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Entscheidungen

StPO

Durchsuchung, Anforderungen an die Begründung, Verhältnismäßigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Berlin, Beschl. v. 20.11.2020 - 517 Qs 63/20

Leitsatz: Zur ausreichenden Begründung der Anordnung einer zweiten“ Durchsuchung.


Landgericht Berlin

Beschluss

517 Qs 63/20

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidiger
Rechtsanwalt

wegen Volksverhetzung u.a.

hat die 17. allgemeine große Strafkammer des Landgerichts Berlin am 20. November 2020 beschlossen:

Auf die Beschwerde der Beschuldigten wird festgestellt, dass der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 30. Juni 2020 rechtswidrig war.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Beschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse Berlin zu tragen.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Berlin führt gegen die Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung, Beleidigung und Sachbeschädigung (§ 86a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 4, § 130 Abs. 1 Nr. 1, §§ 185, 194 Abs. 1, § 303 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB). Unter anderem wird ihr vorgeworfen, dem Zeugen pp., welcher sich in seinem Imbisswagen befunden habe, am 30. April 2019 an der Kreuzung pp. in Berlin aus ihrem Auto auch für Umstehende gut hörbar folgende Sätze zugerufen zu haben: „Ab in die Gaskammer, raus hier, scheiß Kanacken, ihr gehört alle vergast!" Ihr wird weiter vorgeworfen, an der genannten Kreuzung in der Zeit vom 18. Juni 2019, 22:00 Uhr bis zum 19. Juni 2019, 13:50 Uhr vor und an den Imbisswagen des Zeugen pp. Buttersäure verschüttet bzw. geschüttet zu haben sowie den Imbiss mit der Aufschrift „Ab in die Gaskammer, Scheiß Moslems, Raus hier" und einem Hakenkreuz beschmiert zu haben.

Am 12. Dezember 2019 beantragte die Staatsanwaltschaft Berlin bei dem Amtsgericht Tiergarten - Ermittlungsrichter - einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung der Beschuldigten. Der Antrag ging am 23. Dezember 2019 beim Amtsgericht Tiergarten ein; am selben Tag fasste die Ermittlungsrichterin den beantragten Beschluss, welcher in der Begründung im Wesentlichen wortgleich mit der des Antrags war.

Bei dem Versuch der Vollziehung des Durchsuchungsbeschlusses am 17. Juni 2020 wurde die Beschuldigte in ihrer Wohnung nicht angetroffen. Das LKA 534 verschob daher die Maßnahme und regte am selben Tag bei der Staatsanwaltschaft Berlin die Beantragung der „Verlängerung" des Durchsuchungsbeschlusses an. Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft Berlin mit Verfügung vom 24. Juni 2020 bei dem Amtsgericht Tiergarten, den Durchsuchungsbeschluss vom 23. Dezember 2019 erneut zu erlassen.

Hierauf fasste das Amtsgericht Tiergarten den Durchsuchungsbeschluss vom 30. Juni 2020, der am 6. August 2020 vollzogen wurde.

Mit ihrer Beschwerde vom 3. September 2020 begehrt die anwaltlich vertretene Beschuldigte die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses vom 30. Juni 2020. Im Wesentlichen wendet sie ein, der Durchsuchungsbeschluss vom 30. Juni 2020 sei wortgleich zu dem vom 23. Dezember 2019. Der neue Beschluss sei nur deswegen erlassen worden, weil der vorangegangene Beschluss nach höchstrichterlicher Rechtsprechung jedenfalls nach sechs Monaten seine rechtfertigende Kraft verloren habe. Eine inhaltliche Prüfung habe nicht stattgefunden, was der identische Wortlaut zum ersten Beschluss und der Umstand belegten, dass keinerlei Auseinandersetzung mit den seit dieser Zeit durchgeführten weiteren Ermittlungen erfolgt sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung vom 2. Oktober 2020 verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft gemäß § 304 Abs. 1 StPO und auch im Übrigen zulässig. Trotz Vollziehung des Durchsuchungsbeschlusses am 6. August 2020 besteht ein anerkennenswertes Interesse der Beschwerdeführerin an der Feststellung seiner Rechtswidrigkeit (st. Rspr. BVerfG seit Beschluss vom 30. April 1997 — 2 BvR 817/90 —, BVerfGE 96, 27, juris Leitsätze und Rn. 47 ff.).

