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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Fahrtenbuch, unterbliebene Anhörung des Fahrzeughalters als Zeuge, Verdacht gegen den Halter

Gericht / Entscheidungsdatum: OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.8.2020 – 12 ME 114/20

Leitsatz: Aus der Perspektive des Verfahrens zur Anordnung einer Fahrtenbuchführung kann eine im vorausgegangenen Bußgeldverfahren unterbliebene zusätzliche zeugenschaftliche Anhörung des Fahrzeughalters nicht als versäumte Ermittlungsmaßnahme betrachtet werden, wenn gegen den nur als Betroffenen gehörten Halter weiterhin erheblicher Tatverdacht bestand.


In pp.

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück – 6. Kammer – mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.400,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Zur Überzeugung des Antragsgegners wurde am 13. Oktober 2019 um 13:40 Uhr auf der C. Straße in D. mit einem vom Antragsteller gehaltenen Kraftrad (amtl. Kennz. E.) die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um (nach Toleranzabzug) 79 km/h überschritten. Auf dem gefertigten Lichtbild sind in Seitenansicht zwei behelmte Personen mit geschlossenem Visier – die hintere mit Zopf – auf einem Kraftrad zu erkennen.

In dem eingeleiteten Bußgeldverfahren wurde der Antragsteller mit Schreiben vom 17. Oktober 2019 (Bl. 3 f. der Beiakte – BA – 1) zunächst als Betroffener angehört. In dem Schreiben hieß es aber weiter:

„Hat eine andere Person die Ordnungswidrigkeit begangen, teilen Sie bitte innerhalb einer Woche neben Ihren Personalien zusätzlich die Personalien der verantwortlichen Person unter Nr. 3 „Angaben zur Sache“ mit, hierzu sind Sie nicht verpflichtet. […]“

Der Antragsteller ließ sich mit Anwaltsschreiben vom 7. November 2019 dahin ein, dass er zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Geschwindigkeitsmessung nicht der Führer des Kraftrades gewesen und auf dem Lichtbild auch nicht als solcher zu erkennen sei.

Ausweislich eines Schreibens der Bußgeldstelle des Antragsgegners vom 11. November 2019 an den hausinternen Ermittlungsdienst (Bl. 17 BA 1) sollte der Antragsteller als Zeuge vernommen werden, sofern er nicht als Fahrer in Betracht komme. Nach einem Vermerk des Ermittlungsdienstes (Bl. 19 BA 1) konnte der Vater des Antragstellers am 14. November 2019 nicht sagen, wer auf dem Motorrad sitze, und machte der am 15. November 2019 selbst angetroffene Antragsteller keine weiteren Angaben, sondern verwies auf seinen Rechtsanwalt.

Nach Einstellung des Bußgeldverfahrens gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 170 Abs. 2 StPO regte die Bußgeldstelle mit Schreiben vom 25. November 2019 (Bl. 21 BA 1) bei der Straßenverkehrsabteilung des Antragsgegners eine Fahrtenbuchanordnung an.

Nach vorheriger Anhörung gab der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 24. März 2020 (Bl. 31 ff. BA 1), der am 31. März 2020 zugestellt wurde, auf, ab dieser Zustellung ein Jahr lang für das oben genannte Tatfahrzeug ein Fahrtenbuch zu führen. Zur Begründung führte er aus, mit diesem Fahrzeug sei am 13. Oktober 2019 eine erhebliche Zuwiderhandlung gegen Straßenverkehrsvorschriften begangen worden, ohne dass die Feststellung des dafür verantwortlichen Fahrzeugführers möglich gewesen sei. Aufgrund des besonders schweren Verstoßes, der mit zwei Punkten im Fahreignungsregister zu ahnden gewesen wäre, sei die Dauer der Fahrtenbuchführungspflicht auf ein Jahr festgesetzt worden. Die angeordnete sofortige Vollziehung begründete der Antragsgegner damit, dass sonst bis zur Unanfechtbarkeit des Bescheides weitere Verkehrsverstöße begangen, aber nicht geahndet werden könnten, weil sich der Fahrzeugführer nicht ermitteln ließe.

Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 30. April 2020 Klage erhoben – 6 A 86/20 (VG Osnabrück) – und zugleich um Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht.

Das Verwaltungsgericht hat durch Beschluss vom 19. Juni 2020 die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers wiederhergestellt. Zu Begründung hat es im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Die bei der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung falle zu Gunsten des Antragstellers aus, weil der angefochtene Bescheid rechtswidrig erscheine. Eine Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers im Sinne des § 31a Abs. 1 StVZO sei gegeben, wenn die Behörde nach den Gesamtumständen des konkreten Einzelfalles, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Angaben und des sonstigen Verhaltens des betroffenen Fahrzeughalters selbst, nicht in der Lage gewesen sei, den Täter vor Ablauf der dreimonatigen Verjährungsfrist zu ermitteln, obwohl sie alle nach Lage der Dinge angemessenen, zumutbaren – das heiße nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes stehenden – und Erfolg versprechenden Maßnahmen getroffen bzw. Ermittlungen angestellt habe. Es hänge von den Umständen des Einzelfalles ab, ob eine Vernehmung des Fahrzeughalters als Zeuge zu den der Behörde zumutbaren Ermittlungsmaßnahmen gehöre. Dies sei insbesondere zu verneinen, wenn sich aus den Umständen ergebe, dass die Zeugenvernehmung unter keinen Umständen erfolgversprechend gewesen wäre. Nach diesen Maßstäben könne hier aber nicht davon ausgegangen werden, dass die Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers objektiv nicht möglich gewesen sei. Es liege vielmehr insoweit ein Ermittlungsdefizit vor, als die Verfolgungsbehörde den Antragsteller nur als Beschuldigten, nicht aber zusätzlich als Zeugen angehört habe. Der Umstand, dass der Antragsteller die Personalien des Fahrers auf den zu weitgehenden Hinweis in dem Anhörungsschreiben vom 17. Oktober 2019, er sei hierzu nicht verpflichtet, nicht mitgeteilt habe, lasse nicht den Schluss zu, er hätte auch bei seiner Vernehmung als Zeuge – unter gleichzeitigem Hinweis auf die in der Regel bestehende Aussageverpflichtung – keine Angaben zum Fahrer gemacht. Der Antragsteller bestreite eine zusätzliche Anhörung als Zeuge – und diese lasse sich dem Verwaltungsvorgang auch nicht entnehmen. … [wird ausgeführt].

Gegen diesen ihm laut Empfangsbekenntnis (Bl. 51 der Gerichtsakte – GA –) erst am 14. Juli 2020 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 23. Juli 2020 Beschwerde eingelegt und diese am 29. Juli 2020 begründet.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 19. Juni 2020 ist zulässig und begründet.

Mit seinen im Rahmen der zulässigen (1.) Beschwerde fristgerecht dargelegten Beschwerdegründen hat der Antragsgegner die entscheidungstragende Argumentation des Verwaltungsgerichts entkräftet (2.). Die deshalb veranlasste (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 11.3.2019 - 12 ME 105/18 -, BauR 2019, 1136 ff. hier zitiert nach juris, Rn. 27) beschwerdegerichtliche Prüfung des Begehrens des Antragstellers führt zur Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses und der Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (3.).

