen (siehe BVerfG, Beschluss vom 03.07.2003 – 1 BvR 238/01, juris Rn. 49, BVerfGE 108, 150; BGH, Urteil vom 11.06.2014 – 2 StR 489/13, juris Rn. 33, NStZ 2014, 660).

Hinsichtlich der Konkretisierung des Interessenkonflikts ist dabei zwischen den Situationen der Verteidigerbestellung und der Aufhebung einer Verteidigerbestellung zu unterscheiden: Danach kann bereits ein absehbarer Interessenkonflikt genügen, um von der Bestellung eines bestimmten Verteidigers abzusehen (siehe BGH, Urteil vom 24.02.2016 – 2 StR 319/15, juris Rn. 19, NStZ 2017, 59; vgl. auch Beschluss vom 15.01.2003 – 5 StR 251/02, juris Rn. 18, BGHSt 48, 170; ebenso bereits OLG Stuttgart, Beschluss vom 28.06.2000 - 1 Ws 125/00, juris Rn. 8, OLGSt StPO § 142 Nr. 5; enger dagegen teilweise noch die frühere Rechtsprechung, siehe OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.07.1999 – 3 Ws 591/99, juris Rn. 7, NStZ-RR 1999, 333; OLG Hamm, Beschluss vom 01.06.2004 – 2 Ws 156/04, juris Rn. 30 f., StV 2004, 641). Dagegen ist bei nachträglich entstandenen Hinweisen auf die Möglichkeit eines Interessenkonflikts im Abberufungsverfahren die Grenze für die Begründetheit vorgebrachter Einwände gegen den vom Gericht beigeordneten Verteidiger enger zu ziehen (siehe BGH, Urteil vom 24.02.2016 – 2 StR 319/15, juris Rn. 19, NStZ 2017, 59; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 25.09.2001 – 2 BvR 1152/01, juris Rn. 40, NJW 2001, 3695).

Dem Vorsitzenden des zuständigen Spruchkörpers kommt insoweit ein Beurteilungsspielraum zu (siehe BGH, Beschluss vom 15.01.2003 – 5 StR 251/02, juris Rn. 18, BGHSt 48, 170), wobei auch das Ziel der Verfahrenssicherung durch die Verteidigerbestellung berücksichtigt werden kann (siehe BGH, a.a.O., juris Rn. 19; Urteil vom 24.02.2016 – 2 StR 319/15, juris Rn. 20, NStZ 2017, 59), d.h. es kann insbesondere die Ablehnung einer gewünschten Verteidigerbestellung vertretbar sein, wenn die Gefahr einer Interessenkollision aktuell noch nicht übermäßig groß erscheint, indes unbedingt vermieden werden soll, dass sie später doch virulent wird und dann gegebenenfalls zum Abbruch einer Hauptverhandlung zur Unzeit nötigen könnte. Zur Feststellung dieses Interessenkonflikts wird der zu bestellende Rechtsanwalt selbst sowie gegebenenfalls auch der Beschuldigte zu hören sein, womit auch dem Rechtsanwalt die Möglichkeit gegeben wird, selbst für die Wahrung seiner Berufspflichten einzutreten (siehe BGH, Beschluss vom 15.01.2003 – 5 StR 251/02, juris Rn. 16, BGHSt 48, 170).

2. Besondere Maßstäbe für die Beurteilung der Frage, ob ein solcher Interessenkonflikt absehbar bzw. konkret manifestiert ist, sind im Hinblick auf die Konstellation der Verteidigung von mehreren Mitbeschuldigten durch Rechtsanwälte derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft zu berücksichtigen.

