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Entscheidungen

Zivilrecht

Paralleles Abbiegen, Haftung, Anscheinsbeweis

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 01.11.2018 - 22 U 127/18

Leitsatz: 1. Beim parallelen Abbiegen nach rechts spricht ein Anscheinsbeweis für einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 1 Satz 1, 2 und 4 StVO gegen den aus der linken Spur Abbiegenden, wenn dort keine die Markierungen vorhanden sind, die ebenfalls ein Abbiegen nach rechts anordnen.

2.Die Darlegungs- und Beweislast für das (rechtzeitige) Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers trägt der Abbiegende.

3. Die aus § 20 Abs. 5 StVO folgende Pflicht anderer Verkehrsteilnehmer, einem Linienbus das Abfahren von Haltestellen zu ermöglichen und notfalls zu warten, begründet für den Bus einen Vorrang vor dem Fließverkehr und nicht nur ein “Recht zur Behinderung”. Die Regelung geht § 10 Satz 1 StVO vor.

4. Das Vorrecht entsteht aber erst mit dem Erfüllen der Pflichten aus § 10 Satz 2 StVO, ohne dass für die Verletzung der Pflichten ein Anscheinsbeweis gilt.


Kammergericht, 22. Zivilsenat
22 U 128/17
Hinweisbeschluss vom 1. November 2018

Kammergericht

Beschluss

In dem Rechtsstreit pp.

weist der Senat darauf hin, dass er nach dem Ergebnis der Vorberatung beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Die Klägerin erhält Gelegenheit, zu den genannten Gründen binnen 4 Wochen Stellung zu nehmen.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes, des Zeugen M., von dem Beklagten zu 1. als (Bus-) Fahrer und der Beklagten zu 2. als Halterin des Busses Zahlung von Schadenersatz wegen des Unfalls vom 29. Februar 2016 auf der Kreuzung Heerstraße/Sandstraße.

Der Zeuge sowie der Beklagte zu 1. fuhren auf der Heerstraße stadteinwärts. Der Beklagte zu 1. hielt vor der Kreuzung mit der Sandstraße an der dort befindlichen Haltestelle, um Fahrgäste aus- bzw. einsteigen zu lassen. Die stadteinwärts führende Fahrbahn der Heerstraße ist vor der Kreuzung zweispurig. Wegen der Linksabbieger beginnt etwa 60 m vor der Kreuzung ein weiterer (dritter) Fahrstreifen links und wegen der Haltestelle ein weiterer (vierter) Fahrstreifen rechts, die beide nach der Kreuzung in der dann für eine Richtung zweispurigen Heerstraße nicht fortgeführt werden.

Im Gegenverkehr stadtauswärts besteht gegenüberliegend an der Kreuzung die gleiche Sachlage, ohne dass die Haltestelle sich dort im Bereich des rechten Fahrstreifens befinden würde. Sie liegt vielmehr in dem dort (zunächst über etwa 60 m) fortgeführten (dritten) rechten Fahrstreifen auf der Straßenseite gegenüber der hier maßgeblichen Haltestelle.

Der Zeuge näherte sich von hinten auf dem rechten bzw. im Bereich der Haltestelle zweiten Fahrstreifen von rechts und wollte rechts in die Sandstraße abbiegen. Der Beklagte zu 1. fuhr zu dieser Zeit wieder an. Der Bus der Beklagten zu 2. wurde vorne links, der im Eigentum des Zeugen stehende Pkw an der hinteren rechten Fahrzeugseite beschädigt.

Einzelheiten des dem Unfall vorausgegangenen Geschehens sind zwischen den Parteien streitig, u.a. ob am Pkw oder dem Bus der Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt war.

Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Hauptanträge vollständig (zu 1. bis 3.) sowie teilweise die Hilfsanträge (zu 1. und 2., nicht mehr zu 3.) sowie teilweise den Hilfshilfsantrag zum Hilfsantrag zu 2. weiter. Sie meint u.a. sinngemäß, der Zeuge hätte sich nicht vor dem Abbiegen rechts in den Fahrstreifen vor dem Bus einordnen müssen, und greift das Ergebnis der Beweisaufnahme an.

II.

