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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Strafvollstreckung, Bestellungsvoraussetzungen

Gericht / Entscheidungsdatum: Sächs.VerfGH, Beschl. v. 30.08.2018 - Vf 73-IV 18 (HS)

Leitsatz: 1. Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung wegen einer neuen Tat ist auch ohne deren Aburteilung ohne Verletzung der Unschuldsvermutung zulässig, wenn der Betroffene die neue Straftat vor einem Richter glaubhaft gestanden hat, das Geständnis nicht ersichtlich von prozesstaktischen Erwägungen bestimmt und nicht widerrufen ist. Zu diesen Voraussetzungen muss das Widerrufsgericht aber Stellung nehmen.
2. Liegt eine unterschiedliche rechtliche Beurteilung der Widerrufsgründe durch die Gerichts und dies Staatsanwaltschaft vor, ist dem Verurteilten ggf. in analoger Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO für das Vollstreckungsverfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen.


Vf 73-IV 18 (HS)

DER VERFASSUNGSGERICHTSHOF DES FREISTAATES SACHSEN IM NAMEN DES VOLKES
Beschluss
In dem Verfahren
über die Verfassungsbeschwerde
des Herrn
Verfahrensbevollmächtigter:

hat der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen durch pp. am 30. August 2018 beschlossen:

1. Die Verfügungen und Beschlüsse des Oberlandesgerichts Dresden vom 12. Juni 2018 (2 Ws 106/18 und 2 Ws 107/18) verletzen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 15 und 78 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SächsVerf. Sie werden aufgehoben und an das Oberlandesgericht Dresden zurückverwiesen.

2. Der Freistaat Sachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:

I.

Mit seiner am 19. Juli 2018 bei dem Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse und Verfügungen des Oberlandesgerichts Dresden vom 12. Juni 2018 (2 Ws 106/18 und 2 Ws 107/18), mit denen die durch das Landgericht Dresden und durch das Amtsgericht Dresden gewährte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen und die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in den Strafvollstreckungsverfahren abgelehnt wurde.

Mit Beschluss vom 10. Dezember 2009 (StVK 1431/09) setzte das Landgericht Dresden die Reststrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Meißen vom 11. August 2005 (7 Ls 166 Js 57182/04), des Amtsgerichts Chemnitz vom 11. Januar 2000 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 17. Januar 2001 (6 Ns 520 Js 16594/98) und des Landgerichts Bautzen vom 29. April 2002 (2 Ns 320 Js 8147/00) zur Bewährung aus. Dieser Beschluss wurde am 16. Dezember 2009 rechtskräftig. Die Bewährungszeit wurde zunächst auf vier Jahre festgesetzt und in der Folgezeit bis zum 15. Juni 2015 verlängert.

Mit Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 21. Juli 2011 (231 Ds 318 Js 2521/11) wurde der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt, wobei die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde zunächst auf vier Jahre festgesetzt und in der Folgezeit bis zum 28. Juli 2016 verlängert.

Mit weiterem Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 27. Mai 2015 (230 Ls 111 Js 7041/12) wurde der Beschwerdeführer wegen Taten im Zeitraum vom 15. März 2010 bis zum September 2014 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf die Berufung des Beschwerdeführers verurteilte das Landgericht Dresden ihn mit Urteil vom 14. August 2017 (9 Ns 111 7041/12 [2]) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Zuvor beschränkte der Beschwerdeführer nach einem Rechtsgespräch und einer Verständigung nach § 257c StPO seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch. Auf die Revision des Beschwerdeführers hob das Oberlandesgericht Dresden mit Beschluss vom 25. April 2018 (2 OLG 13 Ss 922/17) das Urteil des Landgerichts vom 14. August 2017 auf, weil die erklärte Berufungsbeschränkung unwirksam sei.

Während des Berufungsverfahrens beantragte die Staatsanwaltschaft Dresden im Mai 2016 beim Landgericht Dresden den Widerruf der durch das Landgericht und das Amtsgericht gewährten Strafaussetzung zur Bewährung. Mit Beschlüssen vom 3. Juni 2016 (B 611 StVK 1164/11) und vom 6. Juni 2016 (B 6b StVK 1431/09) lehnte das Landgericht die Anträge der Staatsanwaltschaft ab. Das Urteil des Amtsgerichts sei nicht rechtkräftig. Den Urteilsgründen könne ein Geständnis nicht mit der notwendigen Klarheit entnommen werden. Die hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft, mit denen eine Ergänzung der Beschlussformeln dahin angestrebt wurde, dass ein Widerruf nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens noch möglich sei, blieben vor dem Oberlandesgericht Dresden erfolglos (Beschlüsse vom 30. Juni 2016 [2 Ws 321/16] und vom 18. Juli 2016 [2 Ws 339/16]), weil über die begehrte Ergänzung zunächst die Strafvollstreckungskammer entscheiden müsse. Mit Beschlüssen vom 4. August 2016 und vom 15. August 2016 lehnte die Strafvollstreckungskammer die begehrte Ergänzung ab. Die hiergegen eingelegten sofortigen Beschwerden verwarf das Oberlandesgericht mit Beschlüssen vom 7. September 2016 (2 Ws 435/16) und vom 8. September 2016 (2 Ws 447/16) als unbegründet.

