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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Wahlpflichtverteidiger, Hauptverhandlung, Sicherungsverteidiger, Rechtsmittelverzicht

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 16.02.2021 - III - 5 RVs 3/21

Leitsatz: 1. Der in der Hauptverhandlung erklärte Rechtsmittelverzicht des Angeklagten ist unwirksam, wenn zuvor eine Missachtung des Auswahlrechts des Angeklagten auf Benennung eines Verteidigers seiner Wahl gemäß § 142 Absatz 5 StPO durch das Gericht erfolgt ist.
2. Die Missachtung des Auswahlrechts des Angeklagten auf Benennung eines Verteidigers seiner Wahl gemäß § 142 Absatz 5 StPO durch das Gericht begründet den Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO.


Oberlandesgericht Hamm

Beschluss

In pp.

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (hier: Revision des Angeklagten)

Auf die (Sprung-) Revision des Angeklagten vom 19.10.2020 i.V.m. dem. konkretisierenden Schriftsatz vom 30.11.2020 gegen das Urteil des Amtsgerichts Brilon vom 13.10.2020 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16.02.2021 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seiner Verteidiger beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung -auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen:

Gründe:

I.

Das Amtsgericht pp. hat im angefochtenen Urteil die Schuld des heranwachsenden Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge festgestellt und die Verhängung einer Jugendstrafe im zweijährigen Bewährungszeitraum vorbehalten. Zugleich hat es gegen ihn einen dreiwöchigen Dauerarrest verhängt und die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 300 € angeordnet.

Gegen dieses in Anwesenheit des Angeklagten verkündete Urteil hat dieser durch seinen Verteidiger mit dem am 19.10.2020 beim Amtsgericht pp. per Telefax eingegangenen Schriftsatz zunächst Rechtsmittel eingelegt. Das Urteil ist dem gewählten Pflichtverteidiger pp. am 04.11.2020 zugestellt ‚worden. Mit weiterem Schriftsatz vom 30.11.2020, eingegangen per Telefax beim Amtsgericht pp. am gleichen Tag, hat der Angeklagte bzw. sein Verteidiger mitgeteilt, dass das Rechtsmittel als (Sprung-) Revision durchgeführt werden soll und beantragt, das ,angefochtene Urteil mitsamt den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Insbesondere beanstandet er, dass der vom Angeklagten in der Hauptverhandlung erklärte Rechtsmittelverzicht unwirksam und dieser in seiner Verteidigung- wesentlich beschränkt gewesen, weil in der Haupt-Verhandlung der gewählte Pflichtverteidiger abwesend gewesen und ihm gegen seinen Willen ein Sicherungsverteidiger bestellt worden sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt; die Revision des Angeklagten als unzulässig zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision hat auf die Verfahrensrüge hin Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO).

1. Die form- und fristgerecht erhobene Revision des Angeklagten ist trotz des von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts (§ 302 Abs. 1 StPO) zulässig, da dieser wegen der Art und Weise seines Zustandekommens unwirksam ist. .

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Rechtsmittelverzicht wegen der Art und Weise seines Zustandekommens unwirksam, wenn er auf einer vom Gericht zu verantwortenden unzulässigen Einwirkung mit: solchen Beeinflussungsmitteln beruht, die nicht von § 136a StPO verboten sind (BGH, Beschluss vom 24.07.2019 - 3 StR 214/19, Rn. 22, 23, juris; BGH, Urteil vorn 21.04.1999 - 5 StR 714/98, juris). Eine derartige Einwirkung kommt insbesondere, dann in Betracht, wenn dem Angeklagten vom Gericht, eine Erklärung über den Rechtsmittelverzicht abverlangt wird, ohne ihm zunächst Gelegenheit zu geben, sich dazu erst nach einer Beratung mit -seinem Verteidiger zu äußern, der Rechtsmittelverzicht mithin praktisch unter Umgehung oder Ausschaltung des Verteidigers erwirkt wird (BGH, Beschluss vom 24.07.2019 - 3-StR 214/19 -,Rn. 30 - 31, juris; BGH, Urteil vom 17:09.1963 - 1 StR 301/63,.juris).

