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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, nachträgliche Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Gera, Beschl. v. 31.03.2021 - 11 Qs 96/21 u. 11 Qs 97/21 13

Leitsatz: Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist auch noch nach Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO zulässig.


Landgericht Gera
11 Qs 96/21 und 11 Qs 97/21 13

Beschluss

In dem Strafverfahren gegen

Verteidiger:
Rechtsanwalt Peter Schlegel, Kirchplatz 5, 07973 Greiz, Gz.: 184/21

wegen falscher Verdächtigung

hat die 11. Strafkammer des Landgerichts Gera durch am 31.03.2021 beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 01.03.2021 wird der Beschluss des Amtsgerichtes Gera vom 18.02.2021 aufgehoben. Dem Beschwerdeführer wird RA pp. als Pflichtverteidiger beigeordnet.

2. Es wird festgestellt, dass hinsichtlich der gegen die getroffene Kosten- und Auslagenentscheidung erhobenen Anhörungsrüge (§ 33 a StPO) eine Entscheidung der Kammer nicht veranlasst ist.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Gera hat mit Datum vom 16.12.2020 beantragt, gegen den Beschwerde-führer einen Strafbefehl wegen einer am 09.10.2019 begangenen Körperverletzung zu erlassen. Zugleich hat sie beantragt, dem in anderer Sache seit dem 24.06.2020 in Haft befindlichen Beschwerdeführer einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Das Amtsgericht hat den Strafbefehl im Hin-blick auf die Beweislage ("Aussage gegen Aussage") nicht erlassen und die Akten der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Diese hat den Strafbefehlsantrag aufrecht erhalten mit der Anregung, die Hauptverhandlung durchzuführen.

Mit Datum vom 04.02.2021 hat das Amtsgericht unter Bezugnahme auf die derzeitige Vollstreckung der Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten die Staatsanwaltschaft um Zustimmung einer Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO ersucht. Mit Schriftsatz vom 08.02.2021 zeigte sich Rechtsanwalt Schlegel für den Beschwerdeführer an und beantragte Akteneinsicht sowie die Bestellung als Pflichtverteidiger. Nachdem die Staatsanwaltschaft der beabsichtigten Vorgehensweise mit Verfügung vom 16.02.2021 zugestimmt hatte, wies das Amtsgericht mit Be-schluss vom 18.02.2021 den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung unter Verweis auf die Einstellung des Verfahrens zurück und stellte mit weiterem Beschluss vom selben Tag das Verfahren ein. Dabei wurden die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt, während die notwendigen Auslagen dem Beschwerdeführer überbürdet worden sind.

Mit Schriftsatz vom 01.03.2021 hat der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung eingelegt. Zugleich hat er Anhörungsrüge erhoben und beantragt, die ergangene Auslagenentscheidung dahingehend abzuändern, dass der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten auferlegt werden.

Mit Beschluss vom 08.03.2021 hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Rechtsbehelf des Beschwerdeführer insoweit unzulässig sei, als er sich als Beschwerde gegen die getroffene Kosten- und Auslagenentscheidung richtet. Er werde daher als Gegenvorstellung behandelt, wobei auch nach erneuter Prüfung eine Abänderung nicht veranlasst sei.

Die gegen den die Pflichtverteidigerbestellung ablehnenden Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Angeschuldigten ist zulässig. Sie ist auch in der Sache begründet und führt zu der begehrten Pflichtverteidigerbestellung.

Der Beiordnung steht zunächst nicht entgegen, dass sie erst nach der am 18.02.2021 beschlossenen Einstellung des Verfahrens gern. § 154 Abs. 2 StPO erfolgt. Zwar sollte nach der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung nach dem endgültigen Abschluss eines Strafverfahrens die nachträgliche Beiordnung eines Verteidigers grundsätzlich nicht mehr möglich sein (Mey-er-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 142 Rn. 19 m.w.N.). Im Hinblick auf die zum 10.12.2019 erfolgte Neuregelung des Rechts zur notwendigen Verteidigung vermag die Kammer dem aber nicht zu folgen. Wurde schon nach der alten Rechtslage die Auffassung vertreten, dass unter besonderen Umständen - insbesondere dann, wenn der Antrag auf Beiordnung zeitnah gestellt worden war - eine Ausnahme von dem Grundsatz der Unzulässigkeit zu machen ist, gilt dies nach dem Sinn und Zweck der Neureglung erst recht. Denn Hintergrund der Neukonzeption war die Umsetzung der PKH-Richtlinie innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten. Diese verlangt, dass auch dem mittellosen Beschuldigten eine ordnungsgemäße Verteidigung zukommt und er von diesen Kosten freigestellt wird (Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. 0.). Aus den vorstehenden Gründen vertritt die Kammer die Rechtsauffassung, dass eine nachträgliche Bestellung jedenfalls dann möglich ist, wenn ein Beiordnungsantrag rechtzeitig gestellt wurde (vgl. LG Gera, Beschluss vom 21.08.2020, Az.: 11 Qs 250/20).

