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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Vortäuschen einer Straftat, Anzeige unzutreffenden Alternativgeschehens

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bamberg, Beschl. v. 29.03.2018 - 2 OLG 120 Ss 119/17

Leitsatz: 1. Für eine Strafbarkeit wegen Vortäuschens einer Straftat genügt es, wenn eine tatsächlich begangene Tat durch die Anzeige ein im Kern anderes Gepräge erhält, was aufgrund einer am geschützten Rechtsgut und dem Unrechtsgehalt orientierten Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist. Zu diesen zählt insbesondere auch, ob aufgrund der vorgetäuschten Tat gegenüber dem wahren Sachverhalt ein nicht unwesentlicher unnützer Ermittlungsaufwand betrieben worden ist.
2. Die Falschanzeige eines vermeintlichen Diebstahls anstelle einer tatsächlich erfolgten Fundunterschlagung erfüllt auch dann nicht notwendig die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 145d I Nr. 1 StGB, wenn der von dem Berechtigten bemerkte Verlust des fraglichen Gegenstandes zeitlich deutlich vor dem angeblichen Diebstahl und auch an einem anderen als dem angegebenen Ort erfolgt ist, aber weder aus den Urteilsfeststellungen noch sonst ersichtlich ist, dass die Ermittlungsbehörden wegen der vorgetäuschten Sachdarstellung zu unnötigen und aufwändigen (Mehr-)Ermittlungen veranlasst wurden.
3. Erfolgen im Rahmen der Falschanzeige nicht nur falsche Angaben zur angezeigten Tat, sondern auch zu den persönlichen Verhältnissen und begründen diese gegen den Anzeigeerstatter den Verdacht des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen (§ 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB), so gebietet es die tatrichterliche Kognitionspflicht, die lediglich wegen Vortäuschens einer Straftat (§ 145d StGB) erhobene und zugelassene Anklage ohne Rücksicht auf die in Anklage und Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte rechtliche Bewertung zu erschöpfen, d.h. die den Untersuchungsgegenstand bildende angeklagte Tat im prozessualen Sinne restlos nach allen tatsächlichen und denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten, mithin auch im Hinblick auf eine Strafbarkeit wegen Missbrauchs von Berufsbezeichnungen aufzuklären und gegebenenfalls abzuurteilen. Denn zur Tat im prozessualen Sinne (§ 264 I StPO) gehört das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach der Lebensauffassung einen einheitlichen geschichtlichen Vorgang darstellt; darauf, dass bestimmte Umstände in der Anklageschrift keine ausdrückliche Erwähnung gefunden haben, kommt es deshalb nicht an.


Strafsache
Beschluss

In pp

Das AG verurteilte den Angekl. wegen Vortäuschens einer Straftat zu einer Geldstrafe. Die gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegten Berufungen des Angekl. und der StA hat das LG mit Urteil vom 08.08.2017 als unbegründet verworfen. Mit seiner gegen das Berufungsurteil eingelegten Revision rügt der Angekl. die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel führte zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung an eine andere kleine Strafkammer des LG.
Aus den Gründen:
Die statthafte und auch sonst zulässige Revision des Angekl. hat bereits mit der Sachrüge Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil das vom LG festgestellte Verhalten des Angekl. den Straftatbestand des § 145d I Nr. 1 StGB nicht erfüllt und das LG es unterlassen hat, zu prüfen, ob eine Verurteilung des Angekl. wegen unbefugten Führens der Berufsbezeichnung ‚Rechtsanwalt‘ nach § 132a I Nr. 2 StGB zu erfolgen hat. Auf die zudem erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht mehr an.
