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Entscheidungen

StPO

Inbegriff der Hauptverhandlung, Berufung, Verlesung des erstinstanzlichen Urteils

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 04.03.2020 – (2) 121 Ss 32/20 (10/20)

Leitsatz: Die Verlesung des erstinstanzlichen Urteils nach § 324 Abs. 1 Satz 2 StPO ist nicht Teil der Beweisaufnahme.


KAMMERGERICHT

Beschluss

Geschäftsnummer:
(2) 121 Ss 32/20 (10/20)

In der Strafsache
gegen pp.

wegen Unterschlagung

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 4 . März 2020 einstimmig beschlossen:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. November 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte die Angeklagten am 14. März 2018 wegen gemeinschaftlicher Unterschlagung jeweils zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 Euro.

Die mit dem Ziel eines Freispruchs eingelegten Berufungen der Angeklagten hat das Landgericht Berlin mit der angefochtenen Entscheidung verworfen.

Hiergegen wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren Revisionen, durch die sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen.


II.

Die form- und fristgerecht sowie unbeschränkt eingelegten Revisionen der Angeklag-ten haben (vorläufigen) Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sollen die Angeklagten im Rah-men eines Gebrauchtwagenkaufs mit einem ihnen (wohl) schon übergebenen, je-doch noch nicht übereigneten PKW davon gefahren sein, um diesen ohne Zahlung des noch ausstehenden Restkaufpreises von 850 Euro für sich zu verwenden.

2. Die Revisionen dringen bereits mit der Verfahrensrüge durch, mit der die Ange-klagten beanstanden, dass das Urteil nicht auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhe.

a) Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO ist durch den Angeklagten W. zulässig erhoben. Die Inbegriffsrüge entspricht den Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, wenn mit den Mitteln des Revisionsrechts ohne Rekonstruktion der Beweis-aufnahme der Nachweis geführt werden kann, dass eine im Urteil getroffene Fest-stellung nicht durch die in der Hauptverhandlung verwendeten Beweismittel und auch sonst nicht aus zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehörenden Vorgängen gewon-nen worden ist (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 17; OLG Koblenz NStZ-RR 2011, 352; KG Berlin, Beschluss vom 18. April 2012 – (4) 121 Ss 53/12 (91/12) –juris Rn. 5). Die Revision des Angeklagten W. hat unter Mitteilung der maßgeblichen Urteilsgründe und der notwendigen Aktenteile ausreichend dargelegt, dass die kleine Strafkammer die Aussage des Zeugen Pr. anhand seiner Angaben in erster Instanz gewürdigt ha-be, ohne diese in prozessordnungsgemäßer Weise in die Hauptverhandlung einzu-führen. Dass die Revisionsbegründung der Angeklagten P. demgegenüber versäumt hat, den relevanten Wortlaut des Hauptverhandlungsprotokolls wiederzugeben (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 15. April 2016 – III-2 RBs 61/16 –, juris), ist un-schädlich, weil sich die Wirkung des § 357 StPO nicht nur auf Mitangeklagte er-streckt, die keine Revision eingelegt haben, sondern auch auf solche, die mit ihrer Revision deshalb nicht durchdringen könnten, weil sie unzureichend begründet ist (vgl. Gericke in KK-StPO 8. Aufl. 2019, § 357 Rn. 12 mwN).

b) Die Verfahrensrüge ist auch begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft führt hierzu Folgendes aus:

„Als Inbegriff der Hauptverhandlung darf nach einem der wesentlichen Grundsätze des Strafverfahrens, der seine gesetzliche Ausprägung nament-lich in § 261 StPO findet, nur das verwertet und zur gerichtlichen Überzeu-gungsbildung herangezogen werden, was zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden ist; inhaltlich dürfen nur Beweiserhebungen zur Urteilsgrund-lage gemacht werden, die in einer vom Gesetz vorgeschriebenen Form in das Verfahren eingeführt worden sind.

Das Landgericht hat bei der Würdigung der Frage, ob es die Angabe des Zeu-gen Pr., die es – im Zusammenhang mit erhobenen Urkundsbeweisen – als Grundlage der Verurteilung der Angeklagten herangezogen hat, als glaubhaft angesehen hat, maßgeblich darauf abgestellt, dass diese gegenüber seinen Angaben in erster Instanz im Wesentlichen konstant waren (UA S. 6). Diesbe-züglich bemängeln die Revisionen indes zutreffend, dass die Angaben, die der Zeuge in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung getätigt hatte, zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der Beweisaufnahme vor dem Landgericht waren. Ent-sprechend sei die Strafkammer aus Rechtsgründen gehindert gewesen, einen Vergleich der jeweiligen Aussagen des Zeugen vor Amts- bzw. Landgericht und damit eine Überprüfung von deren möglicher Konstanz anzustellen. Die-sem Vorbringen kann sich die revisionsrechtliche Prüfung des angefochtenen Urteils nicht verschließen. Das Sitzungsprotokoll der Berufungshauptverhand-lung (dort S. 2) weist zwar aus, dass gemäß dem gesetzlichen Gang der Be-rufungshauptverhandlung (§ 324 StPO) das erstinstanzliche Urteil – auszugs-weise – verlesen worden ist. Dies ist aber – selbst wenn es sich vorliegend auch auf die Angaben des Zeugen Pr. erstreckt hätte – schon nach Auslegung des Gesetzeswortlautes des § 324 StPO (dort Inhalt des Abs. 2 im Anschluss an Abs. 1 Satz 2 der Norm) nicht Teil der Beweisaufnahme bzw. -erhebung und damit nicht als Urkundsbeweis verwertbar (vgl. KG StV 2013, 433 f., juris Rn. 8). Kommt es inhaltlich darauf an, was Angeklagte oder Zeugen vor dem erstinstanzlichen Spruchkörper ausgesagt haben, muss das Urteil (nochmals) nach § 249 StPO verlesen werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl., § 249 Rn. 21). Dies ist jedoch, worauf die Revisionen zu Recht hinweisen, nicht erfolgt; die stattgefundene Verlesung hat sich auf die Passagen zu den Lebensläufen der Angeklagten beschränkt. Die vorgeschriebene Verknüpfung zwischen dem Inbegriff der Hauptverhandlung und der Entscheidungsfindung des Gerichts ist damit in diesem Punkt nicht gegeben.

Dieser Rechtsfehler hat auch zur Aufhebung des Urteils zu führen, da das Be-ruhen des Urteils hierauf anzunehmen ist, jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann. Die Strafkammer hat, wie ausgeführt, die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Pr., auf denen die Überzeugung des Gerichts ,insbesondere‘ begründet (UA S. 5), maßgeblich an deren Konstanz festge-macht. Die diesbezügliche Prüfung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung anzustellen, war ihr jedoch aus den genannten Gründen nicht möglich.“

Diese Ausführungen treffen zu und zwingen zur Aufhebung des gesamten Urteils.

3. Angesichts des Erfolgs der Verfahrensrüge kam es auf die von den Angeklagten ebenfalls erhobenen Sachrügen nicht mehr an.


III.

Der Senat hebt das angefochtene Urteil daher gemäß § 349 Abs. 4 StPO auf und verweist die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Strafkammer des Land-gerichts Berlin zurück.

Über die Kosten der Revision und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten wird der neue Tatrichter im Lichte der von ihm zu treffenden Sach-entscheidung insgesamt zu befinden haben.


Einsender: VorsRiKG O. Arnoldi, Berlin

Anmerkung:


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