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Entscheidungen

Gebühren

geplatzter Termin, Begriff des Erscheinens, Längenzuschlag Pflichtverteidiger, Mittagspause

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Magdeburg, Beschl. v. 15.04.2020 - 21 Ks 5/19

Leitsatz: 1. Der Begriff des Erscheinens in Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG ist teleologisch erweiternd dahin auszulegen, dass es grundsätzlich auch ausreicht, wenn der sich bereits auf dem Weg befindliche Rechtsanwalt zur Terminsteilnahme gewillt ist und von einem Aufsuchen des Gerichtsgebäudes lediglich deshalb absieht, weil er noch kurzfristig während der Anreise zum Gericht von der Terminsaufhebung erfährt.
2. Macht das Gericht eine Mittagspause, ist diese unabhängig von ihrer tatsächlichen Dauer mit 30 Minuten in Abzug zu bringen. Ob es sich bei einer Pause um eine Mittagspause handelt, lässt sich ggf. aus dem zur Mittagszeit gelegenen Unterbrechungszeitpunkt entnehmen.


Landgericht Magdeburg
21 Ks 5/19

Beschluss

In dem Strafverfahren

gegen pp.

zur zeit in dieser Sache in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt pp.

Verteidiqer: pp.

wegen Körperverletzung mit Todesfolge

hat die 1. große Strafkammer — Schwurgerichtskammer — des Landgerichts Magdeburg zu Ziffer 1. durch den Richter am Landgericht als Einzelrichter, zu Ziffern 2. bis 4. durch die unterzeichnenden Richter am 15. April 2020 beschlossen:

1. Das Verfahren zur Entscheidung über die Erinnerung des Terminsvertreters für Rechtsanwalt pp., Rechtsanwalt pp., gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Magdeburg - Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle - vom 09. Dezember 2019 (Az. 21 Ks 5/19) wird der Kammer übertragen.

2. Auf die Erinnerung von Rechtsanwalt pp. wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Magdeburg - Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle - vom 09. Dezember 2019 dahin abgeändert, dass die ihm aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 5.125,45 € festgesetzt werden.

3. Im Übrigen wird die Erinnerung als unbegründet zurückgewiesen.

4. Die Beschwerde gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses wird zugelassen.

Gründe:

l.

Mit in den Eröffnungsbeschluss integriertem Beschluss des Vorsitzenden vom 19.08.2019 wurde Rechtsanwalt pp. aus Halberstadt den Nebenklägern pp. und pp. als Beistand bestellt. Ihm wurde der Ladungsplan vom selben Tage übermittelt, der Hauptverhandlungstermine am 26.09., 27.09., 02.10., 07.10., 08.10., 09.10., 10.10., 16.10., 17.10. und 21.10.2019, jeweils ab 09:00 Uhr, vorsah.

Hierauf beantragte Rechtsanwalt pp., da er an fast allen vorgesehenen Hauptverhandlungsterminen verhindert sein würde, die Beiordnung dahin abzuändern, dass an seiner statt nunmehr Rechtsanwalt pp. aus Burgwedel den Nebenklägern als Beistand bestellt werde. Korrespondierend beantragte Rechtsanwalt pp. mit Schriftsatz vom 26.08.2019 seine Beiordnung als Beistand für die Nebenkläger anstelle von Rechtsanwalt pp. und bestätigte zugleich Kenntnis und Notierung der Termine aus der Ladung vom 19.08.2019.

Mit Beschluss vom 05.09.2019 bestellte der Vorsitzende Rechtsanwalt pp. — unter Ablehnung des weitergehenden Antrags auf Auswechselung des Nebenklägervertreters — zum Terminsvertreter für Rechtsanwalt pp. für die Hauptverhandlungstermine.