1. Entgegen der Auffassung des LG tragen die zum Tatgeschehen getroffenen Feststellungen die Verurteilung des Angekl. wegen Vortäuschens einer Straftat nach § 145d I Nr. 1 StGB nicht.
a) Nach den Feststellungen des LG erstattete der Angekl. am 17.12.2015 auf der Dienststelle der Polizeiinspektion V. gegenüber Polizeihauptkommissar T. wider besseres Wissen dahingehend Anzeige, dass ihm sein Smartphone ‚HTC One M8‘ im Wert von ca. 600 € am 05.12.2015 gegen 5.00 Uhr in der Straßenbahn auf dem Weg von der Haltestelle O-Straße zur Haltestelle K-Weg in V. gestohlen worden sei. Tatsächlich war das Smartphone nicht wie von ihm angegeben entwendet worden, sondern er hatte dieses bereits am 13.11.2015 im Raucherbereich der Räumlichkeiten eines Stripclubs in der Q-Straße in V. verloren. Noch am selben Tag hatte es dort die deswegen bereits rechtskräftig verurteilte A. aufgefunden, unberechtigt an sich genommen und in der Folgezeit benutzt. Da der Angekl. selbst in der Hauptverhandlung angegeben hatte, eine Ortung seines Handys vorgenommen und daraufhin in dem Club in der Q-Straße, der letzten angezeigten Örtlichkeit, nachgefragt zu haben, ging das LG davon aus, dass der Angekl. wusste, dass seine am 17.12.2015 bei der Polizei getätigten Angaben über Zeit, Ort und Umstände des Abhandenkommens des Handys unzutreffend waren. […].
b) Das festgestellte Verhalten des Angekl. erfüllt nicht den Straftatbestand des Vortäuschens einer Straftat nach § 145d I Nr. 1 StGB.
aa) Zutreffend geht das LG davon aus, dass die Vorschrift des § 145d I Nr. 1 StGB zwei Fallgruppen erfasst. So macht sich nicht nur strafbar, wer eine frei erfundene, in Wirklichkeit nicht begangene Straftat behauptet und die Täuschung hierüber geeignet ist, unnützerweise staatliches Einschreiten auszulösen, sondern auch, wer eine tatsächlich begangene Tat derart abweichend darstellt, dass sie durch die Anzeige ein im Kern anderes Gepräge erhält. Bei dem Straftatbestand des Vortäuschens einer Straftat nach § 145d I Nr. 1 StGB handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, mit dem die zur Strafverfolgung berufenen Behörden vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme und vor Veranlassung zu unnützen Maßnahmen geschützt werden sollen (BGH NStZ 2015, 514; vgl. auch Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben StGB 29. Aufl. § 145d Rn. 1 und Fischer StGB 65. Aufl. § 145d Rn. 2 m.w.N.).
bb) Wann im Einzelnen davon auszugehen ist, dass durch ein Weglassen oder Hinzudichten von Tatumständen eine tatsächlich begangene Tat in ihrem Charakter völlig verändert wird, wird in Rspr. und Schrifttum nicht einheitlich beurteilt. Während es im Wesentlichen unstreitig ist, dass eine Strafbarkeit nach § 145d I Nr. 1 StGB jedenfalls dann ausscheidet, wenn eine wirklich begangene Tat bloß übertrieben oder in einzelnen Modalitäten wie Tatort oder Tatzeit falsch dargestellt wird (LK/Ruß StGB 12. Aufl. § 145d Rn. 11 f. m.w.N.), lassen Rspr. und Schrifttum jedenfalls für jene Fallgestaltungen allgemein gültige Kriterien vermissen, bei denen es sich nicht lediglich um bloße Übertreibungen oder Vergröberungen des Sachverhalts handelt. Nach der Rspr. ist eine Charakterveränderung im Wesentlichen dann in Betracht zu ziehen, wenn die begangene Tat gegenüber der vorgetäuschten nicht ins Gewicht fällt und dadurch das Geschehen aufgrund der Täuschung ein völlig anderes Gepräge erhält (BayObLG NJW 1988, 83; OLG Hamm NJW 1971,1324) oder durch die Täuschung aus einem Antrags- bzw. Privatklagedelikt ein Offizialdelikt oder aus einem Vergehen ein Verbrechen wird (OLG Karlsruhe MDR 1992, 1166). Weitgehende Übereinstimmung besteht darin, dass eine Gesamtbetrachtung der Umstände der Tat stattzufinden hat und Ausgangspunkt einer Abgrenzung