Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 11.05.2020 - 2 Ws 4/20
Leitsatz: 1. Weisungen der Führungsaufsicht müssen so genau beschrieben werden, dass der Verurteilte erkennen kann, welches konkrete Verhalten von ihm zu deren Erfüllung verlangt wird.
2. Bei einem Verurteilten, der unfähig ist, durchgängig alkoholabstinent zu leben, ist eine Abstinenzweisung grundsätzlich unzumutbar im Sinne von § 68b Abs. 3 StGB.
KAMMERGERICHT
Beschluss
2 Ws 4/20 121 AR 2/20
In der Strafsache
gegen pp.
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 11. Mai 2020 beschlossen:
1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin Strafvollstreckungskammer vom 9. Dezember 2019 wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.
2. Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der angegriffene Beschluss
a) hinsichtlich der unter Nr. 5 lit. c enthaltenen Weisung wie folgt ergänzt: sich bei Erwerbslosigkeit bei der zuständigen Agentur für Arbeit oder einer anderen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle zu melden und dies dem Bewährungshelfer durch eine schriftliche Bestätigung der entsprechenden Stelle unverzüglich nach der Meldung nachzuweisen (§ 68 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 StGB);
b) hinsichtlich der Abstinenzweisung zu Nr. 5 lit. d aufgehoben,
c) hinsichtlich der unter Nr. 5 lit. e erteilten Therapieweisung aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.
3. Im Übrigen wird die Beschwerde des Verurteilten verworfen.
Gründe:
I.
Das Landgericht Berlin verurteilte den Beschwerdeführer am 14. Juli 2015 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und ordnete seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Das Urteil wurde am 22. Juli 2015 rechtskräftig.
Der Verurteilte verbüßte diese Freiheitsstrafe seit dem 5. September 2017. Am 3. Januar 2020 wurde er aus der Haft entlassen.
Mit der angefochtenen Entscheidung (zugestellt am 12. Dezember 2019) hat die Strafvollstreckungskammer das Entfallen der Führungsaufsicht sowie die Abkürzung ihrer Höchstdauer abgelehnt und den Verurteilten der Aufsicht und Leitung des örtlich zuständigen hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt.
Weiterhin hat sie unter Punkt 5) des Tenors den Verurteilten angewiesen,
a) sich einmal monatlich bei dem Bewährungshelfer zu den von diesem oder der Führungsaufsichtsstelle nach Tag und Stunde zu bestimmenden Zeitpunkten zu melden (§ 68b Abs. 1 Nr. 7 StGB),
b) jeden Wechsel der Wohnung oder des Arbeitsplatzes unverzüglich der Aufsichtsstelle mitzuteilen (§ 68b Abs. 1 Nr. 8 StGB),
c) sich im Falle der Erwerbslosigkeit bei der zuständigen Agentur für Arbeit oder einer anderen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle unverzüglich zu melden und dies dem Bewährungshelfer sofort nachzuweisen (§ 68b Abs. 1 Nr. 9 StGB),
d) keine Betäubungsmittel zu sich zu nehmen (§ 68b Abs. 1 Nr. 10 StGB). Er hat in den ersten sechs Monaten nach seiner Entlassung zum Nachweis seiner Drogenabstinenz einmal im Monat in unregelmäßigen Abständen nach Aufforderung durch den Bewährungshelfer binnen zwei Tagen eine Urinprobe bei einem Arzt bzw. einer Ärztin unter Dokumentation von Datum und Uhrzeit abzugeben, die auf Rauschmittelkonsum zu untersuchen ist, sowie
e) für die Dauer von sechs Monaten nach seiner Entlassung zweimal im Monat Gespräche mit einer Drogen- und Suchtberatung wahrzunehmen. Er hat die Teilnahme dem Bewährungshelfer unaufgefordert durch die Vorlage schriftlicher Teilnahmebescheinigungen zum Ablauf jedes Monats nachzuweisen.