Grundsätzlich ist eine Verteidigerbestellung von Anwälten aus derselben Kanzlei für Mitbeschuldigte nicht generell unzulässig (siehe BVerfG, Beschluss vom 28.10.1976 – 2 BvR 23/76, juris Rn. 34 ff., BVerfGE 43, 79; bestätigt in Beschluss vom 21.06.1977 – 2 BvR 70/75, juris Rn. 34, BVerfGE 45, 272; BGH, Urteil vom 11.06.2014 – 2 StR 489/13, juris Rn. 34, NStZ 2014, 660; siehe auch KG Berlin, Beschluss vom 28.03.2012 – 4 Ws 28/12, juris Rn. 6, NStZ-RR 2012, 352; OLG Hamm, a.a.O., juris Rn. 30 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.10.1998 – 2 Ws 243/98, juris Rn. 5, NStZ 1999, 212; OLG Rostock, Beschluss vom 17.03.2003 – I Ws 64/03, juris Ls., StV 2003, 373; OLG Stuttgart, Beschluss vom 05.09.2000 – 5 Ws 31/00, juris Rn. 14, StV 2000, 656). In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass eine gemeinschaftliche Verteidigung bei gleichartigem Verteidigungsziel auch sachdienlich sein kann (siehe BGH, a.a.O.). Bei konkreten Hinweisen auf einen Interessenkonflikt hat eine Verteidigerbestellung von Sozien oder Mitgliedern eine Bürogemeinschaft für die Beschuldigten aus Gründen der Fairness des Verfahrens aber zu unterbleiben und eine bereits erfolgte Bestellung ist aufzuheben (siehe BGH, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O., juris Rn. 7; OLG Hamm, a.a.O., juris Rn. 26 ff.; OLG Stuttgart, a.a.O., juris Rn. 19; vgl. auch die Rspr. des Senats in Hans. OLG in Bremen, Beschluss vom 09.03.2000 – Ws 5-7/2000).

Berufsrechtlich ist ausdrücklich geregelt, dass das Vorliegen eines berufsrechtlich relevanten Interessenwiderstreits zwischen dem Angeklagten und einem der Anwälte der Sozietät oder Bürogemeinschaft grundsätzlich zur Folge hat, dass auch die anderen Anwälte der Sozietät oder Bürogemeinschaft nicht für den Angeklagten tätig werden dürfen (siehe § 3 Abs. 2 S. 1 BORA). Ausnahmen gelten nur dann, wenn die betroffenen Mandanten sich nach umfassender Information mit der Vertretung ausdrücklich einverstanden erklärt haben, wobei Information und Einverständniserklärung jeweils in Textform erfolgen sollen, und Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen (siehe § 3 Abs. 2 S. 2 BORA). Diese Regelung ist vom Bundesverfassungsgericht für verfassungskonform erachtet worden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.06.2006 – 1 BvR 594/06, juris Rn. 15, BVerfGK 8, 239; siehe auch BGH, Urteil vom 11.06.2014 – 2 StR 489/13, juris Rn. 36, NStZ 2014, 660), nachdem die bis 2003 geltende Fassung von § 3 Abs. 2 BORA, die keine Ausnahmetatbestände vorgesehen hatte, für nichtig erklärt worden war (siehe BVerfG, Beschluss vom 03.07.2003 – 1 BvR 238/01, juris Rn. 51 ff., BVerfGE 108, 150). Nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts wie auch des Bundesgerichtshofs kommt diesen berufsrechtlichen Vertretungsverboten eine Orientierungswirkung auch für die strafprozessrechtliche Bewertung im Rahmen der §§ 143, 146 StPO zu (siehe BVerfG, Beschluss vom 14.10.1997 – 2 BvQ 32/97, juris Rn. 3, StV 1998, 356; BGH, a.a.O.) und es ist daher auch für das Gericht bei der Verteidigerbestellung ein Mandat für Rechtsanwälte aus einer Bürogemeinschaft zu vermeiden, wenn ein konkreter Interessenkonflikt besteht oder abzusehen ist (siehe BGH, a.a.O.).

