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Entscheidungen

OWi

Abwesenheitsverhandlung, frühere Erklärungen des Betroffenen, Beweisanträge

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Jena, Beschl. v. 27.02.2020 - 1 OLG 151 SsRs 32/20

Leitsatz: Wird das Abwesenheitsverfahren nach § 74 Abs. 1 OWiG durchgeführt, so ist der wesentliche Inhalt früherer Vernehmungen des Betroffenen und seine schriftlichen oder protokollierten Erklärungen durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen.


OLG Jena
1 OLG 151 SsRs 32/20

Beschluss

In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat auf den Antrag, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Stadtroda vom 12.04.2018 zuzulassen, der 1. Senat für Bußgeldsachen des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Richter am Oberlandesgericht pp. als Einzelrichter am 27.02.2020 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Auf die Rechtsbeschwerde wird das Urteil des Amtsgerichts Stadtroda vom 12.04.2018 aufgehoben und die Sache zu neuer Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Stadtroda zurückverwiesen.

Gründe:

Mit Bußgeldbescheid der Thüringer Polizei, Zentrale Bußgeldstelle vorn 01.02.2017 wurden gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 30 km/h eine Geldbuße von 100 € festgesetzt. Dagegen legte der Betroffene form- und fristgerecht Einspruch ein.

Mit Verfügung vom 14.12.2017 bestimmte das Amtsgericht Stadtroda Termin zur Hauptverhandlung auf den 12.04.2018 und entband mit weiterer Verfügung vom 29.12.2017 auf Antrag des Verteidigers den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im Hauptverhandlungstermin. Dieser hatte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 22.12.2017 seine Fahreigenschaft eingeräumt und erklärt, in der Hauptverhandlung keine weiteren Angaben zur Sache zu machen.

Im Ergebnis der Hauptverhandlung vom 12.04.2018, in welcher weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen waren, wurde gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 30 km/h eine Geldbuße von 80 € festgesetzt.

Nach Zustellung des Urteils an den Verteidiger am 19.08.2019 beantragte dieser für den Betroffenen noch am selben Tage die Zulassung der Rechtsbeschwerde und begründete diesen Antrag mit Schriftsatz vom 25.09.2019.

Mit dem Rechtsmittel rügt der Betroffene die Verletzung rechtlichen Gehörs. Das Amtsgericht habe sich in der Hauptverhandlung vom 12.04.2018 und im ergangenen Urteil nicht mit dem umfangreichen Vorbringen im Schriftsatz des Verteidigers vom 10.04.2018 befasst. Auch auf den Antrag auf Terminverlegung wegen nachgewiesener Erkrankung des Verteidigers sei nicht eingegangen worden. Weiterhin wird mit der Rechtsbeschwerde die Verletzung sachlichen Rechts gerügt.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 18.02.2020 beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu verwerfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs auf die erhobene Verfahrensrüge, welche den Anforderungen nach § 344 Abs. 2 Satz2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG entspricht, aufzuheben.

Da im Hauptverhandlungstermin vom 12.04.2018 weder der von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundene Betroffene noch sein Verteidiger erschienen waren, verfuhr das Amtsgericht nach § 74 Abs. 1 OWiG. Wird das Abwesenheitsverfahren nach § 74 Abs. 1 OWiG durchgeführt, so ist der wesentliche Inhalt früherer Vernehmungen des Betroffenen und seine schriftlichen oder protokollierten Erklärungen durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen, § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG. Dadurch wird sichergestellt, dass zum Ausgleich für die weitgehende Durchbrechung des das Strafverfahren beherrschenden Mündlichkeitsprinzips alle wesentlichen Erklärungen, die der Betroffene in irgendeinem Stadium des Bußgeldverfahrens zu der gegen ihn erhobenen Beschuldigung abgegeben hat, bei der Entscheidung berücksichtigt werden (vgl. BayObLG, Beschluss vom 03.01.1996, Az. 2 ObOWi 911/95; OLG Celle, Beschluss vom 28.06.2016, 2 Ss (OWi) 125116; jeweils bei juris). Die Verlesung bzw. Bekanntgabe gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung im Sinne des § 274 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG, deren Beobachtung nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (BayObLG, a.a.O., m.w.N.). Ausweislich des Protokolls ist somit davon auszugehen, dass auch die Beweisanträge gemäß Schriftsatz vom 10.04.2018 in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind, da der Schriftsatz „dem wesentlichen Inhalt nach verlesen" worden ist. Dass die gestellten Beweisanträge in der Hauptverhandlung nicht beschieden worden sind, ergibt sich aus dem Schweigen des Protokolls hierüber. Ob die Beweisanträge in der Hauptverhandlung hätte beschieden werden müssen, weil sie durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind, oder, ob auch in einem derartigen Fall Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen zu behandeln sind, über die im Rahmen der Amtsaufklärung zu befinden ist, weshalb eine Ablehnung derartiger durch Beschluss in der Hauptverhandlung nicht erforderlich ist, kann hier dahingestellt bleiben, weil sich das Amtsgericht unter Zugrundelegung der letztgenannten Auffassung sich dann jedenfalls in den Urteilsgründen mit den Beweisanträgen hätte auseinandersetzen und in einer für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbaren Weise begründen müssen, weshalb es von der beantragten Beweiserhebung abgesehen hat (vgl. BayObLG, a.a.O.; Beschluss des Senats vorn 11.09.2019, 1 OLG 191 SsBs 119/18). Hierzu wird im angefochtenen Urteil jedoch nichts ausgeführt.

Durch diese Verfahrensweise wurde dem Betroffenen rechtliches Gehör versagt.

Das Gebot des rechtlichen Gehörs (Art.103 Abs. 1 GG) soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die erlassene Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet daher das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BayObLG, a.a.O., m.w.N.). Der Umstand, dass das Amtsgericht ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung den Beweisantrag weder in der Hauptverhandlung beschieden noch in den Urteilsgründen sich mit ihm auseinandergesetzt hat, lässt besorgen, dass es bei seiner Entscheidung die Ausführungen des Verteidigers insoweit nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat; damit hat es das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verkürzt (vgl. BayObLG, a.a.O., m.w.N.).

Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Urteil auf der fehlerhaften Nichtbehandlung der Beweisanträge bzw. Beweisanregungen beruht. Ob die Beweisbegehren mit rechtlich zutreffender Begründung hätte abgelehnt werden können, darf vorn Rechtsbeschwerdegericht nicht geprüft werden; damit würde es unzulässigerweise in die dem Tatrichter vorbehaltene Beweiswürdigung eingreifen (vgl. BayObLG, a.a.O.).

Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben und die Sache war an das Amtsgericht Stadtroda zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu befinden haben wird.


Einsender: RA D. Anger, Bergisch Gladbach

Anmerkung:


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