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Entscheidungen

StPO

Durchsuchung, Anfangsverdacht, KiPo-Verfahren

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Duisburg, Beschl. v. 16.04.2021 - 36 Qs 24/21

Leitsatz: Lediglich die Tatsache, dass der Beschuldigte Fotos von nackten Jungen auf seinem Smartphone gespeichert hat, reicht für die einen Anfangsverdacht, dass eine Straftat, etwa der Besitz von kinderpornographischen Inhalten gemäß § 184 b Abs. 3 StGB, begangen worden ist, nicht aus.


Landgericht Duisburg

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

hat die 6. große Strafkammer des Landgerichts Duisburg
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin am Amtsgericht am 16. April 2021 beschlossen:

1. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 25. März 2021 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Duisburg vom 20. Mai 2020 wird festgestellt, dass der angefochtene Beschluss sowie die auf dem Beschluss beruhende Durchsuchung vom 1. September 2020 rechtswidrig sind.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Der mit der Beschwerde vom 25. März 2021 angegriffenen Durchsuchungsanordnung liegt die Strafanzeige einer Ladenbesitzerin zugrunde, die in Minden im Jahr 2019 ein Geschäft für Gebrauchtwaren betrieben hat. Diese kannte den Beschuldigten als Stammkunden. Sie gab bei der Anzeigeerstattung im November 2019 an, der Beschuldigte habe ihr Anfang Mai 2019 Urlaubsfotos zeigen wollen. Dabei habe er versehentlich eine falsche Datei auf seinem Smartphone angeklickt. Die Zeugin habe so sehen können, dass der Beschuldigte Bilder von nackten Jungen auf seinem Telefon gespeichert habe. Das Alter dieser nackten Jungen schätzte sie auf ca. 7 bis 10 Jahre. Sexuelle Handlungen habe sie nicht sehen können. Weitere Angaben dazu, was genau auf den Fotos zu sehen war, machte sie nicht. Der Beschuldigte sei auch nachdem er bemerkt habe, dass er offensichtlich den falschen Ordner geöffnet hatte, ganz ruhig geblieben und habe sich „nichts anmerken lassen". Dieser Vorfall habe sie in der Folge länger beschäftigt. Sie habe sich jedoch erst jetzt — sechs Monate später — aufgrund der in der Presse publizierten Vorfälle von Kinderpornographie entschlossen, zur Polizei zu gehen.

Auf dieser Grundlage ordnete das Amtsgericht Duisburg (Az. 9 Gs 5624/19) zunächst am 7. Februar 2020 die Durchsuchung der Person, Wohnung und der sonstigen Räume einschließlich der dazugehörigen Sachen und Behältnisse, Nebengelasse, Kraftfahrzeuge und Garagen sowie der persönlichen Behältnisse des pp. an, einem Cousin des Beschuldigten. Die Durchsuchung wurde am 9. März 2020 durchgeführt und führte nicht zum Auffinden von Beweismitteln.

Nachdem die irrtümliche Erfassung des vormaligen Beschuldigten pp. erkannt wurde, wurde ein neues Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten eingeleitet und auf derselben Ermittlungsgrundlage wie zuvor am 20. Mai 2020 durch das Amtsgericht Duisburg (Az. 11 Gs 1670/20) die Durchsuchung der Person, Wohnung und der sonstigen Räume einschließlich der dazugehörigen Sachen und Behältnisse, Nebengelasse, Kraftfahrzeuge und Garagen sowie der persönlichen Behältnisse des Beschuldigten angeordnet. Die Durchsuchung selbst wurde am 1. September 2020 durchgeführt und führte ebenfalls nicht zum Auffinden von Beweismitteln.

Hiergegen richtet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde vom 25. März 2021 (BI. 79 d.A.). Zu den Einzelheiten der Begründung der Beschwerde wird auf diese Bezug genommen.

Das Amtsgericht Duisburg hat der Beschwerde mit Beschluss vom 9. April 2021, wie zuvor von der Staatsanwaltschaft Duisburg am 6. April 2021 beantragt, nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde mit dem Rechtsschutzziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der richterlichen Durchsuchungsanordnung im Beschluss vom 20. Mai 2020 ist als solche zulässig.

