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Entscheidungen

StPO

Terminsverlegung, Ablehung, Ermessensabwägung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Schwerin, Beschl. v. 24.6.2021 - 33 Qs 47/21

Leitsatz: 1. Eine Beschwerde zur Feststellung der Rechtswidrigkeit einer durch den Vollzug tatsächlich erledigten richterlichen Anordnung ist immer dann zulässig, wenn es sich um einen tiefgreifenden, tatsächlich aber nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriff handelt und eine gerichtliche Beschwerdeentscheidung aufgrund des Verfahrensablaufs nicht bereits während des Eingriffes zu erlangen ist. Das ist auch bei einer Terminierung zu beachten.
2. Im Vorfeld einer Entscheidung über einen Terminsverlegungsantrag muss eine Ermessensabwägung stattfinden. Für eine Ablehnung eines Antrags ist es nicht ausreichend, wenn pauschal auf die Geschäftslage des Gerichts und, dass kein Fall der notwendigen Verteidigung vorliege, verwiesen wird.


33 Qs 47/21 jug

Landgericht Schwerin

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

- Beschwerdeführer -

Verteidiger:
Rechtsanwalt

wegen Bedrohung

hat das Landgericht Schwerin - Große Strafkammer 3 - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 24. Juni 2021 beschlossen:

Es wird festgestellt, dass die Entscheidungen des Amtsgerichts Wismar vom 11.05.2021 und vom 20.05.2021, durch die der Antrag auf Terminverlegung ablehnend beschieden worden ist, rechtswidrig waren.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.

Gründe:

Gegen den Angeklagten wurde am 10.02.2021 Anklage vor dem Amtsgericht Wismar, Jugend-richter, wegen Nötigung und Bedrohung erhoben. Durch Beschluss vom 21.04.2021 wurde die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht, Jugendrichter, eröffnet. Am selben Tag wurde Termin zur Hauptverhandlung auf den 20.05.2021, 12:30 Uhr bestimmt. Die Ladung, die am 04.05.2021 durch die Geschäftsstelle abgearbeitet wurde, ging dem Wahlverteidiger des Angeklagten am Freitag, 07.05.2021 zu. Mit Schriftsatz vom 10.05.2021, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, beantragte der Verteidiger Terminverlegung, da er am 20.05.2021 bereits in einem anderen Strafverfahren ab 10:00 Uhr beim Landgericht Rostock eingebunden sei. Der Angeklagte wünsche eine Verteidigung durch seine Person. Mit Schreiben vom 11.05.2021 lehnte das Amtsgericht die Terminverlegung mit den Sätzen „die Geschäftslage lässt eine Verlegung des Termins nicht zu. Im Übrigen liegt auch kein Fall notwendiger Verteidigung vor" ab. Gegen dieses Schreiben, das am 17.05.2021 von der Geschäftsstelle versandt wurde, legte der Verteidiger des Angeklagten am 19.05.2021, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, Beschwerde ein. Er begründet diese im Wesentlichen damit, dass die Ablehnung des Verlegungsantrages keine Ermessensentscheidung erkennen lasse und der zeitliche Ablauf den Verdacht errege, dass dem Angeklagten die prozessualen Rechte beschnitten werden sollten. Die Ablehnung des Verlegungsantrages sei mithin prozessordnungswidrig, da der Angeklagte so gehindert werde, durch seinen gewählten Verteidiger in der Hauptverhandlung verteidigt zu werden. In seiner, des Verteidigers, Teilnahme an der ganztägig anberaumten Hauptverhandlung vor dem Landgericht Rostock bei der es sich um eine Haftsache handele und dessen Terminierung bereits im Februar/ März 2021 erfolgt sei, liege ein Verlegungsgrund, der nicht zurückgewiesen werden dürfe.

Mit Beschluss vom 20.05.2021 wies das Amtsgericht den Terminverlegungsantrag erneut zurück. Es handele sich um keinen Fall der notwendigen Verteidigung. Aus der Verhinderung des Verteidigers ergebe sich kein Anspruch auf Terminverlegung. Zudem lasse die Arbeitsbelastung eines Jugendrichters es nicht vertretbar erscheinen, in jedem Fall auf die terminlichen Belange der Verteidigung Rücksicht zu nehmen. Hier sei die Kurzfristigkeit der Terminierung der Coro-na-Pandemie und dem daraus entstandenen Terminstau geschuldet, eine andere Terminierung sei erst im Herbst 2021 möglich.

