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Entscheidungen

StPO

Verfahrensrüge, Zulässigkeit, Protokollberichtigung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamburg, Urt. v. 10.12.2020 - 2 Rev 52/20

Leitsatz: Da für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Verfahrensrüge auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts abzustellen ist, kann eine ursprünglich zulässig erhobene Verfahrensrüge sich im Lichte weiteren Vorbringens oder anderer später bekannt gewordener Umstände als unzulässig erweisen.


In pp.

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 4, vom 6. Dezember 2019, wird auf seine Kosten verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hamburg-Bergedorf hat den Angeklagten am 2. August 2019 wegen versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr drei Monaten verurteilt. Der Angeklagte hat gegen dieses Urteil mit am 6. August 2019 bei dem Amtsgericht eingegangenem Verteidigerschriftsatz Berufung eingelegt.

In der Berufungshauptverhandlung vor der Kleinen Strafkammer 4 des Landgerichts Hamburg vom 6. Dezember 2019 hat der Angeklagte mit Zustimmung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Mit Urteil vom gleichen Tage hat das Landgericht die Berufung verworfen.

Gegen das Berufungsurteil hat der Angeklagte mit am 9. Dezember 2019 bei der Gemeinsamen Annahmestelle eingegangenen Verteidigerschriftsatz Revision eingelegt. Nach der am 22. Januar 2020 nach Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls aufgrund richterlicher Verfügung erfolgten Zustellung des Urteils an den beigeordneten Verteidiger hat der Angeklagte mit am 21. Februar 2020 bei dem Landgericht eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt und zu der Verfahrensrüge, wonach dem Angeklagten das letzte Wort nicht erteilt worden sei, näher ausgeführt.

Daraufhin hat die Strafkammervorsitzende ein Protokollberichtigungsverfahren durchgeführt, in diesem Rahmen unter anderem den Verteidiger des Angeklagten angehört, und mit Beschluss vom 26. Juli 2020 unter Beteiligung der protokollführenden Urkundsbeamtin das Hauptverhandlungsprotokoll ergänzt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 31. August 2020 die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils gemäß § 349 Abs. 4 StPO beantragt.

In der Hauptverhandlung haben der Angeklagte und übereinstimmend auch die Generalstaatsanwaltschaft darauf angetragen, das Urteil des Landgerichts mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen, der Angeklagte auf Zurückverweisung auch an die gleiche Strafkammer, die Generalstaatsanwaltschaft auf Zurückverweisung an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg.

II.

Die statthafte sowie frist- und formgerecht eingelegte (§§ 333, 341 StPO) Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

1. Die Verfahrensrüge, dem Angeklagten sei vor Verkündung des Urteils nicht das letzte Wort gewährt worden (§ 258 Abs. 2 Halbs. 2, Abs. 3 StPO), ist unzulässig erhoben, da sie den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entspricht.

a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

Der Verteidiger des Angeklagten hat mit seiner Revisionsrechtfertigung die Verletzung des § 258 Abs. 2, Halbs. 2, Abs. 3 StPO gerügt und hierzu behauptet, in der Berufungshauptverhandlung sei der Angeklagte vor der Beratung und Urteilsverkündung weder befragt worden, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung auszuführen habe, noch sei ihm das letzte Wort gewährt worden.

Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat die Vorsitzende der Kleinen Strafkammer 4 des Landgerichts ein Protokollberichtigungsverfahren durchgeführt und im Zuge dessen auch den Verteidiger des Angeklagten angehört. Dieser hat mit Schriftsatz vom 28. März 2020 erklärt, er habe keine konkrete Erinnerung daran, ob tatsächlich das letzte Wort gewährt worden sei. Auch sichere Aufzeichnungen darüber habe er nicht. Er erinnere lediglich, mit dem Angeklagten nach der Berufungshauptverhandlung darüber gesprochen zu haben, dass ein formeller Fehler geschehen sei, der die Aufhebung des Urteils rechtfertigen könne. Leider erinnere er nicht mehr, um welchen konkreten Fehler es sich gehandelt habe. Aus dem Protokoll ergebe sich nur der gerügte Fehler, so dass er davon ausgehe, dass tatsächlich das letzte Wort nicht gewährt worden sei.