Mit seinem am 17. Dezember 2019 bei Gericht eingegangenen Rechtsmittel, das der Beschwerdeführer trotz seinem Verteidiger gewährter, weiträumiger Stellungnahmefristen nicht begründet hat, wendet sich der Verurteilte gegen die angefochtene Entscheidung insgesamt.
II.
Das Rechtsmittel ist hinsichtlich der Ablehnung des Entfallens der Führungsaufsicht als sofortige Beschwerde (§ 463 Abs. 3 Satz 1, § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) anzusehen und im Übrigen als einfache Beschwerde (§ 463 Abs. 2, § 453 Abs. 2 Satz 1 StPO) zu behandeln (§ 300 StPO).
1. Die sofortige Beschwerde ist nach § 463 Abs. 3 Satz 1, § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO zulässig, insbesondere rechtzeitig erhoben (§ 311 Abs. 2 StPO).
Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen des § 68f Abs. 1 Satz 1 StGB für den Eintritt der Führungsaufsicht kraft Gesetzes liegen vor. Der Beschwerdeführer hat eine Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren vollständig verbüßt. Nach dem Willen des Gesetzgebers tritt bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 68f Abs. 1 Satz 1 StGB die Führungsaufsicht regelmäßig und automatisch ein. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der von Gesetzes wegen eintretenden Führungsaufsicht zwei unterschiedliche Zwecke verfolgt: Einerseits soll dem nach Verbüßung einer langen Haftstrafe Entlassenen geholfen werden, sich in der Freiheit zurechtzufinden, andererseits indiziert die vollständige Vollstreckung der Freiheitsstrafen die fortdauernde Gefährlichkeit des Täters. Dementsprechend hat die durch § 68f Abs. 2 StGB ermöglichte Anordnung des Entfallens der Maßregel Ausnahmecharakter und kann nur getroffen werden, wenn konkrete Tatsachen für eine günstige Prognose vorliegen, die eine höhere als die zur Reststrafenaussetzung nach § 57 Abs. 1 StGB genügende Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit verlangt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 15. April 2019 2 Ws 55/19 , vom 2. August 2016 2 Ws 184/16 und vom 2. September 2015 2 Ws 198/15 ).
Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden. Angesichts des von der Justizvollzugsanstalt dargestellten Vollzugsverlaufs und der ausweislich der Eintragungen im Bundeszentralregister während des Strafvollzugs begangenen weiteren Straftaten (unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln) bedarf der Verurteilte nach der Entlassung aus der Haft der Hilfe und Unterstützung in seiner Lebensgestaltung. Dies gilt besonders in kritischen Zeiträumen.
2. Die (einfache) Beschwerde hat in der Sache teilweise Erfolg.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat in ihrer Stellungnahme hierzu Folgendes ausgeführt:
Die Nichtabkürzung der Höchstdauer der Führungsaufsicht (§ 68 c Abs. 1 Satz 2 StGB) und die Anordnungen nach §§ 68 a Abs. 1, 68 b Abs. 1 Satz 1 Nrn. 7, 8, 9 und 10 StGB unterliegen der Prüfung durch das Beschwerdegericht nur darauf, ob sie gesetzwidrig sind (§§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 2 StPO). Gesetzwidrigkeit wäre gegeben, wenn die Anordnungen im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar sind oder sonst die Grenzen des eingeräumten Ermessens überschreiten (vgl. Appl in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 453 Rn. 13). Ansonsten verbleibt es bei der Regel, die mit den Führungsaufsichtsanordnungen verbundenen Ermessensentscheidungen der ersten Instanz zu überlassen (vgl. OLG Stuttgart NStZ 2000, 500 mwN, dort zu Bewährungsanordnungen).
a)Bei Anlegung dieser Maßstäbe und der Rechtsprechung des Kammergerichts sind die Nichtabkürzung der Höchstdauer der Führungsaufsicht und die von der Strafvollstreckungskammer nach § 68 b Abs. 1 Nr. 7 und Nr. 8 StGB getroffenen Weisungen zu lit. a und zu lit. b hinreichend begründet und weder unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit noch der Zumutbarkeit zu beanstanden. Sie sind vielmehr geboten, um die notwendige Unterstützung und erforderliche Kontrolle zu gewährleisten. Sollte sich später die Lage des Verurteilten günstig entwickeln, so können Weisungen nachträglich geändert oder aufgehoben werden (§ 68 d StGB).
