Gericht / Entscheidungsdatum: AG Hagen, Beschl. v. 16.02.2021 - 67 Gs 115/21 (600 Js 456/20)
Leitsatz: Die Vorschrift des § 141 Abs. 1 StPO ermöglicht hinsichtlich der Beiordnung (und deren Zeitpunkt) keinen Ermessensspielraum, sondern ist zwingend.
67 Gs 115/21 (600 Js 456/20)
Amtsgericht Hagen
Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen pp.
wird dem Beschuldigten Rechtsanwalt pp. aus Essen als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Gründe:
Der Beschuldigte, der sich seit dem 28.06.2019 zunächst in Untersuchungs- und seit dem 09.07.2019 in anderer Sache in Strafhaft befindet, ist in Verdacht geraten, in der Zeit vor dem 09.06.2020 in der Justizvollzugsanstalt pp. zu haben, indem er pp.
Das Ermittlungsverfahren beruht auf einer entsprechenden Mitteilung der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Schwerte vom 30.06.2020, die am 03.07.2020 bei der Staatsanwaltschaft Hagen eingegangen ist. Diese forderte daraufhin mit Verfügung vom 22.07.2020 ein aktuelles Vollstreckungsblatt von der Justizvollzugsanstalt pp. an, in welche der Beschuldigte verlegt worden war. Am 05.08.2020 ging auch ein entsprechendes Vollstreckungsblatt bei der Staatsanwaltschaft Hagen ein. Ausweislich des Eingangsstempels BI. 54 der Akte übergab der zuständige Dezernent am 11.08.2020 die Akte zur Einsicht an Herrn Rechtsanwalt pp. im Rahmen der Hauptverhandlung eines anderweitigen Verfahrens gegen den Beschuldigten beim Landgericht Hagen. Herr Rechtsanwalt pp. beantragte noch am gleichen Tag namens und in Vollmacht des Beschuldigten, ihn auch für dieses Verfahren als Pflichtverteidiger beizuordnen (BI. 20 ff. der Akte).
Da sich der Beschuldigte zu diesem Zeitpunkt (und auch weiterhin) in Haft befindet, liegt zumindest ein Fall der notwendigen Verteidigung gern. § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO vor.
In den Fällen der notwendigen Verteidigung ist dem Beschuldigten nach § 141 Abs. 1 S. 1 StPO unverzüglich ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn ihm der Tatvorwurf eröffnet worden ist und er dies beantragt.
Dies ist hier erfolgt. Durch die Übergabe der Akte zur Einsicht an Herrn Rechtsanwalt pp. hat der Beschuldigte de facto Kenntnis von einem weiteren gegen ihn anhängigen Ermittlungsverfahren und dem zugrundeliegenden Tatvorwurf erlangt. Darüber hinaus liegt ein in seinem Namen gestellter Beiordnungsantrag vor.
Dass später - ohne weitere Ermittlungsmaßnahmen - mit Verfügung vom 04.12.2020 eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO erfolgte, ist unerheblich. Die Vorschrift des § 141 Abs. 1 StPO ermöglicht hinsichtlich der Beiordnung (und deren Zeitpunkt!) keinen Ermessensspielraum, sondern ist zwingend. Die in §. 141 Abs. 2 S. 3 StPO genannte Möglichkeit, dass die Bestellung unterbleiben kann, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen, bezieht sich schon ihrem Wortlaut nach nur auf § 140 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 StPO. Die Vorschrift des § 140 Abs. 2 StPO regelt die Fälle, in denen einem Beschuldigten von Amts wegen ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist. Liegt aber - wie hier - ein Antrag des Beschuldigten auf eine Pflichtverteidigerbeiordnung vor, ist der Anwendungsbereich des § 141 Abs. 1 StPO eröffnet und insofern vorrangig.
Hagen, den 16.02.2021
Einsender: RA M. Grünebaum, Essen
Anmerkung:
Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.
Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".