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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung, Unverzüglichkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Halle, Beschl. v. 20.04.2021 - 10a Qs 43/21

Leitsatz: Von dem Grundsatz, dass eine rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers unzulässig ist, ist ausnahmsweise dann abzusehen, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 1, 2 StPO vorlagen und die Entscheidung durch behördeninterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte.


Landgericht Halle
10a Qs 43/21

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
betreffend pp.

- ehemals Beschuldigter-
Verteidiger: Rechtsanwalt Funck aus Braunschweig

wegen Betruges

hat die 10. Große Strafkammer des Landgerichts Halle als Beschwerdekammer durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin und die Richterin am Landgericht am 20. April 2021 beschlossen:

1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Halle - Zweigstelle Naumburg - gegen den Beschluss des Amtsgerichts Naumburg vom 19.03.2021 (Az: 9 Gs 29/21) wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des ehemals Beschuldigten werden der Landeskasse auferlegt.

Gründe

Gegen den ehemals Beschuldigten wurde am 20.08.2020 wegen Betruges Anzeige erstattet. Der ehemals Beschuldigte sollte am 11.08.2020 an der Tankstelle Osterfeld 50,20 I Super 95 im Warenwert von 71,23 € getankt und anschließend die Tankstelle verlassen haben, ohne zu bezahlen.

Seit dem 07.10.2020 verbüßt der ehemals Beschuldigte eine Restfreiheitsstrafe sowie im Anschluss daran eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Volkstedt.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 10.11.2020 beantragte der ehemals Beschuldigte, ihm Rechtsanwalt pp. aus Braunschweig als Verteidiger beizuordnen.

Mit Verfügung vom 19.11.2020 stellte die Staatsanwaltschaft Halle — Zweigstelle Naumburg — das Verfahren gem. § 154 Abs. 1 StPO ein.

Der davon informierte Verteidiger bat mit Schriftsatz vom 23.12.2020 nunmehr um zeitnahe Weiterleitung der Akte an das zuständige Amtsgericht zur Entscheidung über den Beiordnungsantrag. Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe der Beiordnungsgrund des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO für den inhaftierten ehemals Beschuldigten vorgelegen.

Mit Beschluss vom 19.03.2021 (AZ: 9 Gs 29/21) ordnete das Amtsgericht Naumburg dem ehemals Beschuldigten seinen Verteidiger, der angekündigt hatte, sein Wahlmandat im Falle der Beiordnung niederzulegen, als Pflichtverteidiger bei. Zum Zeitpunkt der Antragstellung hätten die Voraussetzungen der Beiordnung vorgelegen mit Blick auf die Inhaftierung des ehemals Beschuldigten in anderer Sache.

Das Amtsgericht vertritt die Auffassung, dass durch die Umsetzung der PKH-Richtlinie der EU die Intention des Gesetzgebers bei der Neuregelung der Pflichtverteidigung nicht nur sei, eine ordnungsgemäße Verteidigung zu gewährleisten. Vielmehr sei nunmehr gleichermaßen auch der mittellose Beschuldigte von den Kosten seiner Verteidigung freizustellen. Dies spreche dafür, eine rückwirkende Bestellung für zulässig zu erachten, wenn trotz Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 140, 141 StPO über den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung nicht entschieden oder wenn der Antrag ohne Begründung abgelehnt wurde. Es komme nicht darauf an, ob zum damaligen Zeitpunkt beabsichtigt gewesen sei, das Verfahren einzustellen. Die Ausnahmevorschrift des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO betreffe nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur die Fälle der antragsunabhängigen Beiordnung von Amts wegen (§ 141 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO), nicht aber die Beiordnung auf Antrag nach § 141 Abs, 1 S. 1 StPO. Der Umstand, dass im vorliegenden Fall auch eine Beiordnung von Amts wegen erforderlich gewesen wäre, ändere nichts an dem Umstand, dass zum Zeitpunkt der Einstellung auch ein Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger vorgelegen habe.

Dieser Beschluss wurde der Staatsanwaltschaft Halle - Zweigstelle Naumburg - am 25.03.2021 zugestellt. Mit Verfügung vom 30.03.2021 legte die Staatsanwaltschaft Halle - Zweigstelle Naumburg - gegen den genannten Beschluss sofortige Beschwerde ein. Die Staatsanwaltschaft begründete die Beschwerde nur damit, dass vorliegend eine analoge Anwendung des §§ 141 Abs. 2 S. 3 StPO in Betracht komme. Die sofortige Beschwerde ging am gleichen Tag beim Amtsgericht Naumburg ein.

II.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Halle - Zweigstelle Naumburg -gegen den Beschluss des Amtsgerichts Naumburg ist gemäß §§ 304, 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO i. V. m. § 142 Abs. 7 S. 1 StPO zulässig, insbesondere fristgerecht innerhalb der Wochenfrist bei dem Amtsgericht Naumburg eingegangen.

Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Sie hat in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht Naumburg hat dem ehemals Beschuldigten zu Recht Rechtsanwalt pp. aus Braunschweig rückwirkend beigeordnet.

Da das Ermittlungsverfahren gegen den ehemals Beschuldigten mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 19.11.2020 gemäß § 154 Abs. 1 StPO vorläufig eingestellt worden ist, konnte die Beiordnung durch das Amtsgericht Naumburg auch nur rückwirkend erfolgen. Dies war vorliegend ausnahmsweise zulässig und rechtmäßig.

Die Kammer verbleibt bei ihrer Rechtsauffassung, dass auch nach neuer Rechtslage zu den §§ 140 ff. StPO seit dem 13.12.2019, dass eine rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers im Grundsatz unzulässig ist, da bei den §§ 140 ff. StPO stets die Sicherung einer ordnungsgemäßen Verteidigung eines Beschuldigten im Vordergrund steht und dieser nach der Einstellung eines Ermittlungsverfahrens keinerlei Bedeutung mehr zukommt. Von diesem Grundsatz ist jedoch ausnahmsweise dann abzusehen, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 1, 2 StPO vorlagen und die Entscheidung durch behördeninterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte.

Der Gesetzgeber hat mit der Neuregelung des § 141 StPO zum Ausdruck gebracht, dass das Recht eines Beschuldigten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers bereits im Stadium des Ermittlungsverfahrens erheblich gestärkt werden soll. Dieses Ziel wollte man unter anderem dadurch erreichen, dass das Verfahren bis zur Bestellung eines Pflichtverteidigers maßgeblich beschleunigt werden sollte. Vor diesem Hintergrund sieht § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO vor, dass dem Beschuldigten beim Vorliegen der Voraussetzungen unverzüglich ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. Dieser Zweck der Neuregelung des § 141 StPO spricht entscheidend dafür, dass auch eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung jedenfalls dann zu erfolgen hat, wenn eine Entscheidung über den Beiordnungsantrag ohne zwingenden Grund nicht unverzüglich erfolgt ist. Nur so wird der durch die Möglichkeit fehlender Vergütung entstehenden Gefahr einer unzureichenden Verteidigung eines Beschuldigten im Ermittlungsverfahren vor der Beiordnung entgegengewirkt und entsprechend dem Willen des Gesetzgebers die Position des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren gestärkt.

Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers liegen hier vor:

Der Beiordnungsantrag ging am 10.11.2020 bei der Staatsanwaltschaft Halle —Zweigstelle Naumburg — und somit vor der Einstellung am 19.11.2020.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung lagen die Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbestellung mit Blick auf die Inhaftierung des ehemals Beschuldigten vor, § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO.

Ferner wurde das Erfordernis der Unverzüglichkeit gern. §142 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht beachtet. Nach Eingang des Antrags bei der Staatsanwaltschaft Halle - Zweigstelle Naumburg - am 10.11.2020, hätte es der Staatsanwaltschaft oblegen, die Akten unverzüglich gemäß § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO an das zuständige Amtsgericht Naumburg weiterzuleiten. Der Staatsanwaltschaft kommt hierbei kein Ermessensspielraum zu (vgl. LG Regensburg, Beschluss vom 30. Dezember 2020 —5 Qs 188/20 —, Rn. 16, juris). Dies hat die Staatsanwaltschaft Halle - Zweigstelle Naumburg - nicht getan, sondern das Verfahren gegen den ehemals Beschuldigten am 19.11.2020 nach § 154 StPO eingestellt, ohne die Akte zuvor dem Amtsgericht Naumburg vorzulegen.

Auch die Regelung des § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO, wonach eine Bestellung unterbleiben kann, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen, führt hier zu keinem anderen Ergebnis. Diese Regelung gilt nur für den Fall der Bestellung eines Pflichtverteidigers ohne Antrag nach § 141 Abs. 2 StPO.

Aus dem ausdrücklichen Wortlaut des §§ 141 Abs. 2 Satz 3 StPO, der auf § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 StPO, nicht jedoch auf § 141 Abs. 1 StPO verweist, wie auch aus der systematischen Stellung innerhalb des Abs. 2 der Vorschrift ergibt sich, dass das Absehen der Beiordnung nur für die Fälle der von Amts wegen, nicht jedoch auf die auf Antrag des Beschuldigten vorzunehmende Pflichtverteidigerbestellung in Betracht kommt. Eine dahingehende Analogie hat die Kammer auch in den von der Staatsanwaltschaft zitierten Beschlüssen (10a Qs 51/20 und 10a Qs 84/20) nicht gezogen, sondern in diesen Fällen eine verzögerte Entscheidung durch das Gericht verneint, weil eine solche gern. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO zwar unverzüglich zu erfolgen hat, nach S. 2 dieser Vorschrift aber noch bis spätestens vor der Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm getroffen werden kann — anders als die Vorlage nach § 142 Abs. 1 S. 2 StPO.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StPO.


Einsender: RA J.-R. Funck, Braunschweig

Anmerkung:


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