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Entscheidungen

StPO

Dienstliche Äußerung, Selbstablehnung, Ausschluss des Richters

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.05.2020 – 1 Ws 140/20

Leitsatz: 1. Eine dienstliche Erklärung über Wahrnehmungen anlässlich einer früheren Hauptverhandlung kann nur dann als eine die persönliche Vernehmung ersetzende schriftliche Zeugenäußerung i.S.d. § 22 Nr.5 StPO gewertet werden, wenn diese sich nicht allein zu prozessual erheblichen Vorgängen verhält, sondern Beweisergebnisse zum Gegenstand hat, die auf komplexen, ausschließlich auf den Einzelfall bezogenen Wahrnehmungen des Richters beruhen.
2. Die Urteilsgründe eines früheren Prozesses stellen schon deshalb keine Zeugenbekundungen im vorstehenden Sinne dar, da diese lediglich das Ergebnis der geheimen Beratungen (der Mehrheit) eines Spruchkörpers abbilden und sich ihnen gerade nicht entnehmen lässt, welcher der jeweils seinerzeit an der Urteilsfindung beteiligten Richter welche konkreten Wahrnehmungen in der früheren Hauptverhandlung gemacht hat.
3. Das Vorliegen einer Selbstanzeige nach § 30 StPO führt selbst dann, wenn diese komplexe, ausschließlich auf den Einzelfall bezogene Wahrnehmungen aus einer früheren Hauptverhandlung zum Gegenstand hat, nicht zwangsläufig zum Ausschluss des betreffenden Richters nach § 22 Nr. 5 StPO, solange vorrangig auszuschöpfenden Möglichkeiten gegeben sind, das im Rahmen der Selbstanzeige zu Tage getretene Wissen des Richters auf andere Weise als durch dessen Zeugenvernehmung in das laufende Verfahren einzubringen.


In pp.

Die sofortigen Beschwerden der Angeschuldigten AA, CC und DD gegen den Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 27. Februar 2020, durch den ihre auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters am Landgericht (pp.) sowie der Richter am Landgericht (pp.) und (pp.) wegen Ausschlusses kraft Gesetzes gerichteten Anträge als unbegründet zurückgewiesen worden sind, werden auf ihre Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Die Ablehnungsanträge stehen im Zusammenhang mit der vorangegangenen Tätigkeit der in der Beschlussformel genannten Richter der 5. Großen Strafkammer – Schwurgerichtskammer – des Landgerichts Oldenburg in dem Strafverfahren gegen FF wegen Mordes an Patienten der Kliniken GG und HH, in welchen FF als Pfleger tätig war (Az. 5 Ks 800 Js 54254/17 (1/18)). In jenem Verfahren hat die 5. Große Strafkammer unter Mitwirkung der vorgenannten Richter den dort angeklagten FF mit Urteil vom 6. Juni 2019 wegen Mordes in 85 Fällen zu lebenslanger Freiheitstrafe verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Den nunmehr in diesem Verfahren Angeschuldigten AA, BB, CC, DD und EE wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom September 2019 vorgeworfen, in Ort1 und Ort2 in der Zeit vom 17. November 2002 bis zum 24. Juni 2005 jeweils durch Unterlassen Morde sowie versuchte Morde durch FF ermöglicht zu haben, indem sie es billigend in Kauf nahmen und nichts dagegen unternahmen, dass FF Patienten durch Injektion verschiedener Medikamente, insbesondere Kalium, tötete. Dabei wird den Angeschuldigten jeweils aufgrund ihrer beruflichen Position eine Garantenstellung und -pflicht zugeschrieben. Den Angeschuldigten AA und DD werden sowohl die Tötungen auf der Station (pp.) des Klinikums GG als auch diejenigen im Klinikum HH zugerechnet, den Angeschuldigten BB und CC ausschließlich diejenigen auf der Station (pp.) des Klinikums GG und dem Angeschuldigten EE wiederum diejenigen, die im Klinikum HH von FF begangen worden sein sollen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss sowie die Anklageschrift verwiesen.