Der Senat wird die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen müssen, weil er einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Rechtsfortbildung noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 ZPO). Hinweis und Fristsetzung beruhen auf § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung abgewiesen, weil der Klägerin gegen die Beklagten Schadenersatzansprüche aus abgetretenem Recht des Eigentümers (§ 398 BGB) wegen des Unfalls vom 29. Februar 2016 gemäß §§ 823 Abs. 1, 831, 249 BGB; §§ 7, 17, 18 StVG i. V. m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG; § 421 BGB nicht zustehen.

Bei der Abwägung der Mitverursachungs- und Mitverschuldensanteile des Zeugen M. und des Beklagten zu 1. nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG; §§ 9 StVG, 254 BGB sind lediglich ein der Klägerin anzurechnendes Verschulden des Zeugen M. sowie die Betriebsgefahren des Pkw des Zeugen M. sowie des Busses der Beklagten zu 2. zu berücksichtigen. Im Ergebnis der Abwägung hat der Zeuge M. seinen Schaden in vollem Umfang selbst zu tragen, weshalb der Klägerin ein abgetretener Schadenersatzanspruch nicht zusteht.

1. Das (Mit-) Verschulden sowie die (Mit-) Verursachung durch den Zeugen M. stehen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und in großem Umfang schon auf der Grundlage des Vorbringens der Klägerin fest. Offenbar schätzte der Zeuge und schätzen die Klägerin sowie weiterhin der Zeuge die hier maßgebliche Rechtslage falsch ein.

a) Das Landgericht hat zu Recht zu Grunde gelegt, dass zulasten der Klägerin der Anscheinsbeweis (vgl. KG, [Hinweis-] Beschluss vom 28. Juni 2016 - 22 U 178/15 - [unveröffentlicht]; KG, [Hinweis-] Beschluss vom 10. September 2009 - 12 U 216/08NZV 2010, 470 [3.a)]; KG, [Hinweis-] Beschluss vom 13. August 2009 - 12 U 223/08NZV 2010, 298, 299 [1.]; OLG Jena, Urteil vom 28.10.2016 –7 U 152/16NJW-RR 2017, 605, 606 [10]; Kuhnke, Darlegungs- und Beweislast bei Schadenersatzansprüchen aus Verkehrsunfällen, NZV 2018, 447, 451 [6.(1)(a)] m.w.Nw.) dafür spricht, dass ihr Ehemann, der Zeuge Meyer, die ihm als Rechtsabbieger obliegenden Sorgfaltspflichten des § 9 Abs. 1 S. 1, S. 2, S. 4 StVO verletzte.

(1) Danach hat der Rechtsabbieger rechtzeitig (im innerstädtischen Verkehr mindestens fünf Sekunden zuvor; vgl. KG, Urteil vom 6. Dezember 2004 – 12 U 21/04NZV 2005, 413 [1.b)aa)]; Freymann in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27 Rn. 271; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 9 StVO Rn. 20; Burmann in: Burmann u.a., StVR, 24. Aufl., § 9 StVO Rn. 18) den Fahrtrichtungsanzeiger zu setzen sowie eine erste, dem möglichst weit rechts erfolgenden Einordnen vorausgehende, Rückschau vorzunehmen. Sodann ist unmittelbar vor dem Abbiegen erneut auf nachfolgenden Verkehr zu achten, wobei die zweite Rückschau neben dem Blick in Innen- und Außenspiegel zur Abdeckung des toten Winkels auch den Schulterblick erfordert. Erst recht gilt der Anscheinsbeweis, wenn – wie hier - das abbiegende Fahrzeug im linken bzw. rechten Fahrstreifen seitlich getroffen wurde, weil der Abbieger sich nicht zuvor ordnungsgemäß eingeordnet haben kann (Kuhnke, Darlegungs- und Beweislast bei Schadenersatzansprüchen aus Verkehrsunfällen, NZV 2018, 447, [6.(1)(a)]).