Eine rechtzeitige Anbringung des Antrags liegt hier vor, da die Sache bei Eingang des Antrags aufgrund des überschaubaren Umfangs unmittelbar entscheidungsreif war.

Nach § 141 Abs. 1 S. 1 StPO wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, in den Fällen der notwendigen Verteidigung unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn er dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. Der Beschwerde-führer war mit Schreiben vom 18.11.2020 über den Tatvorwurf und die Möglichkeit der Beiordnung eines Pflichtverteidigers unterrichtet worden.

Darüber hinaus lagen auch die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO vor. Der Ange--e4cht ß- schuldigte befindet sich seit dem 24.06.2020 in anderer Sache in Untersuchungshaft. Nach der aktuellen Gesetzesfassung des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO liegen die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers auch dann vor, wenn sich der Beschuldigte in anderer Sache in Untersuchungshaft befindet. Denn der Gesetzgeber hat nunmehr unterschiedslos lediglich als Voraussetzung normiert, dass sich der Beschuldigte aufgrund richterlicher Anordnung in einer Anstalt befindet, wobei es sich nicht zwingend um eine Justizvollzugsanstalt handeln muss. Bereits hieraus lässt sich ohne Weiteres der Schluss ziehen, dass gerade der Aufenthalt in einer Anstalt — aus welchem Grund auch immer, solange eine richterliche Anordnung vorliegt — zur Grundlage der Annahme der Notwendigkeit einer Verteidigung gemacht werden sollte (so auch LG Mannheim, a. a. 0.). Ergänzend ist festzuhalten, dass in der obergerichtlichen Rechtsprechung bereits für die bis Dezember 2019 geltende Gesetzeslage die Auffassung vertreten wurde, dass eine Verteidigerbeiordnung auch in den weiteren Verfahren erfolgen muss, in denen nicht die Untersuchungshaft vollzogen wird (vgl. hierzu OLG Frankfurt am Main, 3 Ws 351/10, NStZ-RR 2011,19 - juris).

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts greift die Ausnahmeregelung des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO vorliegend nicht ein. Denn hier lag ein zulässiger Antrag des Angeschuldigten nach § 141 Abs. 1 StPO vor. Die Ausnahmeregelung in § 141 Abs. 2 S. 3 StPO gilt nur für die in § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 StPO genannten Fälle, in denen der Beschuldigte keinen Antrag gestellt hat und über die Bestellung von Amts wegen entschieden wird. Denn aus dem ausdrücklichen Wortlaut, der alleine auf § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 StPO, nicht jedoch auf § 141 Abs. 1 StPO verweist, wie auch aus der systematischen Stellung innerhalb des Absatzes 2 der genannten Vorschrift, ergibt sich, dass das Absehen der Beiordnung nur für die Fälle der von Amts wegen, nicht jedoch auf die auf Antrag des Beschuldigten vorzunehmende Pflichtverteidigerbestellung in Betracht kommt. Eine analoge Anwendung scheidet insofern aus (so auch LG Mannheim, Beschluss vom 26.03.2020 - 7 Qs 11/20; LG Magdeburg, Beschluss vom 24.07.2020 - 5 Gs 1070/20; LG Frankenthal, Beschluss vom 16.06.2020 - 7 Qs 114/20; LG Dessau-Roßlau, Beschluss vom 27.08.2020 - 3 Qs 121/20; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 19.10.2020 - 1 Qs 53/20 - sämtlich zitiert nach juris ).

Die Ablehnung der Beiordnung konnte daher durch das Amtsgericht nicht unter Verweis darauf abgelehnt werden, dass die Einstellung des Verfahrens bereits unmittelbar bevorstand. Die Kammer trifft daher nach § 309 Abs. 2 StPO die in der Sache erforderliche Entscheidung und bestellt Rechtsanwalt Schlegel als Pflichtverteidiger.

Der gegen die Auslagenentscheidung gerichtete Rechtsbehelf wäre - wie das Amtsgericht insoweit zutreffend ausgeführt hat - als Beschwerde unzulässig.

