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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Begriff frecher Jude , Aufstacheln zum Hass, Volksverhetzung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 28.01.2020 - 3 RVs 1/20

Leitsatz: Der Begriff des frechen Juden gehört zum charakteristischen Vokabular der Sprache des Nationalsozialismus; ohne Zweifel handelt es sich bei der Verwendung dieser Begrifflichkeit um eine auf die Gefühle des Adressaten abzielende, über die bloße Äußerung von Ablehnung und Verachtung hinausgehende Form des Anreizens zu einer feindseligen Haltung gegenüber Menschen jüdischen Glaubens, so dass diese Äußerung ein Aufstacheln zum Hass im Sinne von §130 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellt.


In pp.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 11. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 10. Oktober 2019 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28. Januar 2020 durch

auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig beschlossen:

Die Revision wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte.
Gründe

I.

Das Amtsgericht - Strafrichter - Bielefeld hat den Angeklagten am 22. Februar 2018 wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch Telefax seines Verteidigers vom 1. März 2018 Rechtsmittel eingelegt.

Mit Urteil vom 10. Oktober 2019 hat die 11. kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld das nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist als Berufung ausgelegte Rechtsmittel des Angeklagten verworfen. Wegen der Einzelheiten und insbesondere der getroffenen Feststellungen wird auf die u.a. bei juris veröffentlichen Gründe Bezug genommen (LG Bielefeld, Urteil vom 10. Oktober 2019 - 011 Ns-216 Js 396/16-39/18 -, juris).

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit Zuschrift vom 30. Dezember 2019, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Mit Gegenerklärung vom 24. Januar 2020 hat der Angeklagte zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft Stellung genommen.

II.

Die zulässige Revision ist unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Erfolglosigkeit der Revision beruht auf den Gründen, die die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 30. Dezember 2019 dargelegt hat und die dem Angeklagten bzw. seinem Verteidiger zur Kenntnis gegeben worden sind. Mit Blick auf die Revisionsbegründung sowie die Gegenerklärung vom 24. Januar 2020 bemerkt der Senat lediglich - teilweise ergänzend - Folgendes:

1) Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.

a) Die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO (Aufklärungsrüge) ist nicht entsprechend den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhoben worden.

Die Verfahrensrüge ist bereits deshalb unzulässig, weil es an einem vollständigen Tatsachenvortrag fehlt. Die Revision teilt nämlich nicht mit, dass, bzw. welchen Beweisantrag der Angeklagte in Bezug auf den Zeugen K gestellt hat und wie das Landgericht mit diesem Beweisantrag umgegangen ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage, § 244, Rdnr. 102).

Im Übrigen wäre die Aufklärungsrüge aber auch unbegründet. Denn der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht im Fall der vermissten Beweiserhebung zu einem anderen Beweisergebnis gelangt wäre (s.u.).

b) Soweit mit der Revision die Verletzung des § 261 StPO gerügt wird, weil das Landgericht den Inhalt der Interneterklärung des Angeklagten einseitig zu dessen Lasten ausgelegt habe, ohne deren Mehrdeutigkeit zu würdigen, handelt es sich nicht um eine Verfahrens-, sondern um eine Sachrüge, da die Revision einen Erörterungsmangel rügt, der sich schon aus dem Urteil ergeben soll (vgl. KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, StPO § 261 Rdnr. 208). Ein derartiger Erörterungsmangel liegt jedoch nicht vor (s.u.).

2) Die näher ausgeführte Sachrüge vermag die Revision ebenfalls nicht zu begründen.

Soweit die Revision ausführt, die Äußerung des Angeklagten sei vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, ist dies unzutreffend. Denn bei der Deutung des objektiven Sinns der Äußerungen des Angeklagten hat das Landgericht die Anforderungen beachtet, die sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ergeben.

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gilt nicht vorbehaltlos. Es findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG unter anderem eine Schranke in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch § 130 StGB n.F. gehört (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. November 2002 - 1 BvR 232/97 -, juris, Rdnr. 9). Zutreffend ist zwar insoweit, dass die Verurteilung wegen einer Äußerung gegen Art. 5 Abs. 1 GG verstößt, wenn diese den Sinn, den das Gericht ihr entnommen und der Verurteilung zugrunde gelegt hat, nicht besitzt oder wenn bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde gelegt worden ist, ohne dass andere, ebenfalls mögliche Deutungen mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden sind (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 28. März 2017 - 1 BvR 1384/16 -, juris, Rdnr. 17 m.w.N.). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Kriterien für die Auslegung sind neben dem Wortlaut und dem sprachlichen Kontext, in welchem die umstrittenen Äußerungen stehen, auch für die Zuhörer bzw. Leser erkennbare Begleitumstände, unter denen die Äußerungen fallen. Es ist deshalb von Bedeutung, ob sich die Äußerungen an einen in irgendeiner Richtung voreingenommenen Zuhörerkreis richten und ob den Zuhörern die politische Einstellung des Angeklagten bekannt ist. Diese Umstände können Hinweise darauf geben, wie der durchschnittliche Zuhörer die Äußerungen auffassen wird (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 4 StR 283/05 -, juris Rdnr. 12).