(2) Zur Widerlegung des gegen ihn sprechenden Anscheins hat der Abbiegende bzw. hier die Klägerin als Zessionarin die Einhaltung seiner Sorgfaltspflichten konkret darzulegen und zu beweisen. Ein allgemeiner Vortrag genügt nicht. Vielmehr muss u. a. plausibel sein, weshalb trotz Einhaltung der Sorgfaltspflichten das andere Fahrzeug nicht zu sehen bzw. – wie hier - dessen Fahrverhalten nicht rechtzeitig erkennbar gewesen sein sollte. Die Darlegungs- und Beweislast für das rechtzeitige Setzen des Blinkers trägt demgemäß ebenfalls derjenige, der sich darauf beruft, also hier die Klägerin (KG, [Hinweis-] Beschluss vom 16.2.2017 - 22 U 92/16 - [unveröffentlicht]; KG, Urteil vom 6.12.2004 - 12 U 21/04NZV 2005, 413 zu 1.b)aa); OLG Nürnberg mit Urteil vom Urteil vom 11.10.2002 - 6 U 2114/02 - NZV 2003, 89; OLG Jena, Urteil vom 28.10.2016 – 7 U 152/16 - NJW-RR 2017, 605, 606 [10]; Kuhnke, Darlegungs- und Beweislast bei Schadenersatzansprüchen aus Verkehrsunfällen, NZV 2018, 447, 451 [6.(1)(c)]).

(3) Danach genügt bereits die Darlegung der Klägerin zur Widerlegung des Anscheins nicht.

(4) Das Landgericht führt auch zu Recht aus, dass der Zeuge M. bei entsprechend vorhandenem Platz nicht aus dem zweiten von vier Fahrstreifen hätte abbiegen dürfen, sondern sich in dem Fahrstreifen vor dem Bus hätte einordnen müssen, um dem Gebot, sich möglichst weit rechts einzuordnen (§ 9 Abs. 1 S. 2 StVO), zu genügen, und andernfalls - s. noch unten zu § 20 Abs. 5 StVO - verpflichtet war, den Verkehr bzw. den anfahrenden Bus an der (auch nur bevorstehenden) Weiterfahrt im rechten Fahrstreifen nicht durch Verstellen desselben zu hindern (Urteilsausfertigung S. 5 f.).

b) Ferner hat der Zeuge M. bestätigt, erkannt zu haben, dass der Bus aus der zum Bordstein hin abgesenkten Position sich wieder aufgerichtet hatte (Sitzungsprotokoll vom 11. Mai 2017, S. 3 = Bd. I Bl. 133 d.A.), bevor er den Bus passierte. Deshalb war zu erwarten, dass das Anfahren unmittelbar bevorstand. Dennoch ist er, trotz Behinderung der Sicht auf die Fußgängerfurt der Sandstraße durch den Bus, noch vorgefahren und mit dem Pkw vor dem Bus eingeschert. Dieses Verhalten war rücksichtslos, denn es war offensichtlich, dass mit einem ununterbrochenen Einfahren in die Sandstraße nicht sicher gerechnet werden konnte, ein Halt des Pkw wegen querender Fußgänger in Betracht kam und der Zeuge M. dann die unmittelbar bevorstehende Ab- bzw. Weiterfahrt des Busses behindern würde. Mit diesem Verhalten missachtete er seine Pflicht aus § 20 Abs. 5 StVO. Danach ist Omnibussen des Linienverkehrs das Abfahren von Haltestellen zu ermöglichen und wenn nötig, zu warten, d.h. rechtzeitig an geeigneter Stelle anzuhalten. Das schließt es aus, in dem Moment der bevorstehenden Abfahrt von der Haltestelle noch vor den Bus zu fahren und diesen dadurch beim Abfahren zu behindern. Ob der Fahrtrichtungsanzeiger an dem Bus gesetzt war, ist insoweit noch belanglos. Dies wird erst im Rahmen eines etwaigen (Mit-) Verschuldens des Beklagten zu 1. erheblich.

c) Schließlich war der Zeuge M. in dieser Situation, um das Anfahren zu ermöglichen, verpflichtet, nicht nur langsam, sondern auch bremsbereit an dem Bus vorbeizufahren (OLG Hamm, Urteil vom 5.8.2003 – 9 U 50/03 –, juris Rn. 12 [B.II.a)]), zumal auch sonst nach § 20 Abs. 1 StVO nur vorsichtig, d.h. mit mäßiger Geschwindigkeit an dem Bus vorbeigefahren werden darf, was innerstädtisch grundsätzlich nicht schneller als 30 km/h und ggfs. sogar eine geringere Geschwindigkeit bedeuten kann (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 20 StVO Rn. 5 am Ende; Freymann in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27 Rn. 513; Spelz in: Freymann/Wellner, JurisPK-StrVerkR, 1. Aufl., § 20 StVO Rn. 20). Das schloss es – erst recht, wenn der Zeuge M. , wie er bekundet hat, Schrittgeschwindigkeit gefahren sein sollte und ohne Weiteres hätte vorher anhalten und die Weiterfahrt ermöglichen können - aus, den Pkw so vor dem Bus zu positionieren, dass die erkennbar unmittelbar bevorstehende Weiterfahrt des Busses behindert wurde.