3. Bei der Verteidigung von mehreren Mitbeschuldigten durch Rechtsanwälte derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft besteht grundsätzlich in vielfacher Hinsicht die Möglichkeit von Interessenkonflikten, die sich auf die Interessengerechtheit der Verteidigung jedes einzelnen Beschuldigten auswirken können. Das Bundesverfassungsgericht hat gleichwohl angenommen, dass eine generelle Unzulässigkeit einer solchen Verteidigung verschiedener Mitbeschuldigter durch Anwälte derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft nicht besteht (siehe BVerfG, Beschluss vom 28.10.1976 – 2 BvR 23/76, juris Rn. 34 ff., BVerfGE 43, 79; Beschluss vom 21.06.1977 – 2 BvR 70/75, juris Rn. 34, BVerfGE 45, 272), da dies eine nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit des Rechtsanwalts aus Art. 12 Abs. 1 GG darstellen würde und da nicht notwendigerweise allein die organisatorische Verbindung den angehörenden Rechtsanwalt hindert, seinen Mandanten ohne Rücksicht auf die Belange der Mitbeschuldigten so zu verteidigen, wie es ihm notwendig scheint (siehe BVerfG, Beschluss vom 28.10.1976 – 2 BvR 23/76, juris Rn. 36., BVerfGE 43, 79). Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht, wie bereits ausgeführt wurde, keine Grundrechtsverletzung in der Erstreckung des berufsrechtlichen Vertretungsverbots bei widerstreitenden Interessen auf alle Anwälte derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft gesehen, wenn dieses Verbot Ausnahmen zulässt (siehe BVerfG, Beschluss vom 20.06.2006 – 1 BvR 594/06, juris Rn. 15, BVerfGK 8, 239). Dem entspricht es, wenn in der Rechtsprechung eine solche Verteidigung verschiedener Mitbeschuldigter durch Anwälte derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft bei Vorliegen eines gleichartigen Verteidigungszieles als zulässig angesehen wurde, wobei zur Frage des Vorliegens eines solchen gleichartigen Verteidigungszieles namentlich auf das Einlassungsverhalten der Beschuldigten abzustellen war, insbesondere etwa darauf, ob sich die Mitangeklagten im Vorverfahren der Allein- oder Haupttäterschaft des jeweils anderen bezichtigen (siehe BGH, Urteil vom 11.06.2014 – 2 StR 489/13, juris Rn. 35, NStZ 2014, 660; OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.07.1999 – 3 Ws 591/99, juris Rn. 9, NStZ-RR 1999, 333; OLG Stuttgart, Beschluss vom 28.06.2000 – 1 Ws 125/00, juris Rn. 6, OLGSt StPO § 142 Nr. 5; enger dagegen noch teilweise die frühere Auffassung der Rechtsprechung, die hierin noch keinen Interessenkonflikt sah, siehe insbesondere KG Berlin, Beschluss vom 28.03.2012 – 4 Ws 28/12, juris Rn. 6, NStZ-RR 2012, 352; OLG Rostock, Beschluss vom 17.03.2003 – I Ws 64/03, juris Ls., StV 2003, 373). Allerdings wird im Einzelfall auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden müssen, dass eine gegebenenfalls mit Rücksicht auf den anderen Mitangeklagten unterbleibende Einlassung zur Sache, die im Falle wahrheitsgemäßer Angaben zur Belastung des anderen führen würde, auch als durch widerstreitende Interessen der verteidigenden Anwälte veranlasst erscheinen kann. Unter Berücksichtigung der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorgezeichneten unterschiedlichen Maßstäbe für das Vorliegen eines relevanten Interessenkonflikts in der Situation der Bestellung und der Abberufung eines Pflichtverteidigers leitet der Senat daher aus den vorstehenden Erwägungen die nachfolgenden Grundsätze ab, von denen sich die Ausübung des Ermessenspielraums des Vorsitzenden bei der Entscheidung über die Bestellung und der Abberufung eines Pflichtverteidigers im Hinblick auf die Verteidigung von mehreren Mitbeschuldigten durch Rechtsanwälte derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft leiten lassen muss:

