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Entscheidungen

Haftfragen

Fesselung, Fixierung, U-Haft

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Lübeck, Beschl. v. 31.08.2020 – 9 XIV 17461 L

Leitsatz: 1. Eine Fesselung i.S.d. § 49 Abs. 2 Nr. UVollzG SH ist keine Fixierung.
2. Das UVollzG SH gibt keine materiell-rechtliche Grundlage zur Anordnung einer Fixierung während des Vollzuges der Untersuchungshaft in Schleswig-Holstein.


In pp.

Der Antrag der JVA L. vom 31.08.2020, die Fixierung des Betroffenen anzuordnen, wird zurückgewiesen. Herr Rechtsanwalt K. wird zum berufsmäßig tätigen Verfahrenspfleger bestellt.

Der Beschluss ist sofort wirksam.

Gründe

Der Betroffene ist U-Haftgefangener. Die Untersuchungshaft wurde seit dem 03.07.2020.in der JVA N. vollzogen. Nachdem der Betroffene am 30.08.2020 einen Bediensteten der Untersuchungshaftabteilung mit einem gefährlichen Gegenstand angegriffen und verletzt hatte, wurde er unter Fesselung am 31.08.2020 in die JVA L. verlegt und machte bei seiner Zuführung einen zunächst ruhigen und kooperativen Eindruck. Bei der Abnahme der für den Transport angeordneten Handfesseln schlug er direkt auf die umstehenden Bediensteten ein. Der Betroffene wurde erneut an den Händen gefesselt und in den besonders gesicherten Haftraum (bgH) verbracht. Während des Transports in den bgH war der Betroffene erneut ruhig. Bei erneuter Abnahme der Handfesseln wurde der Betroffene wieder aggressiv und versuchte die Bediensteten körperlich zu attackieren. Daraufhin wurde der Betroffene gegen 12.50 Uhr fixiert. Gegen 14.00 Uhr erfolgte eine Antragstellung beim Amtsgericht Lübeck sowie gegen 15.00 Uhr eine körperliche Untersuchung des Betroffenen durch den stellvertretenden Anstaltsarzt Dr. L. Um 16.30 Uhr wurde der Betroffene 7- Punkt fixiert in der JVA angetroffen und im Beisein des ihm beigeordneten Verfahrenspflegers angehört.

Der Antrag auf Anordnung der Fixierung war zurückzuweisen.

Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Lübeck für die Entscheidung über den Fixierungsantrag folgt aus § 126 Abs. 5 StPO. Diese Vorschrift lautet:

„Soweit nach den Gesetzen der Länder über den Vollzug der Untersuchungshaft eine Maßnahme der vorherigen gerichtlichen Anordnung oder der gerichtlichen Genehmigung bedarf, ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Maßnahme durchgeführt wird."

Die Maßnahme der Fixierung wird im Bezirk des Amtsgerichts Lübeck durchgeführt. Mithin ist das hiesige Gericht zuständig. Allerdings sieht das Untersuchungshaftvollzugsgesetz des Landes Schleswig-Holstein (UVollzG SH) nicht vor, dass irgendwelche Maßnahmen während der Untersuchungshaft vorheriger richterlicher Anordnung bedürfen. Dies ist jedoch unschädlich. Solange eine solche Regelung fehlt, folgt dies unmittelbar aus Artikel 104 Abs. 1 Satz 1GG. Dies ergibt sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.07.2018 (AZ: 2 BvR 309/15). Wird die Fortbewegungsfreiheit des betroffenen U-Haftgefangenen nach jeder Richtung hin vollständig aufgehoben und damit über das bereits mit der Unterbringung in der Haftanstalt verbundene Maß hinaus beschnitten, erfordert eine solche Maßnahme wegen der besonderen Eingriffsintensität einen gesonderten Richtervorbehalt. Die Maßnahme ist von der zugrundeliegenden Entscheidung über die Freiheitsentziehung - hier der Haftbefehl - als solche nicht gedeckt. Für das Verfahren über die Anordnung der Fixierung gilt § 121 b des StVollzG entsprechend, § 126 Abs. 5 Satz 3 StPO. § 121 b StVollzG verweist seinerseits auf die Vorschriften des FamFG. Nach Maßgabe dieses Verfahrens rechts ist dem Betroffenen ein Verfahrenspfleger zur Seite gestellt worden, der auch bei der Anhörung zugegen war. Ein ärztliches Zeugnis über den Zustand des betroffenen Gefangenen lag in schriftlicher Form vor, es war schriftlich in der Krankenakte niedergelegt und wurde durch Verlesen zum Gegenstand der Entscheidung gemacht. Angesichts dessen, dass es hier nicht um eine Unterbringung, sondern um eine freiheitsentziehende Maßnahme geht, war die Frage der Psychiatrieerfahrung des stellungnehmenden Arztes nicht zu prüfen, § 331 Nr. 2 i.V.m. § 312 Nr. 4 FamFG. Da der die Stellungnahme fertigende Arzt bei der Anhörung nicht mehr zugegen war, obwohl der JVA die Zeit der Anhörung bekannt war, konnte keine ergänzende Stellungnahme eingeholt werden;

