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Entscheidungen

StPO

Revision, Verweisungsurteil, Berufungsgericht, Gesamtfreiheitsstrafe, Strafgewalt

Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 12.09.2019 - 202 StRR 1609/19

Leitsatz: 1. Das Berufungsgericht ist von Amts wegen zur Prüfung der Verfahrensvoraussetzung einer hinreichenden, auch das Berufungsgericht bindenden Strafgewalt des Gerichts des ersten Rechtszuges nach § 24 Abs. 2 GVG (sog. Strafbann) verpflichtet.
2. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt des Berufungsgerichts ist über den Wortlaut des § 328 Abs. 2 StPO hinaus der Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung, wofür auch mit Blick auf die Notwendigkeit einer sich gegebenenfalls erst im Laufe des Berufungsverfahrens herausstellenden Notwendigkeit einer Gesamtstrafenbildung nach § 55 Abs. 1 StGB allein die objektive Rechtslage so, wie sie sich dem Berufungsgericht darstellt, maßgebend ist.
3. Das Verweisungsurteil nach § 328 Abs. 2 StPO ist für den Angeklagten ungeachtet des Fehlens einer Sachentscheidung mit der Revision anfechtbar.


In pp.

I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts vom 4. Februar 2019 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die dadurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

I.

Mit der Revision wendet sich der Angeklagte gegen das Berufungsurteil des Landgerichts, mit welchem dieses auf die alleinige Berufung des Angeklagten hin das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und die Sache gemäß § 328 Abs. 2 StPO wegen Überschreitung der dem Amtsgericht gemäß § 24 Abs. 2 GVG eingeräumten und auch für das Berufungsgericht bindenden Strafkompetenz aufgrund einer aus Sicht der Berufungskammer gebotenen nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 StGB an die erstinstanzlich gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GVG sachlich zuständige große Strafkammer verwiesen hat. Mit Urteil vom 19.07.2016 hatte das Amtsgericht als Schöffengericht den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer aus einer Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren neun Monaten und einer weiteren von sechs Monaten gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

II.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der statthaften Revision deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die Revision ist zulässig. Die Beschwer als für jedwedes Rechtsmittel notwendige Zulässigkeitsvoraussetzung folgt daraus, dass die Berufungskammer im Urteilswege das weitere Verfahren an Stelle einer vom Angeklagten mit seiner Berufung erstrebten günstigeren Sachentscheidung an ein Gericht höherer Ordnung verwiesen hat, weshalb durch die mit der Revision angegriffene Aufhebung des Ersturteils möglicherweise in eine für den Angeklagten durch das amtsgerichtliche Urteil verliehene vorläufige Rechtsposition nachteilig eingegriffen wurde. Eine Beschwer des Angeklagten liegt zudem darin, dass durch eine möglicherweise ungerechtfertigte Verweisung sein Anspruch auf den gesetzlichen Richter verletzt sein kann. Darauf, dass das angegriffene Urteil selbst keine eigene Sachentscheidung enthält oder eine spätere Entscheidung (der großen Strafkammer) möglicherweise ein dem Angeklagten tatsächlich günstigeres Ergebnis zeitigen könnte, kann es für die Zulässigkeit der Revision nicht ankommen. Im Übrigen ist den §§ 328 Abs. 2, 333 StPO insoweit eine Einschränkung der Anfechtbarkeit nicht zu entnehmen (vgl. rechtsgrundsätzlich neben BGH, Beschl. v. 15.04.1975 - 1 StR 388/74 = BGHSt 26, 106 = NJW 1975, 1236 auch schon BayObLG, Beschl. v. 18.08.1977 - 3 St 179/77 = BayObLGSt 1977, 143 und [Vorlage-] Beschluss v. 31.05.1974 - 1 St 69/74 = NJW 1974, 1296 [Ls]; siehe auch OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.02.2005 - 2 Ss 236/04 = NStZ-RR 2005, 208 = Blutalkohol 42 [2005], 322 = NZV 2005, 599 [unberechtigte Zurückverweisung an das AG] und OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.09.2008 - 1 Ss 67/08 bei juris [unberechtigte Zurückverweisung an das AG durch Jugendkammer]; ferner KK/Paul StPO 8. Aufl. § 323 Rn. 15; LR/Gössel StPO 26. Aufl. § 323 Rn. 50, 56 und Meyer-Goßner/Schmitt StPO 62. Aufl. § 328 Rn. 14, jeweils m.w.N.). Dem entspricht die nach dem Inhalt der Revisionsbegründung vom 08.04.2019 mit dem Rechtsmittel in erster Linie verfolgte Angriffsrichtung, wenn mit der Revision „insbesondere […] die unzutreffende Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen des § 328 Abs. 2 StPO“ beanstandet wird.

