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Entscheidungen

OWi

Geschwindigkeitsmessung, Nachfahren, Navigationsgerät, Privatfahrzeug

Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 18.06.2020 - 201 ObOWi 739/20

Leitsatz:
Bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mittels eines (ungeeichten) Navigationsgerätes in einem Privatfahrzeug sind zur Nachprüfung einer zugunsten des Betroffenen ausreichenden Messtoleranz tatrichterliche Feststellungen zur Art der Gerätes und dessen konkreter Funktionsweise für eine zuverlässige Ermittlung der Geschwindigkeit unabdingbar.


In pp.

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts vom 06.02.2020 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht sprach den Betroffenen aufgrund der Hauptverhandlung vom 06.02.2020 schuldig, vorsätzlich die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb ge-schlossener Ortschaften um mindestens 41 km/h überschritten zu haben, und ver-hängte deshalb eine Geldbuße von 320 Euro sowie ein mit der Vollstreckungserleich-terung nach § 25 Abs. 2a StVG verbundenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft hat un-ter dem 19.05.2020 beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts vom 06.02.2020 mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbe-schwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässi-ge Rechts-beschwerde des Betroffenen hat - zumindest vorläufig - Erfolg, weil die Urteilsgründe hinsichtlich der getroffenen Feststellungen zur Geschwindigkeitsüber-schreitung des Betroffenen lückenhaft sind. Das Urteil enthält insoweit keine den Mindestanforderungen der §§ 261, 267 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG genügende Beweiswürdigung. Auf die erhobenen Formalrügen kommt es deshalb nicht an.

1. Zwar sind im Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine über-trieben hohen Anforderungen zu stellen. Dennoch kann für deren Inhalt grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren gelten, denn auch im Bußgeldver-fahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermög-licht wird. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Wider-sprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen (vgl. Göhler/Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 71 Rn. 42, 43 m.w.N.). Hinsichtlich der Beweiswürdigung müssen die Urteilsgründe regelmäßig auch erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung ge-stützt hat, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat, ob der Richter der Einlas-sung folgt und inwieweit er die Einlassung für widerlegt ansieht. Nur so ist gewähr-leistet, dass das Rechtsbeschwerdegericht die tatrichterliche Beweiswürdigung auf Rechtsfehler überprüfen kann (KK/Senge OWiG 5. Aufl. § 71 Rn. 107 m.w.N.; Göh-ler/Seitz/Bauer a.a.O. Rn. 43, 43a m.w.N.).

2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht.

a) Der Tatrichter stellt fest, dass der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit außer-halb geschlossener Ortschaften mit seinem Pkw um mindestens 41 km/h überschritten habe und statt der zulässigen Geschwindigkeit von 100 km/h wenigs-tens 141 km/h gefahren sei. Die Messung der Geschwindigkeit sei durch den Zeugen PHM L. erfolgt, der mit seinem Privat-Pkw auf der B 14 in Richtung T. über eine Strecke von etwa 500 Metern mit etwa gleichbleibender Geschwindigkeit den vom Betroffenen geführten Pkw verfolgt habe, wobei er von seinem Navigationssystem eine Geschwindigkeit von bis zu 195 km/h habe ablesen können bei in etwa gleich bleibendem Abstand [von] „zwei Streckenbegrenzungspfosten“. Eine Fahrstrecke von 500 Metern ab kurz nach der Abfahrt nach R. sei mit der vom Zeugen L. ge-nannten Maximalgeschwindigkeit kompatibel. In Anbetracht dessen, dass das ge-naue Ausmaß der Nachfahrstrecke und die exakte Einhaltung des Abstands nicht sicher gewährleistet worden sind, hat das Gericht einen – nicht näher begründeten – „weiteren“ Toleranzabzug vorgenommen und legt eine Geschwindigkeitsüberschrei-tung um wenigstens 41 km/h zugrunde.