d) Der 60 m vor der Kreuzung hinzutretende rechte Fahrstreifen ist sicherlich dazu gedacht, ein Halten des Busses ohne Behinderung des Verkehrs in den anderen Fahrstreifen zu ermöglichen. Es handelt sich deshalb aber nicht lediglich um eine Haltebucht, sondern - schon mit Rücksicht auf die Länge und das offene Auslaufen zweifelsfrei - um einen Fahrstreifen, der zur Nutzung allen Verkehrsteilnehmern zur Verfügung steht. Die Breite der die beiden rechten Fahrstreifen begrenzenden Leitlinie hat keine rechtliche Bedeutung, sondern dient – wie z.B. bei Verzögerungs- und Beschleunigungsstreifen – lediglich der Hervorhebung der besonderen Situation.

2. (Mit-) Verschulden des Beklagten zu 1.

a) Grundsätzlich gilt beim Anfahren vom Fahrbahnrand § 10 S. 1 StVO, wonach der Anfahrende sich so zu verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Die Pflicht wird jedoch durch § 20 Abs. 5 StVO eingeschränkt (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 20 StVO Rn. 12; Freymann in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27 Rn. 522; Spelz in: Freymann/Wellner, JurisPK-StrVerkR, 1. Aufl., § 20 StVO Rn. 5, Rn. 36). Dem anfahrenden Busfahrer steht der Vorrang zu (bzw. das Vorrecht, vgl. zu dem gleichlautenden § 20 Abs. 2 StVO a.F.: BayObLG, Beschluss vom 22.2.1990 - 2 Ob OWi 519/89 - NZV 1990, 402; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.1.1989 – 1 U 65/88 - beck-online; oder zu § 20 Abs. 5 StVO n.F. auch Vortrittsrecht: OLG Hamm, Urteil vom 5.8.2003 – 9 U 50/03 –, juris Rn. 8 [B.I.]); die – gestützt auf ältere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes - weitverbreitete Einordnung als Recht zur Behinderung (BGH, Beschluss vom 6.12.1978 - 4 StR 130/78 – beck-online [II.2.]; Spelz in: Freymann/Wellner, JurisPK-StrVerkR, 1. Aufl., § 20 StVO Rn. 36, König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 20 StVO Rn. 12) ist in dieser Situation sicherlich keine zutreffende Bezeichnung und jedenfalls inzwischen überholt, weil sie der amtlichen Begründung zu § 20 Abs. 5 StVO widerspricht, die von einem Vorrang des Busses ausgeht (ohne den Widerspruch zu Rn. 36 zu bemerken: Spelz in: Freymann/Wellner, JurisPK-StrVerkR, 1. Aufl., § 20 StVO Rn. 34 zu Fn. 37; Wortlaut der ÄndVO vom 22.3.1988 [VerkBl 1988, 223] abgedruckt bei König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 20 StVO Rn. 2). Den Busfahrer trifft dabei lediglich die allgemeine Sorgfaltspflicht (§ 1 Abs. 2 StVO), darauf zu achten, dass andere Verkehrsteilnehmer nicht mehr als mittelstark, d.h. mit einer Verzögerung von 3 bis 4 m/s² (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 20 StVO Rn. 12 am Ende; BayObLG, Beschluss vom 22.2.1990 - 2 Ob OWi 519/89 - NZV 1990, 402, 403), bremsen müssen, um ihm das Einfahren zu ermöglichen. Wie auch sonst darf zudem der Vorrang bei erkennbarem Rechtsverstoß anderer Verkehrsteilnehmer nicht erzwungen werden.

