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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, nachträgliche Beiordnung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Bonn, Beschl. v. 18.05.2021 - 63 Qs 41/21

Leitsatz: Die nachträgliche Bestellung eines Pflichtverteidigers ist nicht zulässig.


63 Qs 41/21

Landgericht Bonn

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

hat die 13. große Strafkammer des Landgerichts Bonn auf die sofortige Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 12.04.2021 Az: 51 Gs 698/21 - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und den Richter am Landgericht am 18.05.2021 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beschuldigten auferlegt.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Bonn führte gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der falschen Verdächtigung. Mit Schreiben vom 17.03.2021, eingegangen bei der Staatsanwaltschaft am 19.03.2021, bestellte sich der Verteidiger des, Beschuldigten gegenüber der Staatsanwaltschaft und beantragte für den Beschuldigten, seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Mit Verfügung vom 24.03.2021 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Mit Beschluss vom 12.04.2021 lehnte das Amtsgericht Bonn den Antrag auf Beiordnung ab. Gegen diesen, am 15.04.2021 zugestellten Beschluss, wendet sich der Beschuldigte mit dem am 22.04.2021 beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben.

II.

Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Die sofortige Beschwerde ist unzulässig. Bereits vor Einlegung des Rechtsmittels war mit der Einstellung des Verfahrens eine etwaige Beschwer des Beschuldigten durch die angegriffene Entscheidung entfallen. Bereits mit Beschluss vom 14.05.2021 - 63 Qs 33/21 - hat die Kammer hierzu folgendes ausgeführt:

„a) Ob und unter welchen Voraussetzungen eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung möglich ist und insoweit für das Beschwerdeverfahren noch eine Beschwer vorliegt, ist umstritten.

Bis zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (nachfolgend: „PKH-Richtlinie") mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 —BGBl. I, S. 2128 ff. — (nachfolgend: „Pflichtverteidigerneuregelungsgesetz") ging die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass eine nicht auf eine zukünftige Tätigkeit des Verteidigers gerichtete, sondern lediglich auf ein beendetes Verfahren bezogene rückwirkende oder nachträgliche Verteidigerbeiordnung grundsätzlich unzulässig sei (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20.07.2009 — 1 StR 344/08; OLG Köln, Beschluss vom 28.01.2011 — 2 Ws 74/11). Teilweise wurde von diesem Grundsatz eine Ausnahme dahingehend diskutiert und eine rückwirkende bzw. nachträgliche Bestellung eines Verteidigers zugelassen, wenn der Antrag auf Beiordnung bereits rechtzeitig vor Verfahrensabschluss gestellt worden ist, die Voraussetzungen für die Bestellung eines Verteidigers gemäß § 140 StPO vorgelegen haben und die Entscheidung allein aufgrund justizintemer Vorgänge unterblieben ist, auf die der Beschuldigte keinen Einfluss hatte (vgl. nur OLG Bremen, Beschluss vom 23.09.2020 — 1 Ws 120/20; LG Bonn, Beschluss vom 09.06.2020 — 21 Qs 40/20; Willnow in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 141 Rn. 12; Thomas/Kämpfer in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2014, § 141 Rn. 9; jeweils m.w.N)

Seit der Umsetzung der PKH-Richtlinie durch das Pflichtverteidigerneuregelungsgesetz wird auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung diskutiert, ob durch diese Neuregelung eine rückwirkende bzw. nachträgliche Bestellung eines Pflichtverteidigers unter den vorstehend genannten Voraussetzungen zulässig ist (so OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.11.2020 — Ws 962/20; kritisch auch Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 142 Rn. 20). Die Vertreter dieser Ansicht sehen in Art. 4 Abs. 1 der PKH-Richtlinie eine Erweiterung von Ziel und Zweck der Verteidigerbestellung auf eine finanzielle Unterstützung der beschuldigten Person. Gestützt werde dies durch die Neufassung der §§ 141 Abs. 1 S. 1, 142 Abs. 7 StPO, aus dem sich eine besondere Beschleunigung der Bestellung ergebe.