Rechtsanwalt pp. nahm in der Folge an den insgesamt sechs Hauptverhandlungsterminen am 26.09., 27.09., 02.10., 09.10., 10.10. und 16.10.2019 teil. Die vorgesehenen Hauptverhandlungstermine am 07.10. und 08.10.2019 wurden wegen Erkrankung des Vorsitzenden kurzfristig am 07.10.2019 aufgehoben. Die Abladung von Rechtsanwalt pp. erfolgte telefonisch am 07.10.2019 morgens.

Der Hauptverhandlungstermin am 10.10.2019 dauerte ausweislich des Sitzungsprotokolls von 09:05 Uhr bis 14:25 Uhr und wurde unter anderem von 12:22 Uhr bis um 13:05 Uhr unterbrochen.

Am Ende des Hauptverhandlungstermins am 16.10.2019 wurde das Urteil verkündet.

Rechtsanwalt pp. beantragte unter dem 17.10.2019, seine Kosten und Auslagen entsprechend seiner beigefügten Kostennote in Höhe von 5.377,73 € festzusetzen und auszukehren. In der Kostennote waren unter anderem eine Terminsgebühr für den 07.10.2019 in Höhe von 424,00 € sowie ein Längenzuschlag für den Termin am 10.10.2019 in Höhe von 212,00 €, jeweils nebst hieraus entfallender Umsatzsteuer, enthalten. Zur Begründung führte er aus, die Abladung am 07.10.2019 erst nach Fahrtantritt zum Gericht auf der A2, kurz vor dem Dreieck Braunschweig-Nord, erhalten zu haben. Dort habe er die Reise abgebrochen und den Rückweg angetreten.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 09.12.2019 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Rechtsanwalt pp. aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 4.620,89 € festgesetzt und zur Begründung ausgeführt, dass der Längenzuschlag für den Termin am 10.10.2019 sowie die Terminsgebühr für den 07.10.2019 nebst hierauf jeweils entfallender Umsatzsteuer nicht zu gewähren seien. Der Termin am 10.10.2019 habe bei Berücksichtigung einer 30-minütigen Mittagspause keine fünf Stunden gedauert. Eine Terminsgebühr für den 07.10.2019 komme nicht in Betracht, weil Rechtsanwalt pp. nicht bei dem Gericht erschienen sel.

Hiergegen wendet sich Rechtsanwalt pp. mit seinem als „sofortige Beschwerde" bezeichneten Rechtsbehelf vom 17.12.2019 und trägt im Wesentlichen vor, es könne ihm nicht zum Nachteil gereichen, dass er noch auf der Fahrt durch eine Freisprechanlage erreichbar war und somit vor Eintreffen bei Gericht von der Terminsaufhebung Kenntnis erlangt hat.

Die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Magdeburg beantragt in ihrer Stellungnahme vom 18.02.2020 die Zurückweisung der Erinnerung als unbegründet, da sie die von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vorgenommenen Absetzungen für zutreffend hält. Auch hinsichtlich der festgesetzten Gebühren hat sie keine Bedenken

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

Il.

1. Die Übertragung des Erinnerungsverfahrens von dem Einzelrichter auf die Kammer beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, ob auch der nicht körperlich im Gerichtsgebäude eingetroffene, jedoch bereits auf dem Weg zum Gericht befindliche Rechtsanwalt, wenn er kurzfristig von einer Terminsaufhebung noch erfährt, Anspruch auf die Festsetzung einer Terminsgebühr für den sogenannten „geplatzten Termin" haben kann, ist umstritten. Obergerichtliche Rechtsprechung liegt zu dieser Fragestellung soweit ersichtlich allein von dem Oberlandesgericht München vor, dessen Argumentation insoweit rechtlich zweifelhaft erscheint.

2. Der als Erinnerung auszulegende Rechtsbehelf von Rechtsanwalt Pp. als Terminsvertreter des Nebenklägervertreters Rechtsanwalt pp. ist gemäß § 56 RVG zulässig. Die Erinnerung hat in der Sache den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
a) Die Terminsgebühr für den kurzfristig abgesagten Hauptverhandlungstermin am 07.10.2019 war antragsgemäß mit 424,00 € gemäß Ziff. 4120 VV RVG zuzüglich der hierauf entfallenden Umsatzsteuer gemäß Ziff. 7008 VV RVG festzusetzen.