b) Zwar entsteht das Vorrecht des Busfahrers erst, wenn § 10 S. 2 StVO genügt ist, also der Fahrtrichtungsanzeiger rechtzeitig zuvor gesetzt war und nach Rückschau nicht anzunehmen ist, dass andere Verkehrsteilnehmer mehr als nur mittelstark bremsen müssten. Entsprechend der Sachlage zu § 9 Abs. 1 S. 1 StVO (Kuhnke, Darlegungs- und Beweislast bei Schadenersatzansprüchen aus Verkehrsunfällen, NZV 2018, 447, 451 [6.(1)(c)]) trifft die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast, weshalb sie auch zu widerlegen hat, dass rechtzeitig der Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt war. Insoweit streitet – anders als im Rahmen von § 10 StVO - mangels gesteigerter Sorgfaltspflicht des Busfahrers, des Beklagten zu 1., nicht der Beweis des ersten Anscheins zugunsten der Klägerin (KG, Beschluss vom 24.7.2008 - 12 U 142/07 - NZV 2009, 237, 237 f. [(2)(a)(1)] = juris Rn. 8; Spelz in: Freymann/Wellner, JurisPK-StrVerkR, 1. Aufl., § 20 StVO Rn. 39).

c) Es steht weder fest, dass der Beklagte zu 1. nicht rechtzeitig geblinkt hätte, noch dass der Pkw des Zeugen M. bei der Kollision bereits längere Zeit stand.

Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts sind einschließlich des Ergebnisses der Beweiswürdigung zu Grunde zu legen, weil keine konkreten Anhaltspunkte Zweifel an deren Richtigkeit oder Vollständigkeit begründen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Neue (berücksichtigungsfähige) Tatsachen (§ 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) sind nicht ersichtlich. Die Einwände der Klägerin überzeugen neben den bereits oben ausgeführten rechtlichen Gründen aus folgenden tatsächlichen Gründen nicht:

(1) Der Beklagte zu 1. hat anlässlich seiner persönlichen Anhörung geschildert, dass er, noch während die Türen schlossen, was etwa 4 bis 5 Sekunden dauere, den linken Blinker gesetzt hatte. In dieser Zeit sei ein Anfahren nicht möglich. Er habe erst in den rechten, dann in den linken Außenspiegel geschaut und dann Gas gegeben. Da sei dann von links ein Auto herangerast, habe gehupt, ihn überholt und an ihm vorbeigefahren. Weil auf der Straße auch Fußgänger gewesen seien, habe der andere eine Bremsung gemacht. Als der andere gehupt habe, sei er bereits eine Buslänge vorgefahren gewesen und habe eine Geschwindigkeit von etwa 20 bis 25 km/h gehabt. Das andere Auto sei vor ihm rumgezogen und habe dann stark gebremst.

(2) Die Schilderung haben die Zeuginnen K. und M., die als Fahrgäste im Bus saßen, bestätigt.

(a) Die Zeugin K. (Sitzplatz links auf mittlerer Höhe) hat bekundet, der Bus sei nach dem Schließen der Türen langsam losgefahren. In dem Moment sei links neben dem Bus ein dunkler Pkw sehr schnell vorbeigefahren. Sie habe es so wahrgenommen, dass dieser den Bus noch unbedingt habe überholen wollen. Kurz danach habe es das metallische Geräusch eines Zusammenstoßes gegeben. Ob der Pkw oder der Bus geblinkt hätten, hätte sie nicht sehen können. Weder der Bus noch der Pkw hätten gehupt. Hinsichtlich des Busses hat sie ein Hupen ausschließen können. Hinsichtlich des Pkw wüsste sie es dann jedenfalls nicht mehr. Es sei ja alles so wahnsinnig schnell gegangen.

(b) Die Zeugin M. (Sitzplatz rechts vorne) hat ausgesagt, der Bus sei langsam losgefahren. Da sei plötzlich von links ein Auto angekommen, das vor den Bus gefahren sei. Nach ihrem Gefühl sei das Auto schnell gefahren. Als das Auto schräg vor dem Bus gewesen sei, habe es angehalten. Der Bus sei geradeaus gefahren. Ein Hupen habe sie nicht wahrgenommen.

(c) Danach ist ausgeschlossen, dass der Beklagte zu 1. noch rechtzeitig hätte reagieren können. Jedenfalls wäre die Behauptung der Klägerin keinesfalls bewiesen, weshalb die Klägerin auch dann beweisfällig bliebe.