1. Bedenken gegen die Einhaltung der Beschwerde- sowie auch der Beschwerdebegründungsfrist bestehen nicht, weil auf der Grundlage der von dem Antragsgegner am 13. August 2020 erteilten amtlichen Auskunft davon ausgegangen werden kann, dass die Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung vom 19. Juni 2020 tatsächlich erst am 14. Juli 2020 erfolgte. Entscheidend ist nämlich, dass der angefochtene verwaltungsgerichtliche Beschluss nicht bereits mit der elektronischen Speicherung im Behördenpostfach (vgl. § 55a Abs. 4 Nr. 3 VwGO) des Antragsgegners, sondern (erst) an dem Tag als zugestellt gilt, an dem er mit Empfangswillen entgegengenommen und elektronisch (vgl. §§ 56 VwGO, 174 Abs. 4 Satz 2 ZPO) gezeichnet wurde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.5.2020 - BVerwG 2 B 14.19 -, juris, Rnrn. 12, 14 und 23). Es deutet zwar auf Organisationsmängel (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.5.2020 - BVerwG 2 B 14.19 -, juris, Rn. 21) bei dem Antragsgegner hin, dass ein gerichtlicher Eilbeschluss, durch den einem Bürger vorläufiger Rechtsschutz gewährt wurde, wochenlang unbearbeitet blieb, weil in der Verwaltung des Antragsgegners die interne Weiterleitung von einer Verwaltungsstelle zur anderen unterlassen wurde. Dies rechtfertigt es aber nicht, eine Zustellung des angefochtenen Beschlusses zu einem früheren Zeitpunkt zu fingieren.

2. Der Antragsgegner legt dar, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Bewertung, nach den Umständen des Einzelfalls sei hier eine Zeugenvernehmung erforderlich gewesen, nicht beachtet, dass infolge des gegen den Antragsteller bestehenden Tatverdachts und aufgrund der unterschiedlichen Rechte und Pflichten von Betroffenen und Zeugen die Anhörung als Betroffener gegenüber einer Zeugenvernehmung vorrangig gewesen sei. Er meint, er hätte den Antragsteller nur dann als Zeugen anhören müssen, wenn dieser keinesfalls der Täter hätte sein können. Die Täterschaft des Antragstellers sei jedoch anhand des gefertigten Lichtbildes nicht auszuschließen gewesen. Dem entgegnet der Antragsteller, dass zum Zeitpunkt der Einstellung des Bußgeldverfahrensverfahrens am 25. November 2019 hinreichend Zeit bestanden hätte, ihn als Zeuge zu vernehmen, und dass dies auch nach der neueren Rechtsprechung des Senats geboten gewesen wäre.

Es mag dahinstehen, ob der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschl. v. 10.8.2015 - 10 S 278/15 -, VRS 129 Nr. 13, hier zitiert nach juris, Rn. 10) zuzustimmen ist, wonach eine Anhörung des Halters als Zeuge nur dann erfolgen müsse, wenn feststehe, dass der Halter selbst „keinesfalls“ der verantwortliche Fahrzeugführer sein „könne“. Denn Überwiegendes spricht dafür, dass dieser Rechtsauffassung zumindest in abgeschwächter Form Zustimmung gebührt, und zwar insoweit, als eine Anhörung als Zeuge nicht geboten sein kann, solange nicht – anders als hier – die Wahrscheinlichkeit der Täterschaft einer anderen Person klar überwiegt.