Die Entscheidung wurde dem Verteidiger am 20.05.2021 um 12:25 Uhr per Fax übersandt. Zu dem um 12:30 Uhr beginnenden Hauptverhandlungstermin erschienen der Angeklagte und sein Verteidiger nicht. Das Amtsgericht erließ gegen den Angeklagten einen Strafbefehl gemäß § 408a StPO, in dem eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 20,- € festgesetzt wurde. Hiergegen hat der Angeklagte Einspruch eingelegt.

Die hier zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

1. a) Zwar ist die Ablehnung eines Antrags auf Terminverlegung gemäß § 305 Abs. 1 StPO im Regelfall nicht mit der Beschwerde anfechtbar, denn Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen, unterliegen nicht der Beschwerde. Zu solchen Entscheidungen gehört auch die Ablehnung eines Terminverlegungsantrags (Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 213 Rdnr. 8 und § 305 StPO Rdnr. 4; LG Zweibrücken, Beschluss v. 25.08.1995, 1 Qs 117/95, juris). Allerdings ist die Beschwerde gegen eine Terminbestimmung trotz § 305 Satz 1 StPO zulässig, wenn sie darauf gestützt ist, dass die Entscheidung des Vorsitzenden unter dem Gesichtspunkt der fehlerhaften Ausübung des Ermessens im Einzelfall rechtswidrig ist (Mey-er-Goßner/ Schmitt, a.a.0, § 213 StPO Rdnr. 8 m.w.N., BVerfG, Beschluss v. 16.11.2020. 2 BvQ 87/20; OLG München, Beschluss v. 25.04.1994, 2 Ws 550/94; OLG Dresden, Beschluss v. 28.06.2004, 1 Ws 121/04, juris).

b) Der Zulässigkeit der Beschwerde steht auch nicht entgegen, dass der Termin am 20.05.2021 durchgeführt worden ist und die Ablehnung des Verlegungsantrags durch das Amtsgericht sich dadurch prozessual überholt hat. Eine Beschwerde zur Feststellung der Rechtswidrigkeit einer durch den Vollzug tatsächlich erledigten richterlichen Anordnung ist immer dann zulässig, wenn es sich um einen tiefgreifenden, tatsächlich aber nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriff handelt und eine gerichtliche Beschwerdeentscheidung aufgrund des Verfahrensablaufs nicht bereits während des Eingriffes zu erlangen ist. Dies entspricht der inzwischen ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. grundlegend BVerfG, Beschluss v. 30.04.1997, 2 BvR 817/90, juris). Das Recht auf ein faires Verfahren, welches in Art. 6 Abs. 3 lit.c MRK ausdrücklich das Recht, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, aufführt und deshalb auch bei einer Terminierung zu beachten ist (vgl. BGH, Beschluss v. 21.03.2018, 1 StR 415/17, juris), hat seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten, Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG (BVerfG, Urteil v. 21.04.2016, 2 BvR 1422/15; Urteil v. 14.06 2000, 2 BvR 993/94, juris). Hieraus folgt, dass auch bei einem Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens im Falle der prozessualen Überholung die Beschwerde gegen eine tatsächlich erledigte richterliche Entscheidung nicht unzulässig wird.

2. Die Bestimmung des Termins zur Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden des Jugendgerichts auf den 20.05.2021, 12:30 Uhr, war ermessensfehlerhaft. Eine ausreichende Ermessensabwägung, diesen Termin bestehen zu lassen, ist insbesondere im Hinblick auf den zeitlichen Zusammenhang mit der Terminierung und der Bescheidung des Verlegungsantrages nicht erkennbar.

Zurecht führt das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 20.05.2021 zunächst aus, dass die Verhinderung des gewählten Verteidigers für sich allein nicht ohne weiteres einen Anspruch auf Verlegung der Hauptverhandlung gibt. Dies folgt schon aus der Regelung des § 228 Abs. 2 StPO, wonach die Verhinderung des Wahlverteidigers dem rechtzeitig geladenen Angeklagten kein Recht gibt, die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen. Dies gilt - anders als der Beschwerdeführer meint - auch, wenn der gewählte Verteidiger in anderen Strafverfahren unabkömmliche Termine hat. Dieser Gesichtspunkt hat lediglich Gewicht im Rahmen der Ermessenabwägung.

