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Entscheidungen

Zivilrecht

VW-Abgasskandal, vorsätzliche sittenwidrige Schädigung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Celle, Beschl. v. 01.07.2019 – 7 U 33/19

Leitsatz: 1. Der Käufer eines PKW mit Dieselmotor, der auf Grund einer darin verbauten Motorsteuerungssoftware für die unzulässige Regulierung der Stickoxidwerte (sog. Abschaltvorrichtung) mangelbehaftet ist, hat gegen den Hersteller des Fahrzeuges dann keinen Schadensersatzanspruch wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB), wenn er das Fahrzeug erst zu einem Zeitpunkt erworben hat, nachdem der Hersteller die Öffentlichkeit über das Vorhandensein der gesetzeswidrigen Abschaltvorrichtung unterrichtet und zugleich darüber informiert hat, welche Maßnahmen er in Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt zur Behebung des Mangels vornehmen wird.
2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des verwerflichen Verhaltens als sittenwidrig ist der Eintritt des Schadens beim Käufer durch Abschluss des Kaufvertrages. Jedenfalls in Bezug auf Gebrauchtwagenkäufer ab Herbst 2015 ist dieser Schaden nicht mehr durch ein verwerfliches Verhalten der Beklagten in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise herbeigeführt worden, indem dieser der (zuvor getäuschten) Allgemeinheit bekannt gegeben hat, dass die betreffenden Dieselfahrzeuge nachgebessert werden müssen, weil sie nicht uneingeschränkt den Zulassungsbestimmunen entsprechen.


In pp.

I. Der Verhandlungstermin am 7. November 2019 wird aufgehoben.
II. Es wird erwogen, die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO steht nicht entgegen, dass bereits Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt worden war. Denn die Bestimmung eines Verhandlungstermins ist nicht als „Sperre“ für Entscheidungen nach § 522 Abs. 1, 2 ZPO zu verstehen (vgl. Zöller, ZPO, 32. Auflage, zu § 522 Rdnr. 31 m.w.N.).
III. Dem Berufungskläger wird Gelegenheit zur Stellungnahme oder zur Rücknahme der Berufung innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses gegeben.
IV.Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf bis 18.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 17. Februar 2016 von einem BMW-Vertragshändler einen gebrauchten VW Golf Plus 2,0 TDI zu einem Kaufpreis in Höhe von 18.600,00 EUR (Anlage K1). Ausweislich des schriftlichen Kaufvertrages hatte das erstmals am 28. März 2013 zugelassene Fahrzeug einen Vorbesitzer. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor vom Typ EA 189 verbaut, der unter den sog. VW-Abgasskandal fällt.
Das von dem Kraftfahrt-Bundesamt am 20. Juni 2016 für Fahrzeuge vom Typ VW Plus 2,0 l TDI freigegebene Software-Update wurde an dem Fahrzeug des Klägers vorgenommen (Bl. 44, 59 GA).

Unter Hinweis auf den sog. VW-Abgasskandal forderte der Kläger die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 3. April 2017 auf, Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs den aufgewandten Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung zu zahlen (Anlage K4).

Da die Beklagte diesem Begehren nicht nachkam, hat der Kläger sie im Klagewege auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Von dem Kläger ist vorgebracht worden, dass er das Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn er von der Manipulationssoftware gewusst hätte; für ihn sei es maßgeblich auf ein umweltfreundliches Fahrzeug angekommen.
Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 6. Dezember 2018 abgewiesen. Als Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die geltend gemachten Schadensersatzansprüche zustehen würden.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner fristgerecht eingelegten Berufung, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt. Er macht geltend, das aufgespielte Softwareupdate habe negative Folgen für das Fahrzeug; ihm könne deshalb nicht unterstellt werden, dass er über die Bedeutung des Abgasskandals im Bilde gewesen sei.

Die Beklagte, die die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das landgerichtliche Urteil.

II.