b) Bei der nach § 68 b Abs. 1 Nr. 9 StGB getroffenen Anordnung zu lit. c darf nicht offen bleiben, wie und wann der Beschwerdeführer die Erfüllung der dort erteilten dritten Weisung, nämlich sich bei Erwerbslosigkeit bei der zuständigen Agentur für Arbeit oder einer anderen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle zu melden, dem Bewährungshelfer nachweisen soll. Denn das Erfordernis nach § 68 b Abs. 1 Satz 2 StGB, dass das verbotene und verlangte Verhalten genau zu bestimmen ist, betrifft auch das Verlangen nach einem Nachweis (vgl. KG, Beschluss vom 19. November 2007 2 Ws 581/07 juris, Rn. 5). Da es auf der Hand liegt, dass der Nachweis durch eine schriftliche Bestätigung der kontaktierten Stellen und ohne schuldhaftes Zögern nach der Meldung zu erbringen ist, kann der Senat die notwendige Konkretisierung der Weisung selbst anordnen (vgl. KG, Beschluss vom 2. Februar 2016 5 Ws 14/16 ).
c) Die nach § 68 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB angeordnete Weisung zu lit. d ist unverhältnismäßig. Denn angesichts des von der Justizvollzugsanstalt und zuvor schon von dem Krankenhaus des Maßregelvollzuges mitgeteilten Drogenkonsums des Beschwerdeführers (auch) im Vollzug und der ausweislich der Eintragungen im Bundeszentralregister während des Strafvollzugs begangenen Straftaten des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln erscheint der Verurteilte unfähig, durchgängig alkoholabstinent zu leben. In einem solchen Fall würde die Weisung an die Lebensführung unzumutbare Anforderungen im Sinne von § 68 b Abs. 3 StGB stellen (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 13. Juli 2015 1 Ws 114/15 juris, Rn. 13; OLG Celle, Beschluss vom 16. Oktober 2009 2 Ws 228/09 juris, Rn. 5 ff.; KG, Beschluss vom 15. Februar 2016 5 Ws 29/16 ).
d) Schließlich ist die ausweislich der Beschlussgründe nach § 68 b Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 StGB getroffene Weisung, für die Dauer von sechs Monaten nach seiner Entlassung zweimal im Monat Gespräche mit einer Drogen- und Suchtberatung wahrzunehmen und seine Teilnahme dem Bewährungshelfer unaufgefordert durch die Vorlage schriftlicher Teilnahmebescheinigungen zum Ablauf jedes Monats nachzuweisen, nicht hinreichend bestimmt. Zwar kann der Verurteilte gemäß § 68 b Abs. 2 Satz 2 StGB mit seinem hier im Anhörungstermin erteilten Einverständnis zur Teilnahme an therapeutischen Maßnahmen angewiesen werden. Diese müssen jedoch so genau beschrieben werden, dass der Verurteilte erkennen kann, welches konkrete Verhalten von ihm zur Erfüllung der Weisung verlangt wird (vgl. KG, Beschluss vom 10. August 2018 5 Ws 123/18 ). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Strafvollstreckungskammer hat weder festgelegt, bei welcher Einrichtung der Beschwerdeführer sich beraten lassen soll, noch an welcher Art von Maßnahme und in welchem zeitlichen Umfang der einzelnen Behandlungseinheiten er teilzunehmen hat.
Der Senat tritt diesen zutreffenden Ausführungen bei und verweist die Sache zur erneuten Entscheidung über die Therapieweisung zu Nr. 5 lit. e an die Strafvollstreckungskammer zurück.
III.
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der sofortigen Beschwerde auf § 473 Abs. 1 StPO. Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens im Übrigen wird die Strafvollstreckungskammer zu entscheiden haben.
Einsender: VorsRiKG O. Arnoldi, Berlin
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