Der Bestellung als Pflichtverteidiger steht schon die Absehbarkeit eines Interessenkonfliktes entgegen, ohne dass es konkreterer Hinweise auf das Bestehen dieses Konflikts bedarf. Ein solcher Interessenkonflikt ist bei der Verteidigung von mehreren Mitbeschuldigten durch Rechtsanwälte derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft nach allgemeinen Gesichtspunkten beispielsweise schon immer dann grundsätzlich absehbar, wenn eine Anklage wegen einer gemeinsam begangenen Tat vorliegt, so dass eine wechselseitige Bezichtigung der Begehung größerer Tatbeiträge in Betracht kommt oder auch die interessenwidrig veranlasste unterbleibende Einlassung zur Sache, die im Falle wahrheitsgemäßer Angaben zur Belastung des anderen führen würde. Nach den Umständen des konkreten Einzelfalls kann diese Gefahr ausgeräumt sein, was insbesondere auf der Grundlage des Einlassungsverhaltens der Beschuldigten zu überprüfen ist. Die bloße Erklärung des Einverständnisses mit der Vertretung wird dagegen regelmäßig nicht genügen, sofern das Gericht nicht auch – in entsprechender Orientierung an der Regelung des § 3 Abs. 2 S. 2 BORA – das Vorliegen einer umfassenden Information zum Interessenkonflikt feststellen kann.

Die Abberufung eines Pflichtverteidigers im Hinblick auf das Vorliegen eines Interessenkonflikts wegen der Verteidigung von mehreren Mitbeschuldigten durch Rechtsanwälte derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft setzt dagegen grundsätzlich das Vorliegen konkreterer Hinweise auf das Bestehen dieses Konflikts voraus, ohne dass aber ein konkreter Nachweis zu führen wäre, wie sich dieser Konflikt im Hinblick auf einen anderen Anwalt derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft bzw. zu dessen Mandatstätigkeit auf die eigene Verteidigung des betroffenen Angeklagten auswirkt.

Diese Maßstäbe lassen die sonst allgemein geltenden Grundsätze zur Rücknahme der Bestellung eines Pflichtverteidigers unberührt, wonach grundsätzlich das Vorliegen eines wichtigen Grundes vorausgesetzt wird (so BGH, Urteil vom 08.02.1995 – 3 StR 586/94, juris Rn. 5, NStZ 1995, 296; Meyer-Goßner/Schmitt, 60. Aufl., § 143 StPO Rn. 3; siehe auch die st. Rspr. des Senats, Hans. OLG in Bremen, Beschluss vom 12.07.2013 – 1 Ws 184/12, juris Rn. 7, NStZ 2014, 358), der angenommen wird, wenn konkrete Umstände dargelegt und glaubhaft gemacht werden oder sonst ersichtlich sind, aus denen sich ergibt, dass eine ernsthafte und unüberbrückbare Störung des Vertrauensverhältnisses vorliegt (siehe BGH, a.a.O.; Hans. OLG in Bremen, a.a.O.; OLG Köln, Beschluss vom 11.02.2008 – 2 Ws 54/08, juris Rn. 8, StraFo 2008, 348; Meyer-Goßner/Schmitt, 60. Aufl., § 143 StPO Rn. 3). An diesen Grundsätzen ist festzuhalten, wobei auch grundsätzlich bei der gebotenen Gesamtwürdigung der Umstände beachtet werden muss, dass dem Angeklagten die Möglichkeit verwehrt bleiben muss, einen grundlosen, nicht gebotenen Verteidigerwechsel zu erzwingen, da er anderenfalls jederzeit durch Berufung auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis einen Verteidigerwechsel herbeiführen und dadurch das Verfahren verzögern könnte (siehe die Rspr. des Senats, Hans. OLG in Bremen, Beschluss vom 21.05.2014 – 1 Ws 57/14). Die vorliegende Konstellation unterscheidet sich von diesen allgemeinen Grundsätzen aber dadurch, dass hier normativ vorgegeben ist, dass der Interessenkonflikt in Bezug auf einen der Anwälte derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft sich grundsätzlich auch auf die Zulässigkeit der Vertretung durch einen anderen Anwalt derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft auswirkt, wenn nicht ausnahmsweise die Zulässigkeit dieser Vertretung nachgewiesen wird.

