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Entscheidungen

Gebühren

Pflichtverteidigerwechsel, Gebührenanspruch des neuen Verteidigers, Gebot der Kostenneutralität

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 18.04.2018 - 18 Qs 28/16

Leitsatz: 1. Allein die in der Begründung einer "einfachen“ (ohne wichtigen Grund und einvernehmlich erfolgenden) Auswechslung des Pflichtverteidigers als Beweggrund und Erwartung festgehaltenen Überlegungen des Gerichts, dass der Verteidigerwechsel "keine Mehrkosten“ auslösen werde, führen nicht dazu, dass die Beiordnungsentscheidung als solche den Vergütungsanspruch des neuen Pflichtverteidigers von vornherein beschränkt.
2. Rechnet in einem solchen Fall der neue Pflichtverteidiger, der im Vorfeld seiner Beiordnung keinen ausdrücklichen (anteiligen) Verzicht erklärt hat, eine Gebühr ab, die jedenfalls dem früheren Pflichtverteidiger zusteht, so kann ihm die Zahlung ohne das Hinzutreten besonderer Begleitumstände weder unter Verweis auf einen nachträglichen konkludenten Verzicht (durch widerspruchslose Hinnahme der Entscheidungsbegründung) noch über den Einwand des Rechtsmissbrauchs verwehrt werden.


In pp.

1. Auf die Beschwerde des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. M. wird der Beschluss des Amtsgerichts Neustadt a.d. Aisch vom 18.07.2016 aufgehoben.

2. Auf die Erinnerung des Verteidigers wird der Vergütungsbeschluss des Amtsgerichts Neustadt a.d. Aisch vom 08.04.2016 dahin abgeändert, dass die ihm aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf 5.064,88 € festgesetzt wird.

3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Neustadt a.d. Aisch hatte gegen den damaligen Angeklagten V. (nachfolgend: der Verurteilte) am 05.05.2014 wegen Betrugs in 42 Fällen, vorsätzlicher Verletzung der Antragspflicht bei juristischen Personen, Steuerhinterziehung in 5 Fällen und versuchter Steuerhinterziehung eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren 3 Monaten verhängt (unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten aus einer anderweitigen Verurteilung). Mit vorangegangenem Beschluss vom 08.11.2013 war dem Verurteilten antragsgemäß Rechtsanwalt P. aus Berlin als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Gegen das erstinstanzliche Urteil hatten sowohl der Verurteilte als auch die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Berufung eingelegt.

Mit Schreiben vom 01.08.2014 zeigte der Beschwerdeführer – Rechtsanwalt Dr. M. – in der Berufungsinstanz unter Vorlage einer entsprechenden Vollmacht vom gleichen Tage an, vom Verurteilten „zunächst“ als Wahlverteidiger mandatiert worden zu sein. Zugleich beantragte der Beschwerdeführer namens und im Auftrag des Verurteilten seine Beiordnung als Pflichtverteidiger und kündigte an, für den Fall der Beiordnung das Wahlmandat niederzulegen.

Auf gerichtliche Nachfrage meldete Rechtsanwalt P. mit Schriftsatz vom 18.08.2014 gewisse grundsätzliche Bedenken gegen die Zulässigkeit einer – zwischenzeitlich (auch) vom Verurteilten in einem eigenen Schreiben gewünschten – Auswechslung des Pflichtverteidigers ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes an, erklärte jedoch ausdrücklich, dass er letztlich „anheimstelle“, eine etwa für geboten erachtete Entpflichtung vorzunehmen.

Mit Beschluss vom 12.09.2014 nahm der Vorsitzende der zuständigen Jugendkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth die Beiordnung von Rechtsanwalt P. zurück (Nr. 1 des Tenors), lehnte den (hier nicht interessierenden) Beiordnungsantrag einer weiteren Rechtsanwältin ab (Nr. 2 des Tenors) und ordnete dem Verurteilten den Beschwerdeführer als neuen Pflichtverteidiger bei (Nr. 3 des Tenors). Der Tenor der Entscheidung enthält keine über den bloßen Ausspruch der Rücknahme, der Ablehnung und der Beiordnung hinausgehende Zusätze. In den Gründen des Beschlusses heißt es auszugsweise: „Die Kammer vertritt die Auffassung, dass eine Auswechslung des Verteidigers jedenfalls dann zulässig ist, wenn der Angeklagte und beide Verteidiger damit einverstanden sind, dadurch keine Verfahrensverzögerung eintritt und keine Mehrkosten entstehen. […] Im Übrigen geht die Kammer davon aus, dass durch den Verteidigerwechsel keine Mehrkosten entstehen“.

