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Entscheidungen

OWi

Ausbleiben des Betroffenen, genügende Entschuldigung, Verwerfung des Einspruchs, Aufklärungspflicht

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 09.07.2019 - 3 Ws (B) 201/19

Leitsatz: Entschuldigt sich der Betroffene unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und schildert er dezidiert gravierende Krankheitssymptome, so kann das Tatgericht den Einspruch nicht ohne weitere Nachforschungen mit der Begründung verwerfen, die Erkrankung sei nicht „ausreichend glaubhaft“ gemacht.


Kammergericht


Beschluss
Geschäftsnummer: 3 Ws (B) 201/19122 Ss 68/19

In der Bußgeldsache
gegen pp.

wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit


hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 9. Juli 2019 beschlossen:

1. Auf den Antrag des Betroffenen wird die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 12. April 2019 zugelassen.
2. Auf die Rechtsbeschwerde wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 12. April 2019 aufgehoben.
3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Polizeipräsident in Berlin hat mit Bußgeldbescheid vom 8. Oktober 2018 gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h ein Bußgeld in Höhe von 100 Euro verhängt, wobei eine Voreintragung im Verkehrszentralregister bußgelderhöhend berücksichtigt worden ist. Nachdem der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid form- und fristgerecht Einspruch eingelegt hatte, hat das Amtsgericht Termin zur Hauptverhandlung für den 12. April 2019 anberaumt, zu dem der Betroffene und seine Verteidigerin ordnungsgemäß geladen worden sind. Mit Schriftsatz vom 11. April 2019, der dem Gericht vor Aufruf der Sache vorlag, beantragte die Verteidigerin für den Betroffenen, den Hauptverhandlungstermin aufzuheben, da es dem Betroffenen krankheitsbedingt nicht möglich sei, das Haus zu verlassen. Er sei aufgrund eines fiebrigen Infektes, der mit Fieber (39,5° C) und Kreislaufschwäche einhergehe, bettlägerig krank. Bedingt durch den schlechten Kreislaufzustand sei es ihm lediglich möglich, wenige Meter ohne fremde Hilfe zurückzulegen; Schwindel hindere ihn daran, weitere Strecken – auch mit Unterstützung eines Dritten - zu gehen. Darüber hinaus leide er an starker Übelkeit, Erbrechen, starkem Kopfschmerz und Durchfall. Diese Symptome hätten sich seit der Ausstellung der mitübersandten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bisher nicht gebessert. Nachdem weder der Betroffene noch seine Verteidigerin zum Hauptverhandlungstermin erschienen waren, hat das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen mit Urteil vom 12. April 2019 nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Zur Begründung hat das Amtsgericht Folgendes ausgeführt:

„Es fehlt eine ausreichende Glaubhaftmachung. Das ärztliche Attest genügt den Anforderungen an die Glaubhaftmachung nicht. Darin bescheinigt der Arzt lediglich ohne Angabe einer Diagnose, dass der Betroffene vom 09.04.2019 bis zum 18.04.2019 nicht arbeitsfähig ist. Konkrete Einzelheiten darüber, wie sich die konkrete Erkrankung auf das Befinden des Betroffenen auf den heutigen Tag auswirkt, fehlen. Im Übrigen wurde die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits 3 Tage vor dem Hauptverhandlungstermin ausgestellt. Bei dieser Sachlage hätte dargelegt werden müssen, welches Krankenbild der Betroffene am Tag der Hauptverhandlung zeigt.“

Gegen dieses, dem Betroffenen am 25. April 2019 zugestellte Urteil wendet er sich mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs und erhebt die Sachrüge.

II.

Der Zulassungsantrag und die Rechtsbeschwerde haben (vorläufigen) Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) aufzuheben.

a) Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist zulässig erhoben; sie genügt insbesondere den Formerfordernissen von §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Die formgerechte Begründung der Verfahrensrüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG erfordert, dass der Betroffene die die Entschuldigung begründenden bestimmten Tatsachen so schlüssig vorträgt, dass sich dem Rechtsbeschwerdegericht die Unzumutbarkeit der Terminsteilnahme konkret erschließt. Im Krankheitsfall gehört hierzu neben der Art der Erkrankung auch die aktuell bestehende Symptomatik und die daraus zur Terminszeit resultierenden konkreten körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen darzulegen (vgl. Senat, Beschluss vom 3. August 2016 – 3 Ws (B) 396/16 – m.w.N.). Aus dem Rügevorbringen muss sich ergeben, dass die Krankheit durch ihre Symptome das Fernbleiben rechtfertigt. Bei der Beurteilung der Verfahrensrüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG kommt es nämlich darauf an, ob der Betroffene tatsächlich entschuldigt war, ihm also ein Erscheinen in der Hauptverhandlung aus tatsächlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar war. Diesen Anforderungen wird der Rügevortrag gerecht, dem insbesondere die Symptomatik und die krankheitsbedingten Beeinträchtigungen des Betroffenen zu entnehmen sind.

b) Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist auch begründet.

Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin sein Einspruch durch Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, so kann die Einspruchsverwerfung das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen, wenn rechtzeitig vorgebrachte und hinreichende Entschuldigungsgründe von dem erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden sind oder einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen (§ 73 Abs. 2 OWiG) zu Unrecht nicht entsprochen worden ist (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 5. März 2018 – 6 RB 3/18 –, juris m.w.N.). Ersteres ist hier der Fall.

Nach § 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG ist maßgeblich, ob ein Betroffener objektiv entschuldigt ist, nicht hingegen, ob er sich genügend entschuldigt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 22. März 2002 – 3 Ws (B) 48/02 -, juris m.w.N.). Entscheidend ist deshalb nicht, was der Betroffene selbst zur Entschuldigung vorgetragen hat, sondern ob sich aus den Umständen, die dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt und im Wege des Freibeweises feststellbar waren, eine ausreichende Entschuldigung ergibt (vgl. Senat, Beschluss vom 22. März 2002, a.a.O.). Ein Betroffener ist angesichts dessen nicht zur Glaubhaftmachung oder zum Nachweis der vorgebrachten Entschuldigungsgründe verpflichtet. Liegen Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung vor, hat sich das Gericht um Aufklärung zu bemühen (vgl. Senat, Beschluss vom 20. August 2014 – 3 Ws (B) 388/14 -, juris). Der Einspruch darf nur verworfen werden, wenn sich das Amtsgericht die Überzeugung verschafft hat, dass genügende Entschuldigungsgründe nicht gegeben sind (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juni 2015 – 3 Ws (B) 124/15 -, juris). Bestehen an ihrem Vorliegen Zweifel, die im Freibeweisverfahren nicht geklärt werden können, darf ein Verwerfungsurteil nicht ergehen (vgl. Senat, Beschluss vom 22. März 2002, a.a.O.). In Fällen der Erkrankung ist das Ausbleiben nicht erst dann entschuldigt, wenn der Betroffene verhandlungsunfähig ist. Vielmehr ist es ausreichend, dass ihm infolge der Erkrankung das Erscheinen vor Gericht nicht zuzumuten ist (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juni 2015 a.a.O.).

Die Urteilsausführungen, die sich darauf beziehen, dass der Betroffene das Vorliegen des Entschuldigungsgrundes nicht in ausreichender Weise glaubhaft gemacht habe, zeigen, dass das Amtsgericht den Umfang seiner Aufklärungspflicht verkannt hat und lassen besorgen, dass es rechtsfehlerhaft zu hohe Anforderungen an den Begriff der genügenden Entschuldigung stellt. Das Gericht hatte sich von Amts wegen um Aufklärung zu bemühen, die hier ohne weiteres durch einen Anruf bei der den Betroffenen behandelnden Ärztin herbeigeführt werden konnte. Diese ist vor den Hintergrund der Übersendung des Attestes von der Schweigepflicht entbundenen worden (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Februar 2015 – 3 Ws (B) 80/15 – m.w.N.). Wenn das Gericht darüber hinaus meint, dem Betroffenen sei trotz der Arbeitsunfähigkeit das Erscheinen in der Hauptverhandlung zumutbar, muss es im Urteil darlegen, warum es von der Unrichtigkeit des Attests überzeugt ist oder warum es die Krankheit in ihren Auswirkungen für so unbedeutend hält, dass sie einer Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht entgegensteht (vgl. Senat, Beschluss vom 3. August 2015 - 3 Ws (B) 376/15 -).

Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Die von dem Betroffenen vorgebrachten Tatsachen waren nicht offensichtlich ungeeignet, sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung genügend zu entschuldigen (vgl. Senat, Beschluss vom 4. Juni 2015 - 3 Ws (B) 264/15 - m.w.N.). Der Betroffene hat einen Sachverhalt vorgetragen, der - unterstellt, er träfe zu - eine genügende Entschuldigung im Sinne von § 74 Abs. 2 OWiG darstellen könnte.

2. Weil der Betroffene bereits mit der Verfahrensrüge durchdringt, kommt es auf die ebenfalls erhobene Sachrüge nicht mehr an.

3. Der Senat hebt daher auf die zugelassene Rechtsbeschwerde das angefochtene Urteil auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurück.


Einsender: RiKG K. P. Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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