4. Für den hier zu entscheidenden Fall ist auf der Grundlage dieser Maßstäbe festzustellen, dass auch unter Berücksichtigung des grundsätzlich bestehenden Ermessenspielraums der Vorsitzenden ein relevanter Interessenkonflikt nicht zu verneinen war:

Zunächst ist im vorliegenden Fall bereits aufgrund allgemeiner Kriterien nach der Natur des Tatvorwurfs ein Interessenkonflikt bei der Verteidigung mehrerer Beschuldigter durch die Anwälte derselben Sozietät absehbar: Der Vorwurf gemeinschaftlichen Handelns mit Betäubungsmitteln in einer Vielzahl von Taten legt jeweils die Möglichkeit wechselseitiger Bezichtigungen ebenso nahe wie ein eigeninteressewidriges Unterbleiben einer wahrheitsgemäßen Einlassung, wenn diese den anderen belasten würde. Zusätzlich ergibt sich auch aus dem konkreten Anklagevorwurf (vgl. Bl. 27 der Anklageschrift), dass der Angeklagte Y. bereits im Zuge der vorgeworfenen Taten selbst mangelndes Vertrauen zum Angeklagten D. geäußert haben soll. Der Angeklagte Y. hat sich auch nach den dem Senat vorliegenden Akteninhalt bisher nicht zur Tat eingelassen, so dass diese Möglichkeit allgemein absehbare Möglichkeit eines Interessenkonflikts auch nicht nach den Umständen des Einzelfalls ausgeschlossen wäre, sondern vielmehr durch die Erklärungen des Angeklagten Y. zum beantragten Verteidigerwechsel bestätigt wird.

Da vorliegend eine Abberufung des bereits bestellten Pflichtverteidigers begehrt wird, bedarf es über diese Absehbarkeit eines Interessenkonflikts hinaus des Vorliegens auch konkreter Hinweise auf das Bestehen eines Konflikts: Diese folgen vorliegend nach Auffassung des Senats daraus, dass im Rahmen eines anderen – noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen – Strafverfahrens gegen den Angeklagten D. wegen des Vorwurfs der Körperverletzung, bei dem der Angeklagte Y. als Geschädigter Nebenkläger war, der Angeklagte D. ebenfalls durch den seinen jetzigen Verteidiger Rechtsanwalt H. verteidigt wurde. Mit der Berufung auf diesen Umstand kann der Angeklagte Y. auf einen konkreten Umstand verweisen, der jedenfalls in Bezug auf Rechtsanwalt H. zu einer Störung des Vertrauensverhältnisses führt und somit eine interessengerechte Verteidigung aus seiner Sicht bezweifeln lässt, auch wenn dieser Umstand nicht unmittelbar auf die hier angeklagte Tat bezogen ist, aber doch gerade auch das Verhältnis zur Vertretung des Mitangeklagten D. betrifft. Zudem hat, wie sich aus dem Vermerk der Vorsitzenden vom 06.02.2018 ergibt, der Angeklagte Y. am ersten Hauptverhandlungstag am 22.01.2018 erklärt, nicht gewusst zu haben, dass der Rechtsanwalt H. als Verteidiger des Angeklagte D. im selben Büro tätig sei wie sein Pflichtverteidiger Rechtsanwalt E. Zwar ist, wie das Landgericht im angefochtenen Beschluss vom 22.01.2018 ausführt, naheliegend, dass der Angeklagte Y. dies den Kanzleianschriften in der Anklage oder den Anwaltsbriefköpfen hätte entnehmen können; das Vorliegen der Voraussetzungen einer Zustimmung nach umfassender Information entsprechend der Regelung des § 3 Abs. 2 S. 2 BORA lässt sich aber nicht feststellen. Der bisherige Pflichtverteidiger Rechtsanwalt E. hat nach dem dem Senat vorliegenden Akteninhalt (siehe Schriftsatz des Rechtsanwalts F. vom 20.01.2018) im Übrigen die Bedenken des Angeklagten Y. für nachvollziehbar erklärt.