Der Senat beabsichtigt, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren. Denn die Rechtssache dürfte keine grundsätzliche Bedeutung haben, und eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dürfte nicht erforderlich sein.
Zudem hat die Berufung nach vorläufiger Beurteilung aus folgenden Gründen offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg; die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erscheint nicht geboten:

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Dem Kläger stehen gegenüber der Beklagten keine Ansprüche aus § 826 BGB zu.

a) Nach allgemeiner Ansicht (auch der des Senats, s. Beschluss vom 30. Juni 2016, 7 W 26/16) haben Käufer von Fahrzeugen mit Dieselmotoren vom Typ EA 189 Euro 5, die aufgrund der bei ihnen verbauten Abschaltvorrichtung von dem sog. VW-Abgasskandal betroffen sind, eine mit einem Sachmangel behaftete Kaufsache erworben. Denn diese Fahrzeuge sind mit einer Motorsteuerungssoftware ausgestattet worden, mit deren Hilfe die Stickoxidwerte (NOx) im Prüfstand manipuliert worden sind, d.h. bessere Werte im Unterschied zum normalen Fahrbetrieb vorgetäuscht worden sind, um so die nach der Euro-5-Abgasnorm vorgegebenen NOx-Grenzwerte einzuhalten. Die in diesen Fahrzeugen eingesetzte Abgas-Software hat die Prüfsituation erkannt und im Prüfstand in den NOx optimierenden Modus 1 geschaltet, während sie sich im normalen Fahrbetrieb im Modus O mit eingeschränkter Abgasrückführung befunden hat, wodurch die NOx-Emissionen erheblich höher ausgefallen sind. Bei dieser von der Beklagten eingesetzten sog. „Umschaltlogik“ handelt es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Artikel 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) 715/2007, was zur Folge hat, dass die betroffenen Fahrzeuge sachmangelbehaftet im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB sind. Denn Fahrzeugen mit einem Dieselmotor vom Typ EA 189, die von dem Hersteller mit einer unzulässigen Umschaltvorrichtung versehen sind, die günstigere Emissionswerte im Prüfstandbetrieb vorspiegelt, fehlt die Eignung für ihre gewöhnliche Verwendung, weil der (ungestörte) Betrieb der Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr wegen der Gefahr des Einschreitens der zuständigen Behörden nicht gewährleistet ist. Aufgrund der unzulässigen Abschaltvorrichtung sind die Fahrzeuge „nicht vorschriftsmäßig“ im Sinne des § 5 Abs. 1 FZV mit der Folge, dass ihnen die Gefahr einer Betriebsuntersagung oder -beschränkung durch die Zulassungsbehörde anhaftet. Insoweit wird auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss vom 8. Januar 2019 (VIII ZR 225/17, Rdnr. 5 – 23 bei juris) verwiesen.

b) Nicht geklärt ist in der Rechtsprechung die Frage, ob ein vom VW-Abgasskandal betroffener Fahrzeugkäufer die Beklagte als Herstellerin des Dieselmotors vom Typ EA 189 Euro 5 wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung auf Schadensersatz in Anspruch nehmen kann.

Nach einer Auffassung, die von dem OLG Braunschweig (Urteil vom 19. Februar 2019, 7 U 134/17), aber auch in der Instanzrechtsprechung des OLG-Bezirks Celle (etwa LG Bückeburg, Urteil vom 3. Mai 2018, 1 O 88/17 sowie Urteil vom 10. Januar 2019, 1 O 98/18; LG Verden, Urteil vom 20. Juni 2018, 8 O 311/18 sowie Urteil vom 25. Oktober 2018, 5 O 317/17; LG Hannover, Urteil vom 26. September 2018, 17 O 46/18 sowie Urteil vom 5. November 2018, 19 O 201/17) vertreten wird, wird ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB verneint, weil der Schaden des Käufers, der ein sachmangelbehaftetes Fahrzeug erworben habe, nicht in den Schutzbereich der von der Beklagten verletzten EG-Normen falle, da diese keinen Individualschutz zugunsten der einzelnen Fahrzeugkäufer gewähren würden. Darüber hinaus sei das Verhalten der Beklagten auch nicht sittenwidrig, denn sie sei mangels Bestehens einer Offenbarungspflicht nicht verpflichtet gewesen, potenzielle Käufer der Fahrzeuge auf die Umschaltvorrichtung hinzuweisen, weil es hierbei nicht um einen wertbestimmenden Faktor gehe (OLG Braunschweig, Urteil vom 19. Februar 2019, 7 U 134/17, Rdnr. 188 bei juris; ebenso etwa LG Hannover, Urteil vom 5. November 2018, 19 O 201/17; LG Verden, Urteil vom 25. Oktober 2018, 5 O 317/17; LG Hannover, Urteil vom 26. September 2018, 17 O 46/18; LG Verden, Urteil vom 20. Juni 2018, 8 O 311/17).