Auszugehen ist davon, dass ein Betroffener in einem gegen ihn selbst geführten Bußgeldverfahren nicht als Zeuge vernommen werden kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.8.2015 - 10 S 278/15 -, a. a. O., juris, Rn. 11). Zulässig dürfte es aber sein, nach der Einstellung eines Bußgeldverfahrens gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 170 Abs. 2 StPO (vgl. Graf, in: BeckOK OWiG, Stand: 1.7.2020, § 47 Rn. 13), das gegenüber dem Halter eines Kraftfahrzeugs – als dem anfänglichen Betroffenen – geführt wurde, ein Verfahren gegen einen bestimmten Dritten oder gegen „unbekannt“ zu führen, in dem der Halter dann die Stellung eines Zeugen erlangt (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 170 Rn. 8 und Einl., Rn. 81). Diese Vorgehensweise kommt aber nur in Betracht, wenn der Halter nicht deshalb erheblich tatverdächtig bleibt, weil er weiterhin als verantwortlicher Fahrzeugführer zumindest (vgl. Schmitt, a. a. O., Einl., Rn. 78) ebenso in Betracht kommt wie ein denkbarer Unbekannter. Denn durch die Einstellung des Bußgeldverfahrens dem Halter gegenüber darf – wie bei einer Trennung verbundener Strafverfahren (vgl. dazu: Schmitt, a. a. O., vor § 48 Rn. 22) – nicht der Grundsatz umgangen werden, dass ein Betroffener kein Zeuge in einem gegen ihn selbst gerichteten Verfahren sein kann. Dabei muss bedacht werden, dass eine Verfahrenseinstellung durch die Bußgeldbehörde nach § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 170 Abs. 2 StPO gegenüber dem Halter keine Rechtskraft erlangt, sodass das Verfahren bei neuen tatsächlichen Hinweisen jederzeit wiederaufgenommen werden kann (vgl. Köbl, in: Münchner Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 170 Rn. 26). Ein in erheblichem Maße weiter tatverdächtiger Halter wäre deshalb – sollte er tatsächlich der Täter sein – dem Risiko ausgesetzt, entweder bei Geltendmachung seines Auskunftsverweigerungsrechts (§ 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 55 Abs. 1 StPO) oder durch eine vorsätzlich falsche Zeugenaussage weitere Verdachtsgründe gegen sich zu schaffen. Daher dürfte es unzulässig sein, und ist jedenfalls nicht geboten, gegen einen weiter erheblich tatverdächtigen Halter das Bußgeldverfahren einzustellen, um gleichsam zu erproben, ob er bei einer Anhörung oder Vernehmung als Zeuge in einem gegen „unbekannt“ geführten Bußgeldverfahren Angaben zur Sache macht, ein Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nimmt oder von einem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch macht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 18.12.2017 - 12 LB 166/17 -, S. 8, erster Absatz, des Abdrucks). Offenbleiben kann, was gilt, wenn es aufgrund der eigenen Einlassungen des Halters oder weiterer Erkenntnisse der Verfolgungsbehörde sehr unwahrscheinlich ist, dass er zur Tatzeit das Fahrzeug selbst geführt hat. Das ist hier nämlich nicht der Fall, weil der Antragsteller im Bußgeldverfahren nur unsubstantiiert bestritt, das Kraftrad zur Tatzeit gefahren zu haben, und weil der Verfolgungsbehörde trotz ihrer Ermittlungsversuche vor Ort bis zur Einstellung des Bußgeldverfahrens keine weiteren Erkenntnisse vorlagen, die eine Täterschaft des Antragstellers ausschlossen oder mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die Täterschaft eines Anderen hindeuteten. Soweit sich der Antragsteller demgegenüber auf die Entscheidung des beschließenden Senats vom 14. Januar 2019 - 12 ME 170/18 - (NJW 2019, 1013 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 19) berufen hat, ist festzuhalten, dass im Falle des Fehlens konkreter Anhaltspunkte für einen bestimmten anderen verantwortlichen Fahrzeugführer das Bestreiten der eigenen Täterschaft durch den Halter nur eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung dafür ist, dass er selbst als Zeuge angehört oder vernommen werden muss.

Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, die Verfolgungsbehörde sei im vorliegenden Falle bereits selbst davon ausgegangen, der Antragsteller sei nicht der Fahrzeugführer. Denn aus dem Auftrag an den Ermittlungsdienst ergibt sich, dass eine Zeugenvernehmung des Antragstellers nur subsidiär vorgesehen war, und die Ermittlungen vor Ort erbrachten gerade keine Erkenntnisse, die nach den oben aufgezeigten Maßstäben eine Anhörung oder Vernehmung des Antragstellers als Zeuge geboten hätten. Unerheblich ist, ob der Ermittlungsbeamte vor Ort trotzdem versucht hat, den Antragsteller (auch) als Zeugen anzuhören. Denn das hat dann jedenfalls zu keinen weiteren Ermittlungsansätzen geführt.