Nach Abschluss der zweiten Instanz beantragte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 04.03.2015, ihm Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 5.064,88 € (brutto) aus der Staatskasse zu erstatten. In der vorgelegten Aufstellung der Kosten waren, soweit es für das Beschwerdeverfahren von Interesse ist, eine Grundgebühr gemäß RVG-VV Nrn. 4100, 4101 in Höhe von 192,00 € (netto) – mit Haftsachen-Zuschlag – und eine Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren gemäß RVG-VV Nrn. 4124, 4125 in Höhe von 312,00 € (netto) enthalten.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Neustadt a.d. Aisch setzte die zu zahlenden Gebühren und Auslagen mit Beschluss vom 08.04.2016 auf 4.465,12 € (brutto) fest. Er folgte damit der Auffassung der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth, die mit Verfügung vom 13.11.2015 eingewandt hatte, dass die Auswechslung des Pflichtverteidigers ausdrücklich unter Bezugnahme auf das Erfordernis der „Kostenneutralität“ begründet worden sei, weshalb der Vergütungsantrag des Beschwerdeführers im Hinblick darauf, dass der frühere Pflichtverteidiger – was außer Streit steht – auf die schon bei ihm angefallenen Gebühren (Grundgebühr, Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren) seinerseits nicht verzichtet habe, zur Vermeidung einer Doppelzahlung um 504,00 € (netto) gekürzt werden müsse. Der Beschwerdeführer und die Bezirksrevisorin hatten in der Folge ihre in dieser Frage gegensätzlichen Standpunkte mit Stellungnahmen vom 25.11.2015, 11.01.2016, 04.02.2016, 11.02.2016, 29.02.2016, 04.03.2016, 29.03.2016 und 05.04.2016 ausgetauscht und näher erläutert.

Gegen den Vergütungsbeschluss vom 08.04.2016 legte der Beschwerdeführer mit einem am 22.04.2016 bei Gericht eingegangenen (versehentlich falsch datierten) Schriftsatz Erinnerung ein, welcher der Urkundsbeamte nach erneuter Anhörung der Bezirksrevisorin nicht abhalf.

Das Amtsgericht Neustadt a.d. Aisch wies die Erinnerung des Beschwerdeführers mit richterlichem Beschluss vom 18.07.2016 als unbegründet zurück.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde, die er mit Schriftsatz vom 22.07.2016 eingelegt und mit weiterem Schriftsatz vom 29.07.2016 begründet hat. Er verfolgt weiterhin das Ziel, auch die Grundgebühr und die Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren, mithin insgesamt 5.064,88 € (brutto), zugesprochen zu bekommen. In der Sache hält er an seiner Auffassung fest, dass die vorgenommene Kürzung ungerechtfertigt sei, weil er zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich oder konkludent auf eine Geltendmachung der in Rede stehenden Gebühren verzichtet habe und der Pflichtverteidigerwechsel weder aus Rechtsgründen zwingend mit einer solchen gebührenrechtlichen Einschränkung einhergehe noch im konkreten Fall vom Gericht unter eine entsprechende Bedingung gestellt worden sei.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 01.08.2016 nicht abgeholfen.

Die Bezirksrevisorin ist dem Rechtsmittel mit Verfügung vom 12.12.2017 entgegengetreten. Sie hat ihren Standpunkt erneut verdeutlicht und verweist auf die bisherigen Stellungnahmen.

II.