Nach der gegenläufigen Auffassung, die u.a. von dem OLG Karlsruhe (Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18) und von dem OLG Köln (Beschluss vom 3. Januar 2019, 18 U 70/18; Beschluss vom 1. März 2019, 16 U 146/18), aber auch in der Instanzrechtsprechung im hiesigen Bezirk (etwa LG Hildesheim, Urteile vom 18. Dezember 2018, 3 O 66/18 und 3 O 97/18; LG Hildesheim, Urteil vom 12. Dezember 2018, 2 O 360/17; LG Lüneburg, Urteil vom 28. September 2018, 9 O 52/18 sowie Urteil vom 30. Oktober 2018, 9 O 94/18; LG Stade, Urteil vom 9. Januar 2019, 5 O 95/18 sowie Urteil vom 20. Februar 2019, 5 O 137/18) vertreten wird, kommt ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB gegenüber der Beklagten in Betracht. Dies wird damit begründet, dass die Beklagte durch das Inverkehrbringen der Dieselmotoren vom Typ EA 189 unter bewusster Verwendung der unzulässigen Abschaltvorrichtung den Käufern der betroffenen Fahrzeuge in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt habe. Denn mit der Herstellung und dem Inverkehrbringen der in Rede stehenden Motoren sei konkludent die Erklärung des Herstellers verbunden, dass der Einsatz der Fahrzeuge mit den verbauten Dieselmotoren im Straßenverkehr entsprechend ihrem Verwendungszweck uneingeschränkt zulässig sei, was wegen der vorhandenen gesetzeswidrigen Abschalteinrichtung nicht der Fall sei. Diese damit einhergehende Täuschung der Käufer derartiger Fahrzeuge sei unter den gegebenen Umständen (Profitstreben unter bewusster Täuschung von Behörden, Kunden und Händlern) als sittenwidrig einzustufen, wobei der bei den Käufern entstandene Schaden, der in dem Abschluss des Kaufvertrages über das mangelbehaftete Fahrzeug zu sehen sei, auch unter den Schutzzweck der Norm falle. Denn die Käufer seien über einen die Kaufentscheidung wesentlich beeinflussenden Umstand, nämlich über die uneingeschränkte nicht bedrohte Verwendung des Fahrzeugs im Straßenverkehr, in sittenwidriger Weise getäuscht worden, wodurch unmittelbar in ihren Rechtskreisen eingegriffen worden sei (vgl. im einzelnen OLG Karlsruhe, aaO, Rdnr. 5 – 41 bei juris).

c) Aber auch bei Zugrundelegung der zuletzt genannten Auffassung, der der Senat nach vorläufiger Prüfung grundsätzlich zuneigt, lässt sich vorliegend ein sittenwidriges schädigendes Verhalten der Beklagten in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages am 17. Februar 2016 nicht (mehr) ausmachen.

Nach § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Diese Voraussetzungen lassen sich hier nicht feststellen.

