Gericht / Entscheidungsdatum: LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 07.03.2019 - 6 Qs 294 Js 7232/18 (36/19)
Leitsatz: Ein Angeklagter hat keinen allgemeinen Anspruch auf Beiordnung eines gewünschten Anwalts. Ein von einem Angeklagten gewünschter Verteidiger kann jedoch nur dann nicht als Pflichtverteidiger bestellt werden, wenn ein wichtiger Grund entgegensteht.
Landgericht Dessau-Roßlau
6 Qs 294 Js 7232/18 (36/19)
BESCHLUSS
In dem Strafverfahren
gegen 1.) pp
2.) pp.
Verteidiger:
wegen Meineides
hat die 6. Strafkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau durch die unterzeichnenden Richter am 07.03.2019 beschlossen:
Auf die Beschwerde der Angeklagten S. wird der Beschluss des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 11.02.2019 ( 11 Ls 32/18), durch den der Angeklagten Rechtsanwalt R. als Pflichtverteidiger bestellt und der Antrag des Wahlverteidigers Rechtsanwalt J.R. Funck, ihn zu bestellen, zurückgewiesen wurde, aufgehoben und ihr Rechtsanwalt J.R. Funck als Pflichtverteidiger bestellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.
Gründe:
Am 13.11.2018 wurde gegen die Angeklagten Anklage wegen Meineids erhoben. Der Angeklagten S. wurde vom Amtsgericht mit der Anklagezustellung
die Möglichkeit gem. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO gegeben, binnen einer Woche einen bestimmten Rechtsanwalt zu benennen, da das Amtsgericht die Bestellung eines Pflichtverteidigers gem. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO beabsichtigte. Die Zustellung erfolgte am 24.11.2018. Mit Schriftsatz vom 12.12.2018 meldete sich Rechtsanwalt J.R. Funck aus Braunschweig und beantragte seine Bestellung. Das Amtsgericht verwies darauf, dass eine Bestellung eines auswärtigen Rechtsanwalts nur dann in Betracht käme, wenn dargelegt werde, warum diesen ein besonderes Vertrauensverhältnis mit einem Angeklagten verbindet. Sodann fragte es am 14.01.2019 nach Terminen im Zeitraum Februar - April 2019 an. Rechtsanwalt J.R. Funck berief sich darauf, dass keine besondere Eilbedürftigkeit bestehe und bot freie Termine im Juli 2019 an. Das Amtsgericht gab der Angeklagten die Möglichkeit einen anderen Verteidiger zu benennen, da es eine Hauptverhandlung am 12., 19. und 26.03 2019 beabsichtigte. Unter Aufrechterhaltung seines Antrags auf Bestellung gab Rechtsanwalt J.R. Funck 5 weitere Rechtsanwälte an. Das Amtsgericht terminierte am 11.02.2019 wie angekündigt, ließ die Anklage zu und bestellte der Angeklagten Rechtsanwalt R. Dessau, als Pflichtverteidiger und wies den Antrag auf Bestellung von Rechtsanwalt J.R. Funck zurück. Auf die Begründung des Beschlusses wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Gegen den o.a. Beschluss wurde durch die Angeklagte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 21.02.2019 Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht hat ihr nicht abgeholfen. Es verweist darauf, dass sich bei der Nachfrage bei den benannten Rechtsanwälten auch keine Verfügbarkeit bei allen Terminen ergeben habe.
Die Beschwerde ist begründet. Der Angeklagten ist gem. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO Rechtsanwalt J.R. Funck als Pflichtverteidiger zu bestellen.
Ein Angeklagter hat keinen allgemeinen Anspruch auf Beiordnung eines gewünschten Anwalts. Ein von einem Angeklagten gewünschter Verteidiger kann jedoch nur dann nicht als Pflichtverteidiger bestellt werden, wenn ein wichtiger Grund entgegensteht. § 142 Abs. 1 S. 2 StPO. Dadurch wird das grundsätzlich insoweit dem Richter eröffnete Ermessen stark eingeschränkt. Ein derartiger Grund kann das Beschleunigungsgebot sein, das grundsätzlich bei allen Verfahren gilt. Bei Haftsachen ist es jedoch von erheblich stärkerer Bedeutung, Art. 5 III S. 2 MRK. Das Gebot muss regelmäßig mit dem Wunsch des Angeklagten nach einem Verteidiger seines Vertrauens abgewogen werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 142, Rn. 9a m.w.N.). Vorliegend handelt es sich um keine Haftsache. Das Beschleunigungsgebot ist daher nicht in dem Maße gewichtig wie bei einem oder mehreren inhaftierten Angeklagten.
Die Bestellung eines Wahlverteidigers setzt auch keine Ortsnähe mehr voraus. Dem Amtsgericht ist jedoch im Grundsatz insoweit recht zu geben, dass bei einer Ortsferne darzulegen ist, warum ihn mit dem Wahlverteidiger ein besonderes Vertrauensverhältnis verbindet (Meyer-Goßner / Schmitt, a.a.O., § 142, Rn. 12 m.w.N.). Dies hat die Angeklagte vorliegend nicht getan. Das vom Amtsgericht herangezogene Erfordernis gilt jedoch nur bei einer gewissen Entfernung zwischen Gericht und Kanzleisitz. Diese ist bei den ca. 150 km zwischen Braunschweig und Dessau nicht erreicht (vgl. OLG Zweibrücken StV 02, 238).
Bei der damit gebotenen Abwägung der zitierten ggf. gegenläufigen Interessen hat das Interesse eines Gerichts an der Beibehaltung der dort üblichen Terminierungspraxis keinen unmittelbaren Vorrang vor den anderen Interessen. Die hier gebotene Abwägung hat das Amtsgericht vorlegend nicht in dem gebotenen Maße vorgenommen. Sie wird nicht durch eine einseitige Berücksichtigung der Terminslage und -interessen des erkennenden Gerichts und Außerachtlassung der Interessen der Angeklagten erreicht, von dem gewünschten Rechtsanwalt verteidigt zu werden. Dies gilt insbesondere bei einem schweren Schuldvorwurf wie hier (vgl. BGHSt 43, 153, 156)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 464 Abs. 1 StPO.
Einsender: RA J.R. Funck, Braunschweig
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