das geschützte Rechtsgut des § 145d StGB sein muss. Maßgeblich ist daher nach dem Strafzweck darauf abzustellen, ob der Umfang der erforderlichen Maßnahmen hinsichtlich des vorgetäuschten Deliktes über den zur Aufklärung notwendigen Ermittlungsbedarf hinsichtlich des tatsächlichen Deliktes wesentlich hinausgeht, wobei es insoweit auf den Zeitpunkt der Vortäuschung ankommt. Ist dies nicht der Fall, so ist entweder schon der objektive Tatbestand des § 145d I Nr. 1 StGB nicht erfüllt oder aber die subjektive Tatseite zu verneinen, wenn der Täter ebenfalls von keiner erheblichen Ausweitung der Ermittlungsarbeit ausgehen konnte (OLG Karlsruhe a.a.O. S. 1167). Nach Ansicht des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 15.04.2015 – 1 StR 337/14 = NStZ 2015, 514 = StraFo 2015, 299 = NZWiSt 2015, 427 = MMR 2015, 800 = StV 2016, 158) ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls entscheidend, ob die für die angezeigte Tat scheinbar notwendigen und die tatsächlich erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen im Zusammenhang stehen oder erstere sich letztlich als unnütz erweisen.
cc) Nach diesen Maßstäben kann der Senat der rechtlichen Bewertung des LG, wonach sich der Angekl. wegen Vortäuschens einer Straftat nach § 145d I Nr. 1 StGB strafbar gemacht hat, nicht folgen. Rechtsfehlerfrei hat das LG festgestellt, dass der von dem Angekl. am 17.12.2015 angezeigte Diebstahl seines Handys weder zum angegebenen Zeitpunkt noch am angegebenen Ort noch überhaupt stattgefunden hatte. Es hat aber zugleich festgestellt, dass der Angekl. das Handy am 13.11.2015 in einem Stripclub in V. liegen gelassen hat, wo es von der gesondert Verfolgten A. aufgefunden, unberechtigt an sich genommen und in der Folgezeit benutzt wurde. Das in Verlust geratene Handy des Angekl. war damit zwar nicht Gegenstand des angezeigten Diebstahls (§ 242 StGB), wohl aber einer drei Wochen zuvor erfolgten Fundunterschlagung (§ 246 StGB) einer zunächst unbekannten dritten Person. Zweifelsohne hat der Angekl. damit einen nach Tatzeit, Tatort und Begehungsweise völlig anderen historischen Sachverhalt vorgetäuscht als tatsächlich geschehen, allerdings fehlt es an dem von der Rspr. geforderten gravierenden Ungleichgewicht der beiden Taten, die sich immerhin auf dasselbe abhanden gekommene Tatobjekt beziehen und auch von ihrem Unrechtsgehalt nicht völlig unterschiedlich zu bewerten sind. Die inmitten stehenden Tatbestände sind nahe miteinander verwandt, das geschützte Rechtsgut ist dasselbe und der Täterwille ist durch eine gleich geartete, eigene Sachherrschaft erstrebende Missachtung fremden Eigentums gekennzeichnet (BGHSt 16, 184). Entscheidend kommt hinzu, dass sich weder aus den Angaben des ermittelnden Polizeibeamten noch aus den übrigen Feststellungen des angefochtenen Urteils ergibt noch sonst ersichtlich ist, dass die Ermittlungsbehörden vorliegend in erheblichem Maße wegen der vorgetäuschten Sachdarstellung zu unnötigen und aufwändigen (Mehr-) Ermittlungen veranlasst wurden. Insoweit hat der ermittelnde Polizeibeamte zwar angegeben, dass er zunächst lediglich eine Verlustanzeige aufgenommen hätte, wenn der Angekl. ihm mitgeteilt hätte, dass er nicht ausschließen könne, dass er das Handy verloren habe, allerdings hätte er auch in diesem Fall - wie geschehen - über Google nach dem Handy ermittelt. Hätte der Angekl. indes gegenüber dem Polizeibeamten die von ihm im Rahmen seiner Einlassung vor dem LG geschilderten Bemühungen um die Wiedererlangung seines Handys in dem Stripclub sowie seine hieraus gezogene Schlussfolgerung einer mutmaßlichen Unterschlagung bzw. eines Diebstahls des Handys geschildert, so wäre der Polizeibeamte ohnehin gehalten gewesen, eine Anzeige wegen des Verdachts der