Gemessen an diesen Grundsätzen begegnet die Deutung des Landgerichts keinen rechtlichen Bedenken. Nach dem Wortlaut und unter Berücksichtigung des Erklärungszusammenhangs, in welchem die umstrittenen Äußerungen fielen, kam vielmehr eine andere, nicht dem Tatbestand des § 130 StGB unterfallende Auslegung nicht in Betracht. Denn der wörtlich im Berufungsurteil wiedergegebene Text ist nach Auffassung des Senats auch unter Berücksichtigung seines Kontextes nicht mehrdeutig und lässt im Ergebnis nur die auch vom Landgericht vorgenommene Auslegung zu. Der Angeklagte spricht von dem Zeugen E als "der freche Juden-Funktionär". Der Begriff des "frechen Juden" gehört zum charakteristischen Vokabular der Sprache des Nationalsozialismus. Ohne Zweifel handelt es sich bei der Verwendung dieser Begrifflichkeit um eine auf die Gefühle des Adressaten abzielende, über bloße Äußerung von Ablehnung und Verachtung hinausgehende Form des Anreizens zu einer feindseligen Haltung gegenüber Menschen jüdischen Glaubens, so dass diese Äußerung ein "Aufstacheln zum Hass" im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellt.

Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass bei der Bezeichnung als "Jude" angesichts der Begleitumstände des Gebrauchs im Einzelfall eine Verletzung der Menschenwürde vorliegen könne und zwar insbesondere dann, wenn sich der sich Äußernde - wie hier - mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifiziere oder seine Äußerungen sonst damit in Zusammenhang stünden. Die in der Zeit des Nationalsozialismus erfolgte menschenverachtende Art der Stigmatisierung von Juden als Juden und die damit implizit verbundene Aufforderung an andere, sie zu diskriminieren und zu schikanieren, - so das Bundesverfassungsgericht - gebieten auch heute eine besondere Sensibilität im Umgang mit der Bezeichnung eines anderen als Juden. Das sei auch bei der Deutung einer Äußerung im Rahmen einer strafrechtlichen Beurteilung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 6. September 2000 - 1 BvR 1056/95 -, juris, Rdnr. 43).

Hier hat der Angeklagte im Kontext Bezüge zum Nationalsozialismus hergestellt, indem er beispielsweise "ein Buch über vorbildliche und bewährte Männer der Waffen-SS" erwähnt. Dabei kann entgegen der mit der Revision vertretenen Auffassung dahinstehen, ob der Angeklagte hierbei "nur" einen Buchtitel zitiert, oder ob er selbst die Männer der Waffen-SS für vorbildlich und bewährt hält, so dass eine weitergehende Aufklärung durch das Landgericht insoweit entbehrlich war. Denn selbst wenn es sich hierbei "nur" um einen Buchtitel gehandelt haben sollte, ändert dies an der Auslegung seiner eindeutig judenfeindlichen Äußerung "der freche Juden-Funktionär" nichts.

Dass der Angeklagte den eindeutig nationalsozialistischen Sprachgebrauch vom "frechen Juden" um das mittels eines Bindestrichs angefügte Substantiv "Funktionär" erweitert, führt ebenfalls nicht dazu, dass seine Äußerung zu einer anderen Auslegung führt. Dabei hat der Senat nicht übersehen, dass es sich bei der Veröffentlichung des Angeklagten um eine Reaktion auf einen Beitrag des WDR gehandelt hat, in dem der Zeuge E als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde F-T interviewt worden war. Entgegen der Auffassung der Revision ist es hier fernliegend, dass allein die Eigenschaft des Funktionärs Ziel der Kritik des Angeklagten gewesen sei. Denn wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte es der nationalsozialistisch geprägten und vorangestellten Kombination der Worte "freche" und "Jude" sowie der Einleitung des Satzes mit: "Noch dreister gebärdet sich (...)" nicht bedurft. Dass der einschlägig wegen Volksverhetzung vorbestrafte Angeklagte die o.g. Begrifflichkeiten dennoch in diesem Zusammenhang genutzt hat, lässt nur darauf schließen, dass es ihm gerade auf den herabwürdigenden und an den Nationalsozialismus anknüpfenden Sprachgebrauch ankam.

3) Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Absatz 1 Satz 1 StPO; dies gilt auch für die Kostenentscheidung im angefochtenen Urteil. Soweit sich das Landgericht zur Begründung seiner Kostenentscheidung zumindest ausweislich der Gründe auf § 472 StPO gestützt hat, handelt es sich ersichtlich um einen Schreibfehler, weil die Kostengrundentscheidung keinen Ausspruch zu notwendigen Auslagen eines Nebenklägers enthält und die Nebenklage auch nicht zugelassen wurde.
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