Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.01.2020 - 1 Ws 214/19
Leitsatz: Nimmt die Staatsanwaltschaft die ausschließlich von ihr zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision, mit der zunächst nur die nicht näher ausgeführte allgemeine Sachrüge erhoben wurde, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO zurück, sind die für das Revisionsverfahren geltend gemachten Auslagen nicht erstattungsfähig, da eine anwaltliche Beratung weder erforderlich noch sinnvoll, mithin auch nicht notwendig ist.
Brandenburgisches Oberlandesgericht
1 Ws 214/19
Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.
Verteidiger: Rechtsanwalt
wegen
räuberischer Erpressung; hier: Kosten des Revisionsverfahrens nach Rücknahme des Rechtsmittels
hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht am 27. Januar 2020 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des früheren Angeklagten
gegen die Kostenfestsetzung des Landgerichts Neuruppin vom 18. November 2019 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
I.
Mit der mit Anwaltsschriftsatz vom 25. November 2019 erhobenen sofortigen Beschwerde wendet sich der frühere Angeklagte
gegen den Beschluss des Landgerichts Neuruppin vom 18. November 2019, mit dem der Antrag des Verteidigers des früheren Angeklagten auf Festsetzung von Verteidigergebühren in Höhe von 749,70 für das Revisionsverfahren abgelehnt worden ist.
Dem liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:
1. Die 1. große Strafkammer des Landgerichts Neuruppin hat am 5. April 2019 (11 KLs 11/18) den Angeklagten vom Vorwurf der schweren räuberischen Erpressung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
Gegen diese Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft Neuruppin noch am selben Tag, am 5. April 2019, Revision eingelegt und die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Das von den Berufsrichtern unterschriebene und mit Gründen versehene Urteil ist am 24. Mai 2019 auf der Geschäftsstelle eingegangen. Auf Verfügung des Kammervorsitzenden vom 13. Juni 2019 wurden die Akten einschließlich des schriftlich abgefassten Urteil förmlich nach §§ 347, 41 StPO der Staatsanwaltschaft Neuruppin zugestellt, wo sie am 18. Juni 2019 eingegangen sind. Dem früheren Angeklagten und dem Verteidiger wurden die schriftlichen Urteilsgründe mit einer Abschrift der Revisionseinlegungsschrift vom 5. April 2019 formlos übermittelt. Mit Verfügung vom 18. Juli 2019 hat die Staatsanwaltschaft Neuruppin die Revision zurückgenommen.
Zuvor, mit Anwaltsschriftsatz vom 21. Juni 2019, hat der Verteidiger des früheren Angeklagten ohne weitere Ausführungen die Verwerfung der Revision als unbegründet sowie eine ergänzende Akteneinsicht beantragt. Da die Akten zu diesem Zeitpunkt an die Staatsanwaltschaft versandt waren, hat der Kammervorsitzende am 28. Juni 2019 auf der Antragsschrift die Wiedervorlage nach Aktenrückkehr vermerkt. Am 19. August 2019 verfügt der Staatsanwalt, dass sich das Akteneinsichtsgesuch mit der Rechtskraft der Entscheidung infolge der Rechtsmittelrücknahme erledigt habe.
Mit Beschluss vom 6. August 2019 hat das Landgericht Neuruppin infolge der Rücknahme der Revision durch die Staatsanwaltschaft die Kosten des Rechtsmittelverfahrens und die hierfür entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt.
2. Nachdem die Kosten für das Verfahren in der 1. Instanz festgesetzt worden waren, hat der Verteidiger des ehemaligen Angeklagten mit Anwaltsschriftsatz vom 15. August 2019 beantragt, die Verteidigergebühren für das Revisionsverfahren nebst gesetzlicher Verzinsung wie folgt festzusetzen:
Verfahrensgebühr § 14 Abs. 1 RVG, Nr. 4130 VV RVG 610,00
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00
19% USt (MwSt.) aus 630,00 , Nr. 7008 VV RVG 119,70 Endsumme 749,70
Mit Beschluss vom 18. November 2019 hat das Landgericht Neuruppin den Antrag des Verteidigers des früheren Angeklagten auf Erstattung der Auslagen für das Revisionsverfahren zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass Verteidigertätigkeit im rechtlichen Sinne im Revisionsverfahren [
] erst entwickelt werden, wenn eine Revisionsbegründung vorliegt.
