Gericht / Entscheidungsdatum: OLG München, 24.05.2018 - Beschl. v. 6 St (K) 8/17
Leitsatz: Zur (Nicht)Berücksichtigung von längeren Pausen, insbesondere von (Mittags)Pausen, bei der Berechnung der für den Längenzuschlag maßgeblichen Hauptverhandlungsdauer.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN
Aktenzeichen: 6 St (K) 8/17
BESCHLUSS
Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München hat durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter
in der Strafsache
gegen pp.
wegen Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung u.a.
Hier: Erinnerung des Rechtsanwalts pp. gegen den Festsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichtes München vom 7. Juni 2017
am 24. Mai 2018 beschlossen:
I. Die Erinnerung des Rechtsanwalts pp. gegen den
Festsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts München vom 7. Juni 2017 wird als unbegründet verworfen.
II. Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
1. Der Senat hat Rechtsanwalt pp. mit Beschluss vom 22.11.2012 der Angeklagten Zschäpe als Pflichtverteidiger beigeordnet.
2. Mit Festsetzungsbeschluss vom 7. Juni 2017 befand der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle über gesetzliche Gebührenansprüche des Antragstellers aus dem Mai 2017. Im Zuge der Entscheidung kam es zu einer Absetzung eines beehrten Längenzuschlags nach Nr. 4123 VV RVG für den 30. Mai 2017 (für eine Hauptverhandlung von mehr als 8 Stunden Dauer). Nach Abzug einer pauschalen Mittagspause von einer Stunde durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle verblieb für diesen Sitzungstag nur eine Verhandlungsdauer von 7 Stunden und 23 Minuten, die nur die Zubilligung des um 178,00 niedrigeren Längenzuschlags nach Nr. 4122 VV RVG rechtfertigte.
3. Gegen diesen pauschalen Abzug einer Mittagspause von einer Stunde wendet sich der Antragsteller mit einer Erinnerung vom 12. Juni 2017, die er zugleich auch auf alle sonstigen Festsetzungsbeschlüsse erstreckte, bei denen es wegen des Abzugs einer einstündigen Mittagspause zu Abstrichen oder Ausfällen bei den Längenzuschlägen nach den Nrn. 4122 und 4123 VV RVG kam
4. Der Erinnerungsführer verweist zur Begründung seiner Auffassung auf den Beschluss des Oberlandesgericht Brandenburg vom 23. August 2016 (Az.: 2 Ws 76/16) mit dem die Mittagspause als nicht abzugsfähig bei der Ermittlung der Längenzuschläge gekennzeichnet wurde. Überdies verweist er darauf, dass er in den mittäglichen Unterbrechungen regelmäßig verfahrensbezogene Gespräche mit anderen Verteidigern und früher auch mit der Mandantin geführt habe.
Der Vertreter der Staatskasse hat gegenüber dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Stellung genommen (das Schreiben datiert vermutlich vom 13. Juni 2017) und im Ergebnis den Abzug einer Mittagspause von einer Stunde befürwortet.
Nach Vorliegen dieser Stellungnahme half der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle der Erinnerung mit Beschluss vom 19. Juni 2017 nicht ab und legte die Angelegenheit dem Senat zur Entscheidung vor.
Der Erinnerungsführer erwiderte mit einem Schriftsatz vom 1. Juli 2017 auf die Stellungnahme, die der Bezirksrevisor gegenüber dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Abgegeben hatte. Er vertritt nach wie vor die Auffassung, die Mittagspause sei der Verhandlungszeit im Rahmen der Nrn. 4122, 4123 VV RVG zuzurechnen.
Ergänzend wird zum Verfahrensgang und hinsichtlich des wechselseitigen Vortrags auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Erinnerung (§ 56 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 RVG) hat in der Sache keinen Erfolg. Der Senat entscheidet durch den Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG).
1. Die Frage, ob und in welchem Umfang Pausen bei der Feststellung der Dauer einer Hauptverhandlung zu berücksichtigen sind ist in der Rechtsprechung umstritten. Zum derzeitigen Meinungsstand wird auf die Darstellung unter Ziffer II. der Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg vom 23. August 2016 verwiesen.