Die 5. Große Strafkammer hat das Hauptverfahren bisher noch nicht eröffnet, sondern zunächst rechtliche und tatsächliche Hinweise erteilt. Die Angeschuldigten haben hierzu sowie zu der Eröffnung des Hauptverfahrens umfangreiche Stellungnahmen abgegeben.

Die Angeschuldigten AA, DD, BB und CC haben die aus der Beschlussformel ersichtlichen Richter (auch) wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, die Angeschuldigte DD darüber hinaus die ebenfalls zur 5. Großen Strafkammer gehörige Richterin (pp.), so dass derzeit sämtliche Richter der Kammer wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt sind. Über die Ablehnungen ist bisher noch nicht entschieden worden.

Mit den hier gegenständlichen Anträgen machen die Angeschuldigten AA, DD und CC geltend, der Vorsitzende Richter am Landgericht (pp.) sowie die Richter am Landgericht (pp.) und (pp.) seien von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen, und lehnen die Richter hilfsweise wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Angeschuldigten AA vom 27. Januar 2020 verwiesen, dem sich die Angeschuldigte DD und der Angeschuldigte CC jeweils mit Schriftsätzen vom 4. Februar 2020 angeschlossen haben.

Der Vorsitzende Richter am Landgericht (pp.) hat in Ansehung der Antragsschrift vom 27. Januar 2020 unter dem 5. Februar 2020 eine Selbstanzeige zu den Akten gereicht und das tatsächliche Vorbringen in der Antragsschrift als zutreffend bezeichnet. Am 7. Februar 2020 haben die Richter am Landgericht (pp.) und (pp.) inhaltsgleiche schriftliche Erklärungen abgegeben. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die jeweiligen Selbstanzeigen Bezug genommen.

Mit angefochtenem Beschluss vom 27. Februar 2020 hat die Vertreterkammer der 5. Großen Strafkammer die auf Ablehnung wegen Ausschlusses kraft Gesetzes gerichteten Anträge der angeschuldigten AA, DD und CC als unbegründet zurückgewiesen.

II.

Die jeweils zulässigen Beschwerden sind unbegründet. Die Voraussetzungen für einen Ausschluss kraft Gesetzes nach der – hier allein in Betracht kommenden – Vorschrift des § 22 Nr. 5 StPO liegen aus den zutreffenden und im Übrigen in Bezug genommenen Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht vor.

1. Nach § 22 Nr. 5 StPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn er in der Sache als Zeuge oder als Sachverständiger vernommen ist. Diese Vorschrift ist Teil der in den §§ 22, 23 StPO aufgeführten Konfliktlagen, die von Gesetzes wegen zum Richterausschluss führen. Dabei dient der gesetzliche Richterausschluss ebenso wie die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß §§ 24, 31 StPO dem Ziel, das erkennende Gericht von Richtern freizuhalten, die dem rechtlich zu würdigenden Sachverhalt und den daran Beteiligten nicht mit der erforderlichen Distanz des unbeteiligten Dritten gegenüberstehen (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.1998 – 3 StR 575/96, BGHSt 44, 4 = NJW 1998, 1234 <1235>; Urteil vom 09.12.1999 – 5 StR 312/99, BGHSt 45, 354 = NJW 2000, 1204 <1205>). Anders als eine aus vielfältigen Gründen denkbare Besorgnis der Befangenheit, in die in der Regel persönliche Wertungen einfließen, ist der Richterausschluss kraft Gesetzes an abschließend aufgezählte Tatbestände geknüpft, denen objektivierbare Tatsachen und Vorgänge zugrunde liegen, die jederzeit zuverlässig und eindeutig nachprüfbar sind. Diese sind – schon um der erforderlichen Eindeutigkeit und Klarheit willen – eng auszulegen (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.1998 – 3 StR 575/96, BGHSt 44, 4 = NJW 1998, 1234 <1235>; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO62, § 22 Rn. 3). Dies gilt umso mehr, wenn von einem etwaigen Ausschluss der erkennende Richter betroffen ist, der in der Regel der nach Gerichtsverfassungsgesetz und Geschäftsverteilungsplan zur Entscheidung in der Sache berufene gesetzliche Richter ist, der nicht nach Belieben der Prozessbeteiligten aus dem anhängigen Verfahren entfernt werden kann.