Unterschlagung bzw. des Diebstahls aufzunehmen, die damit im Wesentlichen denselben Ermittlungsaufwand ausgelöst hätte wie die wahrheitswidrige Anzeige des Angekl., zumal nicht ersichtlich ist, dass insoweit für die Ermittlung des unbekannten Täters der angegebene Tatort bzw. die angegebene Tatzeit von entscheidender Bedeutung waren. Zwar hat das LG letztlich offen gelassen, ob es den Angaben des Angekl. zu seinen Bemühungen um Wiedererlangung des abhanden gekommenen Handys Glauben schenkt. Darauf kommt es aber letztendlich nicht an. Denn selbst wenn der Angekl. davon ausgegangen sein sollte, dass dem Abhandenkommen des Handys keine Straftat zugrunde liegt, so begründet die Erstattung der - bewusst falsche Angaben enthaltenden - Strafanzeige vom 17.12.2015 gleichwohl nicht seine Strafbarkeit. Ist nämlich die rechtswidrige Tat wie hier die Fundunterschlagung tatsächlich begangen worden, ohne dass der Täter dies gewusst oder geglaubt hat, so liegt nur ein (strafloser) untauglicher Versuch vor (NK/Kretschmer StGB 5. Aufl. § 145d Rn. 18 unter Hinweis auf LK/Ruß a.a.O. Rn. 22).
2. Soweit in den Gründen des angefochtenen Urteils mitgeteilt wird, dass sich der Angekl. nach Angaben des ermittelnden Polizeibeamten im Rahmen der Anzeigenerstattung vom 17.12.2015 als Rechtsanwalt bezeichnet habe, sich im Übrigen aber aus der im Urteil niedergelegten Einlassung des Angekl. ergibt, dass er die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft lediglich beantragt, aber noch nicht erhalten habe, ist das LG seiner Kognitionspflicht (§ 264 I StPO) nicht nachgekommen, weil es das von der Anklage erfasste Gesamtgeschehen rechtsfehlerhaft nicht vollständig gewürdigt hat.
a) Die umfassende Kognitionspflicht des Tatgerichts gebietet es, die Anklage, wie sie im Eröffnungsbeschluss zugelassen ist, zu erschöpfen, also die den Untersuchungsgegenstand bildende Angekl. Tat restlos nach allen tatsächlichen (§ 244 II StPO) und denkbaren rechtlichen (§ 265 StPO) Gesichtspunkten aufzuklären und abzuurteilen, ohne Rücksicht auf die der Anklage und dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte rechtliche Bewertung (vgl. nur BGH, Urt. v. 16.11.2017 - 3 StR 83/17 = NStZ-RR 2018, 75; 08.11.2016 - 1 StR 492/15 = NStZ-RR 2017, 352 und 12.07.2016 - 1 StR 595/15 = StV 2017, 87 = wistra 2017, 66 = NStZ 2017, 167). Soweit danach im Zuge der Anzeigenerstattung vom 17.12.2015 eine Strafbarkeit des Angekl. nach § 132a I Nr. 2 StGB in Betracht zu ziehen ist, handelt es sich um ein und dieselbe Tat im prozessualen Sinne. Nach einhelliger höchstrichterlicher Rspr. ist die Tat als Gegenstand der Urteilsfindung der historische Vorgang, auf den Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen, und innerhalb dessen der Angekl. einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Zur Tat im prozessualen Sinne gehört - unbeschadet der konkurrenzrechtlichen Einordnung als Tateinheit (§ 52 StGB) oder Tatmehrheit (§ 53 StGB) - das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach der Lebensauffassung einen einheitlichen Vorgang darstellt. Somit umfasst der Lebensvorgang, aus dem die zugelassene Anklage einen strafrechtlichen Vorwurf begründet, alle damit zusammenhängenden und darauf bezüglichen Vorkommnisse, selbst wenn diese Umstände in der Anklageschrift nicht ausdrücklich Erwähnung finden. Maßgeblich für die Beurteilung des Tatumfangs sind die Umstände des Einzelfalls. Entscheidend ist, ob zwischen den in Betracht kommenden Verhaltensweisen - unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung - ein enger sachlicher Zusammenhang besteht; ein zeitliches Zusammentreffen der einzelnen Handlungen ist dagegen weder erforderlich noch ausreichend (BGH, Urt. v. 26.01.2017 - 3 StR 482/16 [bei juris] m.w.N.).
