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Entscheidungen

OWi

Zurückweisung eines Terminverlegungsantrages, Erkrankung des Verteidigers, Verwerfungsurteil

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 08.02.2021- 3 Ws (B) 26/21

Leitsatz: 1. Der Betroffene in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren hat als Ausdruck des Anspruchs auf ein faires Verfahren grundsätzlich das Recht, sich in jeder Lage des Verfahrens durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen.
2. U.U. ist es dem Betroffenen daher nicht zuzumuten, an einem Hauptverhandlungstermin ohne Beistand seines Rechtsanwalts teilzunehmen, nachdem ein Terminverlegungsantrag wegen Erkrankung des Verteidigers von dem Vorsitzenden des Bußgeldgerichts abgelehnt worden ist. Für die Entscheidung ist maßgeblich, ob die prozessuale Fürsorgepflicht eine Terminverlegung in Ansehung der Erkrankung des Verteidigers geboten hätte.
3. Die Terminierung ist zwar grundsätzlich Sache des Vorsitzenden. Dieser ist aber gehalten, über Anträge auf Terminverlegung nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminplanung, der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen der Prozessbeteiligten zu entscheiden.
4. Im Falle einer Zurückweisung eines Terminverlegungsantrages wegen Erkrankung des Verteidigers bedarf es der Darlegung im Verwerfungsurteil gegen den zum Termin nicht erschienenen Betroffenen, warum das Interesse an einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens Vorrang vor dem Verteidigungsinteresse des Betroffenen hat.


In der Bußgeldsache
gegen pp.

wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 8. Februar 2021 beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 27. Oktober 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Polizeipräsident in B. hat mit Bußgeldbescheid vom 3. Januar 2020 gegen den Betroffenen wegen einer am 23. September 2019 begangenen fahrlässigen innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung gemäß §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO i.V.m. §§ 1 Abs. 2 Abschnitt I, 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Anhang zu Nummer 11 Nr. 11.3.6 BKat eine Geldbuße von 160 Euro, ein Fahrverbot von einem Monat und eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG verhängt. Auf den rechtzeitig eingelegten Einspruch hat das Amtsgericht die Hauptverhandlung auf den 27. Oktober 2020 bestimmt. Am 26. Oktober 2020 hat der Verteidiger die Aufhebung des Termins und eine „möglichst weiträumige“ Verlegung beantragt, weil er sich plötzlich und unvorhersehbar mit einer überwunden geglaubten Erkrankung konfrontiert gesehen habe, aufgrund derer er auf ärztlichen Rat habe alle beruflichen Termine absagen müssen. Eine Vertretung für ihn habe sich in der Kürze der Zeit für die Hauptverhandlung nicht realisieren lassen. Der Betroffene verfüge nur über eingeschränkte Deutschkenntnisse. Des Weiteren hat sich der Verteidiger mit dem Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung inhaltlich auseinandergesetzt. Zur Hauptverhandlung sind weder der Betroffene noch der Verteidiger erschienen. Das Amtsgericht hat daraufhin den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 3. Januar 2020 nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. In dem Urteil führt das Amtsgericht u.a. aus, dass die Voraussetzungen nach § 74 Abs. 2 OWiG vorgelegen hätten, denn der Verlegungsantrag habe das Ausbleiben des Betroffenen nicht entschuldigen können. Auch habe das Gericht dem kurzfristig eingegangenen Verlegungsantrag des Verteidigers nicht stattgeben müssen, weil kein Fall der notwendigen Verteidigung vorgelegen habe und der begehrten „weiträumigen“ Verlegung könne schon wegen der kurzen Verjährungsfristen im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht nachgekommen werden. Auch sei die Art und die Dauer der Erkrankung des Verteidigers völlig unklar geblieben.

Gegen diese dem Verteidiger am 4. November 2020 zugestellte Entscheidung hat der Betroffene rechtzeitig Rechtsbeschwerde durch den neu mandatierten Rechtsanwalt B., mit dem der erkrankte Rechtsanwalt S. eine Bürogemeinschaft unterhält, eingelegt, mit der Rechtsanwalt B. die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Verfahrensrüge stützt er auf folgende Erwägungen: Das Amtsgericht habe unter Verkennung des Rechtsbegriffs der genügenden Entschuldigung den Betroffenen zu Unrecht als nicht entschuldigt angesehen und den Einspruch rechtsirrig nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Der Betroffene habe auf die Auskunft seines früheren Verteidigers vertraut, dass er, der Betroffene, wegen des Verlegungsantrages aufgrund der Erkrankung des Verteidigers nicht zur Hauptverhandlung erscheinen müsse. Auch sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthaft und gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG iVm. §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