Die Beschwerde ist auch begründet. Der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts genügt nicht den rechtlichen Anforderungen (1.); eine Heilung im Beschwerdeverfahren ist vorliegend nicht möglich (2.).

1. Der angefochtene Beschluss umschreibt zwar ausreichend den Tatvorwurf sowie die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden sollte, sodass der äußere Rahmen des grundsätzlich unter Richtervorbehalt stehenden Grundrechtseingriffs hinreichend bestimmt und somit messbar und kontrollierbar war (zu diesen auch verfassungsrechtlichen Erfordernissen vgl. u.a. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. April 2003 — 2 BvR 358/03 —, juris Rn. 15 sowie Nichtannahmebeschluss vom 20. April 2004 — 2 BvR 2043/03 —, juris Rn. 3 f.; jeweils m.w.N.).

Es mangelt jedoch an der erforderlichen Darlegung der wesentlichen Verdachtsmomente sowie an den Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit im Einzelfall.

a) Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren ist der Verdacht einer Straftat. Der Verdacht muss auf konkreten Tatsachen beruhen; vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen reichen nicht aus. Diesen Verdacht hat der für die vorherige Gestattung und für die nachträgliche Kontrolle zuständige Richter eigenverantwortlich zu prüfen. Hierzu gehören eine sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und eine umfassende Abwägung zur Feststellung der Verhältnismäßigkeit - insbesondere der Angemessenheit - des Eingriffs im konkreten Fall. Neben der Schwere der Tat ist die Stärke des Tatverdachts mitentscheidend dafür, ob eine strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung steht (vgl. zum Vorstehenden BVerfG, Beschluss vom 20. April 2004 a.a.O., juris Rn. 5 sowie stattgebender Kammerbeschluss vom 11. Februar 2015 — 2 BvR 1694/14).

Die Darlegung der diesen Verdacht einer Straftat begründenden wesentlichen Verdachtsmomente samt Indiztatsachen ist jedenfalls einfachgesetzlich geboten (§ 34 StPO); denn nur hierdurch wird dem Betroffenen eine sachgerechte, umfassende Prüfung ermöglicht, ob der Beschluss rechtmäßig ergangen ist und ob es angezeigt erscheint, hiergegen im Wege der Beschwerde vorzugehen. Darüber hinaus bezweckt das Gebot der umfassenden Begründung des Durchsuchungsbeschlusses die Erleichterung der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung durch das Beschwerdegericht. Die Angabe der wesentlichen Verdachtsmomente darf daher nur dann unterbleiben, wenn dies den Untersuchungszweck gefährden würde (zum Vorstehenden vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 — StB 26/08 —, juris Rn. 8).

b) Der angefochtene Beschluss genügt diesen Anforderungen nicht. Die Darlegung der wesentlichen Verdachtsmomente fehlt gänzlich, wobei nicht ersichtlich ist, dass durch eine Darlegung der Untersuchungszweck gefährdet worden wäre. Die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme erschöpfen sich in der Formulierung, die Anordnung der Durchsuchung in dem vorgenannten Umfang sei im Hinblick auf den Tatvorwurf und die Stärke des Tatverdachts verhältnismäßig, insbesondere seien keine milderen Maßnahmen ersichtlich. Derartige allgemeine formelhafte Wendungen genügen indes zur Begründung rechtsmittelfähiger gerichtlicher Entscheidungen grundsätzlich nicht (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 34 Rn. 4; so auch BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 — StB 26/08 —, juris Rn. 7 zum bloßen Verweis auf das „bisherige Ermittlungsergebnis").