Nach dem Urteil des Landgerichts Dresden vom 14. August 2017 beantragten die Staatsanwaltschaften Dresden, Chemnitz und Görlitz — Zweigstelle Bautzen erneut den Widerruf der durch das Landgericht Dresden und das Amtsgericht Dresden gewährten Strafaussetzungen zur Bewährung. Aufgrund der Beschränkung auf den Straffolgenausspruch durch den Beschwerdeführer stehe rechtsverbindlich fest, dass er innerhalb der Bewährungszeit Straftaten begangen habe. Mit Beschlüssen vom 9. Januar 2018 (B 6 11 StVK 1164/11) und vom 10. Januar 2018 (B 6b StVK 1431/09) lehnte das Landgericht jeweils den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung ab. Zum jetzigen Zeitpunkt könne nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, ob von der Möglichkeit des § 56f Abs. 2 StGB Gebrauch gemacht werden könne.

Hiergegen erhoben die Staatsanwaltschaften jeweils sofortige Beschwerden. Mit Beschluss vom 12. Juni 2018 (2 Ws 107/18) hob das Oberlandesgericht den Beschluss des Landgerichts Dresden vom 9. Januar 2018 auf und widerrief die mit Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 21. Juli 2011 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung. Mit Beschluss vom gleichen Tag (2 Ws 106/18) hob das Oberlandesgericht auch den Beschluss des Landgerichts Dresden vom 10. Januar 2018 auf und widerrief die mit Beschluss des Landgerichts Dresden vom 10. Dezember 2009 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung. Dem Widerruf stehe nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer wegen der innerhalb der Bewährungszeit begangenen Taten nicht rechtskräftig verurteilt sei, weil er sich vor dem Amtsgericht weitgehend geständig gezeigt habe. Auch in der Berufungshauptverhandlung sei kein Widerruf des Geständnisses erfolgt, sondern vielmehr eine vollständige Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch erklärt worden. Die unwirksame Berufungsbeschränkung vermöge nur hinsichtlich der insoweit indirekt eingestandenen Taten Zweifel zu begründen. Auch der Ablauf der Bewährungszeit stehe einem Widerruf nicht entgegen. Bereits im Februar 2015 sei der Beschwerdeführer durch die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts auf einen möglichen Widerruf nach Ablauf der Bewährungszeit hingewiesen worden. Das Amtsgericht habe die umfangreich angeklagten Taten zeitnah abgeurteilt. Die fortdauernde Prüfung eines Widerrufs sei dem Beschwerdeführer bekannt gewesen, Ein Vertrauen, dass die Strafaussetzung nicht mehr widerrufen würde, habe sich bei dein Beschwerdeführer nicht bilden können.

Zuvor lehnte das Oberlandesgericht in beiden Verfahren den Antrag des Beschwerdeführers auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers mit Verfügungen der Vorsitzenden vom 12. Juni 2018 als unbegründet ab. Die Strafvollstreckungsverfahren wiesen im vorliegenden Fall weder Besonderheiten in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht auf Es seien auch keine Anhaltspunkte erkennbar, dass sich der Beschwerdeführer nicht selbst verteidigen könne.