Soweit aber der Verteidiger die Verfahrensrüge damit begründet, der Betroffene habe auf die Auskunft seines früheren Verteidigers vertraut, er, der Betroffene, müsse wegen des Verlegungsantrages wegen der Erkrankung des Verteidigers nicht zum Hauptverhandlungstermin erscheinen, erfüllt der Vortrag die Anforderungen nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 StPO nicht. Die Rüge ist unzulässig. Denn er muss nicht nur die Umstände darlegen, die das Fernbleiben des Betroffenen entschuldigen, sondern auch solche, aus denen sich ergibt, dass sich der Betroffene bereits vor Erlass des Verwerfungsurteils gegenüber dem Gericht auf die von ihm vorgebrachten Entschuldigungsgründe berufen hat.

Gemessen an diesen Vorgaben reicht der Rügevortrag nicht aus. Zwar lag dem Gericht vor seiner Entscheidung der Verlegungsantrag des Verteidigers vor, der aber keine Gründe erkennen lässt, die die Abwesenheit des Betroffenen entschuldigen könnten. Insbesondere wird nicht dargestellt, dass der Betroffene auf die Auskunft seines Verteidigers, das Gericht werde dem Verlegungsantrag entsprechen und er müsse daher nicht zum Termin erscheinen, vertraut habe.

Auch mit der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs dringt der Betroffene nicht durch. Es kann dahinstehen, ob die Rüge zulässig erhoben worden ist, sie ist jedenfalls unbegründet, da dem Betroffenen das rechtliche Gehör nicht verkürzt worden ist. Denn die Verhinderung seines ehemaligen Verteidigers nimmt dem Betroffenen nicht die Möglichkeit, sich selbst vor Gericht rechtliches Gehör zu verschaffen. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet nur das rechtliche Gehör als solches, nicht rechtliches Gehör gerade durch Vermittlung eines Rechtsanwalts (BVerfG NJW 1984, 862; OLG Brandenburg, Beschluss vom 22. September 2020 – (1 B) 53 Ss-OWi 314/20 (254/20) –, m.w.N. juris). Mithin hätte der Betroffene ggf. unter Hinzuziehen eines Dolmetschers mit seinen Einwendungen gehört werden können.

2. Die gegen das Verfahren gerichtete Rüge ist aber unter dem Gesichtspunkt zulässig und begründet, dass das nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangene Urteil gegen die Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht verstoße.

Der Betroffene durfte in diesem Fall nicht darauf verwiesen werden, ohne seinen Verteidiger an der Hauptverhandlung am 27. Oktober 2020 teilnehmen zu müssen.

Denn auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren hat der Betroffene als Ausdruck des Anspruches auf ein faires Verfahren das Recht, sich in der Hauptverhandlung durch einen gewählten Verteidiger vertreten zu lassen (Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK, § 137 StPO iVm. § 46 Abs. 1 OWiG).
Gemäß § 46 Abs. 1 OWiG iVm. § 137 Abs. 1 S. 1 StPO kann sich ein Betroffener in jeder Lage des Verfahrens des Beistands durch einen Verteidiger bedienen. Gleichwohl hat selbst im Strafverfahren nicht jede Verhinderung des gewählten Verteidigers zur Folge, dass eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden kann (vgl. BGH NStZ 19, 527; Senat, Beschluss vom 3. Januar 2000 - 3 Ws (B) 624/00 -).

Maßgeblich ist, ob die prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts in diesem Einzelfall eine Terminverlegung gebietet. Die Entscheidung, ob einem solchen Antrag nachzugehen ist, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden. Der Vorsitzende hat das Interesse des Staates an einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens und das Interesse des Betroffenen an seiner Verteidigung gegeneinander abzuwägen (Senat, Beschluss vom 8. Oktober 2019 - 3 Ws (B) 282/19 -; OLG Brandenburg, Beschluss vom 22. September 2020 - (1 B) 53 Ss-OWi 314/20 (254/20) -, juris). Dabei sind die Umstände des Einzelfalls wie die Terminplanung des Gerichts, die Auslastung des Spruchkörpers, das Beschleunigungsgebot, die Bedeutung und die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Sache, die Persönlichkeit des Betroffenen, die Prozesssituation, die Veranlassung der Verhinderung, die Dauer der Verzögerung und das Verhalten des Betroffenen und seines Verteidigers zu berücksichtigen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 23. März 2012 - 1 Z 54/12 - m. w. N.).
Im Falle der Ablehnung des Antrages auf Terminverlegung bedarf es der Darlegung in den Urteilsgründen, warum das Interesse an einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens gegenüber dem Interesse des Betroffenen auf Verteidigung überwog (Senat NZV 2003, 433; OLG Hamm, Beschluss vom 28. Februar 2019 – III-4 RBs 71/19 –, juris). Dies ist erforderlich, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung zu ermöglichen, ob das Gericht ermessensfehlerfrei über den Antrag der Verteidigung auf Verlegung des Hauptverhandlungstermins entschieden und rechtsfehlerfrei an seiner Terminierung festgehalten hat.

Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.
Die Urteilsgründe lassen lediglich erkennen, dass das Gericht seine Entscheidung auf den pauschalen Hinweis auf „kurze Verjährungsfristen im Ordnungswidrigkeitenverfahren“ und die Ungewissheit über Art und Dauer der Erkrankung des Verteidigers stützt. Die Darlegung der Auslastung der Abteilung, die einer Neuterminierung entgegengestanden haben könnte, fehlt. Eine Abwägung mit den Belangen des Betroffenen an einer wirksamen Verteidigung ist den Gründen ebenfalls nicht zu entnehmen. Vielmehr lassen die Formulierungen der auf eine Erkrankung des Verteidigers gestützte Verlegungsantrag entbinde den Betroffenen nicht von seiner Präsenzpflicht und es läge „kein Fall der notwendigen Verteidigung vor“ besorgen – so zutreffend bereits die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 29. Januar 2021 -, dass das Gericht bei seiner Entscheidung den Gesichtspunkt der prozessualen Fürsorgepflicht nicht ausreichend berücksichtigt hat.
Offensichtlich ist das Gericht davon ausgegangen, dass sich der Betroffene ohne seinen Verteidiger ausreichend selbst hätte verteidigen können. Diese Annahme drängt sich im vorliegenden Fall aber nicht auf. Der Tatrichter hat sich dadurch den Blick auf die folgenden Erwägungen verstellt, die in die erforderliche Abwägung der Interessen einzustellen gewesen wären:

Der Betroffene ist nicht geständig, und dem Verlegungsantrag war zu entnehmen, dass er sich gegen den Vorwurf verteidigen wollte. Die Sanktion (ein Bußgeld und ein einmonatiges Fahrverbot), mit der der Betroffene durch den Bußgeldbescheid belegt worden ist, ist zwar nicht als besonders schwerwiegend einzustufen, aber der Vorsitzende hat den Betroffenen mit der Terminladung, angesichts der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung – zutreffend – auf eine mögliche Verurteilung wegen Vorsatzes hingewiesen.
Der ehemalige Verteidiger hat in dem Antrag seine Verteidigungsstrategie offengelegt, und es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass sie auf Prozessverschleppung ausgerichtet waren. Der Verteidiger hat auch erstmalig die Verlegung des Hauptverhandlungstermins wegen einer plötzlichen und unvorhersehbaren Erkrankung beantragt. Dieser Rügevortrag wird durch den Akteninhalt belegt. Dem Hinweis, dass der Verteidiger wegen des unmittelbar bevorstehenden Hauptverhandlungstermins keinen Terminvertreter habe finden können, lässt sich auch entnehmen, dass der Verteidiger, auch wenn er um eine „möglichst weiträumige Verlegung“ gebeten hatte, gewillt war, rechtzeitig einen Vertreter mit der Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen zu beauftragen, falls er an der Teilnahme an einem nächsten Hauptverhandlungstermin weiterhin verhindert sein sollte. Ein zeitnaher Verteidigerwechsel hat dann auch stattgefunden. Der mit Rechtsanwalt S. in Bürogemeinschaft stehende Rechtsanwalt B. hat die Verteidigung seit dem Einlegen der Rechtsbeschwerde übernommen.

3. Das Urteil beruht auf dem Fehler der lückenhaften Darlegung der Abwägung der Interessen des Betroffenen an seiner wirksamen Verteidigung gegenüber dem Interesse des Staates an einer möglichst reibungslosen und zügigen Durchführung des Verfahrens. Auch versteht es sich nach alledem nicht von selbst, dass sich der Betroffene ohne seinen Verteidiger hätte selbst verteidigen können.
Auf die allgemeine Sachrüge kommt es daher nicht mehr an. Auch führt die allgemeine Sachrüge bei einem Verwerfungsurteil nur zu der Prüfung, ob Verfahrenshindernisse vorliegen oder Prozessvoraussetzungen fehlen.

Die Entscheidung war mit den Feststellungen aufzuheben und nach § 79 Abs. 6 OWiG an das Amtsgericht – auch wegen der Kosten der Rechtsbeschwerde – zu einer neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.



Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


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