b) Aus diesen nach ursprünglich zulässiger Erhebung der Verfahrensrüge bekannt gewordenen Umständen ergibt sich nachträglich die Unzulässigkeit der Rüge.

aa) Gemäß § 344 Absatz 2 Satz 2 StPO sind im Falle der Erhebung einer Verfahrensrüge in der Revisionsbegründungsschrift die den Mangel enthaltenden Tatsachen – objektiv richtig (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 344 Rn. 22) – anzugeben. Der Revisionsführer hat dabei alle Tatsachen, die den Verfahrensmangel begründen, so vollständig und genau vorzutragen, dass das Revisionsgericht allein auf Grund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen zum Verfahrensablauf erwiesen sind (BGHSt 60, 238; MüKo-StPO/Knauer/Kudlich, § 344 Rn. 99; LR/Franke, § 344 Rn. 78).

§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO verlangt ferner, dass Tatsachen-behauptungen, aus denen die Verletzung einer Verfahrensnorm gefolgert wird, mit Bestimmtheit vorgebracht werden (BGHSt 7, 162; BGHSt 25, 165). Ungenügend sind deshalb etwa die Äußerung einer bloßen Vermutung, ebenso die Erklärung, dass ein Verstoß „möglicherweise“ geschehen oder „wahrscheinlich“ sei, oder die Äußerung von bloßen Zweifeln an der Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens (vgl. BGHSt 19, 273). Dem Erfordernis bestimmter Behauptung genügt auch nicht ein Vortrag, wonach „davon auszugehen“ ist, ein Geschehnis habe sich ereignet (BGH NStZ-RR 2014, 15; MüKo-StPO/Knauer/Kudlich, § 344 Rn. 101; vgl. im Übrigen zur Unzulässigkeit der sog. Protokollrüge: Senat, Urteil vom 3. Juni 2020, Az.: 2 Rev 26/20).

Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Verfahrensrüge ist auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts abzustellen (BGHSt 51, 88 Rn. 33). Eine ursprünglich zulässig erhobene Verfahrensrüge kann sich im Lichte weiteren Vorbringens oder anderer später bekannt gewordener Umstände als unzulässig erweisen.

So kann eine Verfahrensrüge etwa dadurch unzulässig werden, dass zu einem späteren Zeitpunkt, etwa im Rahmen der Gegenerklärung gemäß § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO, zum ursprünglichen Rügevortrag in Widerspruch stehende Verfahrenstatsachen behauptet werden (BGH NStZ-RR 2006, 181; BGH, Beschluss vom 28. August 1997, Az.: 1 StR 291/97 (juris); OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 27. Januar 2017, Az.: 1 Ss 176/16 (juris)). Ebenso zu behandeln sind Fälle, in denen die ursprüngliche Begründung fallen gelassen und durch eine andere ersetzt wird (BGHSt 17, 337), oder bei denen eine zunächst nicht bewusst wahrheitswidrig erhobene Rüge im später erworbenen sicheren Wissen ihrer Unwahrheit gleichwohl missbräuchlich weiterverfolgt wird (BGHSt 51, 88 Rn. 33).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist die Rüge der Verletzung des § 258 Abs. 2 und 3 StPO vorliegend unzulässig erhoben, da das Vorliegen eines Verfahrensfehlers lediglich mit Vermutungen begründet worden ist.

