Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 02.02.2021 - 3 Ws 85/21
Leitsatz: Mit der Neuregelung in § 143a Abs. 2 Ziffer 3. StPO wurden die bislang in der obergerichtlichen Rechtsprechung des Rechts auf Verteidigerwechsel anerkannten Fälle kodifiziert. Auf die bisherige Rechtsprechung ist weiterhin zurückzugreifen.
3 Ws 85/21
OBERLANDESGERICHT FRANK
BESCHLUSS
In der Strafsache
gegen pp.
Pflichtverteidiger:
wegen versuchter Nötigung
hier: Pflichtverteidigerwechsel
hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am 02. Februar 2021 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main 7. kleine Strafkammer vom 15. Januar 2021 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten im Beschwerdeverfahren fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Der Angeklagte wurde mit Urteil des Amtsgericht Frankfurt am Main vom 28.01.2020 wegen versuchter Nötigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt. Das Verfahren ist, nachdem der Angeklagte gegen dieses Urteil Berufung eingelegt hat, vor dem Landgericht Frankfurt am Main anhängig. Termin zur Berufungsverhandlung ist auf den 04.02.2021 bestimmt.
Das Amtsgericht Frankfurt am Main hatte mit Beschluss vom 27.03.202 den bisherigen Pflichtverteidiger Rechtsanwalt S entpflichtet und dem Angeklagten, wie von ihm beantragt, Rechtsanwalt pp als Pflichtverteidiger beigeordnet Im Verlauf des weiteren Verfahrens, erstmals mit Schreiben vom 28.04.2020, beantragte der Angeklagte wiederholt die erneute Auswechslung seines Pflichtverteidigers. Mit Beschluss vom 09.06.2020 lehnte das Landgericht einen Wechsel in der Person des Pflichtverteidigers ab, da nicht ersichtlich sei, dass das Vertrauensverhältnis zu Rechtsanwalt pp. erschüttert sei.
Mit der Terminsladung vom 02.12.2020 bat das Gericht den Angeklagten um die Benennung eines geeigneten Pflichtverteidigers. Nachdem der Vorsitzende am 17.12.2020 keine Rückantwort des Angeklagten vorlag, nahm sie mit Rechtsanwalt Ba. Kontakt wegen der Übernahme der Pflichtverteidigung auf und gewährte ihm Akteneinsicht. Mit Schreiben vom 16.12.2020 regte Angeklagte indes an, ihm Rechtsanwältin Bo. beizuordnen. Auf die Anhörung zu einer Beiordnung von Rechtsanwalt Ba. wies er darauf hin, dass er beantragt habe, den Pflichtverteidiger durch Rechtsanwältin Bo. zu ersetzen. Mit Schreiben vom 07.01.2021 lehnte er Rechtsanwältin Ba. nochmals deutlich ab. Daraufhin erging der angefochtene Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15.01.2021, mit welchem Rechtsanwalt pp. entpflichtet und dem Angeklagten Rechtsanwalt Ba. als Pflichtverteidiger beigeordnet wurde. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde.
Das gemäß §§ 143a Abs. 4, 311 StPO als sofortige Beschwerde statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
Gemäß § 143a Abs. 2 Ziffer 3. StPO ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung gewährleistet ist. Damit wurden die bislang in der obergerichtlichen Rechtsprechung des Rechts auf Verteidigerwechsel anerkannten Fälle nunmehr kodifiziert. Auf die bisherige Rechtsprechung ist weiterhin zurückzugreifen (BT- Drs. 19/13824 S. 48). Eine ernsthafte Erschütterung des Vertrauensverhältnisses muss der Angeklagte substantiiert darlegen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Aufl. § 143a Rn. 22 m.N.).
Danach kommt eine Entpflichtung von Rechtsanwalt pp. nicht in Betracht. Das Landgericht lässt in seinem angefochtenen Beschluss bereits nicht erkennen, aufgrund welcher konkreten Umstände es nunmehr von einem nachhaltig erschütterten Vertrauensverhältnis ausgegangen ist. Allein der Hinweis auf den wiederholten Antrag des Angeklagten, dass das Vertrauensverhältnis zu Rechtsanwalt pp. erschüttert sei und dass er bereits mehrere Rechtsanwälte vorgeschlagen und dies des Öfteren widerrufen habe, genügt nicht, den Pflichtverteidigerwechsel zu begründen.
Aber auch die von dem Angeklagten vorgebrachten Umstände sind bei der gebotenen objektiven Betrachtungsweise nicht geeignet, eine nachhaltige Erschütterung des Vertrauensverhältnisses hinreichend zu belegen.
Der Angeklagte stützte seinen unter dem 07.12 2020 gestellten Entbindungsantrag darauf, dass Rechtsanwalt pp. es abgelehnt habe, weitere Mandate für ihn zu übernehmen. Aus Sicht eines verständigen Angeklagten begründet dieser Sachverhalt jedoch nicht die Sorge Rechtsanwalt pp. wäre auch in dem vorliegenden Verfahren nicht mehr zu einer Verteidigung bereit. Auch wenn die Mandatsablehnung mit 04.12.2020 in der Wortwahl Selbst für 600,00 Euro netto pro Stunde bei 12.000,00 Euro Vorschuss würde ich es nicht mache " deutlich ist, soll hiermit offensichtlich weiteren Mandatsanfragen entgegengewirkt werden, ohne die ordnungsgemäße Verteidigung in dem vorliegenden Verfahren in Frage zu stellen. Wie sorgfältig Rechtsanwalt pp. in, dem vorliegenden Verfahren agiert, zeigt sich auch in seinem eigenen Antrag auf Aufhebung der Beiordnung vom 24.06.2020, mit welchem er auf einen möglichen Interessenkonflikt hingewiesen hat, weil der Angeklagte ihn zivilrechtlich in einem Verfügungsverfahren in Anspruch genommen und gegen ihn Beschwerde bei der Rechtsanwaltskammer geführt habe. Dessen ungeachtet hat er im weiteren Verlauf des Verfahrens die Interessen des Angeklagten weiterhin wahrgenommen, unter dem 13.01.2021 Akteneinsicht beantragt und auf Unklarheiten bei dem von der Kammer erwogenen Pflichtverteidiger Ba. hingewiesen.
Schließlich ist in die Betrachtung mit einzubeziehen, dass der Angeklagte noch am 02.12.2020 Rechtsanwalt pp. in dem vorliegendes Verfahren besondere Vollmacht im Sinne von § 329 StPO erteilt hat, er mithin zu diesem Zeitpunkt das Vertrauensverhältnis zu Rechtsanwalt pp. nicht als nachhaltig erschüttert angesehen hat. Auch dass der Angeklagte mit seiner Beschwerdeschrift vom 20.01.2020 unter Ziffer 4. die Beiordnung der Rae Bo. und pp. als weitere Verteidiger beantragt hat, belegt, dass der Angeklagte selbst gegenwärtig nicht von einer ernsthaften Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zu Rechtsanwalt pp. ausgeht, die einen Verteidigerwechsel rechtfertigen könnte.
Mit der Aufhebung des Beschlusses bleibt es bei der ursprünglichen Beiordnung von Rechtsanwalt Hein als Pflichtverteidiger des Angeklagten. Über die von dem Angeklagten beantragte Beiordnung von Rechtsanwältin Bo. als weitere Verteidigerin hat das Landgericht in eigener Zuständigkeit zu befinden.
Einsender: RA T. Hein, Bad Vilbel
Anmerkung:
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