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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, richterliche Vernehmung, Beweisverwertungsverbot

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 15.05.2018 - 4 RVs 47/18

Leitsatz: 1. Zur Frage, wann einem Angeklagten, der zum Zeitpunkt der richterlichen Vernehmung eines Zeugen keinen Verteidiger hat, ein Verteidiger bestellt werden muss.
2. Wird gegen die Pflicht zur rechtzeitigen Bestellung eines Pflichtverteidigers verstoßen, führt dies jedoch nicht zur Unverwertbarkeit der Aussage der richterlichen Verhörperson, sondern – vergleichbar mit Fällen einer pflichtwidrig versagten Beteiligung an der richterlichen Vernehmung oder des anonymen Zeugen – zu besonders strengen Beweis- und Begründungsanforderungen im tatrichterlichen Urteil.


In pp.

Die Revision wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte (§ 473 Abs. 1 StPO).

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Detmold hat den Angeklagten durch Urteil vom 1. August 2017 von dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in sechs Fällen freigesprochen. Auf die gegen das Urteil gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft Detmold hat das Landgericht Detmold am 18. Januar 2018 das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Seit dem 18. Januar 2018 befindet sich der Angeklagte aufgrund des Haftbefehls des Landgerichts Detmold vom selben Tag in Untersuchungshaft.

Gegen das Urteil des Landgerichts, welches dem Angeklagten am 7. März 2018 zugestellt worden ist, hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 22. Januar 2018 Revision eingelegt und diese mit weiterem Schriftsatz seines Verteidigers vom 29. März 2018, bei Gericht eingegangen am selben Tag, begründet. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.


II.

Die Revision ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen vollständig den Schuldspruch und beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung ist ureigene Aufgabe des Tatrichters und durch das Revisionsgericht nur auf rechtliche Fehler zu prüfen, nicht aber durch eine eigene Beweiswürdigung zu ersetzen (BGHSt 10, 208; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 60. Auflage 2017, § 337 Rn. 26 mwN). Rechtsfehler weist die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung nicht auf.

Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht von der Verwertbarkeit der Aussage der richterlichen Verhörperson, der Zeugin M, ausgegangen ist. Zwar ist zutreffend, dass dem Angeklagten, der zum Zeitpunkt der richterlichen Vernehmung der Zeugin T keinen Verteidiger hatte, ein Verteidiger hätte bestellt werden müssen, § 141 Abs. 3 StPO i.V.m. Art. 6 Buchst. d MRK (vgl. BGHSt 46, 93). Denn jedenfalls im Verlauf der richterlichen Vernehmung, von welcher der Angeklagte gemäß § 168 c Abs. 3 StPO ausgeschlossen war, zeichnete sich ab, dass die Mitwirkung eines Verteidigers im gerichtlichen Verfahren notwendig sein würde. Es standen bereits Vorwürfe massiver und mehrfacher Misshandlungen im Raum. Tatsächlich erfolgte nach Erhebung der Anklage eine Bestellung des Rechtsanwalts C als Pflichtverteidiger auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 21. Juni 2016.

Zwar durfte der Angeklagte von der richterlichen Vernehmung der Belastungszeugin T ausgeschlossen werden und eine Benachrichtigung von der Vernehmung gemäß § 168 c Abs. 3, 5 StPO konnte unterbleiben. Denn sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Ermittlungsrichterin haben eine Gefährdung des Untersuchungserfolges bejaht. Der so entstandenen Beschränkung des Fragerechts des Angeklagten hätte allerdings durch die Bestellung eines Pflichtverteidigers begegnet werden müssen. Dieses Versäumnis mindert den Beweiswert des Vernehmungsergebnisses, welches durch den Rückgriff auf die Vernehmungsrichterin zur Grundlage der Urteilsfindung wurde. Der im Vorverfahren begangene Verfahrensfehler wirkt mithin in der Hauptverhandlung fort; dies unterliegt der revisionsrechtlichen Prüfung (BGH aaO).

Der dargestellte Verfahrensfehler führt jedoch nicht zur Unverwertbarkeit der Aussage der richterlichen Verhörperson, sondern – vergleichbar mit Fällen einer pflichtwidrig versagten Beteiligung an der richterlichen Vernehmung (BGHSt 34, 231; BGHSt NStZ 1998, 312; BGH StV 2017, 776) oder des anonymen Zeugen (BGH NStZ 1998, 97, 2000, 265) – zu besonders strengen Beweis- und Begründungsanforderungen (BGHSt 46, 93, 103). Zum einen hat der Tatrichter zu beachten, dass die Glaubwürdigkeitsbeurteilung mit dem Instrumentarium der Aussageanalyse begrenzt ist, weil die Aussage durch das Fehlen eines kontradiktorischen Verhörs nur beschränkt aufgeklärt und vervollständigt werden kann. Auf die Angaben des Vernehmungsrichters kann eine Feststellung daher nur dann gestützt werden, wenn diese Bekundungen durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden (BGH StV 2017, 776). Dass eine Überprüfung der von dem Vernehmungsrichter wiedergegebenen Aussage nach diesen Maßstäben erfolgt ist, muss der Tatrichter in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise im Urteil deutlich machen (BGHSt 46, 93, 106).

