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Entscheidungen

StPO

Beweiswürdigung, Aussage-gegen-Aussage

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Bremen, Beschl. v. 28.11.2018 - 60 Qs 384/18 (913 Js 25102/18)

Leitsatz: Zur Beweiswürdigung in den Fällen einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation.


Landgericht Bremen Strafkammer 60 (Große Strafkammer beim AG Bremerhaven)
Beschluss
60 Qs 384/18 (913 Js 25102/18)

In der Strafsache
gegen pp.

wegen sexueller Nötigung

hat das Landgericht — Große Strafkammer bei dem Amtsgericht Bremerhaven - Bremen am 28.11.2018 beschlossen:

Der Beschluss des Amtsgerichts Bremerhaven vom 05.10.2018 wird aufgehoben.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Bremen - Zweigstelle Bremerhaven - vom 14.05.2018 wird zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht — Schöffengericht — Bremerhaven zugelassen.

Gründe

Dem Angeklagten wird durch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bremen — Zweigstelle Bremerhaven — vom 14.05.2018 eine sexuelle Nötigung am 02.05.2017 z. N. der Nebenklägerin pp. zur Last gelegt. Das Amtsgericht Bremerhaven hat die Eröffnung des Hauptverfahrens durch Beschluss vom 05.10.2018 abgelehnt. Die ablehnende Entscheidung hat das Amtsgericht insbesondere damit begründet. dass Nebenklägerin widersprüchliche Angaben gemacht habe, unabhängige Beweismittel zur Tat nicht existieren würden und daher aufgrund der Aussage gegen Aussage- Konstellation eine Verurteilung des die Tat bestreitenden Angeschuldigten nicht zu erwarten sei.

Auf die Ausführungen in dem ablehnenden Beschluss wird insoweit Bezug genommen.

Die sofortige Beschwerde der Nebenklägerin ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Zu Unrecht hat das Amtsgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen abgelehnt. Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen ist der Angeschuldigte des ihm vorgeworfenen Verbrechens gemäß § 177 Abs. 1, Abs. V Nr. 1 StGB hinreichend verdächtig, so dass die Voraussetzungen für die Eröffnung des Hauptverfahrens erfüllt sind.

Nach § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens. wenn der Angeschuldigte nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Hinreichender Tatverdacht ist anzunehmen, wenn die Verurteilung in einer Hauptverhandlung bei vorläufiger Tatbewertung auf der Grundlage des Ermittlungsergebnisses mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist (BGHSt 23, 304 [306]; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 14. August 2006, 1 Ws 166/06, bei juris: Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 203 Rdn. 2).

Bei seiner Prüfung kann das Gericht schon aufgrund der Aktenlage den einzigen Belastungszeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung unterziehen (OLG Nürnberg, NJW 2010, 3793) und den hinreichenden Verdacht bei einer Sachlage, die von sich im Kernbereich widersprechenden Aussagen dieses Zeugen geprägt ist, mit der Begründung verneinen, dass sich wegen der strengen Anforderungen an die Beweiswürdigung in einer Aussage-gegen-Aussage-Situation eine Prognose, wonach der Angeschuldigte wahrscheinlich verurteilt werde, nicht stellen lasse (OLG Karlsruhe, StV 2012, 459). Jedoch ist bei ungefähr gleicher Wahrscheinlichkeit von Verurteilung und Nichtverurteilung das Hauptverfahren zu eröffnen. wenn zweifelhafte Tatfragen in der Hauptverhandlung geklärt werden und zu einer die Verurteilung tragenden tatsächlichen Grundlage führen können (OLG Stuttgart, NStZ-RR 2011, 318; OLG Koblenz NJW 2013. 98; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 203 Rdn. 2). Dabei ist das Gericht gehalten. seine Beurteilung einerseits aufgrund des gesamten Ermittlungsergebnisses vorzunehmen, andererseits aber auch die besseren Aufklärungsmöglichkeiten der Hauptverhandlung, insbesondere auch durch den persönlichen Eindruck des Gerichts hinsichtlich der Glaubwürdigkeit eines Hauptbelastungszeugen, in Rechnung zu stellen (OLG Koblenz, a.a.O.)
Nach diesem Prüfungsmaßstab ist ein hinreichender Tatverdacht für die hier in Rede stehende Straftat gegeben.