a) Voraussetzung für den Richterausschluss nach dem Wortlaut des § 22 Nr. 5 StPO ist, dass der Richter als Zeuge zur Sache vernommen ist. Deshalb reicht es nach der Rechtsprechung weder aus, dass er als Zeuge benannt (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.1993 – 3 StR 89/93, BGHSt 39, 239 = NJW 1993, 2758), noch dass er zwar als Zeuge geladen, aber nicht vernommen worden ist; erst recht reicht die bloße Möglichkeit, dass er als Zeuge in Betracht kommen kann, nicht aus, den Ausschluss nach § 22 Nr. 5 StPO zu begründen (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.1998 – 3 StR 575/96, BGHSt 44, 4 = NJW 1998, 1234 <1235> m.w.N.; ferner LR-Siolek, StPO27, § 22 Rn. 42). Bei der Prüfung der Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen eine Zeugenvernehmung im Sinne des § 22 Nr. 5 StPO vorliegt, muss überdies die gesetzgeberische Zielsetzung berücksichtigt werden. Durch die Anbindung des Richterausschlusses an eine bereits erfolgte Zeugenvernehmung, und zwar „in der anhängigen“ Sache, sollte die Möglichkeit des Beschuldigten ausgeschlossen werden, einen ihm missliebigen Richter durch dessen bloße Benennung als Zeugen an der Ausübung seines Amtes zu hindern (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.1998 – 3 StR 575/96, BGHSt 44, 4 = NJW 1998, 1234 <1235>).

b) Eine Zeugenvernehmung im Sinne des § 22 Nr. 5 StPO erfordert nicht stets eine persönliche Anhörung durch ein Organ der Rechtspflege. Es bedarf keines förmlichen Vernehmungsprotokolls (vgl. BGH, Beschluss vom 04.11.1997 – 5 StR 423/97, NStZ 1998, 93), so dass auch sonstige schriftliche Erklärungen in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.1998 – 3 StR 575/96, BGHSt 44, 4 = NJW 1998, 1234 <1235>; Urteil vom 09.12.1999 – 5 StR 312/99, BGHSt 45, 354 = NJW 2000, 1204 <1205>; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO62, § 22 Rn. 20). Als Zeugenvernehmungen im Sinne des § 22 Nr. 5 StPO reicht die Einführung einer schriftlichen Zeugenerklärung in die Hauptverhandlung aus, durch die eine persönliche Zeugenvernehmung, etwa in den Fällen des § 251 Abs. 2 StPO, ersetzt werden soll.

aa) Insoweit sind dienstliche Erklärungen eines Richters zu behaupteten Beweistatsachen jedoch nicht ohne weiteres den vorgenannten schriftlichen Zeugenerklärungen gleichzusetzen. Denn auch nach der Ansicht, die grundsätzlich schriftliche Äußerungen als einen den Richterausschluss nach § 22 Nr. 5 StPO bewirkende Zeugenvernehmung gelten lassen will, fallen schon diejenigen dienstlichen Erklärungen nicht unter den gesetzlichen Richterausschluss nach § 22 Nr. 5 StPO, die sich lediglich zu prozessual erheblichen Vorgängen und Zuständen verhalten, etwa wenn sie der freibeweislichen Aufklärung der Frage dienen, ob ein Richter überhaupt als Zeuge zu den in sein Wissen gestellten Tatsachen in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.1998 – 3 StR 575/96, BGHSt 44, 4 = NJW 1998, 1234 <1235>; Urteil vom 22.03.2002 – 4 StR 485/01, BGHSt 47, 270 = NJW 2002, 2401 <2402>).