b) Es ist anerkannt, dass die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit einem Fahr-zeug, das mit einem ungeeichten Tacho ausgestattet ist, grundsätzlich eine genügende Beweisgrundlage für die Annahme eine Überschreitung der höchstzuläs-sigen Geschwindigkeit sein kann. Dies gilt auch dann, worauf die Generalstaatsan-waltschaft zutreffend hinweist, wenn ein Privatfahrzeug bei der Nachfahrmessung Verwendung findet (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 19.03.2009 – 3 Ss OWi 94/09 bei juris). Wie das Tatgericht zutreffend feststellt, handelt es sich hierbei aber nicht um ein standardisiertes Messverfahren. Maßgebliche Kriterien für die Zuverlässigkeit einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren sind insbesondere die Sichtver-hältnisse, eine ausreichende Nachfahrstrecke und ein gleichbleibender Abstand. Ist das nachfolgende Fahrzeug mit einem ungeeichten Tachometer ausgerüstet, be-rücksichtigt ein Sicherheitsabschlag von 20 % bei guten allgemeinen Sichtverhältnis-sen grundsätzlich alle zugunsten des Täters in Betracht kommenden Fehlerquellen, wenn der Abstand zum voraus-fahrenden Fahrzeug etwa den halben bis maximal ganzen Tachowert, den das nachfahrende Fahrzeug anzeigt, nicht übersteigt, der Abstand ungefähr gleich bleibt, die Nachfahrstrecke rund das Fünffache des Abstan-des beträgt und der Tachometer in kurzen Abständen abgelesen wird. Wenn keine Anhaltspunkte für außergewöhnliche Umstände vorliegen, entfallen i.d.R. 16 % des Abschlages auf mögliche Fehlerquellen der Geschwindigkeitsanzeige des nachfol-genden Fahrzeugs (Tachometerabweichung, Reifenverschleiß, Reifenluftdruck, Rei-fenfertigungstoleranz, Antriebsschlupf) und 4 % auf eine nicht ausschließbare unbe-merkte Abstandsverringerung (BayObLG, Beschl. v. 17.04.1996 - 1 ObOWi 85/96 bei juris). Bei Geschwindigkeiten von über 90 km/h soll im Regelfall die Mindeststre-cke, über die die Geschwindigkeit festgestellt werden muss, 500 Meter betragen (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 04.02.2010 - 2 Ss OWi 77/10 bei juris; KG, Beschl. v. 05.04.2019 – 3 Ws (B) 114/19, BeckRS 2019, 16058). Dies entspricht den Vorgaben der Richtlinien des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren für die polizeiliche Verkehrsüberwachung vom 12.01.2011 (Ergänzende Weisung Nr. 3.2), wonach die Messstrecke bei Geschwindigkeiten von über 90 km/h nicht kürzer als 500 Meter sein soll, der Nachfahrabstand etwa dem halben bis maximal dem ganzen Tacho-Wert entsprechen soll und auch bei Geschwindigkeiten von über 90 km/h ca. 100 Meter nicht überschreiten soll. Es muss sichergestellt sein, dass sich der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug zwischen Messbeginn und Messende nicht merklich verringert hat. Deshalb soll der Abstand so gering sein, dass dies durch den nachfol-genden Polizeibeamten zuverlässig beurteilt werden kann.

c) Die Feststellungen des Tatgerichts und die dahingehende Beweiswürdigung zu der vom Betroffenen mindestens gefahrenen Geschwindigkeit erweisen sich als lücken-haft, weil nicht dargelegt wird, dass sämtliche vorgenannte Voraussetzungen für eine Nachfahrmessung gegeben sind. Es besteht zudem Grund zu der Besorgnis, dass der Tatrichter nicht ausreichend beachtet hat, dass vorliegend die Geschwindigkeit des nachfolgenden Fahrzeugs nicht von einem Tachometer, sondern von einem Na-vigationssystem abgelesen worden ist, und deshalb unklar bleibt, ob auch eventuelle Messungenauigkeiten bei der Geschwindigkeitsermittlung durch das Navigationsge-rät Berücksichtigung gefunden haben.

aa) Den Feststellungen des Tatgerichts lässt sich vorliegend nicht entnehmen, wie häufig der Zeuge während der Nachfahrmessung die Geschwindigkeitsanzeige beo-bachtet hat bzw. welche Geschwindigkeit der Betroffene während der Nachfahrmes-sung wenigstens eingehalten hat. Es ist vielmehr zu besorgen, dass der Zeuge nur kurzfristig eine Geschwindigkeit von 195 km/h beobachtet hat, da im Urteil davon die Rede ist, dass es sich um die Maximalgeschwindigkeit von bis zu 195 km/h gehan-delt habe. Bei der Nachfahrenmessung kann aber nur die Geschwindigkeit zugrunde gelegt werden, die der Betroffene für die Dauer der Messung über die Nachfahrstre-cke bei (in etwa) konstantem Abstand wenigstens eingehalten hat.

bb) Zudem bleibt unklar, ob die vom Tatgericht berücksichtigte Toleranz ausreichend ist. Die genannten Richtlinien des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren für die polizeiliche Verkehrsüberwachung setzen voraus, dass ein Fahrzeug mit einem ungeeichten Tachometer ausgerüstet ist. Vorliegend wurde jedoch die Geschwindig-keit von einem Navigationsgerät abgelesen. Im tatrichterlichen Urteil finden sich kei-ne Feststellungen zur Art dieses Navigationsgerätes bzw. zur Ermittlung der Ge-schwindigkeit durch dieses Gerät. Die Generalstaats-anwaltschaft hat hierzu in ihrer Stellungnahme vom 19.05.2020 Folgendes ausgeführt:

