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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidigerbestellung, Schwere der Tat, Gesamtstraferwartung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Halle, Beschl. v. 23.11.2018 - 10a Qs 132/18

Leitsatz: Die Schwere der Tat i.S. des § 140 Abs. 2 StPO beurteilt sich vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in der Regel geboten, wenn dem Angeklagten die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe droht, die mindestens im Bereich von einem Jahr liegt. Bei der Beurteilung der Schwere der Tat i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO ist auch zu berücksichtigen. ob gegen den Beschuldigten noch weitere Verfahren anhängig sind, hinsichtlich derer ggf. eine Gesamtstrafenbildung in Betracht kommt.


10a Qs 132/18 Landgericht Halle

Beschluss

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidiger:
wegen Diebstahls im besonders schweren Fall

hat die 10. große Strafkammer des Landgerichts Halle als Beschwerdekammer am 23. November 2018 durch die unterzeichnenden Richter beschlossen:

Auf die Beschwerde des Angeschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 27.09.2018 (Az. 303 Ds 82 Js 9055/18), mit dem abgelehnt wurde, Rechtsanwalt Funck gemäß § 141 Abs. 2 StPO zum Pflichtverteidiger zu bestellen, aufgehoben.

Dem Angeklagten wird Rechtsanwalt pp. aus Braunschweig als notwendiger Verteidiger bestellt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.

Gründe:

I.

Der Angeschuldigte wurde mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Halle vom 02.09.2018 beim Amtsgericht Halle (Saale) wegen Diebstahls im besonders schweren Fall (Tat am 12.06.2017) angeklagt. Mit Schriftsatz vorn 17.09.2018 beantragte der Verteidiger des Beschuldigten Akteneinsicht und namens und in Vollmacht des Angeschuldigten, diesem gern. § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden.

Die Staatsanwaltschaft Halle teilte mit Verfügung vom 20.09.2018 mit, dass die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung gemn. § 140 Abs. 2 StPO nicht vorlägen. Der Angeschuldigte sei bislang lediglich zu Geldstrafen verurteilt worden. Eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr sei nicht zu erwarten. Auch handele es sich um einen rechtlich und tatsächlich einfach gelagerten Sachverhalt. Zudem befinde sich der Angeschuldigte nicht mehr zur Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Strafvollzug.

Mit Beschluss vom 27.09.2018 wies das Amtsgericht Halle (Saale) (Az. 303 Ds 182 Js 9055/18) den Antrag des Angeschuldigten auf Bestellung eines notwendigen Verteidigers zurück. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO lägen nicht vor. Weder die Schwere der Tat noch die Schwierigkeit der Sach- und Rechtsläge würden die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen lassen. Auch die die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO seien nicht gegeben. Ferner sei im Falle einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr nicht zu erwarten. Haft werde gegen den Angeschuldigten nicht mehr vollzogen.

Gegen diesen Beschluss legte der Angeschuldigte mit Schriftsatz vom 09.10.2018 Be-schwerde ein. Gegen den Angeschuldigten seien zahlreiche — inzwischen verbundene — Verfahren beim Amtsgericht Wernigerode unter dem Az. 7 Ls 832 Js 71092/18 anhängig. Das Amtsgericht Wernigerode habe dem Angeschuldigten den Verteidiger als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Auf Bitte der Staatsanwaltschaft Halle übersandte das Amtsgericht Wernigerode die vom Verteidiger genannten Anklagen. Danach ist der Angeschuldigte angeklagt. ohne Erlaubnis nach § 2 Abs. 2 WaffG iVm. Anlage 2. Abschn. 2, Unterabschn. 1 S. 1 WaffG Munition besessen zu haben (832 Js 71092/18), fremde bewegliche Sachen sich oder einem Dritten rechtswidrig zugeeignet zu haben (962 Js 75850/17), vorsätzlich ein Kraftrad geführt zu haben, obwohl er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hatte, woraus sich die Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeuges ergibt sowie zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde gebraucht zu haben (6 Cs 832 Js 75152/18), eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben. die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen (832 Js 74707/17), fremde bewegliche Sachen einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, die Sachen sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen sowie in der Absicht. sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, versucht zu haben, das Vermögen eines anderen dadurch zu beschädigen, dass der Angeschuldigte das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorganges durch unbefugte Verwendung von Daten beeinflusste (832 Js 74244/17).

Das Amtsgericht Wernigerode teilte ferner mit, dass Hauptverhandlungstermin auf den 17.01.2019 anberaumt ist.
Die Staatsanwaltschaft beantragte unter dem 02.11.2018, der Beschwerde nicht abzuhelfen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist auch in der Sache begründet. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts liegen die Voraussetzungen des § 140 Abs.2 StPO für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers hier vor.

1. Dass das Amtsgericht keine Abhilfeentscheidung getroffen hat (§ 306 Abs 2 StPO), hindert eine Entscheidung der Kammer nicht. Die Abhilfeentscheidung stellt keine Verfahrensvoraussetzung für die Entscheidung des Beschwerdegerichts dar und eine Zurückverweisung zu ihrer Nachholung würde das Verfahren unnötig verzögern (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 06.12.2016 - 2 Ws 248/16; OLG hamm, Beschl. v. 11.03.2010 - III 2 Ws 39/10, jeweils m.w.N.).

2. Die Voraussetzungen für die Bestellung von Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 2 S. 1 StPO liegen vor.

Dem Angeschuldigten ist gemäß § 140 Abs. 2 StPO wegen der "Schwere der Tat" ein Verteidiger beizuordnen. Die Schwere der Tat beurteilt sich vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in der Regel geboten, wenn dem Angeklagten die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe droht, die mindestens im Bereich von einem Jahr liegt (KG Berlin, Beschluss vom 06.01.2017 — 4 Ws 212/16, m.w.N.)

Bei der Beurteilung der Schwere der Tat i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO ist auch zu berücksichtigen, ob gegen den Beschuldigten noch weitere Verfahren anhängig sind, hinsichtlich derer ggf. eine Gesamtstrafenbildung in Betracht kommt: Die insgesamt drohende Dauer der Strafvollstreckung kann nicht unberücksichtigt bleiben. (OLG Hamm, Beschluss vom 20.11.2003 — 2 Ws 279/03: OLG Naumburg, Urteil vom 22. Mai 2013 — 2 Ss 65/13) Drohen dem Angeklagten daher in mehreren Parallelverfahren jeweils Strafen. die gesamtstrafenfähig sind und deren Summe voraussichtlich eine Höhe erreicht, die das Merkmal der "Schwere der Tat" im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO begründet, ist im Regelfall - ein starrer Schematismus ist damit nicht verbunden. (KG Berlin, Beschluss vom 06.01.2017 — 4 Ws 212/16, m.w.N.) — eine notwendige Verteidigung gegeben.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist dem Angeklagten hier ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Grundsätzlich wäre eine Verurteilung in dem Verfahren im Hinblick auf die weiteren Anklagen und den bereits anberaumten Hauptverhandlungstermin gegebenenfalls auch nachträglich gesamtstrafenfähig. Es ist zwar ungewiss, ob der Angeklagte bis zur Hauptverhandlung rechtskräftig verurteilt worden ist, doch vor dem Hintergrund, dass die Verfahren hinsichtlich einer Gesamtstrafenbildung untrennbar zusammenhängen, kann die drohende Dauer der Strafvollstreckung nicht unberücksichtigt bleiben. Daher ist ihm ein Pflichtverteidiger zu bestellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: RA J. R. Funck, Braunschweig

Anmerkung:


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