bb) Maßgebliches Kriterium für die Abgrenzung, ob eine mündliche oder schriftliche Äußerung eines Richters die Voraussetzungen des § 22 Nr. 5 StPO erfüllt oder nicht, kann vielmehr nur die Frage sein, ob der Richter tatsächlich Bekundungen als Zeuge gemacht hat, weil seine Wahrnehmungen Tatsachen und Vorgänge zur Schuld- und Straffrage betreffen, die er „außerhalb des anhängigen Prozesses“ gemacht hat, „wie es für einen Zeugen kennzeichnend ist“ (vgl.BGH, Urteil vom 23.06.1993 – 3 StR 89/93, BGHSt 39, 239 = NJW 1993, 2758; Urteil vom 28.01.1998 – 3 StR 575/96, BGHSt 44, 4 = NJW 1998, 1234 <1236> m.w.N.). Handelt es sich nämlich um die laufende Hauptverhandlung und das anhängige Verfahren betreffende dienstliche Wahrnehmungen, die er in seiner amtlichen Eigenschaft als mit der Sache befasster Richter machen musste, können die so wahrgenommenen Tatsachen und Umstände in zulässiger Weise durch eine dienstliche Äußerung in die Hauptverhandlung eingeführt werden (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.1993 – 3 StR 89/93, BGHSt 39, 239 = NJW 1993, 2758; Urteil vom 28.01.1998 – 3 StR 575/96, BGHSt 44, 4 = NJW 1998, 1234 <1236>). Ein erkennender Richter ist deshalb auch kein Zeuge im Sinne des § 22 Nr. 5 StPO, wenn er sich dienstlich über Vorgänge äußert, die den Gegenstand des bei ihm anhängigen Verfahrens betreffen und die er im Zusammenhang mit seiner amtlichen Tätigkeit in dieser Sache wahrgenommen hat. Wenn diese Kenntnisse für die Beweiswürdigung von Bedeutung sein können, sind sie – gleichsam als gerichtskundige Tatsache – durch die dienstliche Äußerung in die Hauptverhandlung eingeführt (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.1998 – 3 StR 575/96, BGHSt 44, 4 = NJW 1998, 1234 <1236>). Selbst wenn der Richter hierbei im Rahmen seiner dienstlichen Äußerung die im Zuge der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse einer Bewertung unterzieht, so mag dies zwar den Verdacht der Befangenheit begründen; ein solcher Vorgang ist indes, gleich wie er im Übrigen zu werten ist, jedenfalls für sich genommen nicht geeignet, das dienstlich erworbene Wissen des Richters in Zeugenwissen umzuwandeln und den gesetzlichen Richterausschluss nach § 22 Nr. 5 StPO zu begründen (so ausdrücklich BGH, Urteil vom 28.01.1998 – 3 StR 575/96, BGHSt 44, 4 = NJW 1998, 1234 <1236>).

cc) Etwas anderes gilt – in Abgrenzung zur vorzitierten Rechtsprechung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.1993 – 3 StR 89/93, BGHSt 39, 239 = NJW 1993, 2758; Urteil vom 28.01.1998 – 3 StR 575/96, BGHSt 44, 4 = NJW 1998, 1234 <1236>) – für dienstliche Erklärungen über Wahrnehmungen, die ein erkennender Richter in einer früheren Hauptverhandlung gemacht hat. Zwar gilt auch in diesem Kontext, dass dienstliche Erklärungen, die sich allein zu der prozessualen Frage verhalten, ob der als Zeuge benannte Richter die in sein Wissen gestellten Beweisbehauptungen über Vorgänge aus einer früheren Hauptverhandlung bestätigen kann, nicht ohne weiteres die Voraussetzungen einer Zeugenaussage im Sinne des § 22 Nr. 5 StPO erfüllen (vgl. BGH, Urteil vom 22.03.2002 – 4 StR 485/01, BGHSt 47, 270 = NJW 2002, 2401 <2403>). Sollen jedoch außerhalb der laufenden Hauptverhandlung gewonnene Erkenntnisse, die – anders als in dem vom 3. Strafsenat beurteilten Sachverhalt (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.1993 – 3 StR 89/93, BGHSt 39, 239 = NJW 1993, 2758) – nicht aus einer lediglich „aufgedrängten kurzen Information“ bestehen (so BGH, Urteil vom 09.12.1999 – 5 StR 312/99, BGHSt 45, 354 = NJW 2000, 1204 <1205>; Urteil vom 22.03.2002 – 4 StR 485/01, BGHSt 47, 270 = NJW 2002, 2401 <2403>), einer Würdigung unterzogen und für die Beurteilung der Straf- und Schuldfrage herangezogen werden, so darf dies nicht zum Inhalt einer dienstlichen Erklärung gemacht werden (vgl. BGH, Urteil vom 22.03.2002 – 4 StR 485/01, BGHSt 47, 270 = NJW 2002, 2401 <2403>). Aussageinhalte der in einer früheren Hauptverhandlung vernommenen Prozessbeteiligten können demzufolge nicht als gerichtskundig behandelt werden, da es sich insoweit um Beweisergebnisse handelt, die auf komplexen, ausschließlich auf den Einzelfall bezogenen Wahrnehmungen des Richters beruhen (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.1999 – 5 StR 312/99, BGHSt 45, 354 = NJW 2000, 1204 <1206>; Urteil vom 22.03.2002 – 4 StR 485/01, BGHSt 47, 270 = NJW 2002, 2401 <2403>).