5. Im Hinblick auf den bereits erfolgten Fortgang der Hauptverhandlung ist aus der Feststellung des Vorliegens eines Interessenkonflikts in Bezug auf den bisherigen Verteidiger E. ausnahmsweise nicht notwendigerweise dessen Abberufung, sondern lediglich die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers zu folgern (siehe BeckOK-Graf, 29. Ed. 2018, § 143 StPO Rn. 10; SK-StPO/Wohlers, 5. Aufl., § 143 StPO Rn. 16). Die Abberufung des bisherigen Pflichtverteidigers zum jetzigen Zeitpunkt mit der möglichen Folge der Wiederholung der an den bisherigen Hauptverhandlungstagen bereits durchgeführten Beweisaufnahmen könnte zu einer Verfahrensverzögerung führen, die mit dem übergeordneten Grundsatz des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen nicht vereinbar wäre. Zudem würde eine Fortführung des Verfahrens unter Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers auch nicht dem Anspruch des Angeklagten Y. auf ein faires Verfahren entgegenstehen, da auch aus der Aufrechterhaltung der Beiordnung des bisherigen Pflichtverteidigers nicht abzuleiten ist, dass der Angeklagte nicht wirksam verteidigt wurde, wenn ihm ein weiterer Verteidiger bestellt wurde (siehe BGH, Urteil vom 24.02.2016 – 2 StR 319/15, juris Rn. 24 f., NStZ 2017, 59).

6. Eine Entscheidung in der Sache über die Neubestellung eines neuen Pflichtverteidigers kann der Senat nicht treffen, was insgesamt in Ausnahme zu § 309 StPO zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht führen muss. Im Hinblick auf den fortgeschrittenem Verfahrensstand und die Beachtung des Beschleunigungsgebots kommt die Bestellung eines Rechtsanwalts als weiterer oder neuer Pflichtverteidiger nur in Betracht, wenn dieser Rechtsanwalt an allen oder doch zumindest nahezu allen derzeit von der Kammer angesetzten Terminen zur Verfügung steht, so dass eine Terminsaufhebung nur in geringstem Umfang erforderlich würde. Nach den Erklärungen des Rechtsanwalts F. in dessen Schriftsatz vom 19.02.2018 kann der Senat nicht feststellen, dass dies derzeit von Rechtsanwalt F. zugesichert werden kann. Sofern Rechtsanwalt F. demnach nicht als Pflichtverteidiger in Betracht kommen sollte, müsste ein anderer Anwalt ausgewählt werden, der diese Verfügbarkeit in größerem Umfang zusichern kann (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 25.11.2014 – 2 Ws 614/14, juris Rn. 2 m.w.N., NStZ-RR 2015, 117 (Ls.)). Dies setzt aber nicht nur eine vorherige Abfrage bei Rechtsanwalt F. und gegebenenfalls weiteren Verteidigern voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 18.08.2009 – 4 StR 280/09, juris Rn. 4, StV 2010, 170), sondern es müsste unter Umständen, ob im Hinblick auf die Verhinderung von Rechtsanwalt F. oder auch eines anderen Anwalts, eine Verlegung von Terminen erfolgen. Diese Entscheidung über die Aufhebung oder Verlegung von Hauptverhandlungsterminen, die demnach untrennbar mit der Bestellungsentscheidung verbunden ist, kann aber nicht vom Senat vorgenommen werden, sondern nur von der Vorsitzenden der Kammer selbst, weswegen insgesamt eine Zurückverweisung ohne eigene Entscheidung des Senats in der Sache erfolgen musste.

7. Da es sich nicht um eine verfahrensabschließende Entscheidung handelt, bedarf es keiner Kostenentscheidung.


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