Da in dem von dem Kläger im Februar 2016 erworbenen Gebrauchtwagen, den Pkw VW Golf Plus 2.0 TDI, von der Beklagten als Herstellerin eine unzulässige Abschalteinrichtung installiert worden ist, das Fahrzeug bei Übergabe deshalb mit einem Sachmangel behaftet gewesen ist, ist bei dem Kläger zwar vordergründig ein Schaden eingetreten, der auf das Verhalten der Beklagten als Herstellerin des mangelbehafteten Fahrzeugs zurückgeht. Ein mit dem Kauf des Fahrzeugs eingetretener Schaden des Klägers ist seitens der Beklagten aber nicht in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise herbeigeführt worden.

Ein Verhalten ist objektiv sittenwidrig, wenn es nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (Palandt/Sprau, BGB, 78. Auflage, zu § 826 Rdnr. 4 m.w.N.). Dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder gegen das Gesetz verstößt, ist hierfür nicht ausreichend; hinzutreten muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem mit der Handlung verfolgten Zweck, dem zur Durchsetzung verwendeten Mittel, der dabei gezeigten Gesinnung oder den entstandenen Folgen ergeben kann (Palandt/Sprau, aaO, m.w.N.).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Verhaltens des Anspruchsgegners als sittenwidrig ist der Zeitpunkt der Schadensherbeiführung, d.h. hier der Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages (vgl. BGH, NJW-RR 2013, 1448, 1449 Rdnr. 13; ferner Bamberger, BGB, 4. Auflage, zu § 826 Rdnr. 23). Bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages am 17. Februar 2016 stellt sich das Verhalten der Beklagten nicht (mehr) als sittenwidrig dar.

Als die Beklagte im Jahr 2013 das streitgegenständliche Fahrzeug, den VW Golf Plus 2.0 TDI, mit dem mangelbehafteten Motor zum Zwecke des Verkaufs über einen Vertragshändler in den Verkehr brachte, hatte sie zum einen zwar (bei Zugrundelegung der obigen zweitgenannten Auffassung) in sittenwidriger Weise den Neuwagenkäufer geschädigt, an dem das sachmangelbehaftete Neufahrzeug ausgeliefert wurde. Indem die Beklagte mittels Aufrechterhaltung ihrer mit der Inverkehrgabe des Fahrzeugs abgegebenen konkludenten Erklärung, dass das Fahrzeug uneingeschränkt im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, durch fortwährendes Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung in den Dieselmotoren des Typs EA 189 an ihrem danach als sittenwidrig einzustufenden Verhalten festgehalten hatte, wurde anschließend auch nachteilig auf die Vermögenslage ahnungsloser Zweit- und Dritterwerber des sachmangelbehafteten Fahrzeugs eingewirkt. Im Herbst 2015 ist die Beklagte allerdings in die Öffentlichkeit getreten und hat bekannt gegeben, dass die von ihr hergestellten Dieselmotoren des Typs EA 189 wegen Unregelmäßigkeiten nachgebessert werden müssen.

Wie allgemein bekannt ist, hatte der damalige Vorstandsvorsitzende der Beklagten Dr. W. auf einer Pressekonferenz am 22. September 2015 mitgeteilt, dass es bei den in ihren Fahrzeugen verbauten Dieselmotoren des Typs EA 189 zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei. Zugleich hatte die Beklagte am 22. September 2015 eine Ad-hoc-Mitteilung herausgegeben, mit der sie die Öffentlichkeit darüber informierte, dass sie „die Aufklärung von Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Diesel-Motoren mit Hochdruck“ vorantreibt. In dieser Mitteilung heißt es u.a. weiter: „Auffällig sind Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA 189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen. Ausschließlich bei diesem Motortyp wurde eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt. V. arbeitet mit Hochdruck daran, diese Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen. Das Unternehmen steht dazu derzeit in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Deutschen Kraftfahrtbundesamt“ (Anlage B11).