2. Das Oberlandesgericht München vertrat und vertritt die Auffassung, dass bei der Festsetzung eines Längenzuschlags die Zeit der Mittagspause in die Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht einzurechnen ist (vgl. hierzu Beschluss vom 23. Oktober 2008, 4 Ws 150/08, Beschluss vom 12. November 2007, 2 Ws 807809/07, Beschluss vom 1. Februar 32007, 1 VVs111707, Beschluss vom 21. November 2011, 6 Ws 20/11). Der 6. Strafsenat setzt im Gegenständlichen Verfahren pauschal eine Mittagspause von einer Stunde ab (vgl. Beschluss vom 24.
März 2014, 6 St [k] 8/14, Beschluss vom 28. März 2014, 6 St [K] 7/14, Beschluss vom 1. April 2014, 6 St [K] 9/14,Beschluss vom 10. November 2016, 6 St [K] 23/16)
Zur Rechtfertigung dieser Praxis ist darauf hinzuweisen, dass nach dem klaren Wortlaut der Nrn. 4110, 4116 und 4122 VV RVG für den gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt Längenzuschlägen anfallen, wenn er mehr als 5 Stunden und bis zu 8 Stunden an der Hauptverhandlung teilnimmt. Eine Teilnahme an der Hauptverhandlung setzt voraus, dass sie stattfindet. Ist die Hauptverhandlung unterbrochen, kann der Rechtsanwalt im Sinne der genannten Vorschriften an ihr grundsätzlich nicht teilnehmen. Das gilt jedenfalls für Mittagspausen, die sich im üblichen zeitlichen Rahmen den der Senat auf Grund der bisherigen Übung in dem vorliegenden Verfahren mit einer Stunde veranschlagt (vgl. auch Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 28.7.2011, 1 Ws 148/11, zit. nach juris, Rdn. 9; OLG Nürnberg, Beschluss vom 22.10.2007, 1 Ws 541/07, zit. nach juris, Rdn. 14) bewegen. Eine derartige Mittagspause ist eine prozessneutrale Unterbrechung, die dem Rechtsanwalt zur freien und eigenverantwortlichen Gestaltung überlassen bleibt. Diese zu vergüten, besteht kein Anlass. Anders als bei kürzeren prozessbedingten Verhandlungspausen, in denen oft sitzungsrelevante Probleme zwischen Rechtsanwalt und Mandanten besprochen werden und während der sich der Rechtsanwalt dem Gericht zur Verfügung halten muss, gilt das für Mittagspausen nicht (Senat, Beschluss vom 21.11.2011, 6 Ws 20/11; OLG München, Beschluss vom 23.10.2008, 4 Ws 150/08, zit. nach juris, Rdn. 9 ff.; Thüringer Oberlandesgericht, aaO; OLG Nürnberg, aaO, Rdn. 12 ff.; OLG Gelle, Beschluss vom 10.7.2007, 2 Ws 124/07, zit. nach juris, Rdn. 8 f.; OLG Bamberg, Beschluss vom 13.9.2005, Ws 676/05, zit. nach juris, Rdn. 14 ff.). In diesem Zusammenhang ist überdies zu beachten, dass der Rechtsanwalt üblicherweise auch außerhalb von Hauptverhandlungen im Alltag Pausen zur Regeneration und Nahrungsaufnahme einlegt, eine nicht vergütete Mittagspause also den gewöhnlichen Tagesablauf eines arbeitenden Menschen spiegelt.
3. Die vom Erinnerungsführer herangezogene Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg gibt keinen Anlass, von der gefestigten Rechtsprechung des Oberlandesgericht München abzuweichen.
Soweit dort auf die Intention einer vereinheitlichten Gebührenregelung abgestellt wird, steht dem der pauschale Abzug einer Stunde Mittagspause nicht entgegen. Ein einstündiger Abzug ist mathematisch jederzeit beherrschbar und stellt für den Bereich des Oberlandesgericht München eine vereinheitlichte Gebührenregelung dar. Dass hier der unterlassene Abzug kürzerer Pausen als inkonsequent gekennzeichnet wird verkennt die oben geschilderte Natur kürzerer Pausen als nicht prozessneutrale Unterbrechungen.