b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist vorliegend davon auszugehen, dass sämtliche Angaben des Angekl. gegenüber dem Polizeibeamten anlässlich seiner Anzeigenerstattung vom 17.12.2015, also nicht nur seine Angaben zur angezeigten Tat selbst, sondern auch seine Angaben zu seinen eigenen persönlichen Verhältnissen einen einheitlichen Lebensvorgang umfassen und daher ein und dieselbe Tat im prozessualen Sinne bilden.
c) Sollte sich, was indes nicht näher mitgeteilt wird und was der mit der Überprüfung auf Grund der Sachrüge auf die Urteilsurkunde beschränkte Senat nicht feststellen kann, das in dem angefochtenen Urteil lediglich im Rahmen der Strafzumessung erwähnte weitere Ermittlungsverfahren der StA V. wegen Missbrauchs von Titeln und Berufsbezeichnungen auf diesen Tatvorwurf beziehen und im Hinblick auf das vorliegende Strafverfahren nach § 154a I StPO eingestellt worden sein, so hätte das LG, um seiner Pflicht aus § 264 StPO zu genügen, grundsätzlich die ausgeschiedene Gesetzesverletzung wieder gemäß § 154a III StPO in das Verfahren einzubeziehen (vgl. BGH, Urt. v. 08.03.2017 - 5 StR 333/16 = BGHSt 62, 85 = NJW 2017, 1624 = NStZ 2017, 478 und 12.05.2016 - 4 StR 569/15 = BGHR StPO § 344 Abs 2 S 2 Inbegriff 2; BGHSt 22, 105; 32, 84; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. Aufl. § 154a Rn. 24 m.w.N.).
3. Dass der […] Angekl. durch die vorliegende Verletzung der Kognitionspflicht nicht beschwert ist, hinderte den Senat schließlich nicht, das angefochtene Urteil auch insoweit zu überprüfen. Aus dem Gebot umfassender sachlicher Prüfung hat die Rechtsprechung seit jeher die Befugnis abgeleitet, auf die Sachrüge den Schuldspruch auch zum Nachteil des Angekl. zu ändern oder zu ergänzen. Damit hat sie ein Eingreifen in den Schuldspruch gerade nicht davon abhängig gemacht, ob der Angekl. durch den Rechtsfehler beschwert ist. Im Rahmen seiner umfassenden Kognitionspflicht hat das Rechtsmittelgericht grundsätzlich den Schuldspruch zu erlassen, der dem materiellen Recht entspricht. Nichts anderes gilt im Falle einer Aufhebung und Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht wegen eines rechtsfehlerhaften Schuldspruchs. Das Verschlechterungsverbot schützt den Angekl. nur davor, dass das Urteil in Art und Höhe der Strafe zu seinem Nachteil geändert wird. Eine Veränderung bzw. ggf. auch eine Verschärfung im Schuldspruch muss er dagegen mit der Einlegung des Rechtsmittels in Kauf nehmen (BGHSt 37, 5; OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.11.2001 - 1 Ss 67/01 [bei juris]). […]


Einsender: RiOLG Dr. G. Gieg, Bamberg

Anmerkung:


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