Gemäß § 464 Abs. 3 S. 1, 2. Halbs. StPO ist die Beschwerde gegen die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen nicht zulässig, wenn eine Anfechtung der Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Das ist bei der durch das Amtsgericht vor-genommenen Verfahrenseinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO der Fall.

Gleichwohl steht dem Beschwerdeführer der mit Schriftsatz vom 01.03.2021erhobene Rechtsbehelf der Anhörungsrüge im Sinne des § 33 a StPO zu. Denn das Amtsgericht hat bei seiner Beschlussfassung am 18.02.2021 den Anspruch des Angeschuldigten auf rechtliches Gehör verletzt. Es hat nämlich auf den Antrag der Staatsanwaltschaft vom 16.02.2021, eingegangen am 17.02.2021, bereits am 18.02.2021 den Einstellungsbeschluss nebst Auslagenentscheidung er-lassen, ohne zuvor den Angeschuldigten zu hören. Auch wenn es bei einer Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO der Zustimmung und der vorherigen Anhörung des Angeschuldigten nicht bedarf, gilt dies nur insoweit, wenn zugleich mit der Einstellung eine den Angeschuldigten begünstigende Kostenentscheidung getroffen wird, da er dann nicht beschwert ist (vgl. BGH NStZ 1995,18; OLG Oldenburg Beschluss vom 02.07.2010 - 1 Ws 296/10, juris).

Hätte das Amtsgericht ohne Gewährung rechtlichen Gehörs nicht entscheiden dürfen, kann eine Abänderung der unanfechtbaren Entscheidung nur über das in § 33 a StPO normierte Verfahren erreicht werden (OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. 3. 2004 - 4 WS 65/04 = NStZ-RR 2004, 320; OLG Köln, Beschluss vom 14.01.2013 - 2 Ws 308/11 = BeckRS 2013, 8026; LG Karlsruhe Be-schluss vom 06.11.2009 - 2 AR 4/09 = BeckRS 2011, 18580; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 05. August 2020 — 2 Qs 41/20 —, juris ). Als Ausprägung des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör ist § 33 a StPO so auszulegen, dass diese Norm jeden Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG in den Beschlussverfahren, auf die sie anwendbar ist, erfasst (OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. 3. 2004 - 4 Ws 65/04 = NStZ-RR 2004). Vorliegend wird der Beschwerdeführer erstmals mit Übermittlung des Einstellungsbeschlusses mit einer aus seiner Sicht falschen Kostenentscheidung konfrontiert. Ohne die Nachholung des rechtlichen Gehörs gern. § 33 a StPO hätte er sonst überhaupt keine Gelegenheit, auf diese Entscheidung Einfluss zu nehmen.

Der Beschluss des Amtsgerichtes vom 08.03.2021 läuft demnach insoweit ins Leere, als festgestellt wird, dass die vom Angeschuldigten ausdrücklich nicht erhobene Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung unzulässig ist. Soweit das Amtsgericht den ausdrücklich erhobenen Rechtsbehelf der Anhörungsrüge zugleich als Gegenvorstellung behandelt und diese der Kammer zur Entscheidung vorgelegt hat, war festzustellen, dass eine solche nicht veranlasst ist. Wird auf die Anhörungsrüge hin das Verfahren hinsichtlich der getroffenen Kosten- und Auslagenentscheidung nach § 33 a StPO in den Stand vor Erlass der Entscheidung zurückzuversetzen sein, wird das Amtsgericht sodann - ggf. nach nochmaliger Gewährung rechtlichen Gehörs in eigener Zuständigkeit darüber zu entscheiden, ob es bei der bisherigen Auslagenentscheidung verbleiben kann.

Die Kammer merkt insofern vorsorglich an, dass die Beweislage (Aussage gegen Aussage) bis zur Einstellung des Verfahrens eine Verurteilung des Angeschuldigten nicht ohne weiteres hat er-warten lassen. Dieser Umstand hat das Amtsgericht auch zunächst dazu bewogen, den Strafbefehl nicht zu erlassen. Nachdem die Staatsanwaltschaft angeregt hat, die Hauptverhandlung durchzuführen, erfolgte schließlich auch die Einstellung des Verfahrens auf Initiative des Amtsgerichtes. Angesichts dieser Sachlage dürfte die Anwendung der vom Amtsgericht bemühten Ausnahmevorschrift des § 467 Abs. 4 StPO - jedenfalls ohne nachvollziehbare Begründung - nicht greifen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA P. Schlegel, Greiz

Anmerkung:


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