3. Die summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage durch das Oberverwaltungsgericht ergibt, dass dem Antragsteller vorläufiger Rechtsschutz zu versagen ist, weil die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung noch den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt und die gegen die Fahrtenbuchanordnung vom 24. März 2020 (Bl. 31 ff. BA 1) erhobene Klage keine Aussicht auf Erfolg verspricht. Aus dem letztgenannten Grunde überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Anordnung das private Interesse des Antragstellers, von deren Vollziehung vorläufig verschont zu bleiben.

a) Soweit der Antragsteller darauf verweist, im Hauptsachverfahren werde zu klären sein, ob tatsächlich eine Ordnungswidrigkeit begangen worden sei, rechtfertigt dies nicht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Denn weder erhebt der Antragsteller substantiierte Einwände gegen die behördliche Feststellung einer am 13. Oktober 2019 mit seinem Kraftrad begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung noch drängen sich dem Senat von Amts wegen Zweifel an der Richtigkeit der Messung auf. Insbesondere handelt es sich bei dem eingesetzten Einseitensensor ES3.0 um ein zugelassenes Messgerät (vgl. D. Schäfer/M. Grün: in Burhoff/Grün [Hrsg.], Messungen im Straßenverkehr, 5. Aufl. 2020, § 1 Rn. 1016).

b) Auch die übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO liegen vor.

Die Anordnung der Führung eines Fahrtenbuchs setzt nicht voraus, dass die Nichtfeststellbarkeit des verantwortlichen Fahrzeugführers auf einer – aus welchem Grund auch immer – unzureichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters an den Ermittlungen der Verfolgungsbehörde im Bußgeldverfahren beruht (Nds. OVG, Beschl. v. 14.1.2019 - 12 ME 170/18 -, NJW 2019, 1013 ff., hier zitiert nach juris, Rnrn. 16 und 17, m. w. N.). Es kommt vielmehr allein darauf an, dass der verantwortliche Fahrer mit zumutbarem Aufwand der Verfolgungsbehörde nicht festzustellen war. Ohne Belang ist also insbesondere, ob den Fahrzeughalter ein Verschulden an der Nichtfeststellbarkeit des Fahrzeugführers trifft. Eine mangelnde Mitwirkung des Fahrzeughalters an der Ermittlung des Fahrzeugführers hat lediglich eine mittelbare Bedeutung. Wenn sie vorliegt, führt dies nämlich regelmäßig dazu, dass der Verfolgungsbehörde weitere eigene Ermittlungen nicht zuzumuten sind und sich der Fahrzeughalter den Einwand abschneidet, die Feststellung des Fahrzeugführers sei nach der Verkehrszuwiderhandlung sehr wohl möglich gewesen, hätten nur solche weiteren Ermittlungen stattgefunden. Ob die Mitwirkung eines Fahrzeughalters ausreicht, hängt dabei nicht entscheidend davon ab, ob er im Bußgeldverfahren durchsetzbare Rechtspflichten, wie etwa die dort grundsätzlich bestehende Zeugnispflicht (vgl. § 46 Abs. 2 OWiG i. V. m. § 161a Abs. 1 Satz 1 StPO, § 46 Abs. 5 OWiG) verletzt. Vielmehr darf auch ein vollständig rechtmäßiges Verhalten des Fahrzeughalters im Bußgeldverfahren in dem diesem Verfahren nachfolgenden Verwaltungsverfahren zur Anordnung einer Fahrtenbuchführung – unter rein gefahrenabwehrrechtlichem Blickwinkel – als Obliegenheitsverletzung gewürdigt werden, welche den Umfang der Ermittlungen reduziert, die von der Verfolgungsbehörde im Bußgeldverfahren unternommen worden sein müssen, damit im Rahmen des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO davon ausgegangen werden darf, die Feststellung des Fahrzeugführers sei nicht möglich gewesen.