Gegen den dem Verteidiger am 21. November 2019 förmlich zugestellten Beschluss hat dieser mit dem bei Gericht am 26. November 2019 angebrachten Anwaltsschriftsatz sowohl im eigenen Namen als auch im Namen des früheren Angeklagten sofortige Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, dass ab Einlegung des Rechtsmittels durch die Staatsanwaltschaft Handlungs- und Beratungsbedarf für den Angeklagten bestehe, der eine Gebühr nach Nr. 4130 VV RVG auslöse. Hierbei sei auch die Situation des Angeklagten und dessen subjektives Beratungsbedürfnis zu berücksichtigen.
Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Neuruppin hat mit Zuschrift vom 8. Januar 2020 beantragt, die sofortige Beschwerde des früheren Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Neuruppin als unbegründet zu verwerfen. Der Bezirksrevisor ist der Auffassung, dass Verteidigerkosten im Revisionsverfahren nicht erstattungsfähig sind, wenn die Staatsanwaltschaft ihre zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision noch vor dessen Begründung zurücknimmt.
In seiner Entgegnung vom 20. Januar 2020 teilt der frühere Angeklagte mit, dass mit Anwaltsschriftsatz vom 21. Juni 2019 Akteneinsicht beantragt worden sei, was sich als zweckmäßige und sachgerechte Verteidigertätigkeit nach außen darstelle, so dass der Anspruch auf Erstattung der Verteidigerauslagen begründet sei.
II.
1. Die sofortige Beschwerde gegen die Kostenfestsetzung des Rechtspflegers nach § 464b Satz 1 StPO ist nach §§ 11 Abs. 1, 21 Nr. 1 RPflG, § 104 Abs. 3 ZPO statthaft und zulässig, insbesondere fristgerecht nach § 464b Satz 4 StPO eingelegt worden; der Beschwerdewert gemäß § 304 Abs. 3 StPO von 200,00 ist überschritten.
Der Senat entscheidet über das Rechtsmittel in der Besetzung mit drei Richtern (§ 122 Abs. 1 GVG; vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 26. Februar 2018, 1 Ws 140/17, zit. n. juris; OLG Rostock NStZ-RR 2017, 126; OLG Köln, Beschluss vom 3. September 2013, 2 Ws 462/13, BeckRS 2013, 17038; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2012, 160; OLG Jena NStZ-RR 2008, 63; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 464b Rn. 7 a.E.; KK-Gieg, StPO, 7. Aufl. § 464b Rn. 4b; MK-Grommes, StPO, § 464b Rn. 23). § 568 Satz 1 ZPO findet keine Anwendung. Denn mit der durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I, 1887) in § 568 Satz 1 ZPO eingeführten Einzelrichterzuständigkeit sollte nicht auch das strafprozessuale Kostenfestsetzungsverfahren neu geregelt werden, wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt (vgl. BT-Drucks. 14/4722, 69; ausf. OLG Düsseldorf aaO.).
2. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg; die Entscheidung des Rechtspflegers ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
Für das Revisionsverfahren sind im vorliegenden Fall keine Verteidigerkosten erstattungsfähig.
Nimmt die Staatsanwaltschaft die ausschließlich von ihr zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO zurück, sind die für das Revisionsverfahren geltend gemachten Auslagen nicht erstattungsfähig, da sie nicht notwendig im Sinne von § 473 Abs. 2 iVm. § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO sind.