c) Vor diesem Hintergrund kann sich eine Zeugenstellung im Sinne des § 22 Nr. 5 StPO nicht nur aus dem laufenden Verfahren, sondern auch aus dem Umstand ergeben, dass ein Richter Angaben zu Wahrnehmungen aus früheren Hauptverhandlungen machen kann (vgl. LR-Siolek, StPO27, § 22 Rn. 43). Dabei ist allerdings in den Blick zu nehmen, dass die bloße Beteiligung eines Richters an Vorentscheidungen im nämlichen und in anderen damit zusammenhängenden Verfahren von Strafprozessordnung und Gerichtsverfassungsrecht ausdrücklich vorgesehen und vorausgesetzt wird und somit die Vorbefassung für sich genommen – abgesehen von den in § 22 Nr. 4 und Nr. 5, § 23 und § 148a Abs. 2 Satz 1 StPO genannten Ausschließungstatbeständen – die Besorgnis der Befangenheit aus normativen Erwägungen gerade nicht zu begründen vermag (vgl. nur BGH, Urteil vom 15.05.1997 – 1 StR 233/96, BGHSt 43, 96 = NJW 1997, 3034 <3036>; Urteil vom 29.06.2006 – 5 StR 485/05, NJW 2006, 2864 <2866>; Urteil vom 30.06.2010 – 2 StR 455/09, NStZ 2011, 44 <46>; BeckOK-Cirener, StPO, 36. Ed., § 24 Rn. 13). Mit anderen Worten, wenn eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vortätigkeit eines erkennenden Richters – soweit sie nicht den Tatbestand eines Ausschlussgrundes gemäß § 23 StPO erfüllt bzw. nicht besondere Umstände hinzukommen, die diese Besorgnis rechtfertigen – nach ständiger Rechtsprechung schon nicht geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit eines Richters im Sinne von § 24 Abs. 2 StPO zu begründen (vgl. nur BGH Urteil vom 30.06.2010 – 2 StR 455/09, NStZ 2011, 44 <46> m.w.N.), dann greift erst recht nicht der Ausnahmetatbestand des Ausschlusses des Richters kraft Gesetzes. Andernfalls würde die Ablehnung wegen Vorbefassung mit der Sache faktisch regelmäßig zum Ausschließungsgrund gemacht, obwohl nach dem normativen Leitbild des Gesetzes von der Unvoreingenommenheit eines Richters auch dann auszugehen ist, wenn er sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.01.1971 – 2 BvR 443/69, NJW 1971, 1029 <1030>; BGH, Urteil vom 15.05.1997 – 1 StR 233/96, BGHSt 43, 96 = NJW 1997, 3034 <3036>; BeckOK-Cirener, StPO, 36. Ed., § 24 Rn. 13a).