Die Beschwerde, über die der Einzelrichter entscheidet (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG), ist zulässig. Da eine Aufstockung der bislang zugesprochenen Vergütung um 599,76 € begehrt wird, ist der erforderliche Mindestbeschwerdewert erreicht (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Die Einlegung ist auch fristgerecht erfolgt (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG). In der Sache hat das Rechtsmittel in vollem Umfang Erfolg.

Dem Beschwerdeführer steht die von ihm beantragte Verfahrensgebühr zu. In diesem Punkt lässt sich von vornherein eine gebotene „Kostenneutralität“ nicht als Gegenargument heranziehen. Auch die geltend gemachte Grundgebühr muss dem Beschwerdeführer gewährt werden, ungeachtet des Umstands, dass eine solche schon durch das Tätigwerden des früheren Pflichtverteidigers angefallen war. Das nachträgliche Ausnutzen der falschen gerichtlichen Sachbehandlung durch den Beschwerdeführer, der unter den gegebenen Umständen nicht hätte beigeordnet werden dürfen, rechtfertigt es für sich genommen noch nicht, dem Einfordern von „Mehrkosten“ den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenzuhalten.

1. Die Verfahrensgebühr gemäß RVG-VV Nrn. 4124, 4125 in Höhe von 312,00 € (netto) ist dem Beschwerdeführer, gestützt auf § 48 RVG, antragsgemäß zu zahlen. Die faktisch eintretende Doppelbelastung der Staatskasse mit dieser Gebühr ist unbeachtlich.

Dem früheren Pflichtverteidiger ist die in Rede stehende Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren (RVG-VV Nrn. 4124, 4125) zu Unrecht erstattet worden. Die Gebühr entsteht grundsätzlich mit jeder Tätigkeit, die sich auf die Ausführung des Auftrags zur Verteidigung in der Berufungsinstanz richtet. Wenn der Verteidiger allerdings – wie hier – bereits im ersten Rechtszug tätig war, decken die Gebühren gemäß RVG-VV Nrn. 4100 ff. die (bloße) Einlegung der Berufung noch mit ab (§ 19 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 10 Halbsatz 1 RVG); die neue Gebühreninstanz beginnt für diesen Verteidiger damit erst nach der Einlegung der Berufung (vgl. KG, Beschluss vom 02.09.2016 - Az. 4 Ws 125/16, NStZ 2017, 305; OLG Bamberg, Beschluss vom 18.08.2005 - Az. Ws 626/05, NJW 2006, 1536). Nach Aktenlage hatte vorliegend der frühere Pflichtverteidiger nach der Rechtsmitteleinlegung im Berufungsverfahren keine Aktivitäten mehr entfaltet. Die Beiordnung des Beschwerdeführers hat also in diesem Punkt, eine zutreffende Sachbehandlung unterstellt, keine „Mehrkosten“ verursacht; der Umstand, dass der frühere Pflichtverteidiger eine nicht angefallene Gebühr erhalten hat, kann dem Beschwerdeführer nicht zum Nachteil gereichen.

2. Auch die Zahlung der Grundgebühr gemäß RVG-VV Nrn. 4100, 4101 in Höhe von 192,00 € (netto) kann dem Beschwerdeführer nicht versagt worden. Die bei der Beiordnung intendierte „Kostenneutralität“ steht dem nicht entgegen, weder auf den im Vergütungs- und im Erinnerungsverfahren beschrittenen Wegen (eines vermeintlichen wirksamen Vorbehalts bei der Beiordnung oder eines vermeintlichen Verzichts) noch über den Einwand des Rechtsmissbrauchs.

a) Der Beiordnungsbeschluss enthält keine einschränkende Bedingung, auf deren Grundlage sich der Gebührenanspruch des Beschwerdeführers um die „Mehrkosten“ kürzen ließe.