Die ärztliche Stellungnahme enthielt keine Angaben zur Notwendigkeit der Fixierungsmaßnahme. Lediglich der Gesundheitszustand wurde beschrieben, nicht aber Gründe genannt, warum eine Fixierung erforderlich sei. Das Gericht hätte auf Basis dieser Stellungnahme eine Entscheidung nicht treffen können. Vor der Einholung einer ergänzenden Stellungnahme eines anderen Arztes wurde abgesehen, denn die Fixierung war aus nachfolgenden Gründen ohnehin nicht anzuordnen. Es sei angemerkt, dass angesichts mangelnder Präsenz von Ärzten in der JVA und der Schwierigkeiten, innerhalb kurzer Zeit einen externen Arzt in die JVA zum Zwecke der Untersuchung und gutachterlichen Unterstützung des Gerichts zu beordern, der verfassungsrechtlichen Pflicht, innerhalb sehr kurzer Zeit über die sehr belastende Fixierung zu entscheiden, schwerlich nachgekommen werden kann. Darauf kommt es vorliegend allerdings nicht an.

Für die freiheitsentziehende Maßnahme der Fixierung fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Die Fixierung des betroffenen Gefangenen ist auf Basis des § 49 UVollzG SH nicht möglich. Diese von der JVA in Anspruch genommene Vorschrift nennt in Abs. 2 Nr. 6 als besondere Sicherungsmaßnahme die Fesselung. Eine Fesselung ist allerdings etwas anderes als eine Fixierung. Eine Fesselung beschränkt die Bewegungsfreiheit der Extremitäten, nicht des ganzen Körpers. Dies ergibt sich bereits aus § 51 S. 1 UVollzG SH, wonach in der Regel Fesseln nur an den Händen oder an den Füßen angelegt werden. Selbst wenn hieraus geschlossen werden könnte, dass von dieser Regel Ausnahmen möglich sein müssen und eine solche die 7-Punkt-Fixierung sei, dürfte eine solche von der regelmäßigen Fesselung abweichende besondere Fesselung nur im Interesse des Gefangenen angeordnet werden, § 51 S. 2 UVollzG SH. Hier wurde die Fixierung (als besondere Art der Fesselung) allerdings im Interesse der Bediensteten angeordnet, denn diese sollen vor weiteren Angriffen des betroffenen Gefangenen geschützt werden. Selbst bei einer extensiven Auslegung des Begriffes Fesselung könnte die hiervon der JVA durchgeführte und nachträglich beantragte Maßnahme also nicht auf § 49 Abs. 2 Nr, 6 UVollzG SH gestützt werden.

Die extensive Auslegung des Begriffes „Fesselung" überzeugt ohnehin nicht. Eine Fixierung, also die vollständige Aufhebung der Bewegungsfreiheit in jede Richtung, ist etwas andere als eine Fesselung, die die Extremitäten beschränkt. Dies ergibt neben der Auslegung des Begriffes auch die Gesetzessystematik. § 49 UVollzG nennt ausweislich der Überschrift „Besondere Sicherungsmaßnahmen". Unter derselben Überschrift regelt § 108 LStVollzG SH dies für den Bereich des Strafvollzugs, also einer der U-Haft sehr ähnlichen Situation, die auch in denselben Haftanstalten vollzogen wird. Hier sind als besondere Sicherungsmaßnahme ausdrücklich die Fesselung sowie die Fixierung genannt, § 108 Abs. 2 Nr. 5, 6 LStVollzG SH. Mithin unterscheidet der Landesgesetzgeber durchaus zwischen Fesselung und Fixierung. Das UVollzG wurde im Jahre 2011 beschlossen, das LStVollzG im Jahre 2016. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber im Jahre 2011 eine andere Begrifflichkeit verwendet hat als 5 Jahre später.