2. In Ansehung dieser Grundsätze sind die drei im Tenor benannten Richter nicht kraft Gesetzes gemäß § 22 Nr. 5 StPO von der weiteren Mitwirkung ausgeschlossen.

a) Die aus der Beschlussformel ersichtlichen Richter sind in dieser Sache bislang noch nicht als Zeugen vernommen worden. Insoweit reicht es nicht aus, dass – wie der Beschwerdeführer AA in seiner Antragschrift vom 27. Januar 2020 meint – die Anhörung dieser Richter als Zeuge im hiesigen Verfahren „unabweisbar“ sein soll. Denn mit dieser Prognose wird zum jetzigen Zeitpunkt lediglich die – einen Ausschluss kraft Gesetzes indes nicht begründende – Möglichkeit in den Raum gestellt, dass sie als Zeugen in Betracht kommen.

b) In den Gründen des schriftlichen Urteils im Verfahren gegen FF können keine Zeugenbekundungen im Sinne des § 22 Nr. 5 StPO erblickt werden, da diese für sich genommen lediglich das Ergebnis der (geheimen) Beratungen (der Mehrheit) der 5. Großen Strafkammer abbilden. Insoweit beurkunden die Berufsrichter mit ihrer Unterschrift auch nur die Übereinstimmung der Urteilsgründe mit dem Beratungsergebnis – nicht mehr und nicht weniger (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO62, § 275 Rn. 19 m.w.N.). Ihnen lässt sich gerade nicht entnehmen, welcher der jeweils seinerzeit an der Urteilsfindung beteiligten Richter welche konkreten Wahrnehmungen gemacht und welche Überzeugungen dieser aus der früheren Hauptverhandlung gewonnen hat. Dementsprechend lassen sich die Urteilsgründe – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers AA – auch nicht etwa als eine „gemeinsame Erklärung der drei ausgeschlossenen Richter“ begreifen.

Eine Gleichstellung der Urteilsgründe mit Zeugenaussagen gemäß § 22 Nr. 5 StPO verbietet sich auch deshalb, weil diese nur dasjenige wiedergeben, was die erkennenden Richter im Zusammenhang mit ihrer amtlichen Tätigkeit in dieser Sache im Rahmen der seinerzeit laufenden Hauptverhandlung wahrgenommen haben (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.1998 – 3 StR 575/96, BGHSt 44, 4 = NJW 1998, 1234 <1236>). Insofern werden in den Urteilsgründen gerade keine Tatsachen und Vorgänge geschildert, die – bezogen auf das Verfahren gegen FF – außerhalb des anhängigen Prozesses gemacht wurden. So ist vorliegend – anders als etwa in dem vom 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 04.11.1997 – 5 StR 423/97, NStZ 1998, 93) entschiedenen Fall, in welchem erhebliches, außerdienstlich vom Hörensagen erlangtes Wissen einer erkennenden Richterin in Rede stand – nicht erkennbar, dass die hier abgelehnten Richter in der Sache gleichsam privates, außerhalb der Hauptverhandlung erlangtes Wissen mitgeteilt und damit die Stellung eines Zeugen eingenommen hätten (vgl. KK-Scheuten, StPO8, § 22 Rn. 16 und Rn. 19; MüKo-Conen/Tsambikakis, StPO1, § 22 Rn. 35).

Auch die Tatsache, dass das – noch nicht rechtskräftige – Urteil gegen FF wiederum als Grundlage für die Anklage u.a. gegen die Beschwerdeführer gereichte, indem etwa das wesentliche Ergebnis zum sog. „Wochenende der Reanimation“ unter teilweiser Bezugnahme auf Urteilsausführungen begründet wurde, erhebt Letztere nicht zu Zeugenbekundungen im Sinne des Ausschlusstatbestandes nach § 22 Nr. 5 StPO. So hat etwa der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 15.05.1997 – 1 StR 233/96, BGHSt 43, 96 = NJW 1997, 3034 <3036>) in dem Umstand, dass die abgelehnten Richter eine Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen haben, obwohl diese in erheblichem Umfang sogar wortgleich aus Textbestandteilen ihrer eigenen früheren Urteile bestanden, schon keinen Ablehnungsgrund im Sinne des § 24 StPO erblickt, zumal die abgelehnten Richter – so die Begründung des 1. Strafsenats a.a.O. weiter – keinen Einfluss darauf gehabt hätten, dass die Anklagebehörde die Anklageschrift aus Urteilspassagen zusammensetzt.