Es spricht vieles dafür, dass die im Zuge einer Auswechslung des Pflichtverteidigers erfolgende Beiordnung des neuen Verteidigers ohnehin nicht in zulässiger und gebührenrechtlich wirksamer Weise mit der Bedingung verknüpft werden kann, dass dem neuen Verteidiger keine Vergütungsanteile zustehen, die schon der frühere Verteidiger durch sein Tätigwerden verdient hat. Diese Frage mag hier aber dahinstehen, denn jedenfalls enthält der Beschluss vom 12.09.2014 – was auch der Beschwerdeführer in seiner Argumentation in den Vordergrund stellt – keine solche Bedingung. Dass der Vorsitzende der Jugendkammer von dem Beweggrund geleitet war und die Erwartung hegte, den Verteidigerwechsel „kostenneutral“ umzusetzen, kommt in den zitierten Sätzen der Begründung seines Beschlusses unmissverständlich zum Ausdruck. Anders als von der Bezirksrevisorin und vom Amtsgericht vertreten, erlaubt es dies allein allerdings nicht, in den maßgeblichen Tenor der Entscheidung, der seinerseits frei von jeglicher ausdrücklichen Einschränkung ist, eine entsprechende (konkludente) Bedingung „hineinzulesen“.

b) Der Beschwerdeführer hat auch nicht auf die Gebühr verzichtet; insbesondere kann seinem Schweigen zur Beiordnungsentscheidung kein solcher Erklärungsgehalt beigelegt werden.

Eine ausdrückliche Verzichtserklärung hat der Beschwerdeführer zu keiner Zeit abgegeben. Auch ein konkludenter Gebührenverzicht – durch schlüssiges Verhalten des Beschwerdeführers – ist nicht erfolgt. Auf der einen Seite ist der Bezirksrevisorin und dem Amtsgericht im Ausgangspunkt der jeweiligen Überlegungen darin zuzustimmen, dass die Zulässigkeit einer Auswechslung des Pflichtverteidigers, soweit es nicht um (hier nicht interessierende) Fälle einer groben Pflichtverletzung, einer Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses oder einer dringend gebotenen Verfahrenssicherung geht, nach inzwischen ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung mit Blick auf die zu beachtenden Fiskalinteressen davon abhängt, dass – über die sonstigen Voraussetzungen eines allseitigen Einverständnisses und der fehlenden Besorgnis einer Verfahrensverzögerung hinausgehend – der Staatskasse keine „Mehrkosten“ entstehen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 143 Rn. 5a m.w.N.; BeckOK-StPO/Krawczyk, StPO § 143 Rn. 7 m.w.N.). Die hiergegen gerichteten Ausführungen des Beschwerdeführers in der Beschwerdebegründung gehen fehl. Die von ihm angeführten verfassungsgerichtlichen Entscheidungen, in denen das schutzwürdige Interesse des Angeklagten an einer Verteidigung durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens betont wird, betreffen Fälle, in denen – anders als vorliegend – der neu beigeordnete Verteidiger dieses Vertrauen gerade nicht genoss. Der besonders herausgestellte Beschluss des OLG Braunschweig vom 28.07.2008 (Az. Ws 262/08) gibt dem Beschwerdeführer erst recht nichts an die Hand, denn darin wird ausdrücklich das Gebot der „Kostenneutralität“ (und damit das genaue Gegenteil des von ihm behaupteten Inhalts) vertreten. Auf der anderen Seite reicht der Befund, dass ein „einfacher“ (nicht auf besondere Umstände gestützter) Pflichtverteidigerwechsel nur in Betracht kommt, wenn er keine „Mehrkosten“ auslöst – was regelmäßig durch einen vorherigen (teilweisen) Gebührenverzicht entweder des neuen oder des bisherigen Verteidigers sichergestellt wird –, für sich genommen nicht aus, um in einer solchen Konstellation etwa das Antragsschreiben des um die Auswechslung mit eigener Beiordnung ersuchenden Rechtsanwalts ergänzend dahin auszulegen, dass es zugleich eine konkludente Verzichtserklärung enthält. Ebenso wenig kann in dieser Konstellation – anders als in der Entscheidung über die Erinnerung andeutungsweise geschehen – allein aus der ausgebliebenen Reaktion des Beschwerdeführers auf die Begründung der Beiordnungsentscheidung, der zufolge der Vorsitzende davon „ausging“, dass es nicht zu Doppelzahlungen von Gebührenpositionen kommen werde, ein stillschweigender Verzicht konstruiert werden; hierzu hätte es zuallererst einer – so schon nicht ersichtlichen – rechtlichen Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Beseitigung der hier zu Unrecht in ihn gesetzten Erwartung (hinsichtlich seines Abrechnungsverhaltens) bedurft.