(1) Von der Stellungnahme des Verteidigers vom 28. März 2020 hat der Senat im Rahmen der ihm als Revisionsgericht obliegenden Überprüfung der Rechtmäßigkeit und sonstigen Beachtlichkeit des Protokollberichtigungsverfahrens (grundlegend: BGHSt 51, 298 ff.; vgl. Senatsbeschluss in dieser Sache vom 17. August 2020 m.w.N.) von Amts wegen Kenntnis genommen.

(2) Aus der Stellungnahme vom 28. März 2020 ergibt sich, dass es sich bei der – zunächst mit der Revisionsbegründung bestimmt vorgetragenen – Behauptung, dem Angeklagten sei das letzte Wort nicht gewährt worden, lediglich um eine Vermutung des Revisionsführers bzw. seines Verteidigers handelt.

Nach den vorstehend dargestellten Bekundungen im Protokollberichtigungsverfahren erinnerten sich Verteidiger und Revisionsführer nicht konkret daran, dass das letzte Wort nicht gewährt worden war. Lediglich hatte der Verteidiger danach die „Erinnerung“, es sei zu irgendeinem den Bestand des Urteils gefährdenden Verfahrensfehler gekommen, ohne aber sagen zu können, worum es sich konkret gehandelt habe. Dass es um die Nichtgewährung des letzten Wortes gegangen sei, habe er sodann dem Protokoll der Hauptverhandlung entnommen.

(3) Hätte der Revisionsführer bereits in der Revisionsbegründung offengelegt, er bzw. sein Verteidiger erinnerten sich zwar nicht an einen konkreten Verfahrensfehler, man gehe aber aufgrund des Hauptverhandlungsprotokolls von der Nichtgewährung des letzten Wortes aus, so wäre die Verfahrensrüge nach den oben genannten Grundsätzen von Anfang an als unzulässig erhoben anzusehen gewesen, da es an einem bestimmten Vorbringen der den Verfahrensfehler begründenden Tatsachen gefehlt hätte.

Nichts anderes kann gelten, wenn sich nachträglich aus dem weiteren Verfahrensablauf, soweit ihn das Revisionsgericht von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmen hat, ergibt, dass es sich bei mit der Revisionsbegründung bestimmt vorgebrachten Tatsachen lediglich um Vermutungen handelt. Denn das Erfordernis bestimmten Tatsachenvorbringens nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erschöpft sich nicht in einem funktionslosen Formalismus. Es soll vielmehr sicherstellen, dass eine Verfahrensrüge nur dann zulässig erhoben ist, wenn der Revisionsführer auch sicher ist, dass der geltend gemachte Fehler tatsächlich stattgefunden hat. Wird bekannt, dass er den Fehler nur vermutet, ist die Rüge nicht deshalb zulässig, weil er seine Unsicherheiten bezüglich des Verfahrensablaufs in der Revisionsbegründung verschweigt.

2. Die auf die zulässig erhobene Sachrüge veranlasste Nachprüfung des Urteils erbringt keinen tragenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

Zutreffend ist das Landgericht von einer wirksamen Berufungsbeschränkung ausgegangen. Die danach allein zu überprüfende Rechtsfolgenentscheidung weist keinen tragenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

Die Wahl des Strafrahmens und die Zumessungserwägungen des Landgerichts begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Das sich aus einem drohenden Widerruf der Strafaussetzungen zur Bewährung ergebende Gesamtstrafübel hat die Strafkammer in den Blick genommen.

Die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 Abs. 1 StGB ist ebenfalls aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat dem Angeklagten keine günstige Sozialprognose zu stellen vermochte. Dass es hierbei unter Berücksichtigung des Vorlebens des Angeklagten, insbesondere der Indizwirkung mehrfachen Bewährungsversagens, den prognostisch positiven Ansätzen einer Veränderung seiner Lebensverhältnisse keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen hat, liegt im Bereich vertretbarer tatrichterlicher Beurteilung, die vom Revisionsgericht hinzunehmen ist (vgl. Senat, Urteil vom 20. Februar 2019, Az.: 2 Rev 98/18).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.



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