Dass schließlich allein die in den Urteilsgründen zum Ausdruck kommende Vorbefassung der hier betroffenen Richter deren Ausschluss kraft Gesetzes nicht zu rechtfertigen vermag, steht angesichts der bereits zitierten ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung außer Frage. Daran vermag auch eine besonders „intensive“ Vorbefassung – wie hier – im Rahmen eines Verfahrenskomplexes nichts zu ändern (vgl. BGH, Urteil vom 15.05.1997 – 1 StR 233/96, BGHSt 43, 96 = NJW 1997, 3034 <3036> zu einem Bestechungskomplex; ferner BeckOK-Cirener, StPO, 36. Ed., § 24 Rn. 16.1). Zwar kann beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen hinausgehen, die Besorgnis der Befangenheit anzunehmen sein. Dies ist beispielsweise gegeben, wenn Äußerungen in früheren Urteilen nach der Sachlage unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über einen der jetzigen Angeschuldigten enthalten oder wenn ein Richter sich bei einer Vorentscheidung in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil eines Angeschuldigten geäußert hat (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 15.05.1997 – 1 StR 233/96, BGHSt 43, 96 = NJW 1997, 3034 <3036>; Urteil vom 29.06.2006 – 5 StR 485/05, NJW 2006, 2864 <2866>; Urteil vom 30.06.2010 – 2 StR 455/09, NStZ 2011, 44 <46>; Beschluss vom 03.12.2015 – 1 StR 169/15, NStZ 2016, 357 <359>; Beschluss vom 28.02.2018 – 2 StR 234/16, NStZ-RR 2018, 186 <187> jew. m.w.N.; ferner BeckOK-Cirener, StPO, 36. Ed., § 24 Rn. 14 und 16.1). Ob und inwiefern dies der Fall ist, kann der Senat jedoch an dieser Stelle offenlassen, da das Beschwerdeverfahren ausschließlich die Frage des Ausschlusses kraft Gesetzes zum Gegenstand hat.

c) Die Selbstanzeigen der abgelehnten Richter gemäß § 30 StPO stellen – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers CC in seiner Beschwerdeschrift vom 16. März 2020 – ebenfalls kein Vernehmungsäquivalent dar. Bereits deren inhaltlicher Aussagegehalt lässt es zweifelhaft erscheinen, dass mit diesen Wahrnehmungen mitgeteilt werden, welche Tatsachen und Vorgänge zur Schuld- und Straffrage betreffen – und zwar vor folgendem Hintergrund: In der Antragsschrift des Beschwerdeführers AA vom 27. Januar 2020 werden in tatsächlicher Hinsicht Auszüge aus dem Urteil gegen FF, welche die hier angeschuldigten Beschwerdeführer betreffen, sowie Teile der verfahrensgegenständlichen Anklageschrift zitiert. In den Selbstanzeigen der abgelehnten Richter wiederum wird lediglich ausgeführt, dass die in diesem Schriftsatz aufgeführten tatsächlichen Umstände zutreffend dargestellt wurden und Anlass zur Überprüfung geben, ob Gründe für einen gesetzlichen Ausschluss bestehen. Mit anderen Worten, der Inhalt der Selbstanzeigen erschöpft sich lediglich in der Bestätigung, dass die zitierten Passagen mit den Ausführungen im Urteil und Anklageschrift übereinstimmen, verbunden mit der Anregung zur Prüfung des Ausschlusses nach § 22 Nr. 5 StPO. Die Selbstanzeigen lassen aber nicht direkt erkennen, welche konkreten Wahrnehmungen die Richter jeweils in dem Verfahren gegen FF gemacht haben.