Gemessen an diesen Maßstäben ist hier von zureichenden, aber gleichwohl erfolglosen Ermittlungen der Verfolgungsbehörde auszugehen. Der Antragsteller wurde zunächst zeitig als Betroffener angehört, und es erübrigte sich aus den oben unter II. 2. genannten Gründen, ihn zusätzlich als Zeuge anzuhören oder zu vernehmen. Deshalb mag dahinstehen, ob er durch den Ermittlungsbeamten am 15. November 2019 ordnungsgemäß als Zeuge angehört wurde. Offenbleiben kann zudem, ob er sich an diesem Tage auf ein Aussageverweigerungsrecht berufen hat. Denn jedenfalls hat er auch damals weder den Fahrzeugführer benannt noch einen bestimmten dafür in Betracht kommenden Personenkreis bezeichnet. Soweit er geltend macht, mit einer zusätzlichen Anhörung als Zeuge hätte er als juristischer Laie rechnen dürfen, ist dies schon deshalb nicht überzeugend, weil er, als er sich auf seine Anhörung als Betroffener zur Sache einließ, bereits anwaltlich vertreten war. Zumindest sein Rechtsanwalt hätte jedoch anhand der Rechtsprechung des Senats erkennen können – und möglicherweise auch müssen, dass die dem Antragsteller erteilte Belehrung dem Wortlaut nach richtig, nur eben nicht erschöpfend und daher – für den Laien – missverständlich war (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 14.1.2019 - 12 ME 170/18 -, a. a. O., juris, Rn. 20). Hätte der Anwalt aber die Belehrung nicht fehldeuten dürfen, so hätte er dem Antragsteller auch erläutern müssen, dass ein Bestreiten der Fahrzeugführerschaft, ohne zugleich den tatsächlichen Fahrer zu nennen oder zumindest einen möglichen Täterkreis näher zu bezeichnen, für den Antragsteller im Verfahren zur Anordnung einer Fahrtenbuchführungspflicht als Obliegenheitsverletzung nachteilig werden könnte.

Es kann im vorliegenden Falle aber letztlich dahinstehen, ob hier aus einer missdeuteten Belehrung eine mangelnde Mitwirkung des Antragstellers resultierte, die das Ausmaß der erforderlichen Ermittlungsbemühungen der Verfolgungsbehörde einschränkte. Denn mit der zusätzlichen Beschaffung eines Lichtbildes des Antragstellers, der Anhörung seines Vaters (als Zeuge) und der nochmaligen Befragung des Antragstellers selbst (als Betroffener) hatte die Verfolgungsbehörde alle sich ihr anbietenden Ermittlungsmaßnahmen ergriffen. Der Antragsteller zeigt nicht auf, welchen vernachlässigten, aber erfolgversprechenden Ermittlungsansatz es – außer seiner nicht gebotenen Zeugenanhörung – ansonsten noch gegeben habe. Im Übrigen stellt er nicht einmal dar, weshalb eine Zeugenvernehmung seiner selbst angeblich erfolgversprechend gewesen wäre. Denn er hat bis heute nicht mitgeteilt, wer der Täter ist oder ob er ihn überhaupt kennt.

c) Gegen die im behördlichen Ermessen stehende Festlegung der Dauer der Fahrtenbuchführungspflicht – von hier einem Jahr – ist angesichts des Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung sowie des sich daraus ergebenden Risikopotenzials und Gewichts der Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nichts zu erinnern, allenfalls käme hier eine längere Dauer in Betracht.

d) Da der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Festsetzung der Verwaltungskosten nicht ausdrücklich beantragt hat und zudem das Vorliegen der Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 VwGO für die Zulässigkeit eines solchen Antrags weder aufgezeigt noch offenkundig (vgl. insbesondere Bl. 34 BA 1) ist, sieht der Senat ein solches Begehren nicht als streitgegenständlich an (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 26. 9.2019 - 12 ME 141/19 -, ZfSch 2019, 655 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 15).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 und 52 Abs. 1 GKG. Sie entspricht den Vorschlägen unter den Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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