Der Beschwerdeführer rügt im Verfassungsbeschwerdeverfahren eine Verletzung von Art. 15 SächsVerf und seines Grundrechts auf ein faires Verfahren (Art. 78 Abs. 3 SächsVerf). Er werde durch die Beschlüsse des Oberlandesgerichts in seinem aus Art. 15 SächsVerf i.V.m dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitenden Grundrecht auf Wahrung der Unschuldsvermutung verletzt. Der Widerruf der gewährten Strafaussetzung zur Bewährung dürfe nicht auf das vor dem Amtsgericht abgelegte Geständnis gestützt werden. Selbst die Staatsanwaltschaft habe den Beschluss des Landgerichts vom 6. Juni 2016 akzeptiert, wonach den Urteilsgründen des Amtsgerichts ein Geständnis nicht mit der notwendigen Klarheit entnommen werden könne. Für den Widerrufsantrag habe sich die Staatsanwaltschaft allein auf das Urteil des Landgerichts vom 14. August 2017, nicht aber auf ein mögliches Geständnis vor dem Amtsgericht, berufen. Zudem sei das Geständnis nicht durch eine (auch nur kursorische) Beweisaufnahme hinsichtlich seiner Richtigkeit überprüft worden. Vielmehr sei das Geständnis aus prozesstaktischer Erwägung abgelegt worden, um eine Bewährungsstrafe erhalten zu können. Teilweise habe der Verteidiger die Angaben getätigt, ohne dass diese vom Beschwerdeführer bestätigt worden seien. Ebenso dürfe die im Berufungsverfahren erklärte Berufungsbeschränkung aufgrund der Revisionsentscheidung des Oberlandesgerichts nicht verwertet werden. Des Weiteren verstießen die angegriffenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, weil ihm trotz schwieriger Sach- und Rechtslage kein Pflichtverteidiger bestellt worden sei. Zudem verstoße die Verfahrensweise, mit der die Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt worden sei, gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens. Die Ablehnung des Antrages auf Bestellung eines Pflichtverteidigers sei zeitgleich mit den Beschlüssen hinsichtlich des Widerrufs ergangen, so dass der Beschwerdeführer vor der Entscheidung über den Widerruf nicht die Möglichkeit gehabt habe, einen Wahlverteidiger zu bestellen. Der Wahlverteidiger hätte dann die Möglichkeit gehabt, umfassend zu der Frage vorzutragen, ob die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaften überhaupt zulässig seien, weil sich die Sachlage aufgrund der Revisionsentscheidung des Oberlandesgerichts nach der erstmaligen Ablehnung des Widerrufs nicht geändert habe. Außerdem verstießen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, weil der Beschwerdeführer zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit dem Widerruf der Strafaussetzung aufgrund des Urteils des Amtsgerichts vom 27. Mai 2015 habe rechnen können.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.

1. Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts vom 12. Juni 2018 (2 Ws 106/18 und 2 Ws 107/18) verletzen den Beschwerdeführer in der in Art. 15 SächsVerf in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verankerten Unschuldsvermutung.

2.a) Die in Art. 15 SächsVerf in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verfassungsrechtlich verankerte Unschuldsvermutung enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- und Verbote; ihre Auswirkungen auf das Verfahrensrecht bedürfen vielmehr der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. April 2008 — 2 BvR 572/08 — juris Rn. 2). Dies ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. März 1987, BVerfGE 74, 358 [372]; Beschluss vom 9. Dezember 2004, NStZ 2005, 204). Von Verfassungs wegen setzt der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB wegen einer neuen Straftat mit Blick auf die Unschuldsvermutung zwar regelmäßig voraus, dass der Täter wegen dieser neuen Straftat verurteilt worden ist (vgl. EGMR, Urteil vom 3. Oktober 2002, NJW 2004, 43 ff.). Allerdings ist ein Widerruf der Strafaussetzung wegen einer neuen Tat auch ohne deren Aburteilung ohne Verletzung der Unschuldsvermutung zulässig, wenn der Betroffene die neue Straftat vor einem Richter glaubhaft gestanden hat, das Geständnis nicht ersichtlich von prozesstaktischen Erwägungen bestimmt und nicht widerrufen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. April 2008 — 2 BvR 572/08 — juris Rn. 2; Beschluss vom 9. Dezember 2004 — 2 BvR 2314/04 — juris Rn. 4; OLG Jena, Beschluss vom 7. Mai 2003, NStZ-RR 2003, 316; OLG Oldenburg, Beschluss vom 14. Oktober 2009, StV 2010, 311; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 56f, Rn. 7).

b) Diesen Maßstäben wird das Oberlandesgericht in den angegriffenen Beschlüssen nicht gerecht. Das Oberlandesgericht hat in seinen Beschlüssen nicht hinreichend ausgeführt, aus welchen Gründen von einem glaubhaften Geständnis des Beschwerdeführers vor dem Amtsgericht auszugehen sei. In dem Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 27. Mai 2015 wird lediglich ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer zur Sache selber weitestgehend geständig eingelassen habe. Die vom Amtsgericht als geständig gewerteten Einlassungen des Beschwerdeführers werden dagegen im Urteil nicht konkret wiedergegeben, obwohl Anhaltspunkte für die Annahme eines sachlich und rechtlich einfachen Falls angesichts der Anzahl der Taten und der angeklagten Straftatbestände nicht erkennbar sind (vgl. zu den Anforderungen an die Darstellung der Einlassung des Angeklagten in den Urteilsgründen: BGH, Beschluss vom 29. Dezember 2015 — 2 StR 322/15 — juris Rn. 6; Beschluss vom 27. September 2017 — 4 StR 142/17 — juris; OLG Köln, Beschluss vom 14. Februar 2003 — Ss 16/03 — juris Rn. 8; OLG Hamm, Beschluss vom 21, November 2002 — 5 Ss 1016/02 juris Rn. 9; Julius in: Gercke/Julius/Temming, StPO, 5. Aufl., § 261 Rn. 23). Aus diesen Gründen wäre das Oberlandesgericht veranlasst gewesen, weitergehende Ausführungen zur Glaubhaftigkeit des Geständnisses zu treffen; zumal bereits in den Beschlüssen des Landgerichts vom 3. und 6. Juni 2016 darauf hingewiesen wurde, dass den Urteilsgründen ein Geständnis nicht mit der notwendigen Klarheit entnommen werden könne.