2. Die Revision ist jedoch unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO), weil das Landgericht die Sache ohne Rechtsfehler an die große Strafkammer verwiesen hat.

a) Der Senat braucht allerdings nicht dazu Stellung zu nehmen, ob die revisionsrechtliche Rüge der rechtsfehlerhaften Verweisung nach § 328 Abs. 2 StPO ausnahmslos eine hier nicht ausdrücklich erhobene, aus sich heraus den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügende Verfahrensrüge voraussetzt (vgl. hierzu z.B. BGH, Beschl. v. 30.07.1996 – 5 StR 288/95 = BGHSt 42, 205 = StV 1996, 585 = NJW 1997, 204 = wistra 1997, 28 = BGHR StPO § 269 Unzuständigkeit 5 und Urt. v. 03.02.2016 - 2 StR 159/15 = NStZ-RR 2016, 220 = StV 2016, 622 = BGHR StPO § 269 Unzuständigkeit 9; KK/Paul § 323 Rn. 13; BeckOK/Eschelbach StPO [34. Edit. - Stand: 01.07.2019] § 328 Rn. 24, 26, jeweils m.w.N.). Denn aus dem Rügevorbringen ergibt sich unzweifelhaft, dass die Revision in erster Linie auf die ihrer Auffassung nach rechtsfehlerhafte Anwendung des § 328 Abs. 2 StPO, mithin auf eine spezifische das Verfahren betreffende Vorschrift abzielt. Da daneben mit der innerhalb der Revisionsbegründungsfrist eingegangenen Revisionsrechtfertigung die Sachrüge erhoben ist, kann die Beanstandung aufgrund des in § 300 StPO zum Ausdruck kommenden übergeordneten Rechtsgedankens in eine Verfahrensrüge umgedeutet werden, deren formellen Voraussetzungen hier durch die bloße Mitteilung des Verfahrensmangels deshalb ausnahmsweise genügt wird, weil dem Senat zur Beurteilung des Verfahrensmangels damit auch die umfassenden tatsächlichen Urteilsfeststellungen der Berufungskammer zu den tragenden Gründen seines Verweisungsurteils zur Beurteilung der Rüge zugänglich sind (neben OLG Karlsruhe a.a.O. vgl. zur Umdeutung u.a. OLG Bamberg, Beschl. v. 06.03.2013 – 3 Ss 20/13 = OLGSt StPO § 329 Nr 32 und 06.12.2012 – 3 Ss 118/12 bei juris; Urt. v. 24.07.2012 - 3 Ss 62/12 bei juris und Beschl. v. 30.06.2010 - 3 Ss OWi 854/10 = NZV 2011, 44, jeweils m.w.N.; in diesem Sinne aus der einhelligen Kommentarliteratur ferner Meyer-Goßner/Schmitt § 344 Rn. 14, 20; KK/Gericke § 344 Rn. 20 und LR/Franke StPO 26. Aufl. § 344 Nr. 70 ff., jeweils m.w.N.).