Diesen Maßstäben genügt das landgerichtliche Urteil. Unabhängig von den - von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geforderten - außerhalb der Aussage liegenden wichtigen Gesichtspunkten hat das Landgericht die durch die Zeugin M in die Hauptverhandlung eingeführte Aussage der Zeugin T einer eingehenden Glaubhaftigkeitsprüfung unterzogen, welche Rechtsfehler nicht erkennen lässt. Insbesondere hat das Landgericht auf die Konstanz und den Detailreichtum der Aussage der Zeugin abgestellt. So hat das Landgericht zum einen berücksichtigt, dass die Ermittlungsrichterin sich an der polizeilichen Aussage der Zeugin orientiert hat, und zum anderen, dass die Angaben der Zeugin mit ihrer Aussage gegenüber dem Zeugen L korrespondieren. So konnte der Zeuge L ebenfalls von entscheidenden Details wie dem Schlagen mit dem Staubsaugerrohr nach einem vorangegangenen Telefonat sowie Verletzungen mit einem Messer berichten.

Darüber hinaus hat das Landgericht zutreffend auf außerhalb der Aussage stehende, wichtige Gesichtspunkte abgestellt, nämlich die Aussagen der Zeugen L und U sowie den verlesenen Arztbericht vom 13. Juni 2016 und die in Augenschein genommenen Lichtbilder aus der bei der Polizei gefertigten Lichtbildmappe sowie dem Sonderband „Fotos“. Diese Gesichtspunkte sind ausreichend, um vorliegend den Mangel des Fragerechts auszugleichen und die durch die Vernehmung der Verhörsperson in die Hauptverhandlung eingeführte Aussage zu bestätigen.

Letztlich hat das Landgericht deutlich zum Ausdruck gebracht, dass ihm die gesteigerten Anforderungen an die Beweiswürdigung bewusst waren. Die Kammer hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinreichend berücksichtigt.

2. Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Strafbemessung Aufgabe des Tatrichters ist. Das Revisionsgericht darf nur einschreiten, wenn die Strafzumessungserwägungen des Urteils in sich rechtsfehlerhaft sind oder wenn der Tatrichter die ihm nach § 46 StGB obliegende Pflicht zur Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände verletzt, insbesondere rechtlich anerkannte Strafzwecke nicht in den Kreis seiner Erwägungen einbezogen hat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 60. Auflage 2017, § 337 Rn. 34 mwN). Das Landgericht hat die für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände rechtsfehlerfrei gemäß § 46 StGB abgewogen.

Ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot liegt entgegen der Darstellung in der Revisionsbegründung nicht vor. Denn soweit das Landgericht im Fall 1. strafschärfend berücksichtigt hat, dass der Angeklagte die Geschädigte geschlagen und getreten hat, stellt das Landgericht offensichtlich nicht auf die Erfüllung des Tatbestandes ab, sondern vielmehr auf die Ausführung und Intensität der Tat, welche aus zwei Verletzungsarten bestand, namentlich dem Schlagen und dem Treten. Das Maß der Pflichtwidrigkeit ist aber zu berücksichtigendes Strafzumessungskriterium,§ 46 Abs. 2 StGB.

Die Revision hat auch nicht Erfolg, weil das Urteil keine Ausführungen zur Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 2 StGB enthält. Zwar sind Ausführungen nicht nur dann erforderlich, wenn ausdrücklich ein Antrag auf Strafaussetzung gestellt worden ist. Dies gilt insbesondere, wenn ein derartiger Antrag in Widerspruch stehen würde zum sonstigen Verteidigungsverhalten (Meyer-Goßner/Schmitt aaO § 267 Rn. 23 mwN). So liegt es hier, da der Verteidiger die Verwerfung der Berufung der Staatsanwaltschaft beantragt hat. Ausführungen zur Strafaussetzung sind jedenfalls dann aus materiell-rechtlichen Gründen erforderlich, wenn besondere Umstände des Falles zur Prüfung der Vergünstigung drängen und eine Erörterung nicht entbehrlich erscheint (BGH StV 2011, 728; BGH Beschluss vom 28. Juli 2011, Az.: 4 StR 283/11, zitiert nach juris; BGH NStZ 1986, 374). Es kann letztlich dahinstehen, ob es Ausführungen zur Strafaussetzung nach § 56 Abs. 2 StGB, § 267 Abs. 3 S. 4 StPO bedurft hätte. Denn der Senat kann mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass das Urteil der Strafkammer anders ausgefallen wäre. Die Aussetzung der Strafe zur Bewährung gemäß § 56 Abs. 2 StGB setzt voraus, dass hierfür nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Die Feststellungen des Landgerichts lassen derartige Umstände nicht erkennen. Zwar ist der Angeklagte nicht vorbestraft. Von Bedeutung ist zudem, dass die Geschädigte, welche in der Hauptverhandlung von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, in die eheliche Wohnung zurückgekehrt ist und jedenfalls bis zur Inhaftierung des Angeklagten mit diesem wieder zusammenlebte. Dies allein genügt unter Berücksichtigung des hohen Ausmaßes der Pflichtwidrigkeit, insbesondere der Intensität der Verletzungshandlungen und des über einen längeren Zeitraum wiederkehrenden Verhaltensmusters des Angeklagten, sowie der konkreten Umstände der einzelnen Taten jedoch nicht, eine Strafaussetzung zur Bewährung nach den Maßstäben des § 56 Abs. 2 StGB auch nur annährend zu rechtfertigen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.


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