2. Des Weiteren verletzen die Entscheidungen des Oberlandesgerichts vom 12. Juni 2018 den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf ein gerechtes Verfahren (Art. 78 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SächsVerf).

a) Die Vorschriften der §§ 140 ff. StPO über die notwendige Mitwirkung und die Bestellung eines Verteidigers im Strafverfahren stellen sich als Konkretisierungen des auch in der Sächsischen Verfassung in Art. 78 Abs. 3 Satz 1 Alt. I verbürgten Anspruchs auf ein gerechtes, faires Verfahren dar. Zusätzlichen Schutz entfaltet in diesem Bereich für die Normanwendung das Grundrecht auf Verteidigung (Art. 78 Abs. 3 Satz 1 Alt. 4 SächsVerf). Das Gebot fairer Verfahrensführung zählt zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens, insbesondere des Strafverfahrens mit seinen möglichen einschneidenden Auswirkungen für den Beschuldigten. Diesem muss die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Dazu gehört auch, dass einem Beschuldigten, der die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufbringen kann, in schwerwiegenden Fällen von Amts wegen ein Pflichtverteidiger beigeordnet wird (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 21. Februar 2013 — Vf. 107-IV-12 [HS]/ Vf. 108-IV-12 [e.A.]; BVerfG, Beschluss vom 8. April 1975, BVerfGE 39, 238 [243]; Beschluss vom 19. Oktober 1977, BVerfGE 46, 202 [210]). Dies gilt in entsprechender Anwendung auch für die Vollstreckungsverfahren.

Nicht jede zweifelhafte oder objektiv fehlerhafte Anwendung der §§ 140 ff. StPO begründet einen Verfassungsverstoß. Die Subsumtionsvorgänge innerhalb des einfachen Rechts sind insoweit der Nachprüfung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes entzogen, als nicht Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 27. Oktober 2005 — Vf. 62-IV-05; BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 2003 — 2 BvR 517/03 —, m.w.N.).

b) Nach diesen Maßstäben werden die Entscheidungen des Oberlandesgerichts vom 12. Juni 2018 den Anforderungen von Art. 78 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SächsVerf nicht gerecht.
Das Oberlandesgericht verkennt den Inhalt und die Bedeutung des Art. 78 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SächsVerf, indem es in den Verfügungen vom 12. Juni 2018 jeweils annimmt, die Strafvollstreckungsverfahren wiesen keine Besonderheiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf. Angesichts der unterschiedlichen rechtlichen Beurteilung der Widerrufsgründe durch das Landgericht, die Staatsanwaltschaften und das Oberlandesgericht erscheint die Begründung des Oberlandesgerichts nicht mehr nachvollziehbar. Das Landgericht hat die Ablehnung der Widerrufsanträge in seinen Beschlüssen vom 3. und 6. Juni 2016 unter anderem damit begründet, dass den Urteilsgründen ein Geständnis nicht mit der notwendigen Klarheit entnommen werden könne. Dieser Rechtsauffassung schlossen sich auch die Staatsanwaltschaften an, indem sie die erneuten Widerrufsanträge allein damit begründen, trotz der eingelegten Revision sei der Schuldspruch aufgrund der erfolgten Berufungsbeschränkung bereits in Rechtskraft erwachsen. Nach fachrechtlicher Rechtsprechung ist in der Regel aber bei unterschiedlicher Beurteilung der Sach- oder Rechtslage durch die Instanzen und die Staatsanwaltschaft von einer schwierigen Sach- oder Rechtslage auszugehen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 11. Oktober 1989 — RReg 1 St 276/89 — juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 29. Oktober 1991 — 2 Ss 344/91 — juris; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 140 Rn. 26a), so dass die Ablehnung eines Antrages auf Bestellung eines Pflichtverteidigers nur ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Dies hat das Oberlandesgericht verkannt.

Gemäß § 31 Abs. 2 SächsVerfGHG sind die angefochtenen Verfügungen und Beschlüsse des Oberlandesgerichts Dresden aufzuheben und an das Oberlandesgericht Dresden zurückzuverweisen.

IV.

Die Entscheidung ist kostenfrei (§ 16 Abs. 1 Satz 1 SächsVerfGHG). Der Freistaat Sachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten (§ 16 Abs. 3 SächsVerfGHG).


Einsender: RA R. Franek, Dresden

Anmerkung:


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