Selbst wenn man in den Selbstanzeigen – und etwaig weiteren dienstlichen Äußerungen – Zeugenbekundungen im Sinne des § 22 Nr. 5 StPO erblicken wollte, wäre ein Ausschluss der drei in der Beschlussformel genannten Richter kraft Gesetzes jedenfalls im jetzigen Verfahrensstadium nicht begründet. Zwar ist der Beschwerde einzuräumen, dass – in Anlehnung an die Rechtsprechung des 4. und 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.1999 – 5 StR 312/99, BGHSt 45, 354 = NJW 2000, 1204 <1206>; Urteil vom 22.03.2002 – 4 StR 485/01, BGHSt 47, 270 = NJW 2002, 2401 <2403>) – Mitteilungen dieser Richter etwa zu Aussageinhalten der im Vorprozess gegen FF vernommenen Prozessbeteiligten nicht zum Inhalt einer dienstlichen Erklärung gemacht und demzufolge nicht als gerichtskundig behandelt werden können, da es sich um Beweisergebnisse handelt, die auf komplexen, ausschließlich auf den Einzelfall bezogenen Wahrnehmungen der Richter beruhen. Dass eine insoweit notwendige Vernehmung dieser Richter erfolgen wird, steht aber derzeit nicht annähernd fest.Ergibt nämlich eine dienstliche Äußerung, dass ein Richter die in sein Wissen gestellten Tatsachen bestätigen könnte, wird vielmehr zunächst zu prüfen sein, ob nicht andere Personen, die ebenfalls an der Vernehmung oder sonst an der früheren Hauptverhandlung teilgenommen haben, die behaupteten Tatsachen in gleicher Weise als Zeugen bekunden können. Erst wenn diese Möglichkeit ausscheidet und wenn – im Rahmen des Beweisantragsrechts – etwa auch eine Wahrunterstellung nicht in Betracht kommt, kann es im Einzelfall erforderlich sein, den betreffenden Richter über eine streitige, beweiserhebliche Tatsache förmlich als Zeugen zu hören mit der Folge, dass er – aber auch erst dann – in der Sache vom Richteramt ausgeschlossen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.1999 – 5 StR 312/99, BGHSt 45, 354 = NJW 2000, 1204 <1206>; Beschluss vom 22.05.2007 – 5 StR 530/06, NStZ 2007, 711). Vor diesem Hintergrund wird – worauf das Landgericht Oldenburg im angefochtenen Beschluss zu Recht hinweist – es zunächst einmal darauf ankommen, wie sich die seinerzeit vernommenen Zeugen, insbesondere die in den Anträgen benannten Zeugen II, JJ, KK und LL in der neuerlichen Hauptverhandlung äußern werden, da erst dann abzuschätzen ist, ob und inwiefern den hier abgelehnten Richtern eine Zeugenstellung zukommt. Vor diesem Hintergrund vermag auch die vom Beschwerdeführer AA in seinem Antrag vom 27. Januar 2020 zitierte abweichende Entscheidung des Landgerichts Lüneburg (Beschluss vom 16.11.2004 – 25 Ns 47/03 H, StV 2005, 77 <78>) nichts zu ändern. Denn soweit das Landgericht in einem solchen Fall aufgrund der Selbstanzeige des Vorsitzenden einen Ausschuss angenommen hat, weil eine Vernehmung sicher bevorstehe, hat es gerade solchermaßen vorrangig auszuschöpfenden Möglichkeiten nicht hinreichend in den Blick genommen (vgl. LR-Siolek, StPO27, § 22 Rn. 43 a.E.).

Sofern schließlich der Beschwerdeführer CC in seinem Beschwerdeschriftsatz vom 16. März 2020 in dem Bemerken, dass es sich bei den drei Selbstanzeigen um eine gleichsam ohne Not abgegebene, nicht pflichtbasierte Erklärung handeln soll, offenbar ein weiteres Argument für die Vernehmungsäquivalenz zu erblicken glaubt, verfängt dieser Hinweis schon deshalb nicht, weil es sich bei der Abgabe einer Selbstanzeige sehr wohl um eine nicht in das Belieben des Richters gestellte Dienstpflicht handelt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO62, § 30 Rn. 2 m.w.N).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


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