Gemäß Vorbemerkung 4 Absatz 3 Sätze 2 und 3 erhält der Rechtsanwalt die Terminsgebühr auch, wenn er zu einem anberaumten Termin erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet, es sei denn, er ist rechtzeitig von der Aufhebung oder Verlegung des Termins in Kenntnis gesetzt worden.

aa) Der Begriff des Erscheinens ist teleologisch erweiternd dahin auszulegen, dass es grundsätzlich auch ausreicht, wenn der sich bereits auf dem Weg befindliche Rechtsanwalt zur Terminsteilnahme gewillt ist und von einem Aufsuchen des Gerichtsgebäudes lediglich deshalb absieht, weil er noch kurzfristig während der Anreise zum Gericht von der Terminsaufhebung erfährt (vgl. Burhoff, in: Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 24. Aufl. 2019, W Vorb. 4, Rn. 40 f. m.w.N.).

Die Kammer folgt insoweit nicht der ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München, das eine solche erweiternde Auslegung ablehnt (vgl. nur OLG München, Beschl. v. 23.04.2018, Az. 6 St (K) 12/18; Beschl. v. 04.08.2014, Az. 6 St (K) 22/14; Beschl. v. 13.1 1.2007, Az. 1 Ws 986/07 ), denn diese Rechtsprechung vermag nicht zu überzeugen. Das Oberlandesgericht München führt insoweit aus, der eindeutige Wortlaut der Norm lasse keine Auslegung zu, die auf die körperliche Anwesenheit des Rechtsanwalts im Gericht verzichte. Dieses Erfordernis stehe mit der Gesetzesbegründung im Einklang und sei zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten geboten.

Nach Überzeugung der Kammer legt zwar der Wortlaut der Norm, die davon spricht, dass der Rechtsanwalt zu dem Termin „erscheint", es nach allgemeinem Sprachgebrauch nahe, die körperliche Anwesenheit am Ort der vorgesehenen Hauptverhandlung zu verlangen, ist jedoch nicht derart unflexibel, dass er jede Auslegung verbieten würde. So spricht der Gesetzestext nicht von dem Rechtsanwalt, der zu dem Gerichtstermin „erschienen ist", sondern von dem Rechtsanwalt, der zu dem Termin „erscheint". Dies lässt es durchaus zu, das Erscheinen nicht allein als Zustand der Anwesenheit, sondern als anwaltliche Tätigkeit, mithin einen Vorgang zu verstehen, der mit dem Antritt des Weges zum Gericht bereits seinen Anfang nimmt. Wenngleich dieses Begriffsverständnis ein sehr weites ist, zeigt sich damit, dass die Wortlautgrenze einer — wie zu zeigen sein wird — bei historischer, teleologischer und systematischer Betrachtung gebotenen erweiternden Auslegung im hier vorgenommenen Sinne nicht entgegensteht.

bb) In der Gesetzesbegründung zu dem KostRModG (BT-Drs. 15/1971 , Seite 221) heißt es hierzu:

„Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Verteidiger, der zur Hauptverhandlung erscheint, hierfür keine Gebühr erhalten soll. Er erbringt unter Umständen einen nicht unerheblichen Zeitaufwand schon zur Vorbereitung des Termins. Soweit dieser wegen des Nichtstattfindens der Hauptverhandlung gering ist, lässt sich dies ohne weiteres bei der Bemessung der Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens berücksichtigen."

Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts München stützt diese Begründung für den Text der Vorbemerkung 4 Abs. 3 VV RVG nicht eine Auslegung, die als Erscheinen nur die körperliche Anwesenheit genügen lässt. Vielmehr ist der Begründung der Wille des historischen Gesetzgebers zu entnehmen, die frustrierte Vorbereitung des Verteidigers — und damit gemäß Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV RVG auch diejenige des Nebenkläger-vertreters — zu dem Hauptverhandlungstermin zu entschädigen. Diese Arbeitsleistung ist aber in aller Regel bereits angefallen, wenn sich der Rechtsanwalt bereits auf den Weg zum Gericht gemacht hat, nicht erst mit seiner dortigen Ankunft.

cc) Sinn und Zweck der Eingrenzung auf den Rechtsanwalt, der „zu einem anberaumten Termin erscheint", ist es, dass derjenige Rechtsanwalt von der Terminsgebühr ausgeschlossen sein soll, der ungeachtet der Terminsaufhebung zu dem Hauptverhandlungstermin ohnehin nicht erschienen wäre. Für ihn wäre die Terminsabsage mit der Folge der Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr ein „Geschenk des Himmels", so dass er nicht schutzwürdig ist. Dieser Fall ist jedoch nicht vergleichbar mit dem — hier gegebenen — Fall, dass der Rechtsanwalt erscheinen will, dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch würde, den Termin mit großer Wahrscheinlichkeit bereits vorbereitet und sich zu ihm schon auf den Weg gemacht hat. Deshalb entspricht die Vergütung des schon auf dem Weg befindlichen Rechtsanwalts mit einer fiktiven Terminsgebühr dem Sinn und Zweck der Vorschrift, dem Rechtsanwalt, der nicht oder zu spät von einer Terminsaufhebung erfährt und hiermit auch nicht rechnen musste, keinen Nachteil entstehen zu lassen.

dd) In systematischer Hinsicht ist der Zusammenhang der Sätze 2 und 3 der Vorbemerkung 4 Abs. 3 VV RVG zu berücksichtigen. Der erschienene Rechtsanwalt soll die Terminsgebühr — abgesehen von dem Fall seines Vertretenmüssens hinsichtlich der Terminsaufhebung — nur dann nicht erhalten, wenn er rechtzeitig von der Aufhebung oder Verlegung des Termins in Kenntnis gesetzt worden ist. Würde der Rechtsanwalt, der bereits zu dem Gericht unterwegs ist, wenn er von der Terminsaufhebung Kenntnis erlangt, nicht in den Kreis der erschienenen Rechtsanwälte miteinbezogen, würde dies mithin zu einem erheblichen Wertungswiderspruch führen:

Der Rechtsanwalt, der zu dem kurzfristig aufgehobenen Termin erscheint, verlöre seinen Anspruch auf die Terminsgebühr nur dann, wenn seine Kenntniserlangung von der Aufhebung rechtzeitig war. Der Rechtsanwalt, der infolge der kurzfristigen Kenntnis nicht mehr (sinnlos) erscheint, erhielte hingegen keine Terminsgebühr. Dies würde dazu führen, dass der Rechtsanwalt, der auf dem Weg zum Gericht noch Kenntnis erlangt, wenn er gut beraten ist, seinen Weg zum Gericht gleichwohl fortsetzen würde, um die Terminsgebühr zu verdienen. Diese könnte ihm nicht versagt werden, weil seine Kenntniserlangung nicht mehr rechtzeitig war. Kehrt er indessen vor Erreichen des Gerichts um — und vermeidet damit weitere Reisekosten und Zeitverlust —, würde er in jedem Falle die Terminsgebühr allein dadurch verlieren, dass er im Gericht nicht mehr (sinnlos) körperlich anwesend wird.

Diesen Wertungswiderspruch könnte man alleine dadurch vermeiden, dass man — wie es das Oberlandesgericht München, ohne dies so klar auszusprechen, wohl vertreten will (vgl. Beschl. v. 23.04.2007, Az. 1 Ws 986/07, juris Rn. 21 a.E.) —jede Kenntniserlangung des Rechtsanwalts vor Erreichen des Gerichtsgebäudes als rechtzeitig im Sinne der Vorbemerkung 4 Abs. 3 Satz 3 WRVG ansehen und damit auch dem im Gericht erschienenen Rechtsanwalt die Terminsgebühr ungeachtet des Zeitpunktes seiner Kenntniserlangung stets versagen würde. Diese Auslegung vermag indessen nicht zu überzeugen, denn sie würde den Begriff „rechtzeitig" gänzlich entleeren und mithin überflüssig machen, was ersichtlich nicht dem Regelungsanliegen des Gesetzgebers entspräche.

