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Entscheidungen

OWi

Selbstablehnung, Besorgnis der Befangenheit, Verwandtschaftsverhältnisse

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Meiningen, Beschl. v. 20.05.2021 – OWi 161 Js 14163/20

Leitsatz: Zur Besorgnis der Befangenheit, wenn im Bußgeldverfahren der Verteidiger des Betroffenen der Sohn des Richters ist.


In pp.

Auf Grund der Selbstanzeige des Richters am Amtsgericht X wird dieser von der Entscheidung im Verfahren gegen den Betroffenen entbunden.

Gründe

A.

Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts Meiningen ist im vorliegenden Ordnungswidrigkeitsverfahren der Richter am Amtsgericht X zur Entscheidung berufen. Dieser hat unter dem 27.01.2021 gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 30 StPO angezeigt, dass ein Ablehnungsgrund vorliege, da sein Sohn der Verteidiger des Betroffenen sei. Die Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, dass dieser Hinweis eine Befangenheit nicht begründe. Das Verwandtschaftsverhältnis alleine reiche als Ablehnungsgrund i.S.v. § 24 StPO nicht aus. Es lägen keine über das Verwandtschaftsverhältnis hinausgehenden Gründe für eine Befangenheit vor. Der Betroffene hingegen hat Bedenken gegen die Unbefangenheit des zuständigen Richters und hat über seinen Verteidiger selbst einen Befangenheitsantrag gestellt.

B.

Schon die Selbstanzeige des Richters am Amtsgericht X führt dazu, dass er wegen Besorgnis der Befangenheit vom Verfahren zu entbinden ist. Zwar liegt ein gesetzlicher Ausschließungsgrund nach §§ 22, 23 StPO nicht vor und eine analoge Anwendung auf ähnlich erscheinende Sachverhalte scheidet grundsätzlich aus, weil die Aufzählung in § 22 StPO erschöpfend ist. (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 22, Rn. 3 m.w.N.). Der anzeigende Richter ist aber wegen Besorgnis der Befangenheit vom Verfahren zu entbinden, § 24 StPO.

I.

Nach § 46 Abs. 1 OWiG, §§ 30, 27 Abs. 1, Abs. 3 StPO i.V.m. dem Geschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts Meiningen ist derzeit der Unterzeichner zur Entscheidung über die erfolgte Selbstanzeige berufen.

II.

Die Selbstanzeige ist begründet, § 46 Abs. 1 OWiG, §§ 30, 24 Abs. 2 StPO.

1. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit eines Richters findet gemäß § 46 Abs. 1 OWiG, § 24 Abs. 2 StPO statt, wenn bei verständiger Würdigung aufgrund des bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme besteht, dass der betreffende Richter gegenüber dem Beschuldigten eine innere Haltung einnehmen könnte, die seine Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Dabei kommt es auf den Standpunkt des Betroffenen an, nicht aber auf seinen (möglicherweise einseitigen) subjektiven Eindruck. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge scheiden als Ablehnungsgrund aus. Maßgeblich ist vielmehr der Standpunkt eines vernünftigen Beschuldigten und die Vorstellungen, die sich ein geistig gesunder, bei voller Vernunft befindlicher Prozessbeteiligter bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 24, Rn. 8 m.w.N.).