Ausgehend von diesem Maßstab ist vorliegend eine unzulässige Beeinflussung seitens des Gerichts anzunehmen. Ausweislich der dienstlichen Stellungnahme des erstinstanzlichen Richters ist der Angeklagte nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich von ihm danach befragt worden, ob er auf Rechtsmittel verzichten wollte. Gelegenheit, diese Fragestellung vor Abgabe der betreffenden Erklärung mit, dem von ihm gewählten, und im Hauptverhandlungstermin nicht anwesenden Pflichtverteidiger zu erörtern, ist ihm hierbei nicht eingeräumt worden. Der Angeklagte konnte vielmehr ausschließlich Rücksprache, mit dem weiteren Verteidiger nehmen. Diese Beratungsmöglichkeit ist indes nicht ausreichend, da die Bestellung von pp. zum sogenannten Sicherungsverteidiger (§ 144 StPO) nicht nur gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Angeklagten; sondern auch verfahrensfehlerhaft erfolgte. Bleibt - wie vorliegend - der Verteidiger im Falle der notwendigen Verteidigung in der Hauptverhandlung aus, ist dem Angeklagten vor der Bestellung eines neuen Verteidigers Gelegenheit zu geben, einen Vorschlag zu unterbreiten. Dieses Vorschlagsrecht dient dem Recht des Angeklagten auf den Verteidiger seines Vertrauens-sowie der effektiven Verteidigung und gilt-unabhängig davon, ob - wie vorliegend - die Bestellung auf § 144, StPO oder - wie an sich zutreffend - auf § 145 StPO gestützt wird (Thomas/Kämpfer, in: MünchKomm, 1. Aufl. 2014, § 145 StPO Rn. 8; Krawczyk, in: BeckscherOK, Stand: 01.10:2020, § 145 StPO Rn. 6). Einer Entscheidung, ob überhaupt die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines neuen Verteidigers gegeben wären, bedurfte es daher nicht. Denn bei beiden Vorgehensweisen besteht aus den genannten Gründen zunächst ein Auswahlrecht des Angeklagten (Thomas/Kämpfer, in: MünchKomm, a.a.O., § 145 StPO Rn. 8). Da dieses Auswahlrecht seitens des Gerichts übergangen wurde, ist dem Angeklagten die Möglichkeit genommen worden, die Frage des Rechtsmittelverzichts mit dem Verteidiger seines Vertrauens zu beraten. Die unzureichende Beratungsmöglichkeit ist daher-durch die Justiz zu vertreten, so dass ein Rechtsmittelverzicht nicht vorliegt.

2. Die Revision ist ferner begründet, weil der Angeklagte durch die gegen seinen Willen erfolgte Beiordnung des Sicherungsverteidigers Rechtsanwalt pp.in erheblicher Weise in seinen Verteidigungsrechten (§ 338 Nr. 8 StPO) eingeschränkt worden ist.

a) Die diesbezügliche Verfahrensrüge des Angeklagten genügt den Begründungsanforderungen des § 344 Abs.-2 Satz 2 StPO und ist damit zulässig erhoben.

b) Sie hat ferner auch in der Sache Erfolg. Hierbei kann erneut offenbleiben, ob die tatbestandlichen Vorrausetzungen der §§ 144, 145 StPO für die Bestellung eines weiteren Verteidigers gegeben waren. Denn durch die Missachtung des Auswahlrechtes des Angeklagten wäre dieser nicht hinreichend verteidigt. Insofern wird auf die Ausführungen zur Unzulässigkeit des Rechtsmittelverzichts verwiesen.

3) Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Seitens des Amtsgerichts ist noch über den Antrag auf Entbindung von Rechtsanwalt pp. als Sicherungsverteidiger vom 30.11:2020 zu befinden.

b) Sollte das Gericht nach erneuter Beweisaufnahme wiederum zu einer Verurteilung des Angeklagten kommen, kann die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe nur dann nach § 27 JGG für die Bewährungszeit ausgesetzt werden, wenn zuvor alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Feststellung des Vorliegens schädlicher Neigungen und der. Erforderlichkeit einer Jugendstrafe erschöpft worden sind (Nehring, in: BeckscherOK, Stand: 01.2.2021, § 27 JGG Rn. 12). Hierzu gehört, insbesondere eine eingehende Persönlichkeitsermittlung unter Heranziehung aller zur Verfügung stehenden Informationsquellen (Nehring, in: BeckscherOK, a.a.O., § 27 JGG Rn. 12). Diesen Anforderungen genügen die bisherigen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen, die sich auf drei Sätze beschränken, nicht:


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