Es ist zwar weder legaldefiniert, noch obergerichtlich geklärt, wann eine Kenntniserlangung von dem Nichtstattfinden eines Termins rechtzeitig ist. Es ist insoweit jedoch zur Uberzeugung der Kammer ein Maßstab anzulegen, der dem Rechtsanwalt bei der gebotenen Flexibilität seiner Arbeitsorganisation noch eine anderweitige Nutzung zumindest eines Großteils seiner für den Termin vorgesehenen Arbeitszeit ermöglicht. Das ist sicherlich der Fall, wenn — wie in dem Fall des Beschlusses des Oberlandesgerichts München vom 04.08.2014 (Az. 6 St (K) 22/14 ) — die Terminsaufhebung dem Rechtsanwalt am Vortag des geplanten Termins zur Kenntnis gelangt. Dies hat auch Rechtsanwalt Pp. offensichtlich zugrunde gelegt, denn er hat die Festsetzung einer Terminsgebühr für den ausgefallenen Termin am 08.10.2019 nicht beantragt. Ob insoweit auch eine Mitteilung am Terminstag selbst, wenige Stunden oder gar Minuten vor dem geplanten Terminsbeginn vor dem Hintergrund des Regelungsanliegens der Entschädigung für eine Terminsvorbereitung noch ausreichend sein kann, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn jedenfalls der bereits auf dem Wege befindliche Rechtsanwalt kann — wenn dem Begriff überhaupt eine Bedeutung beigemessen werden soll — in aller Regel nicht mehr als rechtzeitig informiert gelten. Ausnahmen mögen bei besonders langen Anreisen per Zug oder mit Chauffeur, die eine Arbeit von unterwegs ermöglichen, in Betracht zu ziehen sein, wenn der Rechtsanwalt Kenntnis von der Terminsaufhebung noch geraume Zeit vor Eintreffen bei Gericht erlangt.

Dies zugrunde gelegt, erhellt es ohne weiteres, dass der systematische Zusammenhang von Vorbemerkung 4 Abs. 3 Satz 3 VV RVG, der eine rechtzeitige Kenntniserlangung des Rechtsanwaltes als Ausschlussgrund für das Entstehen der Terminsgebühr verlangt, mit Satz 2 es gebietet, zur Vermeidung des dargestellten Wertungswiderspruches zumindest auch denjenigen Rechtsanwalt regelmäßig als erschienen anzusehen, der aufgrund nicht-rechtzeitiger Kenntniserlangung seinen Erscheinenswillen durch zeitlich angemessene Abfahrt oder Losgang zum Gericht bereits äußerlich erkennbar betätigt hat.

Lediglich ergänzend ist zu bemerken, dass wenn man dies anders sehen und die hier vorgenommene erweiternde Auslegung ablehnen wollte, jedenfalls anzunehmenderweise planwidrig keine spezielle Gebührenregelung für den anreisenden Rechtsanwalt, der von der von ihm nicht zu vertretenen Terminsaufhebung nicht rechtzeitig, sondern verspätet — möglicherweise erst kurz vor Erreichen des Gerichts — in Kenntnis gesetzt worden ist und allein dieser Kenntnis wegen von einer geplanten Ankunft bei Gericht abgesehen hat, vorläge, so dass aufgrund vergleichbarer Interessenlage mit dem noch erschienenen Rechtsanwalt eine Analogie zu Vorbemerkung 4 Abs. 3 Satz 2 VV-RVG sehr nahe läge.