Andere Oberlandesgerichte (OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2021 —1 Ws 12/21; OLG Bremen, Beschluss vorn 23.09.2020 — 1 Ws 120/20; OLG Hamburg, Beschluss vom. 16.09.2020 — 2 Ws 112/20) sehen in der Neuregelung der §§ 141 ff. StPO keine Absicht des Gesetzgebers hin zu einem Systemwechsel und halten weiterhin die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers für ausgeschlossen. Dies werde bereits aus der Gesetzesbegründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung (S. 20 ff. BT-Drs. 19/13829) deutlich. Aus Art. 4 Abs. 1 der PHK-Richtlinie ergebe sich nichts anderes; Ziel der Richtlinie sei lediglich, dem Beschuldigten den Zugang zu einem Rechtsbeistand zu ermöglichen, nicht hingegen, diesen von den Kosten freizustellen. Dieses Erfordernis, den Zugang zu einem Rechtsbeistand zu erreichen, könne hingegen nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens, an dem ein Rechtsbeistand beteiligt war, nicht mehr erreicht werden.

b) Die Kammer schließt sich grundsätzlich der letztgenannten Ansicht an.

aa) Gegen eine rückwirkende bzw. nachträgliche Bestellung eines Pflichtverteidigers spricht bereits der Sinn und Zweck der §§ 140 ff. StPO. Diese sollen eine ordnungsgemäße Verteidigung des Beschuldigten sicherstellen und setzen insoweit den Anspruch auf ein faires Verfahren, der Waffengleichheit und dem Recht auf eine wirksame Verteidigung nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. c) EMRK um (Thomas/Kämpfer in: Münchener Kommentar zur StPO, § 140 Rn. 2). Aus diesem Grund zählt § 140 StPO einzelne Fallgruppen auf, in denen die Verteidigung durch einen Verteidiger als notwendig anzusehen ist. Dabei ist es unerheblich, ob die beschuldigte Person in der Lage ist, die Kosten eines Rechtsbeistandes aus eigenen Mitteln aufzubringen oder nicht (vgl. auch BT-Drs. 19/13829, S. 21). Vielmehr knüpft das strafprozessuale Recht der notwendigen Verteidigung diese nicht an die Bedürftigkeit der beschuldigten Person. Dies kommt nicht nur dadurch zum Ausdruck, dass die Bestellungsvorschriften - auch nach Umsetzung der PKH-Richtlinie - eine Bedürftigkeitsprüfung nicht vorsehen. Vielmehr hat der Beschuldigte bzw. Angeklagte im Falle einer späteren Verurteilung die Kosten seiner Verteidigung zu tragen, selbst wenn diese im Falle der Pflichtverteidigung zunächst (gegebenenfalls teilweise) aus der Staatskasse entrichtet werden., Die Vorstellung, dass dem Beschuldigten in den Fällen der notwendigen Verteidigung ein nur zunächst staatlich finanzierter Pflichtverteidiger zur Seite gestellt wird, entsprach im Übrigen auch der Vorstellung des Gesetzgebers bei der Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung im Anschluss an die PKH-Richtlinie (vgl. BT-Drs. 19/13829, S. 2). An dem bewährten System, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers unabhängig von der Bedürftigkeit des Beschuldigten zu beurteilen ist, wollte er mit der Neuregelung nichts ändern (vgl. BR-Drs. 19/13829, S. 2, 4, 21 f.).