Entsprechend der in dieser Mitteilung enthaltenen Ankündigung, die Öffentlichkeit über den weiteren Fortgang der Ermittlungen fortlaufend zu informieren (s. Anlage B11), hatte die Beklagte, wie dem Senat aus zahlreichen anhängigen Verfahren bekannt ist, in den Folgemonaten Pressemitteilungen herausgegeben. So hatte die Beklagte, nachdem ihr durch Bescheid des Kraftfahrtbundesamtes vom 14. Oktober 2015 aufgegeben worden war, tätig zu werden, in ihrer Pressemitteilung vom 15. Oktober 2015 mitgeteilt, dass von ihr die schnelle Entscheidung des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) begrüßt werde, den in der vergangenen Woche vorgelegten Zeit- und Maßnahmeplan durch einen Rückruf umzusetzen, und dass mit Hochdruck die im Maßnahmeplan festgelegten technischen Lösungen mit dem Ziel erarbeitet würden, ab Januar 2016 mit der Nachbesserung der Fahrzeuge zu beginnen. In ihrer Pressemitteilung vom 25. November 2015 hatte die Beklagte sodann mitgeteilt, dass die Aufarbeitung und Lösung der Diesel-Thematik voranschreite und dass nach der Umsetzung der technischen Maßnahmen die Fahrzeuge die jeweils gültigen Abgasnormen erfüllen würden; ferner, dass es das Ziel sei, ab Januar 2016 die ersten Fahrzeuge im Rahmen eines Rückrufes auf den erforderlichen technischen Stand zu bringen. In ihrer weiteren Pressemitteilung vom 16. Dezember 2015 hatte die Beklagte darüber informiert, dass sie dem KBA die konkreten technischen Maßnahmen für die betroffenen EA189-Motoren vorgestellt habe und dass das KBA nach intensiven Prüfungen alle Maßnahmen vollumfänglich bestätigt habe; zugleich wurde mitgeteilt, dass die betroffenen Fahrzeughalter angeschrieben und über die weiteren Schritte informiert würden.

Indem die Beklagte sonach ihr vorangegangenes gesetzwidriges Tun nach Aufdecken des Abgasskandals um die Dieselmotoren vom Typ EA 189 nicht vertuscht, sondern sich mit der Aufarbeitung der Problematik befasst hat, worüber sie die Öffentlichkeit informiert hat, kann ihr jedenfalls in Bezug auf potenzielle Gebrauchtwagenkäufer ab Herbst 2015 kein verwerfliches Verhalten angelastet werden. Die Beklagte hatte im Herbst 2015 letztlich den Fehler bei der Abgasrückführung ihrer Dieselmotoren EA 189 eingeräumt und seine Beseitigung in Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt angekündigt. Mit dieser Vorgehensweise hat die Beklagte den schädigenden Zustand, die Vertuschung der Abgasmanipulation in der Öffentlichkeit, nicht mehr aufrechterhalten. Die Gründe, die ihr Verhalten bis Herbst 2015 als sittenwidrig erscheinen ließen (Täuschung potenzieller Kunden durch Vorspiegelung einer nicht gefährdeten Nutzbarkeit ihrer Fahrzeuge im Straßenverkehr unter Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in das Kraftfahrtbundesamt mit dem Ziel der Kostensenkung und Gewinnmaximierung) sind damit weggefallen.

Nachdem die Beklagte die Öffentlichkeit über die vorgenommene Manipulation an den Dieselmotoren EA 189 informiert hatte, setzte auch eine umfangreiche Medienberichterstattung über die sog. VW-Abgasaffäre ein. In den Printmedien, in Funk und im Fernsehen wird seit Herbst 2015 ausführlich und laufend über Vorgänge betreffend den sog. VW-Abgasskandal berichtet, über den allgemein auch in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird. Im Rahmen dieser Diskussion ist zwar auch in Frage gestellt worden, ob die von der Beklagten erarbeitete Nachbesserungsmaßnahme dahingehend, mittels des Aufspielens eines Software-Updates die installierte unzulässige Abschaltvorrichtung zu beseitigen, überhaupt eine geeignete Mängelbeseitigungsmaßnahme ist. In diesem Zusammenhang wird vorgebracht, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass das Update der Motorsteuerungssoftware für das Fahrzeug nicht folgenlos sein werde, wobei eine Erhöhung der Emissionswerte, des Kraftstoffverbrauchs, eine Einschränkung der Motorleistung und das Auftreten von vorzeitigen Verschleißerscheinungen angesprochen wird. Zudem wird den betroffenen Fahrzeugen allgemein nachgesagt, dass sie mit einem nicht behebbaren Makel behaftet seien, was sich nachteilig auf ihren Wert auswirke.