Das als Beschluss auszulegende Schreiben des Vorsitzenden vom 11.05.2021, mit dem der mit Terminüberschneidung begründete Antrag des Verteidigers mit zwei pauschalen Sätzen zurückgewiesen wurde, lässt allerdings nicht ausreichend erkennen, dass im Vorfeld der Entscheidung eine Ermessensabwägung stattgefunden hat. Es enthält keinerlei Anhaltspunkte für eine etwaig vorgenommene Abwägung. Der pauschale Verweis auf die Geschäftslage des Gerichts und dass kein Fall der notwendigen Verteidigung vorliege, genügt hierfür nicht. Insbesondere hätte der Vorsitzende bereits hier in den Blick nehmen müssen, dass die Ladung aus Gründen, die allein im Geschäftsbereich des Amtsgerichts Wismar lagen, den Verteidiger erst 12 Tage vor dem Hauptverhandlungstermin erreichte und diese sofort, nämlich am nächsten, auf die Ladungszustellung folgenden Werktag, einen mit einer Begründung versehenen Verlegungsantrag stellte.

Auch der Beschluss des Amtsgerichts vom 20.05.2021, mit der der Beschwerde gegen die Entscheidung vom 11.05.2021 nicht abgeholfen wurde und der Terminverlegungsantrag erneut zurückgewiesen worden ist, lässt eine ausreichende Interessenabwägung innerhalb des Ermessensspielraums nicht erkennen, auch wenn eine gewisse Verärgerung des Vorsitzenden über die Art und den unterschwelligen Ton des Beschwerdeschriftsatzes vom 19.05.2021 nachvollziehbar ist. Der Beschluss des Amtsgerichts erschöpft sich im Wesentlichen in allgemeinen Ausführungen, ohne dass erkennbar wird, dass der Vorsitzende innerhalb des ihm zustehenden weiten Ermessensspielraumes neben der Bedeutung der Sache sowohl in angemessener Weise die Geschäftslage des Gerichts als auch die Belange des Angeklagten bedacht und abgewogen hat. Dabei hat der Vorsitzende das grundsätzliche Recht des Angeklagten auf den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl und seines Vertrauens als Ausdruck des Grundsatzes eines fairen Verfahrens verkannt. Er hat neben seiner Arbeitsbelastung nicht den Gesichtspunkt in den Blick genommen, dass die kurzfristige Bekanntgabe des anberaumten Hauptverhandlungstermins und die verzögerte Übersendung der Zurückweisung des Verlegungsantrages allein aus dem Geschäftsbereich des Amtsgerichts kamen und der Angeklagte sowie sein Verteidiger hierdurch auch in ihren Möglichkeiten, auf die verfahrensleitenden Anordnungen des Gerichts reagieren zu können, übermäßig eingeschränkt wurden. Selbst wenn der Angeklagte erwogen hätte, sich ggfs. um einen anderen anwaltlichen Beistand zu bemühen, so wäre dies aus zeitlichen Gründen, für die er keine Ursache gesetzt hatte, nur eingeschränkt möglich, wenn nicht gar unmöglich gewesen. Dem steht nicht entgegen, dass es sich um keinen Fall der notwendigen Verteidigung gehandelt hat. Auch insoweit besteht regelmäßig das Recht, sich eines Verteidigers seiner Wahl zu bedienen.

Angesichts der Tatsache, dass knapp sieben Monate zwischen Tatzeitpunkt und Anklageerhebung vergingen und es sich um keine Haftsache handelte, war trotz des in Jugendsachen grundsätzlich bestehenden Beschleunigungsgebotes keine Eile erforderlich, die eine Anberaumung der Hauptverhandlung innerhalb kürzester Zeit erforderte. Zudem handelte es sich um die erste Terminierung in dieser Sache, so dass auch keine wesentliche Verschleppung des Verfahrens drohte. Eine Terminierung frühestens im Herbst 2021, wie der Vorsitzende sie für möglich hält, dürfte auch in einem Verfahren nach JGG nicht gegen das Beschleunigungsgebot verstoßen.

Unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände war es deshalb vorliegend ermessensfehlerhaft, den Belangen der zügigen Erledigung des Verfahrens den Vorrang vor dem Grundsatz des fairen Verfahrens einzuräumen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 467, 473 Abs. 1 und 2 StPO analog (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 23.09.1999, 1 Ws 701/99, KG Berlin, Beschluss v. 06.01.2017, 4 Ws 212/16, juris).


Einsender: RA M. Tauber, Rostock,

Anmerkung:


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