ee) Auch der Verweis des Oberlandesgerichts München auf die sich stellenden Abgrenzungsschwierigkeiten bei Vorverlegung des Erscheinens auf den Antritt des Weges zum Gericht vermag an der Notwendigkeit einer erweiternden Auslegung des Begriffes „erscheint" nichts zu ändern. Das Finden von rechtssicheren und handhabbaren, aber auch im Einzelfall gerechten Lösungen für Grenzfälle gehört zu der originären Aufgabe der Rechtsprechung, der sie sich weder entziehen darf noch kann. Abgrenzungsschwierigkeiten können auch bei Zugrundelegung der Auffassung des Oberlandesgerichts München auftreten. So kann sich durchaus die Frage stellen, wann ein Rechtsanwalt körperlich bei Gericht anwesend ist: wenn er mit seinem Pkw den Gerichtsparkplatz befahren hat, wenn er den Motor seines Pkw abgestellt hat, wenn er das Grundstück, auf dem das Gerichtsgebäude steht, betreten hat, wenn er die Eingangstür durchschritten hat oder erst, wenn er den Sitzungssaal, in dem der Termin stattgefunden hätte, erreicht hat?

Der Gesetzgeber hat der Rechtsprechung die Präzisierung von Grenzfällen auch im Hinblick auf die Anwendung von Vorbemerkung 4 Abs. 3 VV RVG ersichtlich bewusst überlassen. Dies zeigt sich schon daran, dass er den unbestimmten und mithin offensichtlich ausfüllungsbedürftigen Begriff „rechtzeitig" verwendet hat. Insofern kann es kein überzeugender Grund sein, wegen besorgter Abgrenzungsschwierigkeiten eine zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen erforderliche, im Einklang mit dem gesetzgeberischen Willen stehende Gesetzesauslegung vorzunehmen.

ff) Auch der Hinweis des Oberlandesgerichts München (Beschl. v. 13.1 1.2007, Az. 1 Ws 986/07, juris Rn. 19 a.E.) darauf, dass die Geschäftsreise von der Verfahrensgebühr umfasst und zuzüglich des Abwesenheitsgeldes und der Reisekosten mit dieser abgegolten sei, geht für den beigeordneten Rechtsanwalt — da insoweit keine Rahmengebühren bestehen, die eine Berücksichtigung des zusätzlichen Aufwands zuließen — und ebenso für den Terminsvertreter, der eine Geschäftsgebühr nicht geltend machen kann, ins Leere.

gg) Soweit die Vertreterin der Landeskasse neben der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 22.11.201 1 (Az. 2 Ws 135/1 1 ) anführt, ist hieraus ein anderes Auslegungsergebnis ebenfalls nicht herzuleiten, denn er betrifft eine gänzlich andere Fallgestaltung. In dem dortigen Fall war ein beigeordneter Rechtsanwalt in der Annahme, seine Terminsgebühr sei bereits entstanden, nach vorheriger Anwesenheit im Gericht zu dem tatsächlich stattfindenden Hauptverhandlungstermin nicht mehr erschienen.

b) Die Erinnerung ist demgegenüber unbegründet, soweit sie sich gegen die Absetzung des Längenzuschlages gemäß Ziffer 4122 VV RVG für den Hauptverhandlungstermin am 10.10.2019 und der hierauf entfallenden Umsatzsteuer richtet. Grundsätzlich sind Sitzungsunterbrechungen zwar nicht von der Dauer der Hauptverhandlung abzuziehen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn das Gericht eine Mittagspause macht. Diese ist unabhängig von ihrer tatsächlichen Dauer mit 30 Minuten in Abzug zu bringen (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 11.01.2010, Az. 1 Ws 634/09, unveröffentlicht). Die Unterbrechung des Hauptverhandlungstermins vom 10.10.2019 von 12:22 Uhr bis 13:05 Uhr stellte eine Mittagspause dar. Dies folgt aus dem zur Mittagszeit gelegenen Unterbrechungszeitpunkt, was auch daraus erkennbar wird, dass bereits dem Ladungsplan nach die Zeugen weitgehend im Halbstundentakt geladen waren, jedoch nach dem auf 11:30 Uhr geladenen Zeugen pp. die Zeugenvernehmungen erst um 13:00 Uhr ihren Fortgang finden sollten. Damit ist erkennbar, dass der Vorsitzende von vorneherein eine Mittagspause eingeplant und diese letztlich umgesetzt hat. Der Hauptverhandlungstermin dauerte mithin — da für den Beginn auf den Ladungszeitpunkt, hier mithin 09:00 Uhr, abzustellen ist (vgl. OLG Naumburg, a.a.O.) — lediglich 4 Stunden und 55 Minuten.