2. Die vorgenannten Darlegungsmängel können durch die Beschwerdekammer nicht geheilt werden, weil der Beschluss in seiner Gesamtheit nicht in ausreichendem Maße erkennen lässt, dass der Ermittlungsrichter die Voraussetzungen für seinen Erlass eigenständig geprüft hat.

a) Zwar können Defizite in der Begründung des Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nachgebessert werden, weil sie - anders als Ausführungen zum Tatvorwurf und zu den zu suchenden Beweismitteln - regelmäßig für die verfassungsrechtlich erforderliche Umgrenzung der Durchsuchungsgestattung ohne Bedeutung sind (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 11. Februar 2015 - 2 BvR 1694/14 -, juris Rn. 25 sowie Nichtannahmebeschluss vom 20. April 2004 - 2 BvR 2043/03 -, juris Rn. 5). Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Beschluss in seiner Gesamtheit in ausreichendem Maße erkennen lässt, dass der Ermittlungsrichter die Voraussetzungen für seinen Erlass eigenständig geprüft hat (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 - StB 26/08 -, juris Rn. 9); denn andernfalls würden Sinn und Zweck der präventiven richterlichen Kontrolle unterlaufen (vgl. MüKoStPO/Hauschild, 1. Aufl. 2014, § 105 Rn. 41b sowie Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 105 Rn. 15a).

b) Diese erforderliche Prüfung lässt der Beschluss nicht erkennen. Zwar folgt das nicht bereits aus der im Wesentlichen wörtlichen Übernahme der Antragsbegründung der Staatsanwaltschaft in den hier angefochtenen Beschluss des Ermittlungsrichters vom 30. Juni 2020 (und im Übrigen auch in den gleichlautenden vorangegangenen Beschluss vom 23. Dezember 2019). Eine solche wörtliche Übernahme ist zwar bedenklich (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. April 2003 - 2 BvR 358/03 -, juris Rn. 13), aber möglich, da der Ermittlungsrichter mit seiner Unterschrift bezeugt, dass er den Text geprüft hat und als Richter verantwortet (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 1. August 2014 - 2 BvR 200/14 -, juris Rn. 19). Indes: Die wörtliche Übernahme, die nicht vorhandene Darlegung zu den Verdachtsmomenten und die nur formelhafte Wendung zur Verhältnismäßigkeit schaffen andererseits auch keine Substanz, anhand derer eine eigene Prüfung im Beschluss erkennbar werden könnte.

Dabei wären vorliegend gerade auch angesichts des zeitlichen Ablaufes weitere Ausführungen im Beschluss zu erwarten gewesen. Insbesondere hätte es nahegelegen, sich zumindest knapp zu den Ermittlungsergebnissen zu verhalten, welche nach Erlass des vorangegangenen Durchsuchungsbeschlusses hinzugekommen sind, insbesondere zu den Vernehmungen der Zeugen P und S die nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin den Tatverdacht von ihr abgelenkt haben sollen. Ferner wären Ausführungen dazu zu erwarten gewesen, warum nach mehr als einem Jahr nach der Tat das Tatmittel in Form von Buttersäure bei der Beschwerdeführerin zu vermuten gewesen sein soll.

Eine ausreichende Prüfung ist auch nicht aus dem Verfahrensablauf erkennbar. In dem Übersendungsvermerk des LKA 534 vom 17. Juni 2020 wird die „Verlängerung" des Durchsuchungsbeschlusses beantragt, da dieser am „23. Juni 2020 seine Gültigkeit" verliere. Die Staatsanwaltschaft Berlin beantragte daraufhin in der Übersendungsverfügung an das Amtsgericht Tiergarten vom 24. Juni 2020 „den Durchsuchungsbeschluss vom 23. Dezember 2019 erneut aus den Gründen des [damaligen] Antrags" [...] zu erlassen. Am 30. Juni 2020, am Tage des Eingangs auf der Geschäftsstelle des Ermittlungsrichters, erließ das Amtsgericht Tiergarten den neuen Beschluss, gleichlautend zu dem Beschluss vom 23. Dezemnber 2019.

3. Wie tenoriert war daher - ohne Aufhebung der angefochtenen Entscheidung -festzustellen, dass der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 30. Juni 2020 rechtswidrig war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1976 — 2 BvR 294/76 —, BVerfGE 42, 212, juris Rn. 39).

4. Lediglich klarstellend wird darauf hingewiesen, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit allein noch kein Verwertungsverbot hinsichtlich der aufgefundenen Beweismittel zur Folge hat (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 105 Rn. 18 ff.).

Die Landeskasse Berlin hat in entsprechender Anwendung der §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 2 Satz 2 StPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin zu tragen (vgl. Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 473 Rn. 12).


Einsender: RA O. Sydow, Berlin

Anmerkung:


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