Das überaus formstrenge Revisionsrecht verlangt gemäß § 344 Abs. 1 StPO eine Erklärung des Beschwerdeführers, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage, wobei die Anträge zu begründen sind. Gemäß § 344 Abs. 2 StPO muss aus der Begründung hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird; hinsichtlich der Verfahrensrügen müssen die den Mangel enthaltenen Tatsachen angegeben werden (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). § 345 Abs. 1 StPO normiert eine Frist zur Anbringung der Revisionsanträge und deren Begründung von einem Monat nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision bzw. ab Zustellung des schriftlichen Urteils. Zwar verlangt § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO für die Rüge der Verletzung materiellen Rechts keine über die Erhebung dieser Rüge hinausgehende Begründung, jedoch sieht Nr. 156 Abs. 1 und Abs. 2 RiStBV als innerdienstliche Weisung für die Staatsanwaltschaft auch die Begründung der Rüge der Verletzung materiellen Rechts mit verwaltungsinterner Bindungswirkung vor, und zwar auch dann, wenn das Rechtsmittel auf das Strafmaß beschränkt wird.
Hieraus folgt gerade für das auf eine reine Rechtsprüfung beschränkte Revisionsverfahren, dass aus der maßgebenden Sicht eines verständigen Rechtsanwalts erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist bei Vorliegen der vollständigen Begründung des Rechtsmittels der Umfang und die Zielrichtung der Anfechtung überschaut werden kann. Erst ab diesem Zeitpunkt kann für den Revisionsgegner eine sachdienliche Tätigkeit im Rechtsmittelverfahren vorbereitet und entfaltet werden. Die mit der Einlegung der Revision durch die Staatsanwaltschaft ersichtlich, lediglich vorsorglich abgegebene Erklärung, dass die Verletzung des materiellen Rechts gerügt werde, ist nicht maßgeblich, da diese keine erwiderungsfähige inhaltliche Begründung enthält, vielmehr für den Fall der Durchführung des Rechtsmittels mit einer Begründung nach Nr. 156 Abs. 1, Abs. 2 RiStBV - für den Verteidiger des Angeklagten ohne weiteres erkennbar - zu rechnen war.
Das von dem Verteidiger im Anwaltsschriftsatz vom 11. November 2019 hervorgehobene, durchaus nachvollziehbare Interesse eines Angeklagten, die Erfolgsaussichten einer von der Staatsanwaltschaft eingelegten Revision zu erfahren, beschränkt sich vor deren inhaltlicher Begründung auf ein rein subjektives Beratungsbedürfnis, wohingegen objektiv eine Beratung weder erforderlich noch sinnvoll, mithin auch nicht notwendig ist (vgl. auch OLG Koblenz StraFo 2018, 402; OLG Koblenz, NStZ-RR 2014, 327; OLG Karlsruhe JurBüro 2017, 523; OLG Bremen NStZ-RR 2011, 391; OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 351; OLG Celle NStZ-RR 1996, 63). Selbst wenn der Verteidiger den Angeklagten in Bezug auf das Revisionsverfahren nach der Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft beraten hat, kann sich eine solche Beratung lediglich auf den gesetzlich vorgesehenen Ablauf des weiteren Verfahrens bezogen haben. Solche Besprechungen vor Begründung des Rechtsmittels durch die Staatsanwaltschaft gehören allerdings noch nicht zum Revisionsverfahren, sondern werden mit den in der Vorinstanz angefallenen Gebühren abgegolten (OLG Düsseldorf NStZ 1992, 299 mwN.).
Eine andere Beurteilung ist auch nicht etwa deshalb geboten, weil der Verteidiger nach Kenntnis von der Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft mit Anwaltsschriftsatz vom 21. Juni 2019 die Verwerfung der Revision sowie ergänzende Akteneinsicht beantragt hat. Denn solange die Revision durch die Staatsanwaltschaft inhaltlich nicht näher begründet worden war, war die Stellung dieses - nicht sachdienlich begründbaren und dementsprechend auch vom Verteidiger nicht näher begründeten - Antrags überflüssig, weshalb er auch der Staatsanwaltschaft nicht zur Kenntnis gebracht wurde und somit ohnehin keinen Einfluss auf die Revisionsrücknahme haben konnte. Eine vorsorglich beantragte ergänzende Akteneinsicht war ebenso vor Erhebung und Begründung einer Verfahrensrüge nicht notwendig, sondern ebenfalls überflüssig.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
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