c) Die übrigen Festsetzungen stehen nicht in Streit und insoweit hat auch die Kammer keine Zweifel an der Richtigkeit der im Antrag geltend gemachten Positionen. Die festzusetzenden Gebühren und Auslagen berechnen sich mithin wie folgt:

Terminsgebühr gemäß Ziff. 4120 VV RVG für 7 Hauptverhandlungstage - am 26.09., 27.09., 02.10., 07.10., 09.10., 10.10. und 16.10.2019 - zu je 424,00 € = 2.968,00 €
Längenzuschlag gemäß Ziff. 4122 VV RVG für 2 Hauptverhandlungstage am 26.09. und 16.10.2019 - zu je 212,00 € =424,00 €
Fahrtkosten für eine Geschäftsreise gemäß Ziff. 7003 VV RVG für 6 stattgefundene Hauptverhandlungstage am 26.09., 27.09., 02.10., 09.10., 10.10. und 16.10.2019 - zu je 0,30 € für 292 km = 87,60 € = 525,60 €
Fahrtkosten für eine Geschäftsreise gemäß Ziff. 7003 VV RVG für den abgesagten Hauptverhandlungstag am 07.10.2019 0,30 € für 115 km 34,50 €
Tage- und Abwesenheitsgeld gemäß Ziff. 7005 VV RVG für mehr als 8 Stunden an 3 Hauptverhandlungstagen am 26.09., 10.10. uns 16.10.2019 - zu je 70,00 € = 210,00 €
Tage- und Abwesenheitsgeld gemäß Ziff. 7005 VV RVG für vier bis acht Stunden an 3 Hauptverhandlungstagen am 27.09., 02.10. und 09.10.2019 - zu je 40,00 € = 120,00 €
Tage- und Abwesenheitsgeld gemäß Ziff. 7005 VV RVG für bis zu vier Stunden am 07.10.2019 25 €
Gesamtbetrag netto 4.307,10 €
Gesamtbetrag 5.125,45 €

3. Die Beschwerde war gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG hinsichtlich der Zubilligung der fiktiven Terminsgebühr für den 07.10.2019 zuzulassen, weil die zur Entscheidung stehende Frage grundsätzliche Bedeutung hat. Eine entsprechende Situation, dass ein Rechtsanwalt erst kurzfristig während der Anfahrt zum Gericht von einer Terminsaufhebung Kenntnis erlangt, kann in der Praxis immer wieder vorkommen. Obergerichtliche Rechtsprechung des hier zuständigen Oberlandesgerichts Naumburg liegt zu dieser Frage soweit ersichtlich nicht vor. Von der bislang herrschenden, da allein veröffentlichen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München weicht die Kammer mit der vorliegenden Entscheidung ab, so dass es angebracht erscheint, eine obergerichtliche Klärung auch ungeachtet des Beschwerdewertes — der hier den Schwellenwert von 200,00 € allerdings auch ohne weiteres übersteigen kann — zu ermöglichen.

4. Eine Kosten- und Auslagenentscheidung war nicht veranlasst, da die Kostenfolge sich bereits unmittelbar aus dem Gesetz (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG) ergibt.


Einsender: RA B. Eickelberg, Burgwedel

Anmerkung:


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