b) Aus den dem Senat damit für die revisionsgerichtliche Überprüfung zugänglichen Urteilsfeststellungen des Landgerichts ergibt sich, dass die Berufungskammer bei der ihr von Amts wegen obliegenden Verpflichtung zur Prüfung einer hinreichenden Strafkompetenz (sog. ‚Strafbann‘) des Erstgerichts (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 21.04.1994 – 4 StR 136/94 = BGHSt 40, 120, 122 = NJW 1994, 2369 = StV 1994, 414 = wistra 1994, 304 und Urt. v. 22.04.1999 – 4 StR 19/99 = BGHSt 45, 58 = wistra 1999, 343 = StV 1999, 343 = NJW 1999, 2604; LR/Gössel § 323 Rn. 21, 51 ff.; BeckOK/Eschelbach § 328 Rn. 12, 16, 24) mit zutreffender Begründung davon ausgegangen ist, dass mit den u.a. wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Nötigung und Beleidigung festgesetzten (unerledigten) Einzelstrafen unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten durch das seit dem 04.11.2015 rechtskräftige Berufungsurteil des Landgerichts Chemnitz vom 27.10.2015 und ohne Hinderung durch das Verschlechterungsverbot des § 331 Abs. 1 StPO (vgl. hierzu u.a. BGH, Beschl. v. 12.01.2016 - 3 StR 478/15 bei juris; 04.04.1997 – 2 StR 125/97 = NStZ-RR 1997, 228; 11.02.1988 – 4 StR 516/87 = BGHSt 35, 208 = wistra 1988, 235 = NStZ 1988, 284 und 07.07.2010 – 1 StR 212/10 = BGHSt 55, 220 = NJW 2010, 3589 = BGHR StGB § 55 Berufung 1 = StraFo 2010, 469; OLG Hamm, Beschl. v. 06.03.2008 – 3 Ss 68/08 = NStZ-RR 2008, NSTZ-RR 2008, 235; OLG Celle, Beschl. v. 21.06.2017- 2 Ws 127/17 = StraFo 2017, 466; BeckOK/Eschelbach § 331 Rn. 35; KK/Paul § 331 Rn. 3, Fischer StGB 66. Aufl. § 55 Rn. 19 f., jeweils m.w.N.) die Bildung einer die Strafkompetenz des Amtsgerichts von vier Jahren voraussichtlich deutlich übersteigenden (neuen) Gesamtfreiheitsstrafe festzusetzen gewesen wäre. Die Revision verkennt, dass für die Prüfung der Voraussetzungen der Notwendigkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht auf den Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils, sondern gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB auf denjenigen des späteren Berufungsurteils als letzter Tatsachenverhandlung abzustellen ist (Fischer § 55 Rn. 6a). Gleichermaßen hatte die Berufungskammer die Frage der ausreichenden Strafkompetenz nach § 24 Abs. 2 GVG zwar bezogen auf und gebunden an diejenige des Amtsgerichts, jedoch im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Befassung und gegebenenfalls Urteilsfindung als Berufungsgericht zu beurteilen, wofür allein die objektive Rechtslage so, wie sie sich dem Berufungsgericht darstellt, maßgebend ist (LR/Gössel § 323 Rn. 24 f.; KK/Paul § 323 Rn. 11, 13; BeckOK/Eschelbach § 328 Rn. 18, jeweils m.w.N.).

c) Auch im Übrigen zeigt die aufgrund der Beweisaufnahme gewonnene und im Urteil des Landgerichts niedergelegte Begründung keine Rechtsfehler auf, die den Vorwurf der (objektiv) willkürlichen Annahme der Verweisungsvoraussetzungen rechtfertigen könnten (hierzu u.a. LR/Gössel § 323 Rn. 33 und BeckOK/Eschelbach § 328 Rn. 19 f.). Die nach Durchführung der Berufungshauptverhandlung gewonnenen, für die Verfestigung der Überzeugung einer voraussichtlich unzureichenden Strafkompetenz ausschlaggebenden Feststellungen sind hinreichend und frei von sachfremden Erwägungen aufgezeigt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO.


Einsender: RiBayObLG Dr. G. Gieg, Bamberg

Anmerkung:


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