Auch ist der Gesetzgeber verpflichtet, insbesondere die Fälle, in denen eine Freiheitsentziehung zulässig sein soll, hinreichend klar zu bestimmen. Freiheitsentziehungen sind in berechenbarer messbarer und kontrollierbarer Weise zu regeln, BVerfG a. a. O., Randnummer 79. Dies spricht gerade in diesem Bereich gegen die den Wortlaut überdehnende Auslegung, dass eine Fixierung eine besondere Form der Fesselung sei.

Da auf Basis des U-Haftvollzugsgesetz keine Fixierung angeordnet werden kann, ist der Antrag der Justizvollzugsanstalt mangels gesetzlicher Grundlage insgesamt zurückzuweisen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die Möglichkeit der Anordnung der Fixierung unmittelbar aus der Verfassung folgen würde, wie es das BVerfG für Fixierungen in Bayern angenommen hat, da die dortige Regelung der öffentlich rechtlichen Unterbringung an entsprechender Klarheit zu wünschen übrig ließ, BVerfG a. a. O., Randnummer 128, 129. Das Bundesverfassungsgericht hatte innerhalb einer Übergangsfrist trotz fehlender gesetzlicher Grundlage Fixierungen für zulässig erklärt soweit sie unerlässlich sind, um eine gegenwärtige erhebliche Selbstgefährdung oder eine erhebliche Gefährdung bedeutender Rechtsgüter anderer abzuwenden.

Selbst wenn man annehmen würde, dass bei Vollzug einer Untersuchungshaft in Schleswig-Holstein unter diesen strengen Voraussetzungen trotz fehlender gesetzlicher Grundlage eine Fixierung zulässig wäre, so wäre sie im konkreten Fall jedoch nicht anzuordnen. Es ist nicht ersichtlich, dass die vom Betroffenen für andere ausgehende Gefahr nicht auch im besonders gesicherten Haftraum abgewendet werden könnte. Zwar wäre er erst einmal dort hinzubringen, seine Fesselung wäre dann zu lösen, durch geeignete Personalstärke wird es aber gelingen, den betroffenen Gefangenen in den bgH zu verbringen und dort die Fesselung zu lösen, ohne dass die dies durchführenden Beamten verletzt werden. Jedenfalls ist die Gefahr für das eingesetzte Personal bei dem unbewaffneten Gefangenen nicht so hoch, dass sein Aufenthalt in der JVA ohne Fixierung nicht riskiert werden könnte; erst dann aber dürfte eine einfach gesetzliche nicht geregelte Fixierungsmöglichkeit sich unmittelbar aus der Verfassung ergeben.

Schließlich ist bei der Frage, ob sich nicht aus der Verfassung eine Fixierungsmöglichkeit ergäbe, zu berücksichtigen, dass andere Maßnahmen zwischen Aufnahme in die Haftanstalt und der Verlegung nach Lübeck möglicherweise eher angezeigt gewesen wären, um die Verbringung in den bgH, Fesslungen und jetzt eine Fixierung und gleichzeitig Gefahren für Dritte zu vermeiden. Nach dem Eindruck, den das Gericht vom Betroffenen gewonnen hat und nach den Ausführungen des Anstaltsarztes dürfte beim Betroffenen eine psychotische Symptomatik vorliegen, die zu raptusartigen Durchbrüchen führt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Betroffene auf eine psychiatrische Grunderkrankung überhaupt untersucht worden ist, geschweige denn dass versucht wurde, diese zu behandeln. Die Verlegung von der JVA N., bei der eine psychiatrische Behandlung immerhin möglich ist, in die JVA L. erscheint daher verwunderlich. Den Gefangenen bei Wiederherstellung seiner Gesundheit zu unterstützen ist aber eine der Aufgaben der JVA; bei Gefahren für Dritte wie vorliegend kämen auch Behandlungsmaßnahmen gegen den Willen des Betroffenen in Betracht, § 21 UVollzG. Es ist nicht ersichtlich, dass solches in der bisher zuständigen JVA auch nur erwogen wurde.

Auch weckt die Durchführung der Fixierung in der JVA L. Bedenken. Der Betroffene hat sich ausweislich der Anhörung und der Schilderungen der Justizbediensteten in einem starken Erregungszustand befunden, was auch die ärztliche Stellungnahme belegt. Den Betroffenen in einem solch starken Erregungszustand ohne jede beruhigende Medikation zu fixieren scheint nicht sachgemäß und medizinisch kaum vertretbar zu sein; der Erregungszustand dürfte sich im nicht beruhigten fixierten Zustand eher verstärken. Dies muss allerdings nicht abschließend beurteilt werden, da aus vorgenannten Gründen die Fixierung ohnehin nicht anzuordnen ist.


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