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Entscheidungen

StPO

Zustellungsurkunde, Beweiskraft, Ladung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 4.2.2020 – 2 RVs 5/20

Leitsatz: Die Beweiskraft der gemäß §§ 166 -195 ZPO aufgenommenen Zustellungsurkunde erstreckt sich nicht auch darauf, dass der Zustellungsadressat unter der Zustellungsanschrift tatsächlich wohnt.


Oberlandesgericht Hamm
Beschluss
III-2 RVs 5/20 OLG Hamm

Strafsache
gegen pp.

wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 14. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 25. Juni 2019 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 04. Februar 2020 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gem. S 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung — auch über die Kosten der Revision — an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.

G ründe

l.

Der Angeklagte ist mit Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 27. Februar 2019 wegen gefährlicher Körperverletzung sowie unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt worden.

Hiergegen hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 1. März 2019 Berufung eingelegt und diese auf den Rechtsfolgenausspruch - insbesondere die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung - beschränkt.

Nach dem Inhalt der bei den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde ist der Angeklagte am 28. Mai 2019 unter der zu der Zeit bekannten Wohnanschrift „pp“ zur Berufungshauptverhandlung durch Einlegen der Ladung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung geladen worden.

Mit Urteil vom 25. Juni 2019 hat die 14. kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum die Berufung des Angeklagten gem. § 329 StPO verworfen, da der Angeklagte zur Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden war.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 2. Juli 2019, welche er mit weiterem Schriftsatz seines Verteidigers vom 5. August 2019 mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts näher begründet hat. Mit der formellen Rüge macht der Angeklagte geltend, eine ordnungsgemäße Ladung zur-Berufungshauptverhandlung habe nicht vorgelegen, denn ausweislich des Vermerks des PP Bochum vom 22. Juli 2019 sei der Angeklagte seit Mai 2019 nicht mehr unter der in der Ladungsurkunde benannten Anschrift wohnhaft gewesen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Il.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Revision hat Erfolg.

Die den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO genügende Verfahrensrüge, eine ordnungsgemäße Ladung zur Berufungshauptverhandlung habe nicht vorgelegen, greift durch.

Auf diese Verfahrensrüge hin hat der Senat im Freibeweis selbstständig zu prüfen, ob der Angeklagte ordnungsgemäß zur Berufungshauptverhandlung geladen worden ist, d. h. ob er dort geladen worden ist, wo er zu der Zeit der Zustellung der Ladung gewohnt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 11.11.1986, MDR 1987, 336).

Im Rahmen dieses Freibeweises kann und muss der Senat alle ihm zugänglichen Erkenntnisquellen und damit auch Erkenntnisse nach Erlass des angefochtenen Urteils nutzen.

Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse, insbesondere unter Berücksichtigung des Vermerks des Polizeipräsidiums vom 22. Juli 2019 über den Aufenthalt des Angeklagten ist davon auszugehen, dass der Angeklagte am 28. Mai 2019, dem Tag der in Rede stehenden Zustellung der Ladung zur Berufungshauptverhandlung, nicht mehr unter der zu der Zeit bekannten Anschrift „pp.“ gewohnt hat:

Zwar begründet die gemäß den §§ 166-195 der ZPO aufgenommene Zustellungsurkunde nach § 418 ZPO den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen. Danach erstreckt sich die Beweiskraft der Zustellungsurkunde allerdings nicht auch darauf, dass der Zustellungsadressat unter der Zustellungsanschrift tatsächlich wohnt. Die tatsächlichen Voraussetzungen der Wohnung im Sinne der Zustellungsvorschrifien sind von dem Zusteller regelmäßig nicht voll zu überprüfen, so dass seine Erklärung, er habe eine Nachricht über die Niederlegung unter der Anschrift des Empfängers abgegeben — bzw. hier den Brief in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt —, nur ein beweiskräftiges Indiz dafür begründet, dass der Zustellungsempfänger unter der Zustellungsanschrift wohnt. Dementsprechend kann das Gericht aufgrund der in der Zustellungsurkunde liegenden Beurkundung der Ersatzzustellung im Regelfall davon ausgehen, dass der Zustellungsempfänger unter der darin genannten Anschrift auch tatsächlich wohnt, es sei denn, diese Indizwirkung wird durch eine substantiierte, plausible und schlüssige Darlegung des Betroffenen entkräftet, wozu die schlichte Behauptung, unter der Zustellungsanschrift nicht zu wohnen, noch nicht genügt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.10.1996, NStZ-RR 1997, 70).

Die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde und damit die Indizwirkung, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Zustellung der Ladung am 28.05.2019 noch in pp., gewohnt hat, ist vorliegend entkräftet.

Zur Entkräftung der Indizwirkung muss der Angeklagte nicht stets seinen jetzigen Wohnort offenlegen. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 03.06.1991 (NJW 1992, 224) wird dies nur „in der Regel" gefordert, wobei sich das Maß der gebotenen Substantiierung im Übrigen nach den Umständen des Einzelfalles richtet.

Nach einer Gesamtschau der vorliegenden Erkenntnissen bestehe vorliegend bereits ohne Angaben des Angeklagten zu seinem tatsächlichen Wohnort durchgreifende tatsächliche Zweifel daran, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Zustellung der Ladung zur Berufungshauptverhandlung noch unter der zu der Zeit bekannten Anschrift in pp. gewohnt hat.

Nach den Angaben des Bewährungshelfers im Hauptverhandlungstermin ist ein einfacher Brief an den Angeklagten am 17. Mai 2019 als unbekannt an die Bewährungshilfe zurückgesandt worden. Ein Hausbesuch des Bewährungshelfers am 29. Mai 2019 ergab, dass der Nachname des Angeklagten nicht mehr auf den Klingelschildern verzeichnet war. Das angefochtene Urteil konnte dem Angeklagten unter der Anschrift in pp. nicht mehr zugestellt werden. Daraufhin vom Landgericht veranlasste Ermittlungen des Polizeipräsidiums Bochum am 22. Juli 2019 zu dem Aufenthalt des Angeklagten haben ergeben, dass dieser seit Mai 2019 nicht mehr unter der Anschrift „pp.“ wohnhaft ist. Der Polizei ist zudem ausweislich ihres Vermerks durch vorherige Ermittlungen in anderen Verfahren bekannt geworden, dass die Familie angeblich nach pp. verzogen sein soll.

Das angefochtene Urteil war daher auf die Verfahrensrüge hin mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, gemäß § 354 Abs. 2 S. 1 StPO an eine andere kleine
Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückzuverweisen.


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