Ob diese gegen das Update vorgebrachten Einwände berechtigt sind, kann hier allerdings dahinstehen. Denn diese Gesichtspunkte können nicht dazu führen, das Verhalten der Beklagten ab Herbst 2015 weiterhin als verwerflich im Sinne des § 826 BGB einzustufen. Die Beklagte hat die Abgasthematik öffentlich gemacht und dabei der (zuvor getäuschten) Allgemeinheit bekannt gegeben, dass die Dieselfahrzeuge, weil sie nicht uneingeschränkt in Ordnung sind, nachgebessert werden müssen; zugleich hat sie die Allgemeinheit darüber informiert, welche Maßnahmen sie in Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt zur Behebung des Mangels vornehmen wird. Damit hat die Beklagte es jedem einzelnen potenziellen Gebrauchtwagenkäufer überlassen, selbst darüber zu entscheiden, ob er ungeachtet des „Dieselgates“ Vertrauen in ihre Dieselfahrzeuge hat oder ob er wegen möglicherweise offen gebliebener Fragen Abstand von dem Kauf ihrer Fahrzeuge nimmt.

Damit erweist sich der Einwand des Klägers in seiner Berufungsbegründung, wonach ihm negative Folgewirkungen des Mangels sowie die vermeintliche Ungeeignetheit des Software-Updates bei Vertragsabschluss nicht bekannt gewesen seien, als unbeachtlich, nachdem sich die Beklagte öffentlich zu dem Abgasskandal erklärt hatte und die negative Berichterstattung hierüber unmittelbar nach Aufdecken des Dieselskandals im Herbst 2015 einsetzte. Dass es der Kläger unterlassen hatte, sich anlässlich des Kaufs des Dieselfahrzeugs mit der Thematik zu befassen, geht jedenfalls nicht auf ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten zurück. Die Beklagte hat kundgetan, auf welche Weise der Mangel in Form der manipulierten Software in Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt beseitigt werden soll, was den für die jeweiligen Fahrzeugtypen ergangenen Freigabebestätigungen des Kraftfahrtbundesamtes entspricht. So hat das Kraftfahrtbundesamt in seinen Freigabebestätigungen jeweils festgehalten, dass die Überprüfungen ergeben haben, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt wurde, dass die offengelegten vorhandenen Abschalteinrichtungen als zulässig eingestuft wurden, dass die Grenzwerte eingehalten werden, dass die von dem Hersteller angegebenen Kraftstoffverbrauchswerte und CO2-Emissionen bestätigt werden und dass die bisherige Motorleistung unverändert bleibt. Damit geht sogleich der weitere Einwand des Klägers fehl, wonach sich sein Fahrzeug auch nach dem Software-Update nicht in einem zulassungsfähigen Zustand befinde, nachdem das Kraftbundesamt die Maßnahme ausdrücklich freigegeben hat.

Nach alledem lässt sich zu Lasten der Beklagten eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung der Käufer, die, wie der Kläger, ab 2016 einen Gebrauchtwagen mit dem in Rede stehenden Dieselmotor vom Typ EA 189 EURO 5 erworben haben, nicht (mehr) feststellen.

2. Dem Kläger kommen gegenüber der Beklagten auch keine Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu.

Wie aus den obigen Ausführungen folgt, kann, bezogen auf den Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Februar 2016, eine (fortbestehende) Täuschungshandlung der Beklagten in Bezug auf die verbaut gewesene unzulässige Abschaltvorrichtung nicht festgestellt werden, nachdem sie sich ab Herbst 2015 zu der Abgasmanipulation an ihren Dieselmotoren vom Typ EA 189 öffentlich bekannt hat.