Bereits hieraus ergibt sich, dass die §§ 140 ff. StPO gerade nicht das Interesse eines Verteidigers schützen, für seine Tätigkeit entlohnt zu werden (BGH, Beschluss vom 18.08.2020, Tz. 7); die Pflichtverteidigerbestellung liegt vielmehr ausschließlich im öffentlichen Interesse zur Sicherung des Verfahrensablaufs (BGH, a.a.O., Tz. 6) und dient nur insoweit dem Schutz des Beschuldigten.

bb) Hieran hat die PKH-Richtlinie nichts geändert. Soweit darauf abgestellt wird, Art. 4 Abs. 1 der PKH-Richtlinie verbriefe ein uneingeschränktes Recht des Beschuldigten auf einen kostenlosen Rechtsbeistand (so wohl OLG Nürnberg, a.a.O.; vgl. auch Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 142 Rn. 20) ergibt sich dies aus der PHK-Richtlinie gerade nicht. Art. 4 Abs. 2 PHK-Richtlinie hat es den Mitgliedsstaaten freigestellt, den (zunächst) staatlichen finanzierten Zugang zu einem Verteidiger ausschließlich von materiellen Kriterien abhängig zu machen. Dem hat der nationale Gesetzgeber Rechnung getragen. Dies Ausgestaltung von § 140 StPO erfüllt insoweit. die Vorgaben von Art. 4 Abs. 4 PKH-Richtlinie.

Überdies steht der Anspruch auf Prozesskostenhilfe bzw. der Zugang zu einem Pflichtverteidiger nach Art. 4 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 PKH-Richtlinie unter der Voraussetzung, dass dies im Interesse. der Rechtspflege erforderlich ist. Der Gesetzgeber hat in Umsetzung dieser Vorgabe in § 140 StPO abschließend die Fälle aufgeführt, in denen eine Pflichtverteidigung im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist und die Kosten der Rechtsverteidigung verauslagt werden. Im Interesse der Rechtspflege ist die Kostentragung jedoch nur dann, wenn eine Rechtsverteidigung überhaupt noch stattfinden kann. Dies ist nicht der Fall, wenn das Verfahren bereits abgeschlossen ist und einer weiteren Rechtsverteidigung damit die Grundlage fehlt (so auch OLG Braunschweig, a.a.O.; OLG Bremen, a.a.O.; OLG Hamburg, a.a.O.).

Schließlich trifft die PKH-Richtlinie auch nur eine Entscheidung über die vorläufige Finanzierung der Verteidigungskosten, weshalb der Gesetzgeber bei der Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung der Vorschriften der §§ 463 ff. StPO konsequenterweise unangetastet gelassen hat.

cc) Etwas anderes ergibt sich, entgegen anders lautender Ansicht (Thomas/Kämpfer in: Münchener Kommentar zur StPO, § 141 Rn. 9, m.w.N.), auch nicht aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. c) EMRK. Denn auch hiernach ist das Recht auf unentgeltlichen Rechtsbeistand ebenfalls daran geknüpft, dass die anwaltliche Vertretung im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Insoweit gilt das zu Art. 4 Abs. 1 der PHK-Richtlinie gesagte.

dd) Unter welchen Voraussetzungen die Entscheidung jedenfalls einer objektiven Willkürkontrolle unterliegt (vgl. hierzu insbesondere BGH, Beschluss vom 18.08.2020 — StB 25/20, Rn. 11), kann vorliegend dahinstehen, da Anhaltspunkte für eine objektiv willkürliche Behandlung durch das Amtsgericht nicht ersichtlich sind."

Gründe von dieser Rechtsauffassung abzuweichen, sind nicht ersichtlich.

Bei der Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO handelt es sich schließlich auch um eine Beendigung des Verfahrens im vorstehenden Sinne (OLG Köln, Beschluss vom 21.06.2010 - 2 Ws 456/10; LG Osnabrück, Beschluss vom 16.11.2020 — 1 Qs 47/20).

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Da das Rechtsmittel erst nach Wegfall der Beschwer eingelegt wurde, ist es nicht ohne Kostenentscheidung für erledigt zu erklären (vgl. hierzu OLG Hamburg, Beschluss vom 16.09.2020 — 2 Ws 112/20, juris Rn. 17; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 296 Rn. 17 m.w.N.).


Einsender: RA Dr. P.-R. Gülpen, Troisdorf

Anmerkung:


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