Ein Befangenheitsgrund kann jedoch auch dann vorliegen, wenn eine in § 22 StPO beschriebene ähnliche Konstellation gegeben ist, die sich nicht unter diese Regelung fassen lässt. Allein die Nähe zu § 22 StPO genügt hierfür zwar nicht. Um einen generellen Rückgriff auf § 24 StPO und eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 22 StPO entgegen der gesetzgeberischen Wertung zu vermeiden, bedarf es jedoch besonderer Umstände, die auf die fehlende Neutralität des vorbefassten Richters schließen lassen (LG München I, Beschluss vom 13. Juli 2015 – 20 KLs 124 Js 209119/14 –, juris, m.w.N.). Solche werden bei engen persönlichen Verhältnissen des Richters zu weiteren Prozessbeteiligten angenommen (so auch Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. August 2016 – 1 Ws 305/16 –, juris, Rn. 19). So hat der 5. Zivilsenat des BGH in einer Grundsatzentscheidung ausgeführt, dass ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann, wenn seine Ehefrau als Rechtsanwältin – auch ohne mit der Sache selbst befasst zu sein - in der Kanzlei tätig ist, die den Gegner vor diesem Richter vertritt und dies damit begründet, dass alleine schon die besondere berufliche Nähe der Ehefrau des Richters zu dem Prozessbevollmächtigten des Gegners der Partei begründeten Anlass zur Sorge gebe, dass es dadurch zu einer unzulässigen Einflussnahme auf den Richter kommen könnte. Auch wenn grundsätzlich davon auszugehen sei, dass Richter über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügten, die sie befähigten, unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden, sei es einer Partei nicht zuzumuten, darauf zu vertrauen, dass eine unzulässige Einflussnahme durch den Gegner unterbleiben werde, und den Richter erst dann abzulehnen, wenn dies doch geschehe und ihr das bekannt werde (BGH, Beschluss vom 15. März 2012 – V ZB 102/11 –, juris). Mit gleicher Begründung hat das Amtsgericht Kehl das Vorliegen eines Befangenheitsgrundes angenommen, wenn die zuständige Richterin und der sachbearbeitende Staatsanwalt miteinander verheiratet sind (AG Kehl, Beschluss vom 15. April 2014 – 5 OWi 304 Js 2546/14 –, juris). Zur Begründung hat das Amtsgericht Kehl ausgeführt, dass die Ehe in der Regel auf gegenseitiges Vertrauen und Wertschätzung gegründet sei. Aus Sicht eines unvoreingenommenen Angeklagten bzw. Betroffenen bestehe in dieser Situation dann die Besorgnis, dass der Richter den Ausführungen eines mit ihm verheirateten Staatsanwalts eine besondere Bedeutung beimesse, ihnen einen höheren Richtigkeitsgrad zuerkenne als in vergleichbaren Fällen oder (eventuell auch nur unbewusst) aus Rücksicht auf den Ehepartner einem Entscheidungsvorschlag (Verurteilung, Strafmaß etc.) zustimme, ohne dass dies der Sach- und Rechtslage im Verfahren entspreche (AG Kehl, a.a.O.; ebenso Ellbogen/Schneider, JR 2012, 188). Insofern wird zu Recht angenommen, dass eine Befangenheit in der Regel anzunehmen ist, wenn eine Ehe oder ein Verlöbnis mit einem Prozessbeteiligten (Staatsanwalt, Verteidiger oder Nebenklagevertreter) besteht (MüKo/Conen/Tsambikakis, StPO, 1. Aufl., § 24, Rn. 30).

2. Gemessen an diesen Ausführungen ist eine Befangenheit auch dann anzunehmen, wenn der Verteidiger des Betroffenen der Sohn des zuständigen Richters ist. Auch hier besteht auf Grund der sehr nahen verwandtschaftlichen Verbindung des anzeigenden Richters ein derart enges höchst persönliches und intimes Vertrauensverhältnis zwischen dem Richter und dem Verteidiger, dass vom Standpunkt eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten Grund zu der Annahme bestehen kann, dass der anzeigende Richter auf Grund familiär bedingter Aspekte/Rücksichtnahmen eine innere Haltung einnehmen könnte, die seine Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (in diesem Sinne auch Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. August 2016 – 1 Ws 305/16 –, juris, Rn. 22). Es ist daher aus Sicht eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten nachvollziehbar, dass er aufgrund des vorliegenden Verhältnisses Grund zur Sorge dahin gehend hat, dass die erforderliche Neutralität des anzeigenden Richters durch sein Näheverhältnis zum Verteidiger beeinflusst werden kann.

C.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 46 Abs. 1 OWiG, § 28 Abs. 1 StPO.


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