Darauf, dass der Kläger, wie von ihm behauptet wird, bei Abschluss des Kaufvertrages im Februar 2016 keine Kenntnis davon hatte, dass in dem Dieselmotor des von ihm erworbenen Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut war, die mittels eines Software-Updates zu beseitigen ist, kommt es deshalb nicht entscheidend an. Denn die von ihm behauptete Unkenntnis geht nicht auf eine bis in das Jahr 2016 fortdauernde Täuschungshandlung der Beklagten zurück, sondern beruht darauf, dass sich der Kläger nicht mit dem öffentlich breit diskutierten „Dieselskandal“ befasst hatte. Die bis zum Herbst 2015 fortgewirkte Täuschungshandlung der Beklagten dahingehend, dass das Fahrzeug ordnungsgemäß die EG-Typgenehmigung erhalten habe und diesbezüglich keine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV drohe, hat durch die anschließende Offenlegung und Aufarbeitung des Dieselskandals durch die Beklagte sein Ende gefunden, so dass diese nicht mehr kausal für eine Fehlvorstellung des Klägers, dass mit dem von ihm gekauften Wagen alles in Ordnung sei, werden konnte.

Soweit der Kläger erstinstanzlich vorgebracht hat, dass es ihm bei Abschluss des Kaufvertrages darauf angekommen sei, ein besonders umweltfreundliches Fahrzeug zu erwerben, muss die Beklagte dies nicht gegen sich gelten lassen, nachdem sie an dem Vertragsabschluss nicht beteiligt war und jedenfalls den objektiven Teil des von ihr verursachten Abgasskandals öffentlich eingeräumt hatte und, wie gerichtsbekannt, auch die einzelnen betroffenen Fahrzeughalter zusätzlich angeschrieben und informiert hatte.

Entgegen dem Einwand des Klägers in seiner Berufungsbegründung liegt auch in Bezug auf das Software-Update keine Täuschungshandlung der Beklagten im Sinne des § 263 StGB vor. Der Kläger kann deshalb nicht damit gehört werden, dass das Update zur Mängelbeseitigung ungeeignet sei.

Eine Täuschungshandlung im Sinne des § 263 StGB erfordert, weil sie einen subjektiven Einschlag hat, eine bewusst unwahre Erklärung (Lüge). Wer eine objektiv unrichtige Erklärung im guten Glauben abgibt, begeht schon objektiv keine Täuschungshandlung (vgl. BGHSt 18, 235 Rdnr. 6; Lackner/Kühl, StGB, 29. Auflage 2018, zu § 263 Rdnr.6). Vorliegend lässt sich mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht feststellen, dass die Beklagte, als sie sich etwa in ihrer Pressemitteilung vom 16. Dezember 2015 dahingehend erklärte, dass nach Umsetzung der mit dem Kraftfahrtbundesamt abgestimmten Maßnahmen mit den Dieselfahrzeugen Typ EA 189 in Bezug auf die Einhaltung der Abgasnorm, des Verbrauchs und der Motorleistung alles in Ordnung sei, also die Gefahr einer Stilllegung nicht drohe, das Bewusstsein hatte, eine (hier unterstellt) unrichtige Erklärung abzugeben. Dem stehen der in der Erklärung enthaltene Verweis auf die Einschätzung des Kraftfahrtbundesamtes und die anschließend ergangenen Freigabebestätigungen des Kraftfahrtbundesamtes entgegen.