Die Kammer verkennt nicht, dass es sich vorliegend um eine Beweiskonstellation handelt, in der im Wesentlichen die belastende Aussage der Nebenklägerin gegen die Einlassung des Angeschuldigten streitet, und dass deshalb die Aussage dieser einzigen Belastungszeugin — wie bei der amtsgerichtlichen Entscheidung auch geschehen — einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen ist. Allerdings weichen die von der Nebenklägerin gleich nach dem Vorfall und später bei ihrer polizeilichen Zeugenvernehmung gemachten Angaben nicht derart voneinander ab. dass sie von vornherein als unglaubhaft bezeichnet werden könnten. Jedenfalls im Kernbereich hat die Nebenklägerin im Laufe des Ermittlungsverfahrens gleichbleibende Aussagen zum Tatgeschehen gemacht.

So hat sie jeweils detailliert geschildert. wie sie zunächst Intimitäten verweigert habe und dann vom Angeschuldigten auf das Bett gezogen, dort fixiert und zur Duldung von Küssen und dem Streicheln ihrer Brüste gezwungen worden sei.

Dass die Nebenklägerin aus Sicht des Amtsgerichts nicht plausibel zu erläutern vermag, warum sie sich wieder in die Wohnung des Angeschuldigten begeben hat. wenn dieser doch bereits beim ersten Mal versucht hat, sie zu küssen. macht ihre diesbezüglichen Angaben nicht widersprüchlich. Dass es zumindest aus Sicht der Nebenklägerin plausible Gründe gab, den Angeschuldigten wiederholt aufzusuchen. folgt daraus. dass sie sich davon versprach, einen Betrag i.H.v. € 200,00 geliehen zu bekommen. Darüber hinaus konnte sie in dessen Wohnung Kokain konsumieren.

Dass die Nebenklägerin zum Angeschuldigten in das Schlafzimmer ging und sich auf dessen Bettkante freiwillig setzte, obwohl sie zuvor hätte gewarnt sein können, wirft Fragen auf, deren Klärung allerdings der Hauptverhandlung vorbehalten bleibt. Ein unter Umständen als leichtsinnig zu bezeichnendes Verhalten der Geschädigten wirkt sich jedenfalls nicht ohne weiteres auf ihre Qualität als Zeugin aus.

Für eine tatsachenfundierte Schilderung spricht ihre Aussage. das Verhalten des Angeschuldigten nicht dramatisiert zu haben. Bei einer Falschbelastung hätte es nahe gelegen. das Ausmaß an Gewalt drastischer darzustellen, um so die ausweglose Zwangslage noch plausibler erscheinen zu lassen. Auf die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin weist zudem ihre schlechte psychische Verfassung sowohl gegenüber ihrer Freundin als auch gegenüber ihrer Tante hin.

Hingegen ist die Einlassung des Angeschuldigten, er habe die Nebenklägerin weder angefasst noch sie geküsst und sei nur angezeigt worden, weil die Nebenklägerin auf ihn eifersüchtig und enttäuscht gewesen sei. weil er ihr das Geld nicht gegeben habe, nicht nachvollziehbar. Aus dem zwischen beiden am 25.06.2017 gewechselten Chatverkehr ergibt sich, dass die Nebenklägerin dem Angeschuldigten auf dessen Mitteilung, sie könne arbeiten und er wolle ihr nur helfen. geschrieben hat, sie glaube, er habe etwas ganz anderes vor. sie „wieder zu zwingen", mit ihr zu schlafen; „wie letztes Mal". Sie habe nicht gewollt. er habe sie nicht in Ruhe gelassen.

Der Angeschuldigte erwidert darauf: „Ja hast recht okay ich mach das nicht wieder".

Der Beschluss des Amtsgerichts vom 05.10.2018 war demnach aufzuheben und die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Amtsgericht Bremerhaven - Schöffengericht -anzuordnen.


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