1. Die Durchsuchungsanordnung ist zwischenzeitlich vollzogen, wodurch sie ihren faktischen Abschluss gefunden hat. Grundsätzlich ist eine Beschwerde zur Feststellung der Rechtswidrigkeit einer durch Vollzug oder auf andere Weise erledigten richterlichen Anordnung zwar unzulässig (Meyer-Goßner, StPO, 63. Auflage [2020], Vorb. § 296 StPO, Rn. 18). Etwas anderes gilt jedoch in Konstellationen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe, wenn sich die Belastung durch die Maßnahme nach dem typischen Verfahrensverlauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren kaum erlangen kann (Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 18a). Die Beschwerde darf dann im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht wegen prozessualer Überholung als unzulässig verworfen werden. Vielmehr ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu überprüfen und ggf. deren Rechtswidrigkeit festzustellen (Meyer-Goßner, a.a.O.). Diese Voraussetzungen liegen im Falle einer auf Grund richterlicher Anordnung vorgenommenen Durchsuchung von Wohnräumen unzweifelhaft vor.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen für eine richterliche Durchsuchungsanordnung waren nicht gegeben.

Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlung in Betracht kommenden Durchsuchung gemäß § 102 StPO reicht der auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht aus, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1999, Az. StB 7/99, StB 8/99; zitiert nach juris; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Auflage [2019], § 102, Rn. 2). Ein erhöhter Verdachtsgrad ist nicht erforderlich. Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Artikel 13 Abs. 1 GG erfährt die räumlichen Lebenssphäre des Einzelnen allerdings einen besonderen grundrechtlichen Schutz. Das Gewicht des Eingriffs verlangt daher Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (BVerfG, Beschluss vom 13. März 2014, Az. 2 BvR 974/12; zitiert nach juris).

Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch bereits an tatsächlichen Anhaltspunkten für einen solchen konkreten Verdacht, dass eine Straftat, etwa der Besitz von kinderpornographischen Inhalten gemäß § 184 b Abs. 3 StGB, begangen worden ist. Lediglich die Tatsache, dass der Beschuldigte Fotos von nackten Jungen auf seinem Smartphone gespeichert hat, reicht hierfür nicht aus, zumal sexuelle Handlungen offenbar auch nicht zu sehen waren. Ob ein Fall des sog. „Posens" gem. § 184 b Abs. 1 Nr. 1b) StGB vorliegt oder eine sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien eines Kindes gemäß § 184 b Abs. 1 Nr. 1 lit. c) StGB kann anhand der rudimentären Angaben der Zeugin nicht beurteilt werden.

Ein Anfangsverdacht kann zwar grundsätzlich auch aus legalem Verhalten erwachsen, falls weitere Umstände hinzutreten (BVerfG, Beschluss vom 15. August 2014, Az. 2 13vR 969/14, Rn. 38 m.w.N.; LG Regensburg, Beschluss vom 10. Oktober 2014, Az. 2 Qs 41/14; alle zitiert nach juris; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Auflage [2019], § 152, Rn. 4a). Ein solcher Umstand kann unter anderem in einem kriminalistischen Erfahrungssatz liegen. Erforderlich ist jedoch insoweit, dass der kriminalistische Erfahrungssatz im Rahmen des Ermittlungsverfahrens bezogen auf das jeweilige Delikt hinreichend konkretisiert ist —sei es durch die eigene forensische Erfahrung der Kammer oder durch sich aus den Ermittlungen ergebene Umständen (LG Limburg, Beschluss vom 3. Februar 2015, Az. 1 QS 160/14, Rn. 9; zitiert nach juris).

Aber auch solche weiteren Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Der Beschuldigte hat auf die — vermeintlich ungewollte — Offenbarung der Fotos gegenüber der Zeugin nicht auffällig reagiert. Vielmehr teilte die Zeugin mit, der Beschuldigte habe sich „nichts anmerken lassen" und sei ganz ruhig geblieben.

Unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wären auch vor dem Hintergrund der zwischen „Entdeckung" der Fotos auf dem Smartphone des Beschuldigten und der mit der Beschwerde angegriffenen Durchsuchungsanordnung liegenden beträchtlichen Zeitspanne noch andere, weniger einschneidende — den Ermittlungszweck auch nicht gefährdende — Maßnahmen zur Erhärtung bzw. zum Erreichen eines höheren Verdachtsgrades zu ergreifen gewesen (siehe dazu BVerfG 11. Februar 2015, Az. 2 BvR 1694/14, Rn. 23; zitiert nach juris). So wäre eine Nachvernehmung der Zeugin denkbar gewesen über den genauen Inhalt und die Anzahl der fraglichen Fotos oder die Einholung behördlicher Auskünfte zu den persönlichen Verhältnissen des Beschuldigten.


Einsender: RA N. Odebralski, Essen

Anmerkung:


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