c) Es ist nach Aktenlage auch nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer seine Beiordnung unter Vorspiegelung einer gesicherten „Kostenneutralität“ des Verteidigerwechsels „erschlichen“ haben könnte. Dem bloßen nachträglichen Ausnutzen der durch einen gerichtlichen Fehler eröffneten Möglichkeit, mangels vorherigen Verzichts auch „Mehrkosten“ in Ansatz zu bringen, kann nicht unter Verweis auf den Gedanken des Rechtsmissbrauchs begegnet werden.

Der Beiordnungsbeschluss ist für das Vergütungsfestsetzungsverfahren bindend. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat nicht zu prüfen, ob die Beiordnung eines Rechtsanwalts zulässig war; er darf den Sachverhalt, auf dessen Grundlage das Gericht seine Entscheidung getroffen hat, nicht abweichend beurteilen (Mayer/Kroiß/Kießling, RVG, 7. Aufl., § 55 Rn. 17). Der Umstand, dass vorliegend eine „einfache“ Auswechslung des Pflichtverteidigers wegen der nicht gesicherten „Kostenneutralität“ gar nicht erst hätte erfolgen dürfen, ist damit grundsätzlich unbeachtlich. Die angesprochene Bindung besteht allerdings ausnahmsweise in dem Umfang nicht, in dem das Einfordern der Vergütung durch den Rechtsanwalt rechtsmissbräuchlich wäre; die Annahme eines Rechtsmissbrauchs drängt sich unter anderem dann auf, wenn der Anwalt seine Beiordnung „erschlichen“ oder bestimmte Gebühren „in erheblich zu missbilligender Weise zur Entstehung gebracht“ hat (Mayer/Kroiß/Kießling, a.a.O., § 55 Rn. 19). Unter den hier gegebenen Umständen ginge jedoch die anteilige Zurückweisung der Gebührenforderung zu weit, da es an belastbaren Anhaltspunkten für ein „Erschleichen“ der Beiordnung fehlt. Davon könnte höchstens die Rede sein, wenn der Beschwerdeführer – was nach Aktenlage nicht der Fall war – die Fehlvorstellung des Vorsitzenden hinsichtlich der „Kostenneutralität“ im Vorfeld der Entscheidung durch zurechenbares eigenes Verhalten objektiv mitverursacht hätte. Hinzu kommt, die subjektive Seite betreffend, dass der Beschwerdeführer – sieht man einmal von der immerhin in Betracht zu ziehenden Möglichkeit ab, dass seine Argumentation im Beschwerdeverfahren entgegen besserer Einsicht als Mittel zum Zweck vom Gebühreninteresse geleitet sein könnte – bis heute auf dem überraschenden Standpunkt beharrt, dass seine Beiordnung ohnehin, nämlich unabhängig vom Entstehen von „Mehrkosten“, habe erfolgen müssen. Auch wenn feststeht, dass der Beschwerdeführer bei zutreffender Sachbehandlung keine Grundgebühr beanspruchen könnte (weil das Gericht entweder einen Verzicht abgewartet oder die Beiordnung versagt hätte), lässt sich ein Fehler der vorliegenden Art, bei dem das Gericht mit der Beiordnung bewusst oder versehentlich „in Vorleistung“ geht, nicht ohne das Hinzutreten besonderer Begleitumstände bei der späteren Abrechnung korrigieren, denn das liefe darauf hinaus, das Einfordern einer angefallenen Gebühr allein unter dem Vorhalt eines unterbliebenen Verzichts als rechtsmissbräuchlich einzustufen.

3. Im Ergebnis war der Ausgangsbeschluss vom 08.04.2016 dahin abzuändern, dass dem Beschwerdeführer eine Vergütung in der vollen beantragten Höhe gewährt wird.

III.

Die Gebühren- und Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2, Satz 3 RVG.


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