„Vorliegend hat das Amtsgericht zur Kompensation einer möglichen geringfügigen Unterschreitung der Messstrecke von 500 m und einer nicht exakten Einhaltung des Nachfahrabstands von der festgestellten „Maximalgeschwindigkeit“ von 195 km/h 54 km/h abgezogen und somit einen Toleranzabzug von rechnerisch 27 % angenom-men. Allerdings hat das Amtsgericht bei der Bemessung der anzunehmenden Tole-ranz nicht erkennbar bedacht, dass die Messung vorliegend nicht mit einem serien-mäßig verbauten ungeeichten Tacho vorgenommen wurde, sondern mithilfe eines Navigationsgeräts, wobei Feststellungen zu dem verwendeten Typ und dessen Funk-tionsweise vollständig fehlen. Hierauf kann jedoch nicht verzichtet werden. Denn der Tatrichter muss in jedem Fall der Messung mit einem ungeeichten Gerät darlegen, welche mögliche geräteinternen Fehler und welche externen Fehlerquellen er be-rücksichtigt hat (vgl. zum Nachweis eines Rotlichtverstoßes mittels ungeeichter Stoppuhr BayObLG, Beschl. v. 19.08.2019 – 201 ObOWi 238/19 bei juris Rn. 7). Davon, dass die Genauigkeit eines Navigationsgerätes stets dem eines Tachos ent-spricht oder diese sogar übersteigt, konnte das Tatgericht nicht ohne Weiteres aus-gehen. Denn während bei einem serienmäßig verbauten Tacho anzunehmen ist, dass er den sich aus § 57 Abs. 2 StVZO i.V.m. Ziff. 4.3 und 4.4 im Anhang II zur Richtlinie 75/443/EWG des Rates vom 26. Juni 1975 zur Angleichung der Rechtsvor-schriften der Mitgliedstaaten über den Rückwärtsgang und das Geschwindigkeits-messgerät in Kraftfahrzeugen ergebenden technischen Anforderungen genügt, die aus Gründen der Verkehrssicherheit sicherstellen, dass die angezeigte Geschwindig-keit stets ober-halb der tatsächlich gemessenen Geschwindigkeit liegt, bestehen sol-che (sich im Rahmen der Nachfahrmessung zugunsten des Betroffenen auswirken-de) einheitlichen Mindestanforderungen für ein Navigationsgerät nicht. Insbesondere dann, wenn das Navigationsgerät nicht mit dem Wegstreckenzähler des Fahrzeugs verbunden ist, sondern zur Ermittlung von Position und Geschwindigkeit auf das GPS-Signal zu-rückgreift, dürfte die Zuverlässigkeit zudem auch von der Qualität der empfangenen Daten abhängen. Nachdem nähere Feststellungen zu dem verwende-ten Navigations-gerät vollständig fehlen, kann das Rechtsbeschwerdegericht nicht prüfen, ob der schon wegen anderer Unsicherheiten erhöhte Toleranzwert ausreicht, zumal dieser sich ersichtlich an dem Schwellenwert von 41 km/h für einen Verstoß nach laufender Nr. 11.3.7 der Tabelle 1 zum BKat orientiert.“

Der Senat schließt sich diesen zutreffenden Ausführungen nach eigener Überprüfung an. Vor diesem Hintergrund wäre das Amtsgericht gehalten gewesen, Feststellungen zur Art des zum Einsatz gekommenen Navigationsgerätes sowie zu der Frage zu treffen, wie zuverlässig der von diesem Navigationsgerät angezeigte Geschwindig-keitswert mit der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit übereinstimmt und welcher Sicherheitsabschlag ausreichend erscheint, um etwaige Messungenauigkeiten und sonstige Fehlerquellen auszugleichen (vgl. hierzu im Einzelnen BayObLG, Beschl. v. 19.08.2019 – 201 ObOWi 238/19 = StraFo 2020, 25 = VerkMitt 2020, Nr 2 = ZfSch 2020, 173 = OLGSt MessEV § 1 Nr 1). Der Senat geht davon aus, dass insoweit die Zuziehung eines messtechnischen Sachverständigen geboten gewesen wäre (vgl. hierzu auch OLG Köln, Beschl. v. 29.08.2018 – 1 RBs 212/18 = BeckRS 2018, 27567 = VerkMitt 2019, Nr 3 [für den Fall der Geschwindigkeitsanzeige des nachfol-genden Fahrzeugs über eine Dash-Cam]).

III.

Aufgrund der aufgezeigten Mängel können der Schuldspruch und mit ihm der Rechtsfolgen-ausspruch keinen Bestand haben. Das angefochtene Urteil ist deshalb mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, § 353 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG. Gemäß § 79 Abs. 6 OWiG wird die Sache zu neuer Ver-handlung und Entscheidung an das Amts-gericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten der Rechtsbeschwerden zu befinden haben wird.

IV.

Der Senat entscheidet durch Beschuss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.

Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.


Einsender: RiBayObLG Dr. G Gieg, Bamberg

Anmerkung:


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