Die Argumentation mit der Unmöglichkeit für den Anwalt in der Mittagspause anderweitig beruflich tätig zu werden, verkennt den Charakter der Mittagspause als Gelegenheit zur Regeneration und zur Nahrungsaufnahme.
Das Abstellen auf die Vorbemerkung Teil 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG trifft die hier vorliegende Problemstellung nicht. Die genannte Vorschrift regelt nach dem Wortlaut ihres 3. Satzes nämlich nur den Sonderfall des verlegten oder aufgehobenen Termins, nicht aber die Frage, wie hinsichtlich der Unterbrechungen eines stattfindenden Termins zu verfahren ist.
Soweit der Erinnerungsführer darauf abstellt, der Vorsitzende habe bei Beratungsbedarf auf die Mittagspause verwiesen, ändert dies nichts an der oben getroffenen Einschätzung. Es liegt hier allenfalls eine Anregung des Vorsitzenden vor, keinesfalls aber die verbindliche Anordnung, die Mittagspause in einer bestimmten Weise zu nutzen. Überdies wäre auch keine Ermächtigungsgrundlage für den Vorsitzenden zu einer derartigen Anordnung ersichtlich.
Soweit Unverständnis geäußert wird, weshalb auch andere längere Unterbrechungen nicht abgezogen werden, ist auf die obigen Ausführungen zur Prozessneutralität zu verweisen. Der Einzelrichter hat selbst an der gesamten bisherigen Hauptverhandlung teilgenommen. Es sind ihm in diesem Zusammenhang keine Pausen außerhalb der Mittagspause aufgefallen, die nicht durch Regenerations- und/oder Besprechungsbedarf gerechtfertigt gewesen wären. Die Argumentation mit den aufgezwungenen" Pausen schließt im Ergebnis an die nicht überzeugende Argumentation des Oberlandesgericht Brandenburg mit der Vorbemerkung Teil 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG an. Folge einer einheitlichen Betrachtung aller Unterbrechungen müsste im Übrigen nicht denknotwendig die Einbeziehung aller Pausen in die Verhandlungsdauer sein, sondern sie könnte sich auch im Abzug sämtlicher Pausen manifestieren.
Die vom Erinnerungsführer geltend gemachte Nutzung der Mittagspause zu Mandanten- und Verteidigergesprächen im Einzelfall steht einer Bewertung der Mittagspause als prozessneutrale Zeit nicht entgegen, weil aus Gründen der Vereinfachung bei zahlreichen Verfahrensbeteiligten ein einheitlicher Schlüssel zur Berechnung gelten muss. Hier aber bietet die Absetzung der einstündigen Mittagspause jene Lösung, die der tatsächlichen Nutzung der Pause durch den überwiegenden Teil der Beteiligten, insbesondere die Nebenklägervertreter entspricht, deren Mandanten zumeist nicht für Gespräche zur Verfügung standen. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht geboten, dem Antrag des Erinnerungsführers am Ende seines Schriftsatzes vom 27. April 2018 näher zu treten, weil Einzelfälle in der Person des Erinnerungsführers nicht geeignet sind, das bewährte System der Bestimmung der Verhandlungsdauer unter pauschalem Abzug der Mittagspause in Frage zu stellen. Dem Erinnerungsführer ist dieses System seit Jahren bekannt. Es hätte damit die Möglichkeit gehabt, den Vorsitzenden bei gegebenem Anlass auf die aus seiner Sicht bestehende Problematik hinzuweisen und ggf. längere Unterbrechungen zu beantragen.
Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).
IV.
Der Senat geht davon aus, dass sich das Begehren des Erinnerungsführers mit der vorliegenden Entscheidung erledigt hat. Sollte er weiter Interesse daran haben, auch Erinnerungsentscheidungen zu sonstigen Fällen herbeizuführen, in denen er Nachteile wegen des Abzugs der Mittagspause sieht, möge er diese Fälle konkret und unter Angabe des Entscheidungsdatums benennen.
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