Der Beklagten kann auch nicht vorgeworfen werden, dass sie mangels Nichtaufklärung über das Software-Update durch Unterlassen getäuscht habe. Denn auch bei einer Täuschung durch Unterlassen gehört ein subjektiver Einschlag zum objektiven Tatbestand, d.h. der Betroffene muss die Nichtaufklärung als Täuschung und dabei zum Zwecke der Erhaltung des Irrtums wollen. Dies lässt sich vorliegend nicht feststellen. Indem die Beklagte entsprechend ihrer o.g. Pressemitteilung davon ausgeht, dass das mit dem Kraftfahrtbundesamt abgestimmte Update gemäß deren Bestätigung den Vorschriften entspricht, sind seitens der Beklagten keine aufklärungsbedürftigen Tatsachen gegeben. Hinzukommt, dass über die Wirksamkeit eines Software-Updates frühzeitig öffentlich diskutiert worden ist und dass schon deshalb das Festhalten der Beklagten am Update unter Verweis auf das Kraftfahrtbundesamt nicht dem Charakter einer Täuschungshandlung zukommen kann.

Festzuhalten ist mithin, dass mangels Vorliegens einer der Beklagten im Februar 2016 vorwerfbaren Täuschungshandlung bereits der objektive Tatbestand des § 263 StGB nicht gegeben ist, so dass das auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB gestützte Schadensersatzbegehren des Klägers ins Leere gehen muss.

3. Der Kläger kann ferner seinen Schadensersatzanspruch nicht auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. mit Verstößen gegen § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV stützen, weil diese Vorschriften keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sind. Der Einwand des Klägers, wonach die Übereinstimmungsbescheinigung für das Fahrzeug gegen geltendes Recht verstoße, muss deshalb ins Leere gehen.

Ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB liegt nur dann vor, wenn die entsprechende Norm wenigstens auch die Interessen des Einzelnen gezielt schützen soll. Deshalb ist es nicht ausreichend, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als ihr Reflex erreicht wird; der Individualschutz muss gerade im Aufgabenbereich der jeweiligen Norm liegen (vgl. Palandt, BGB, 78. Auflage, zu § 823 Rdnr. 58).

Vor diesem Hintergrund kommen den §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV keine individualschützende Wirkung zu. Diese Vorschriften verfolgen die Umsetzung der europarechtlichen Richtlinie 2007/46/EG, deren Ziel die Vollendung des europäischen Binnenmarktes ist. Dagegen bezwecken diese Richtlinie und damit einhergehend §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht die Wahrung von Individualinteressen wie das Vermögensinteresse von Erwerbern von Kraftfahrzeugen (vgl. im einzelnen OLG Braunschweig, Urteil vom 19. Februar 2019, 7 U 134/17 Rdnr. 145 ff. bei juris). Demzufolge kann dahinstehen, ob vorliegend überhaupt ein Verstoß gegen §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV gegeben ist, nachdem die für das Fahrzeug ausgestellte Übereinstimmungsbescheinigung auf eine EG-Typgenehmigung zurückgeht (s. hierzu OLG Braunschweig, Urteil vom 19. Februar 2019, 7 U 134/17 Rdnr. 107 ff. bei juris).

4. Dem Kläger kommt schließlich gegenüber der Beklagten mangels Bestehens eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses kein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB zu.

Nach allgemeiner Ansicht kann zwar ausnahmsweise die Haftung eines Dritten in Betracht kommen, wenn er am Vertragsschluss ein unmittelbar eigenes wirtschaftliches Interesse hat oder wenn er ein besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hat und hierdurch den Vertragsabschluss erheblich beeinflusst hat (vgl. Palandt, BGB, 78. Auflage, zu § 311 Rdnr. 60 m.w.N.). Vorliegend ist aber nicht ersichtlich, dass die Beklagte, die an dem Abschluss des Kaufvertrages über das Gebrauchtfahrzeug zwischen dem Kläger und einem BMW-Vertragshändler nicht beteiligt war, hieran ein eigenes wirtschaftliches Interesse hatte bzw. ein besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hatte. Das Ausstellen der Übereinstimmungserklärung ist hierfür nicht ausreichend, weil dieser Bescheinigung lediglich öffentlich-rechtliche Wirkungen zukommt (s. hierzu OLG Braunschweig, Urteil vom 19. Februar 2019, 7 U 134/17 Rdnr. 97 ff. bei juris).


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