(3) Der Zeuge M. als Eigentümer des Pkw und Geschädigter - daher jedenfalls nicht glaubwürdiger als der Beklagte zu 1. – hat bekundet, er habe bereits am Anfang der “Haltebucht” angefangen rechts zu blinken. Als er auf Heckhöhe des Busses gewesen sei, sei der Bus hochgekippt. Als er auf Höhe des Fahrers gewesen sei, sei der Bus losgefahren. Er – der Zeuge - habe seine Spur im Kreuzungsbereich verlassen und habe dann sein Fahrzeug zum Stillstand bringen müssen. Der Bus sei noch 3 m entfernt gewesen und weiter auf ihn zugefahren. Er habe, um auf sich aufmerksam zu machen, etwa 2 Sekunden gehupt.
Schon diese Schilderung der sehr kurzen Entfernung und der im Vergleich dazu (völlig unplausiblen) langen Zeit des Hupens überzeugen nicht, sondern bestätigen neben den oben ausgeführten Sorgfaltspflichtverstößen des Zeugen, dass der Beklagte zu 1. nicht hätte rechtzeitig reagieren können, zumal es eine besonders grobe Rücksichtslosigkeit darstellt, einen Busfahrer beim Anfahren zu einer Vollbremsung und damit u. U. zu einer Gefährdung der noch einen Sitzplatz suchenden Fahrgäste zu zwingen. Es wird deutlich, dass dem Zeugen ohne weiteres möglich gewesen wäre, in dem Fahrstreifen zu verbleiben und dem Bus das Anfahren durch das ihm nach § 20 Abs. 5 StVO vorgeschriebene Warten zu ermöglichen.

(4) Der Zeuge S. (Fußgänger an der Haltestelle auf der anderen Straßenseite der Heerstraße) hat bekundet, er habe gesehen, wie der Audi blinkend auf der Kreuzung gestanden habe. Er habe dann nur noch gesehen, wie der Bus in den Audi reingefahren sei. Vorher habe er noch gehört, dass der Audi gehupt habe. Er wisse nicht wie lange der Audi dort schon gestanden habe.
Aus dieser Aussage ergibt sich jedenfalls nichts zu Gunsten der Klägerin, weil eine längere Standzeit nicht geschildert werden kann und der Zeuge offensichtlich erst durch das Hupen auf die Situation aufmerksam geworden ist, also Einzelheiten zu dem maßgeblichen vorangegangenen Geschehen nicht wahrgenommen hat, jedenfalls aber nicht hat bekunden können.

(5) Die Zeugin K. (Fußgängerin auf der Straßenseite der Unfallbeteiligten mit Blick auf die Front des Busses) hat ausgesagt, ihre Fußgängerampel über die Sandstraße sei rot gewesen. Als sie dort gestanden habe, habe sie gesehen, dass ein Auto im Kreuzungsbereich in der Spur des Busses gestanden habe. Der Bus sei dann in das Auto reingefahren. Sie habe sich noch gewundert, warum der Busfahrer nicht gehupt habe. Wie das Auto in seine Position gekommen sei, habe sie nicht gesehen gehabt. Wie lange es gestanden habe, wisse sie nicht. Vielleicht seien es 2 bis 3 Minuten gewesen. Sie wisse nicht, ob der Bus geblinkt habe.

Aus dieser allgemein gehaltenen Aussage, die an dem Erinnerungsvermögen der Zeugin Zweifeln zu wecken geeignet ist, lässt sich ohnehin ebenfalls nichts Verwertbares zum konkreten Ablauf herleiten. Soweit die Zeugin noch gegenüber der Polizei ein Hupen des Busses schriftlich angegeben hatte, konnte sie hierzu nichts mehr bekunden, also auch nicht erklären, weshalb sie das Hupen dem Bus zugeordnet hatte. Die schriftliche Aussage ist zudem dadurch gekennzeichnet, dass eine konkrete zeitliche Abfolge des Geschehens nicht geschildert wurde, sondern der Zeitablauf wirr dargestellt war. Dem entspricht auch die unplausible und zweifellos unzutreffende Zeitschätzung, die schon nach der Schilderung des Geschehens durch die Zeugin ohne jede Grundlage bleibt und an der Verlässlichkeit der Wahrnehmungsfähigkeit und/oder dem Erinnerungsvermögen der Zeugin ganz erhebliche Zweifel zu wecken geeignet ist.


Abschließend wird darauf hingewiesen, dass im Falle der Berufungsrücknahme sich die gerichtliche 4-fache Verfahrensgebühr auf eine 2-fache Gebühr ermäßigt (KV-Nr. 1222 zum GKG).

Berlin, den 1. November 2018


Einsender: VorsRiKG Dr. P. - H. Müther, Berlin

Anmerkung:


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