Gericht / Entscheidungsdatum: AG Koblenz, Beschl. v. 27.11.2020 - 30 Gs 8361/20
Leitsatz: Im Hinblick auf die Intention des Gesetzgebers zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung muss eine rückwirkende Bestellung zulässig sein, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung vorlagen und die Entscheidung durch interne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte.
30 Gs 8361/20
Amtsgericht Koblenz
Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
hat das Amtsgericht Koblenz durch die Richterin am Amtsgericht am 27.11.2020 beschlossen:
Dem Beschuldigten wird gemäß §§ 140 Abs. 1 Nr. 5, 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO rückwirkend Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Koblenz führte gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen Körperverletzung. Am 20.03.2020 wurde ihm der Tatvorwurf eröffnet und er wurde als Beschuldigter im Strafverfahren belehrt. Mit Schreiben vom 22.05.2020 wurde der Beschuldigte, der sich zu diesem Zeitpunkt in anderer Sache seit dem 12.05.2020 aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Cochem in anderer Sache nach § 230 Abs. 2 StPO in der JVA befand, von der Staatsanwaltschaft Koblenz angeschrieben, wobei die Zustellung des Schreibens in die JVA Koblenz erfolgte. In der Folgezeit wurden weitere Ermittlungen durchgeführt, insbesondere ein Zeuge vernommen.
Mit Schreiben vom 16.06.2020 bestellte sich Rechtsanwalt pp. für den Beschuldigten und beantragte u.a. seine Beiordnung als Pflichtverteidiger für den Beschuldigten. Er wiederholte seinen Antrag auf Beiordnung mit Schriftsätzen vom 14.07.2020 und 21.08.2020. Am 23.06.2020 wurde der Beschuldigte auf freien Fuß entlassen.
Am 16.09.2020 stellte die Staatsanwaltschaft Koblenz das Verfahren gegen den Beschuldigten nach § 154 Abs. 1 StPO ein.
Mit Schreiben vom 13.10.2020 wiederholte der Verteidiger abermals seinen Antrag auf Beiordnung.
Die Staatsanwaltschaft Koblenz beantragt, den Antrag abzulehnen und legte die Ermittlungsakte erstmals am 15.10.2020 dem Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Koblenz zur Entscheidung vor.
II.
Vorliegend waren die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO erfüllt. Gemäß § 141 Abs. 1 S. 1 StPO ist dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, in den Fällen der notwendigen Verteidigung unverzüglich ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung beantragt. Ausweislich von § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO ist dem Beschuldigten unabhängig von einem Antrag ein Pflichtverteidiger bestellt, sobald bekannt wird, dass der Beschuldigte, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist, sich aufgrund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet.
Diese Voraussetzungen waren vorliegend gegeben. § 141 Abs. 2 S. 3 StPO ist vorliegend hinge-gen nicht einschlägig.
Da der Beschuldigte seit dem 12.05.2020 inhaftiert war - was der Staatsanwaltschaft Koblenz bekannt war - und die Voraussetzungen des § 141 Abs. 2 S.1 Nr. 2 StPO vorgelegen haben, mithin dem Beschuldigten ohne Antrag ein Pflichtverteidiger von Amts wegen hätte beigeordnet werden müssen, kann offen bleiben, ob der Beiordnungsantrag in dem Schriftsatz vom 16.06.2020 bedingt gestellt ist oder nicht.
Der Umstand, dass das Ermittlungsverfahren zwischenzeitlich eingestellt worden ist, hindert die Beiordnung nicht. Im Hinblick auf die Intention des Gesetzgebers zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung muss eine rückwirkende Bestellung zulässig sein, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung vorlagen und die Entscheidung durch interne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte (vgl. LG Aurich, Beschluss vom 05.05.2020, Az.: 12 Qs 78/20, m.w.N.). So liegt der Fall hier.
Einsender: RA D. Walker, Betzdorf
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